III. Nachdenken

3897 Words
Während der kurzen Fahrt kam ich zu dem Entschluss, dass ich mich vollkommen umsonst verrückt gemacht hatte. Ich wusste, dass ich das Angebot nicht annehmen würde. Dazu war ich viel zu feige. Naja, nicht feige, aber zu korrekt. Es mag nicht verboten sein, aber bestimmt bewegte man sich mit so einem Verhältnis in einer Grauzone. Natürlich hatte der Gedanke seinen Reiz, aber ich war einfach nicht der Typ dafür. Ich wäre es gerne. Oh Gott, ich würde ihn gerne nackt sehen. Wenn er im Bett nur halb so gut war, wie als Dozent, dann würde einem Zehenkräuseln und Augenverdrehen nichts im Wege stehen. Aber das war Nichts für mich. Die brave Ariane. Mein Sexleben war genauso brav wie ich. Und von Anfang an ein Reinfall. Mir wurde Unentspanntheit und Verkrampftheit vorgeworfen. Und damit hatten sie gar nicht mal so unrecht. Ich konnte mich nicht entspannen. Nicht bei dem Gedanken daran, was ich alles falsch machen könnte. Oh Gott, s*x war kompliziert. Mit all den Sachen, die man machen musste: küssen, anfassen, atmen, Beine spreizen, Beine anziehen, dem anderen keine Kopfnuss geben. Gefiel es dem anderen, wenn man an seiner Lippe saugte? Mochte er es, in die Schulter gebissen zu bekommen? Hatte ich die Fingernägel zu fest in seinen Rücken gekrallt? Bewegte ich mich so richtig? Und es half nicht, wenn man gesagt bekam: „Entspann dich einfach.“ Wenn es so einfach ginge, dann wäre ich von Anfang an entspannt gewesen! Ich seufzte frustriert auf. Als ich die Treppen hochstieg, versuchte ich wieder Gefühl in meine Fingern zu bekommen. Abends war es einfach zu kalt, um mit dem Rad zu fahren, selbst mit Handschuhen war es unerträglich. Diesmal konnte ich noch kurz auf die Toilette huschen um mir die Nase zu putzen und mein zerzaustes Haar zu kämmen. „Ariane!“ Steffi sah überrascht aus, mich zu sehen. Ich schenkte ihr ein Lächeln, das sie sofort erwiderte. „Wie geht es dir? Ich habe das mit Tobi gehört, es tut mir ja so schrecklich leid!“ Sie umarmte mich überschwänglich und ich tätschelte unbeholfen ihre Schulter. Seit wann umarmten wir uns denn? Wir waren doch eher auf dem Niveau von peinlichem Anlächeln und nicht miteinander sprechen?! Sie ließ mich los und bedachte mich mit einem mitleidigen Blick. Am liebsten würde ich die Augen verdrehen. Mit ihr hatte er doch auch geschlafen. Warum tat nur ich den Leuten leid? „Mir geht es gut, und dir?“ Ich versuchte, ihren mitleidigen Ton nachzuahmen und kurz hatte ich das Gefühl, dass sie genau wusste, worauf ich anspielte. Aber eigentlich wollte ich nur noch so schnell wie möglich hier raus. Doch sie versperrte mir den Weg. „Schön, dass du wieder auf den Beinen bist.“ Steffi drückte meinen Arm. Was zur Hölle war los mit ihr? Ich war nie nicht auf den Beinen. „Ach, es tut mir immer so schrecklich weh, wenn jemandem das Herz gebrochen wird.“, ich versuchte mich an ihr vorbeizuschieben, aber ihr Theater war noch nicht zu Ende und sie ließ mich nicht zur Tür, „Aber keine Sorge, irgendwann findest du auch noch jemanden.“ Ich warf ihr ein gekünsteltes Lächeln zu und drängte mich an ihr vorbei, doch Steffi schaffte es, sofort nach mir die Toiletten zu verlassen. „Wenn du jemanden zum Reden brauchst, kannst du mich gerne anrufen!“, rief sie, bevor sie das Stockwerk verließ. Blöde Kuh. Wir wussten beide ganz genau, dass Tobi nicht nur mich hinters Licht geführt hatte. Warum konnten die Leute mich nicht in Ruhe lassen? Es war nicht so, dass ich in ihm meinen edlen Ritter gesehen hatte. Ich habe Tobi gemocht, ja, ich fand ihn auch heiß und ich dachte, das wäre genug für eine Beziehung. Sympathie und Anziehung. Aber das war es nicht und es war okay. Die Art und Weise wie er mich behandelt hatte allerdings, war nicht okay. Aber natürlich war er fein raus aus der Sache. Natürlich sind es immer die Frauen die überreagieren und zu emotional sind. Dass das Arschloch mich und die anderen einfach angelogen hat, will natürlich kaum jemand anerkennen. Er hat uns einer potentiellen Krankheit ausgesetzt. Natürlich sagte ich ihm, dass das nicht okay war. Aber nein, ich bin die hysterische Ziege, nur weil ich ihm gesagt habe, dass er sich auf was gefasst machen kann, sollte er mich tatsächlich mit irgendwas infiziert haben. Auf Doktor Finks „Herein“ öffnete ich die Tür und ließ sie etwas lauter ins Schloss fallen, als beabsichtigt. Verärgert kniff ich die Augen zusammen und biss auf meiner Unterlippe, während ich nachdachte. Er sah von seinem Schreibtisch auf und schien für einen Augenblick ein wenig überrascht, mich zu sehen. Dann nahm er mein Mäppchen und kam auf mich zu. Ich stand wie erstarrt neben der Tür und ärgerte mich immer noch über Steffi. Diese bescheuerte Bumsnudel. Von wegen Herz gebrochen. Der Kerl hätte es nicht mal geschafft, mein Jungfernhäutchen zu brechen, wenn ich noch eines gehabt hätte. Zwei Minuten hatte er durchgehalten. Und dann besaß er auch noch die Frechheit, mich zu fragen, ob ich auch gekommen war. Ähm, ja, in die falsche Wohnung. Und nein, es war nicht so geil wie für ihn. Naturjoghurt war besser als er. „Alles in Ordnung?“ Ich hatte nicht gemerkt, dass Doktor Fink mir das Etui hinhielt. Ich konnte meine Hand nicht dazu bringen, es entgegenzunehmen. Ach verdammt. Ich wollte mehr als zwei Minuten. Ich wollte Zehenkräuseln und Augenverdrehen! Ich wollte… Bergamotte und Sandelholz. Komisch, was einem in so kurzer Zeit alles durch den Kopf gehen konnte. „Hm, ja. Sagen Sie mal, das Angebot… Also, steht das noch?“ Und noch seltsamer war, wie viel man nachdenken konnte und trotzdem bescheuerte Entscheidungen traf. So wie ich. Immer. Story of my life. „Ja.“ Ich nahm das Etui und nickte wie eine Irre. „Okay.“ „Okay wie in: Danke für die Information, oder okay wie: ich-nehme-das-Angebot-an- okay?“ „Ähm, letzteres.“ Er schien für den Bruchteil einer Sekunde überrascht. Dann nickte er. Sag‘ ich ja: Bescheuert. „Gut, komm.“ Doktor Fink tippte mich an der Schulter an, damit ich mich in Bewegung setze und wir nahmen am Schreibtisch Platz. Was genau er sagte, konnte ich nicht verstehen. Das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich nicht einmal die Stimme in meinem Kopf hören konnte, die mich anbrüllte, ob ich noch ganz dicht war. Ich konnte das Angebot nicht annehmen. Nicht die brave Ariane! Ich tat so etwas nicht! Ich wusste nicht mal, was ich da tat! Was hatte ich nur getan? „Ariane?“ „Hm?“ Oh scheiße. Er hatte diesen auffordernden Ausdruck in den Augen, der nur bedeuten konnte, dass er mir eine Frage gestellt hatte. „Wir sollten ein paar Dinge besprechen.“ Er nahm einen Zettel zur Hand und taxierte mich. Ich versuchte seinem Blick standzuhalten, aber ich knickte schneller ein, als mir lieb war und senkte meinen Kopf. Es dauerte einen Moment, bis ich mich dazu brachte, zu nicken. „In Ordnung. Die wichtigsten Dinge zuerst: Mein Privatleben geht niemanden etwas an, deshalb möchte ich auch nicht, dass du anderen hiervon erzählst.“ Ich nickte und murmelte: „Die erste Regel vom Fight Club.“ Ich sah nicht auf, aber ich stellte mir vor, dass seine Mundwinkel zumindest zuckten. Verschwiegenheit war auch in meinem Interesse. Ich wollte nicht, dass man auf der Uni über mich sprach. Die Schlampe, die mit ihrem Dozenten schläft. Bestimmt um eine bessere Note zu bekommen. Nein, die Leute würden sich nur das Maul über mich zerreißen, darauf konnte ich verzichten. Und seltsamerweise war ich auch ganz froh, dass er mir quasi verbot, Iris davon zu erzählen. So konnte ich mein schlechtes Gewissen beruhigen, indem ich mir einredete, ich würde es tun, wenn er es erlauben würde. „Gut. Hattest du schon mal s*x?“ „Ja.“ Ich war beinahe ein wenig empört über seine Frage, aber er ignorierte meinen vorwurfsvollen Ton und nickte. Plötzlich durchzuckte mich ein heißer Blitz. Er ist doch verheiratet! Ich kann nicht mit einem verheirateten Mann schlafen. Was zur Hölle ist los mit mir? Mein Blick huscht zu seinem Ringfinger. Der Ehering war weg. Achja, Modeschmuck. Ich atmete auf. „Wann hast du dich das letzte Mal auf sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen?“ Ich musste nicht lange überlegen. „Vor zwei Monaten. Ich bin kerngesund.“ Ich hatte einen trockenen Mund. Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt. Inwiefern konnte ich aber selbst nicht sagen. Irgendwie nicht so… nüchtern. Ich fühlte mich, wie bei einem Vorstellungsgespräch. Er nickte wieder und schrieb etwas auf das Blatt, dann deutete er mit dem Ende seines Kugelschreibers auf sich und sagte ruhig: „Ich habe das gleiche Ergebnis vor zwei Wochen bekommen.“ Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, nickte ich nur und wich seinem Blick aus. Vor zwei Wochen? Warum musste er sich erst vor zwei Wochen testen lassen? War da sein letztes sexuelles Abenteuer? Oh Mann, wer von den anderen Studentinnen war es wohl? Oder seine Frau? Eine ganze Horde? Nein, wenn er vor zwei Wochen das Ergebnis bekommen hatte, dann war es vielleicht schon länger her! War er untervögelt, weil es schon so lange her war? Hatte er mich nur deswegen gefragt? War er verzweifelt? Verdammt, wie bin ich hier bloß reingeraten? Was hatte ich mir nur dabei gedacht?! Scheiße! „Verhütest du?“ Ich starrte auf das Blatt in seinen Händen und dachte kurz über meine Antwort nach. „Ich habe die Spirale, aber ich denke nicht, dass das allein in meiner Verantwortung liegt.“ Sein amüsiertes Schnauben und das Kratzen des Kugelschreibers auf dem Papier irritierten mich so sehr, dass ich am liebsten einfach abgehauen wäre. Aber mein Hintern blieb fest auf der Sitzfläche kleben und meine weichen Knie hätten mich sowieso niemals bis zur Tür gebracht. Scheiße, Scheiße, Scheiße. „Keine Sorge, ich habe nicht vor, auch nur ein bisschen Verantwortung abzugeben.“ Die Aussage hätte mich eigentlich beruhigen sollen, aber sein kühler Ton ließ sie wie eine Drohung klingen. Ich spürte, wie sich die Haare in meinem Nacken aufstellten doch meine Angst galt weniger der Frage, was er mit mir tun würde, als der Frage, wer diese intimen Details über mich lesen könnte. Das Blatt Papier, dass er fein säuberlich beschriftete wurde mir immer suspekter und ich fragte mich, was genau er sich notierte. Stand da mein Name oben? Welche Angaben noch? Während seiner weiteren Fragen war meine gesamte Aufmerksamkeit auf seine Schrift gerichtet. Ich versuchte zu erkennen, was er geschrieben hatte und beantwortete die Fragen mechanisch. „Lieblingsschokolade?“ „Bitte was?“ Sein auffordernder Blick ließ keine Widerrede zu. „Lieblingsschokolade? Oder andere Süßigkeit?“ Ich starrte ihn perplex an. Wozu wollte er das denn wissen? Ach du meine Güte, was für perverse Sachen hatte er denn vor? Ich schluckte hart und musste nicht lange überlegen. „Kennen Sie diese Bio-Marke, die diese hauchzarten Schichtnougatwürfel herstellt?“ Er nickte lächelnd und zeigte dabei eine Reihe weißer Zähne. Es wirkte nicht so, als würde er sich viel Süßigkeiten gönnen. „Ja, genau die“, seufzte ich und konnte beinahe das Nougat auf der Zunge spüren. Das war definitiv mein Schwachpunkt. Ich verdrehte die Augen, bei dem Gedanken an das zartschmelzende Konfekt. Dann wurde mir bewusst, dass er mich beobachtete und ich nahm mich zusammen. „In Ordnung. Was weißt du über b**m?“ Sein beiläufiger Ton ließ seine Frage beinahe alltäglich wirken. Mir rutschte dennoch das Herz fast in die Hose, als ich hörte, was er sagte. „Abgesehen von dem, was man in den Boulevardmedien so hört? Nicht viel.“ Schon wieder wurde meine Stimme piepsig und leise. Um ehrlich zu sein, wusste ich doch ein bisschen darüber Bescheid. Wenn die beste Freundin und Mitbewohnerin sich dadurch ihr Geld verdiente, dann schnappte man ein paar Sachen auf. Aber ich wollte ihm nicht den Anschein geben, als hätte ich es schon mal praktiziert. Seine dunklen Augen musterten mich eindringlich und forderten mich auf, meine Aussage genauer auszuführen. Ich schluckte und lenkte meinen Blick wieder auf seinen Krawattenknoten. Seine Schrift konnte ich sowieso nicht entziffern. „Naja, also das mit den Fesseln ist ja scheinbar schon salonfähig geworden und es gibt da eben so verschiedene Richtungen und Abstufungen und so.“ Großartig. Wundervoll erklärt, Ariane. Dafür hast du Abi gemacht. Am liebsten würde ich mir mit der Hand ans Hirn greifen. Ich sprach wie eine Vierjährige. Dann zuckte ich mit den Schultern und wagte es, Blickkontakt herzustellen. Seine Augen waren ausdruckslos. Ich hatte absolut keine Ahnung was in ihm vorging. Er nickte langsam und schrieb ein paar Worte auf. „Du kennst also rein die physischen Aspekte?“ Ich nickte ohne groß darüber nachzudenken. „Okay. Dann lass uns da weitermachen.“ Er kramte ein leeres Blatt Papier aus einer Schublade und reichte es mir. Dann meinte er, ich solle darauf alles aufschreiben, was mir zum Thema s*x und b**m einfiel, egal ob ich es gut fand oder nicht. Er würde dasselbe tun. Ich nahm den Kugelschreiber verdattert entgegen und überlegte. Die ersten paar Begriffe hatte ich schnell gefunden: Handschellen, Augenbinden, Peitschen, Wachs, Schmerzen, Brutalität, Unterwürfigkeit. Aber dann wurde es immer schwieriger. Ich versuchte mich an ein paar Dinge zu erinnern, die Iris gesagt hatte, wollte aber nicht zu spezifisch werden. Lack, Leder, Latex, blaue Flecken und Wunden diverser Natur, Knebel und Fessel, Riesendildos und Vibratoren. Ich spürte, dass ich immer roter anlief, während ich weiter aufschrieb. Zu behaupten, dass es mir unangenehm war, war eine Untertreibung. Ich empfand es regelrecht als Folter. Ach ja, Folterinstrumente! Natürlich dachte man über ein paar solcher Dinge nach, vor allem, wenn die beste Freundin ihre s*x-Kataloge in der Wohnung rumliegen ließ wie andere die Vogue. Aber das waren kleine geheime Gedanken, die ich mir nur hin und wieder erlaubte, zu denken. Ich hatte nicht sonderlich viel Erfahrung in Sachen s*x. Mein erstes Mal war ein halb betrunkener quasi One-Night-Stand mit einem Schulkameraden nach dem Abschluss und dann noch ein paar Mal mit demselben Kerl. Und Tobi und ich hatten einige Male miteinander geschlafen. Aber ich hatte meistens das Gefühl, dass ich irgendetwas falsch gemacht hatte. Es war schön, aber als die „schönste Sache der Welt“ galt es für mich nicht. Iris meinte, dass ich einfach Pech bei den Männern hatte. Und da hatte sie nicht unrecht. Zehenkräuseln und Augenverdrehen waren nicht die Stärke der beiden gewesen. Das oblag meiner eigenen… handwerklichen Fähigkeit. Und unweigerlich stellte sich mir dann immer häufiger die Frage, ob es denn vielleicht etwas gab, was helfen konnte. So orgasmustechnisch. Noch bevor ich jedoch den Mut aufgebracht hatte, tatsächlich ernsthaft darüber nachzudenken, geschweige denn, es anzusprechen, war das kleine Techtelmechtel, das ich mit Tobi am Laufen hatte auch schon wieder vorbei. Und nach der Tragödie mit der vermeintlichen Geschlechtskrankheit wollte ich auch erst mal nichts mehr damit zu tun haben. Iris meinte nur, dass ich mich eben wieder selbst drum kümmern musste, und dabei blieb es auch. Aber die Fragen tauchten dennoch immer mal wieder auf. Doktor Fink räusperte sich leise und ich sah von meinem Blatt auf. Ich hatte schon eine Weile geistesabwesend darauf gestarrt und musste nun feststellen, dass meine Kritzelei im Gegensatz zu seiner nicht mal als Liste durchgehen konnte. Einer seiner Mundwinkel schob sich nach oben und er grinste mich schief an. Er wusste wohl genau, was ich dachte und ich schüttelte verlegen den Kopf. „Jetzt spielen wir das Ampelspiel.“ Er strich über sein Blatt. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. „Wir lesen die Begriffe vor, die wir notiert haben und sagen dann jeweils grün für ja, das gefällt, orange für das kann man sich unter Umständen vorstellen und rot für nein, das mag man nicht.“ Da ich noch immer unfähig war, einen Satz hervorzubringen ohne wie eine Maus zu piepsen, nickte ich einfach nur. Doktor Fink deutete mir, zu beginnen. Ich schluckte und spürte, wie die Hitze in mir aufstieg. Ich hatte nichts davon je ausprobiert. Ich hatte sowas von keine Ahnung, ob es mir gefiel. „Ich- Ich habe absolut keine Erfahrung mit solchen Sachen“, flüsterte ich schließlich. „Das macht nichts. Du musst nur sagen, womit du dich zu diesem Zeitpunkt wohl fühlen würdest und womit nicht.“ Ich nickte und begann dann die wenigen Begriffe vorzulesen. Handschellen und Augenbinden waren grün, das war etwas, das ich sowieso einmal ausprobiert hätte. Knebel und Fessel waren orange, irgendwie interessierte es mich ja schon, aber ob ich es tatsächlich mochte, bezweifelte ich irgendwie. Brutalität, Wunden und Folter waren rot. Ich wollte nicht mit blutigen Striemen übersät irgendwo angekettet herumhängen. All das war für Doktor Fink grün. Ich ließ die Riesendildos und Vibratoren aus, es war mir unmöglich, es auszusprechen. Außerdem wäre das sowieso rot für mich gewesen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass das angenehm war. Schmerzhaft, erniedrigend und unnatürlich ja, aber erregend und ekstatisch? Schon allein bei dem Gedanken verkrampfte sich mein Körper. Überraschend war, dass bei den Begriffen Lack, Leder und Latex ein klares rot von Doktor Fink kam. Ich hatte dazu ein vorsichtiges orange abgegeben und konnte nicht umhin, ein wenig enttäuscht über die unmissverständliche Ablehnung zu sein. Seine Liste hatte um einiges mehr System und war auch bedeutend länger. Zuerst ging es um die Sexualpraktiken. Oral, Anal und diverse Körperflüssigkeiten. Meine Wangen brannten, als wir das alles durchgespielt hatten, aber Doktor Fink ging mit einer nüchternen Professionalität an dieses Spiel heran, das mich seltsamerweise beruhigte und mein Unbehagen langsam auflöste.   Als wir bei den Dessous ankamen, sprachen wir darüber, als würden wir uns über Jeans und T-Shirt unterhalten. Seine sachliche Offenheit vertrieb meine Nervosität beinahe zur Gänze und ich stellte mir schon vor, wie es sein könnte, in Spitzenunterwäsche vor ihm zu stehen. Schnell versuchte ich, diese Gedanken beiseite zu schieben. Es wurde sowieso nur ein Albtraum daraus, wenn ich zu viel nachdachte. Was, wenn ich ihm nicht gefiel? Wenn diese Dehnungsstreifen an meinen Schenkeln ein No-Go waren? Oder die Narbe unter meinem Bauchnabel ihn zum Lachen brachte? Ach Scheiße, was, wenn ich ihm da unten rum nicht gefiel? Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden und konzentrierte mich wieder darauf, was er sagte. Hmm, diese angenehm kühle Stimme. Es wurde immer aufregender mit ihm über diverses Spielzeug zu sprechen, er erklärte mir ein paar Unterschiede und ich freute mich schon beinahe darauf, all diese Dinge real zu sehen. Ich wusste, dass es eine ganze Anzahl an unterschiedlichsten Gerätschaften gab, aber er versuchte nicht zu viel Verwirrung zu stiften und nannte nur die wichtigsten Vertreter ihrer jeweiligen Kategorie. Er meinte, wir würden uns sowieso langsam herantasten und ich atmete innerlich auf. Vibratoren und Dildos ließen mich nur hektisch „rot“ rufen und ich wollte sie gar nicht näher ausgeführt haben. Ich wusste nicht mal warum, aber es war mir einfach unangenehm auch nur daran zu denken. Wenn Iris wieder ein Stück ihrer Kollektion im Bad wusch, wollte ich am liebsten auf der Stelle aus der Wohnung flüchten. Sie zog mich immer damit auf, dass ich eine prüde Landpomeranze sei und machte sich über mich lustig. Doktor Fink sah mich nur überrascht an, schrieb etwas auf den Zettel und machte dann weiter. Ich war erleichtert, dass er es einfach so akzeptierte. Interessant wurde es, als er begann, über die psychischen Punkte seiner Liste zu sprechen. Es ging um Dominanz und Unterwerfung, Befehle zu erteilen und die Befolgung derselbigen um gemeinsam zu einem Ziel zu gelangen. Er erklärte, dass es eine Vielzahl aus Ausprägungen gab, wie Sadisten, Masochisten, rein dominante Personen und dass es im Prinzip jedem selbst überlassen war, wie man b**m auslebte. „Im Grunde ist es einfach. Ich bin jemand, der gerne gebraucht wird und du bist jemand, der gerne gewollt wird. Aber das alleine reicht nicht. Es gehört eine gehörige Portion Vertrauen dazu und auch ein bisschen Mut. Dann kann es sehr erfüllend sein, sich von allem frei zu machen, was belastend, beängstigend und anstrengend ist und sich in die Hände von jemandem zu begeben, der all das fern hält und auf die sexuellen Bedürfnisse eingeht.“ Ich seufzte bei seinen Worten. Es hörte sich wahnsinnig verlockend an, vollkommen abschalten zu können und jemanden zu haben, der einen für ein paar Stunden einfach nur verwöhnen will. Als ob ich es schaffte, mein Hirn mal für eine Weile tatsächlich abzustellen! Allerdings hatte ich so meine Zweifel, dass es tatsächlich so war. Mein verächtliches Schnauben, nachdem ich die romantische Vorstellung beiseitegeschoben hatte, blieb nicht unbeachtet. „Woran denkst du?“, fragte er geradeheraus. Ich zuckte mit den Schultern und wollte weitermachen. „Ich will es wissen.“ Er blieb ruhig. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf mich gerichtet und ich konnte das Thema nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her. Mein Magen wurde flau. Am liebsten täte ich das Ganze mit einem weiteren Schulterzucken ab und ginge schleunigst zum nächsten Punkt über. Doch es war unmissverständlich, dass er es nicht dabei beließ. Seine dunklen Augen forderten mich erneut auf, ihm zu antworten. Ich suchte nach den richtigen Worten. „Naja, meistens wirkt dieses Gefälle eher wie eine Bereicherung der dominanten Person und nicht wie ein Kümmern um die unterwürfige. Es scheint so, als müsse man sich durch die Gewaltausübung über jemand Schwächeren profilieren und das eigene Minderwertigkeitsgefühl so in den Griff zu bekommen.“ Doktor Fink zog eine Augenbraue nach oben. Ich hatte eindeutig was Falsches gesagt. Um mich daran zu hindern, weiterzusprechen, kniff ich kurz die Lippen zusammen. „Keine Sorge, ich bin nicht hier, um meinen Minderwertigkeitskomplex loszuwerden, deinen hingegen…“ Er beendete seinen Satz nicht, sondern warf mir nur einen vielsagenden Blick zu und wandte sich den letzten Punkten seiner Liste zu. Was sollte das? Ich war zu sehr mit seiner Andeutung beschäftigt und nannte ihm einfach immer irgendwelche Farben. Hatte ich einen Minderwertigkeitskomplex? Grün. Ach Quatsch, ich hatte einfach nur andere Prioritäten als er. Orange. Also konnte er das gar nicht verstehen! Rot. Ich wusste immerhin, was ich konnte. Grün. Ich war klug und interessiert. Grün. Ich wollte die beste Version von mir selbst werden und scheute nicht davor zurück, andere zu fragen, wie ich das erreichen konnte. Rot. „Nun gut. Du fühlst dich also immer noch bereit?“ „Mh klar.“ Warte, was? Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht mitbekommen hatte, wozu ich gerade zugestimmt hatte. Doktor Fink schenkte mir ein zufriedenes, wissendes Grinsen und streckte die Hand auffordernd aus. Ich hatte keine Ahnung, was er von mir wollte. Er erhob sich und meinte: „Dann sehen wir uns Montag, achtzehn Uhr.“ Ich stand ebenfalls auf, nickte bedröppelt und machte mich auf den Weg zur Tür. Hatte ich tatsächlich mit meinem Dozenten über Sexpraktiken gesprochen? Möglichkeiten, die wir in Zukunft gemeinsam austesten würden? Dessous? Spielzeug? „Ariane?“ „Hm?“ „Deine Federmappe.“ Es amüsierte ihn sichtlich, dass ich nicht ganz bei mir war. Mit wenigen langen Schritten stand er vor mir und reichte mir zum zweiten Mal an diesem Tag mein Stifteetui. So kopflos war ich normalerweise nicht. Ich verstand nicht, was mit mir los war. Er öffnete mir die Tür und als ich mich umwandte, um mich zu verabschieden, beugte er sich zu mir nach vor. Seine Lippen streiften meine Wange und mit rauem Ton flüsterte er: „Bis Montag. Sei pünktlich.“
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