KAPITEL EINS-2

1886 Words
„Ja, Vater“, antworteten seine drei Jungs zugleich, und machten sich bereit. Er wandte sich um und warf Thor einen stechenden Blick zu. „Was tust du noch hier?“, fragte er. „Rein mit dir!“ Thor stand da, zerrissen. Er wollte seinem Vater gegenüber nicht ungehorsam sein, aber er musste mit ihm sprechen. Sein Herz raste, während er mit sich selbst rang. Er beschloss, es wäre am besten, zu gehorchen, die Schwerter zu bringen, und erst dann seinen Vater zu konfrontieren. Gleich mit Ungehorsam anzufangen, würde nicht hilfreich sein. Thor rannte ins Haus, durch die Hintertüre hinaus, und weiter zum Waffenverschlag. Er fand die drei Schwerter seiner Brüder, jedes einzelne ein Objekt reinster Schönheit, gekrönt mit den feinsten Silbergriffen; wertvolle Geschenke, für die sich der Vater jahrelang abgerackert hatte. Er griff sich alle drei, wie immer überrascht von ihrem Gewicht, und lief mit ihnen zurück durchs Haus. Er hastete zu seinen Brüdern, überreichte jedem von ihnen sein Schwert, und wandte sich dann an seinen Vater. „Wie, ohne Polieren?“, sagte Drake. Sein Vater drehte sich missbilligend zu ihm um, doch bevor er etwas sagen konnte, fing Thor zu sprechen an. „Vater, bitte. Ich muss mit dir sprechen!“ „Ich sagte, polier—“ „Bitte, Vater!“ Sein Vater funkelte ihn an, mit sich selbst ringend. Er muss die Ernsthaftigkeit in Thors Gesicht erkannt haben, denn schließlich sagte er, „Nun?“ „Ich möchte mich melden. Mit den anderen. Zur Legion.“ Das Gelächter seiner Brüder erhob sich hinter ihm, und brennendes Rot fuhr ihm ins Gesicht. Doch sein Vater lachte nicht; im Gegenteil, seine Mundwinkel verzogen sich noch weiter nach unten. „Ist das so?“, fragte er. Thor nickte energisch. „Ich bin vierzehn. Ich bin berechtigt.“ „Vierzehn ist die Grenze“, warf ihm Drake abfällig über die Schulter zu. „Wenn Sie dich nehmen, wärst du der Jüngste. Meinst du wirklich, sie nehmen dich anstelle von jemandem wie mir, fünf Jahre über dir?“ „Du bist unverschämt“, sagte Durs. „Warst du schon immer.“ Thor drehte sich zu ihnen um. „Euch habe ich nicht gefragt“, sagte er. Er wandte sich zurück an seinen Vater, der immer noch stirnrunzelnd dastand. „Vater, bitte“, sagte er. „Gib mir eine Chance. Mehr möchte ich gar nicht. Ich weiß, ich bin jung, aber ich werde mich beweisen, mit der Zeit.“ Sein Vater schüttelte den Kopf. „Du bist kein Soldat, Junge. Du bist nicht wie deine Brüder. Du bist ein Hirte. Dein Leben ist hier. Bei mir. Du wirst deine Pflichten erfüllen, und zwar gut. Man sollte nicht zu hoch träumen. Nimm dein Leben an, wie es ist, und lerne, es zu lieben.“ Thor fühlte, wie sein Herz brach, und sein Leben vor seinen Augen in sich zusammenbrach. Nein, dachte er. Das kann nicht sein. „Aber, Vater—“ „Schweig!“, schrie der, so schrill, dass es die Luft durchschnitt. „Es reicht mir mit dir. Hier kommen sie. Aus dem Weg mit dir, und benimm dich besser, solange sie hier sind.“ Sein Vater trat vor und schob Thor mit einer Hand zur Seite, als wäre er ein Stück von etwas, das er lieber nicht sehen wollte. Seine bullige Handfläche brannte sich auf Thors Brust. Ein großes Gerummel kam auf, und das Dorfvolk strömte aus seinen Häusern, um die Straßen zu säumen. Eine größer werdende Staubwolke kündigte den Zug an, und Augenblicke später waren sie angekommen, ein Dutzend Pferdekutschen mit einem Lärm wie Donnergrollen. Sie zogen in die Stadt ein wie eine plötzliche Armee, und hielten nahe an Thors Zuhause an. Da standen ihre Pferde nun, tänzelnd, schnaubend. Die Staubwolke brauchte zu lange, um sich zu setzen, und Thor versuchte aufgeregt, einen Blick auf ihre Rüstungen, ihr Waffenzeug zu erheischen. Nie zuvor war er den Silbernen so nahe gestanden, und sein Herz pochte. Der Soldat auf dem vordersten Pferd stieg von seinem Hengst ab. Da stand er, ein richtiger, tatsächlicher Mann der Silbernen, bedeckt mit einer schimmernden Kettenrüstung, ein Langschwert an seinem Gürtel. Dem Aussehen nach war er in seinen Dreißigern, ein wahrer Mann, Bartstoppeln im Gesicht, Narben auf der Wange, und eine vom Kampf gekrümmte Nase. Er war der gewichtigste Mann, den Thor je gesehen hatte, zweimal so breit wie die anderen, mit einem Gehabe, das klar machte: ich habe das Kommando. Der Soldat sprang auf die Lehmstraße hinunter, seine Sporen rasselten, als er sich den in Reih und Glied stehenden Jungen näherte. Das ganze Dorf rauf und runter standen dutzende Jungen, stramm stehend, voller Hoffnung. Den Silbernen anzugehören bedeutete ein Leben in Ehre, in Kampf, in Ansehen, in Ruhm—zusammen mit Land, Titel und Reichtümern. Es bedeutete die beste Braut, das erlesenste Land, ein Leben voll Pracht. Es bedeutete Ehre für deine Familie, und ein Eintritt in die Legion war der erste Schritt dazu. Thor betrachtete die großen goldenen Kutschen, und ihm war klar, dass sie nur eine gewisse Anzahl Rekruten fassen konnten. Das Königreich war groß, und sie mussten noch viele Städte besuchen. Er schluckte, als ihn die Erkenntnis traf, dass seine Chancen noch weitaus geringer waren als gedacht. Er würde alle diese anderen Jungen schlagen müssen—viele darunter beträchtliche Kämpfer—zusammen mit seinen eigenen drei Brüdern. Sein Herz sank. Thor konnte kaum atmen, als der Soldat schweigend an der Reihe der hoffnungsvollen Anwärter entlangschritt und sie in Augenschein nahm. Er begann am entfernten Ende der Straße und umkreiste sie langsam. Natürlich kannte Thor all die anderen Jungen. Er wusste auch, dass manche von ihnen insgeheim gar nicht ausgewählt werden wollten, auch wenn ihre Familien sie gerne fortschicken würden. Sie hatten Angst; sie würden keine guten Soldaten abgeben. Thor empfand brennende Demütigung. Er fand, er hätte es verdient, ausgewählt zu werden, genauso sehr wie alle anderen. Nur weil seine Brüder älter und größer und stärker waren, hieß das noch lange nicht, dass er kein Recht hatte, dazustehen und ausgewählt zu werden. Er fühlte brennenden Hass auf seinen Vater, und platze fast aus seiner Haut, als der Soldat sich näherte. Der Soldat blieb, zum ersten Mal überhaupt, vor seinen Brüdern stehen. Er begutachtete sie von Kopf bis Fuß und schien beeindruckt. Er streckte die Hand aus, packte eine ihrer Schwertscheiden und zerrte an ihr, als würde er testen, wie fest sie war. Er begann zu lächeln. „Du hast dein Schwert bisher noch nie im Kampf benutzt, nicht wahr?“, fragte er Drake. Thor sah Drake zum ersten Mal in seinem Leben nervös werden. Er schluckte. „Nein, mein Herr. Aber ich habe es schon viele Male im Training benutzt, und ich hoffe—“ „Im Training!“ Der Soldat brüllte vor Lachen und drehte sich zu den anderen Soldaten um, die mit einstimmten. Allesamt lachten Sie Drake ins Gesicht. Drake lief brennrot an. Dies war das erste Mal, dass Thor Drake bloßgestellt erlebte—üblicherweise war es Drake, der andere bloßstellte. „Nun, so werde ich unseren Feinden gewiss sagen, dass sie dich fürchten sollten—du, der du dein Schwert im Training schwingst!“ Die Gruppe Soldaten lachte erneut. Danach wandte sich der Soldat an seine anderen Brüder. „Drei Jungen vom gleichen Schlag“, sagte er, und rieb die Stoppeln an seinem Kinn. „Das kann nützlich sein. Ihr seid alle von guter Größe. Doch unerprobt. Ihr werdet sehr viel Unterricht brauchen, wenn ihr die Ausbildung bestehen wollt.“ Er hielt inne. „Ich denke, wir könnten Platz für euch finden.“ Er deutete mit dem Kopf zur hintersten Kutsche. „Rein mit euch, und zwar hurtig. Bevor ich es mir anders überlege.“ Die drei Brüder von Thor rannten freudestrahlend zur Kutsche. Thor merkte, wie auch sein Vater vor Freude strahlte. Er selbst blickte ihnen völlig geknickt hinterher. Der Soldat drehte sich um und ging zum nächsten Haus weiter. Thor hielt es nicht länger aus. „Hauptmann!“, rief er laut aus. Sein Vater starrte ihn erbost an, aber Thor kümmerte das nicht länger. Der Soldat blieb stehen, mit dem Rücken zu Thor, und drehte sich langsam um. Thor machte zwei Schritte nach vorne, mit klopfendem Herzen, und streckte so weit er konnte seine Brust hinaus. „Mich habt Ihr noch nicht begutachtet, Hauptmann“, sagte er. Der Soldat blickte überrascht an Thor hoch und runter, als wäre er ein Witz. „Ach, habe ich das nicht?“, fragte er und brach in Gelächter aus. Auch seine Männer lachten schallend. Aber Thor war es egal. Dies war sein Augenblick. Jetzt oder nie. „Ich möchte der Legion beitreten!“, sagte Thor. Der Soldat drehte sich um und schritt auf Thor zu. „Willst du das also?“ Er blickte amüsiert drein. „Und hast du überhaupt schon dein vierzehntes Jahr erreicht?“ „Das habe ich, Hauptmann. Vor zwei Wochen.“ „Vor zwei Wochen!“ Der Soldat kreischte vor Lachen, wie auch die Männer hinter ihnen. „Wenn das so ist, wird dein Anblick unsere Feinde bestimmt in Angst und Schrecken versetzen.“ Thor fühlte, wie er vor Schmach brannte. Er musste etwas tun. Er konnte nicht zulassen, dass es so endete. Der Soldat war bereits dabei, sich abzuwenden und wegzugehen—doch Thor konnte das nicht zulassen. Thor trat vor und rief: „Hauptmann! Ihr macht einen Fehler!“ Ein entsetztes Raunen zog sich durch die Menge, als der Soldat stockte und sich langsam umdrehte. Diesmal war sein Blick verärgert. „Dummer Junge“, sagte sein Vater und packte Thor an der Schulter, „geh zurück ins Haus!“ „Das werde ich nicht!“, schrie Thor und schüttelte die Hand seines Vaters ab. Der Soldat trat auf Thor zu, und sein Vater wich zurück. „Weißt du, welche Strafe darauf steht, einen Silbernen zu beleidigen?“, fuhr ihn der Soldat an. Thors Herz raste, aber er wusste, dass er jetzt nicht nachlassen konnte. „Bitte verzeiht ihm, Hauptmann“, sagte sein Vater. „Er ist ein junges Kind, und—“ „Mit Euch rede ich nicht“, sagte der Soldat. Mit einem vernichtenden Blick zwang er Thors Vater, sich abzuwenden. Der Soldat wandte sich zurück an Thor. „Antworte mir!“, sagte er. Thor schluckte, und brachte kein Wort heraus. So hatte er sich das in Gedanken nicht vorgestellt. „Einen Silbernen zu beleidigen bedeutet, den König selbst zu beleidigen“, sagte Thor kleinlaut, brav die Passage aufsagend, die er auswendig gelernt hatte. „Ja“, sagte der Soldat. „Was bedeutet, dass ich dir 40 Peitschenhiebe versetzen könnte, wenn ich wollte.“ „Ich wollte Euch keinesfalls beleidigen, Hauptmann“, sagte Thor. „Ich wollte bloß ausgewählt werden. Ich bitte Euch. Ich träume schon mein ganzes Leben davon. Bitte. Lasst mich zur Legion.“ Der Soldat stand da, und langsam wurde sein Blick sanfter. Nach einer langen Weile schüttelte er den Kopf. „Du bist jung, Bursche. Du hast ein stolzes Herz. Aber du bist noch nicht soweit. Melde dich wieder, wenn du aus den Windeln bist.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und stürmte davon, mit kaum einem Blick auf all die anderen Jungen. Schnell bestieg er sein Pferd. Thor stand geknickt da und musste zusehen, wie der Zug sich in Bewegung setzte; so schnell sie gekommen waren, waren sie fort. Das letzte, was Thor sah, waren seine Brüder, wie sie hinten in der letzten Kutsche saßen und zu ihm hinausblickten, missbilligend, spottend. Vor seinen Augen wurden sie davongekarrt, weg von hier, in ein besseres Leben. Innen drin wollte Thor nur sterben. Als sich um ihn herum die Aufregung langsam legte, zogen sich die Dorfbewohner in ihre Häuser zurück. „Ist dir klar, wie dumm du da warst, närrischer Junge?“, fuhr Thors Vater ihn an und packte ihn an den Schultern. „Ist dir klar, dass du die Chancen deiner Brüder hättest zunichte machen können?“ Thor stieß seines Vaters Hände grob von sich weg, und sein Vater holte aus und schlug ihm den Handrücken quer übers Gesicht. Thor fühlte den stechenden Schmerz und starrte seinen Vater wütend an. Zum allerersten Mal wollte ein Teil von ihm zurückschlagen. Aber er beherrschte sich. „Und jetzt geh und hol mir meine Schafe zurück. Sofort! Und wenn du wieder da bist, erwarte bloß keine Mahlzeit von mir. Du wirst deine Mahlzeit heute Abend auslassen und darüber nachdenken, was du getan hast.“ „Vielleicht komme ich erst gar nicht zurück!“, schrie Thor, als er sich umdrehte und davonstürmte, weg von zuhause, in die Hügel. „Thor!“, schrie sein Vater, und einige Dorfbewohner blieben stehen und schauten. Thor fing zu laufen an, dann zu rennen—er wollte so weit wie es nur irgendwie ging von diesem Ort weg. Ihm fiel kaum auf, dass er weinte, sein Gesicht von Tränen überflutet wurde, nun, da jeder Traum, den er je gehabt hatte, in Scherben lag.
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