KAPITEL ZWEI

2046 Words
KAPITEL ZWEI Sophia ging zurück in die Richtung des Camps, das sie mit den anderen gemacht hatte, und wusste nicht, was sie tun sollte, was sie denken sollte oder sogar was sie fühlen sollte. Sie musste sich auf jeden Schritt in der Dunkelheit konzentrieren, aber in Wirklichkeit konnte sie sich nicht konzentrieren, nicht nach dem, was sie gerade herausgefunden hatte. Sie stolperte über Wurzeln, hielt sich an Bäumen fest, während sie versuchte, Sinn in den Neuigkeiten zu sehen. Siennes Anwesenheit festigte sie. Die Waldkatze drückte gegen ihre Beine, führte sie den Weg zurück dorthin, wo der Wagen stand und wo der Lichtkreis des Feuers wie der einzige Sicherheitspunkt auf der Welt schien, die plötzlich keine Grundlage mehr hatte. Cora und Emeline waren da, die ehemalige Dienerin im Palast und die Heimatlose mit dem Talent Gedanken zu berühren und sie schauten Sophia an, als wenn sie sich in einen Geist verwandelt hätte. Im Moment war sich Sophia nicht sicher, ob sie das nicht getan hatte. Sie fühlte sich unwirklich; unreal, als wenn der reine Luftzug sie in Dutzende Richtungen werfen würde und sie nie wieder ganz wäre. Sophia wusste, dass der Ausflug zurück durch den Wald sie wie ein wildes Ding aussehen ließen. Sie lehnte sich gegen einer der Räder des Wagens und starrte stumm vor sich hin, während Sienne sich gegen sie lehnte, schon fast so, wie eine Hauskatze das tun würde, anstatt einer großen Raubkatze, wie sie eine war. „Was ist los?“, fragte Emeline. Ist etwas passiert? Fügte sie gedanklich hinzu. Cora kam zu ihr und berührte Sophias Schulter. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ „Ich …“ lachte Sophia, auch wenn lachen vielleicht nicht die geeignete Antwort dafür war, wie sie sich gerade fühlte. „Ich glaube, ich bin schwanger.“ Irgendwo mittendrin beim Aussprechen wurden aus dem Gelächter Tränen, und als sie einmal anfingen zu laufen, konnte Sophia sie nicht aufhalten. Sie kamen einfach und sie konnte nicht einmal sagen, ob das Freudentränen oder Tränen der Verzweiflung waren, Anspannung bei dem Gedanken an alles, was auf sie zukam oder etwas völlig anderes. Die anderen umarmten sie, während die Welt durch den Nebel verschwand. „Es wird alles gut werden“, sagte Cora. „Wir schaffen das.“ Sophia wusste nicht, wie das funktionieren sollte. „Ist Sebastian der Vater?“, fragte Emeline. Sophia nickte. Wie konnte sie glauben, dass da noch jemand anderes gewesen war? Dann erkannte sie… Emeline dachte an Rupert und fragte, ob sein Versuch sie zu vergewaltigen weiter gegangen war, als sie gedacht hatten. „Sebastian …“, schaffte Sophia es zu sagen. „Er ist der Einzige, mit dem ich je geschlafen habe. Es ist sein Kind.“ Ihr Kind. Oder das wäre es zumindest bald. „Was wirst du tun?“, fragte Cora. Das war die Frage, auf die Sophia keine Antwort hatte. Es war die Frage, die sie erneut überwältigte und die Tränen erneut fließen ließ, nur bei dem Versuch darüber nachzudenken. Sie konnte sich nicht vorstellen, was als Nächstes kam. Sie schaffte es einfach nicht damit anzufangen herauszufinden, wie die Dinge funktionieren sollten. Dennoch gab sie sich Mühe darüber nachzudenken. In einer idealen Welt wären sie und Sebastian jetzt schon verheiratet und sie hätte, umgeben von Menschen, die ihr helfen würden, in einem warmen, sicheren Zuhause herausgefunden, dass sie schwanger wäre und Sophia hätte das Kind ohne Schwierigkeiten großgezogen. Stattdessen war sie jetzt im Freien, im Nassen und hatte die Neuigkeiten nur mit Cora und Emeline erfahren und nicht mal ihre Schwester war da, um zu helfen. Kate? Sendete sie in die Dunkelheit. Kannst du mich hören? Es kam keine Antwort. Vielleicht wegen der Entfernung oder vielleicht war Kate zu beschäftigt zu antworten. Vielleicht spielten noch ein Dutzend anderer Dinge eine Rolle, aber tatsächlich wusste Sophia nicht genug über das Talent, dass sie und ihre Schwester hatten, um zu wissen, was es einschränkte. Alles, was sie wusste war, das die Dunkelheit ihre Wörter verschlang, als wenn sie sie einfach geschrien hätte. „Vielleicht kommt Sebastian dir nach“, sagte Cora. Emeline sah sie skeptisch an. “Glaubst du das wirklich? Dass ein Prinz einem Mädchen hinterherläuft, nachdem er sie geschwängert hat? Dass er sich irgendwie dafür interessiert?” “Sebastian ist nicht wie die meisten anderen im Palast”, sagte Sophia. “Er ist nett. Er ist ein guter Mann. Er –“ “Er hat dich zum Gehen gezwungen”, wies Emeline sie darauf hin. Sophia konnte dem nichts entgegensetzen. Sebastian hatte keine Wahl gehabt, als er herausgefunden hatte, wie sie in angelogen hatte, aber er hätte versuchen können, einen Weg um die Hindernisse herum zu finden, die seine Familie aufgestellt hätte oder er hätte ihr nachkommen können. Es war gut zu glauben, dass er ihr vielleicht nachkommen würde, aber wie wahrscheinlich war das? Wie realistisch war es, zu hoffen, dass er vielleicht das ganze Land durchqueren würde, auf der Suche nach jemandem, der ihn bei allem belogen hatte? Bis hin zu der Person die sie war. Glaubte sie, dass dies hier ein Lied war, wo der galante Prinz über Berge und Täler reitet, um die Dame zu finden, die er liebt? So funktionierten die Dinge nicht. Die Geschichte war voll von königlichen Bastarden, was bedeutete da schon einer mehr? “Du hast recht”, sagte sie. “Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass er mir folgt. Seine Familie würde das nicht erlauben, auch wenn er es vorhätte. Aber ich muss hoffen, weil ohne Sebastian … ich glaube nicht, dass ich das ohne ihn kann.” “Es gibt Menschen, die ihre Kinder alleine großziehen”, sagte Emeline. Die gab es, aber könnte Sophia eine von ihnen sein? Sie wusste, dass sie niemals, nie ein Kind in ein Waisenhaus geben könnte, nach dem was sie im Haus der Herrenlosen durchgemacht hatte. Dennoch konnte sie hoffen ein Kind großzuziehen, wenn sie nicht mal einen Platz für sich selbst fand, wo sie sicher war? Vielleicht gab es bald Antworten auf diese Fragen. Das große Haus war im Dunkeln nicht zu sehen, aber Sophia wusste, dass es da draußen war und sie mit Versprechungen seiner Geheimnisse lockte. Es war der Ort, an dem ihre Eltern gelebt hatten und der Ort, dessen Flure noch immer ihre Träume mit schwachen Erinnerungen an Flammen jagten. Sie war hier hergekommen, um die Wahrheit darüber herauszufinden, wer sie war und wohin sie in dieser Welt gehörte. Vielleicht würde diese Antwort ihr ausreichend Stabilität geben, um ihr Kind aufzuziehen. Vielleicht würde sie ihr einen Ort geben, wo alles in Ordnung kommen würde. Vielleicht konnte sie sogar Kate rufen und ihrer Schwester sagen, dass sie einen Ort für sie alle gefunden hatte. “Du … hast Möglichkeiten”, sagte Cora und das Zögern in ihrer Stimme verriet, was diese Möglichkeiten sein könnten, noch ehe Sophia sich ihre Gedanken angeschaut hatte. “Willst du das ich mein Kind weggebe?”, fragte Sophia. Allein der Gedanke daran … sie war sich nicht sicher, ob sie das konnte. Wie könnte sie das tun? “Ich möchte nur, dass du tust, was immer du glaubst, was das Beste ist”, sagte Cora. Sie griff in den Beutel an ihrem Gürtel, neben dem, der Make-up enthielt. “Das ist Rakkas Puder. Jede Leibeigene lernt das schnell kennen, weil sie nicht nein zu ihrem Herrn sagen kann und die Frau des Herrn will keine Kinder, die nicht ihre sind.” Es lag ein wenig Schmerz und Bitterkeit darin, ein Teil, den Sophia verstehen wollte. Instinktiv sucht sie nach Coras Gedanken und fand Schmerz, Erniedrigung, ein Adliger, der bei einer Party in den falschen Raum gekommen war. Es gibt Dinge, in die sollten wir uns nicht einmischen, schickte ihr Emeline zu. Ihr Ausdruck zeigte nicht, was sie fühlte, aber Sophia konnte die Ablehnung fühlen. Wenn Cora es uns erzählen will, wird sie es uns erzählen. Sophia wusste, dass sie recht hatte, aber dennoch fühlte es sich falsch an, dass sie nicht so für ihre Freundin da sein konnte, wie Cora vorher bei Prinz Rupert. Du hast recht, schickte sie zurück. Es tut mir leid. Lass Cora nicht merken, dass du neugierig warst. Du weißt, wie persönlich so etwas sein kann. Sophia wusste das, denn, wenn es um Ruperts Versuch ging, sie in seine Geliebte zu verwandeln, wollte sie auch nicht darüber reden oder nachdenken oder auf irgendeine Art etwas damit zu tun haben. Jetzt wo es um Schwangerschaft ging, war das dennoch ein wenig anders. Hier ging es um sie und Sebastian und das war etwas Großes, Kompliziertes und wahrscheinlich Wunderbares. Es war aber auch ein schreckliches Disaster für sie und alle um sie herum. “Du mischt es ins Wasser”, sagte Cora und erklärte ihr das Puder, “dann trinkst du es. Am nächsten Morgen bist du nicht mehr schwanger.” Sie ließ das so einfach klingen, als sie es Sophia übergab. Dennoch zögerte Sophia davor, das Puder von ihr zu nehmen. Sie griff danach und schon die Berührung, fühlte sich wie der Betrug von etwas zwischen ihr und Sebastian an. Sie nahm es dennoch von Cora und fühlte das Gewicht des Puders in ihrer Hand. Sie starrte darauf, als wenn es ihr irgendwie die Antworten geben würde, die sie brauchte. “Du musst das nicht tun”, sagte Emeline. “Vielleicht hast du recht. Vielleicht wird dein Prinz kommen. Oder du wirst einen anderen Weg finden.” “Vielleicht”, sagte Sophia. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Der Gedanke, dass sie ein Kind mit Sebastian haben würde, könnte unter anderen Umständen wunderbar sein und die Aussicht auf eine Familie, sich niederzulassen und sicher zu sein hätte sie mit Freude erfüllt. Hier jedoch fühlte es sich wie eine Herausforderung an, die genauso groß war wie alles, was sie auf dem Weg nach Norden erlebt hatten. Sie war sich nicht sicher, ob das eine Herausforderung war, der sie sich stellen konnte. Wo konnte sie ein Kind aufziehen? Sie hatte keinen Ort, wo sie leben konnte. Sie hatte im Moment nicht einmal ein Zelt das ihr gehörte, nur der halbe Schutz des Wagens, um den feinen Niesel der in der Dunkelheit fiel und Sophias Haar befeuchtete, abzuhalten. Sie hatten den Wagen auch noch gestohlen, sie fühlte sich also ein wenig schuldig, jedes Mal wenn sie aßen oder tranken, wegen des Grundes, wie sie ihn erworben hatten. Konnte Sophia das ganze Leben damit verbringen zu stehlen? Könnte sie das tun, während sie ein Kind großzog? Vielleicht würde sie es zu dem großen Haus im Herzen von Monthys schaffen, das gerade vor ihr lag. Was dann? Es wären Ruinen, ungeeignet für jegliche menschliche Behausung und erst recht kein sicherer Ort, um ein Kind großzuziehen. Entweder das oder es wären vielleicht Menschen dort und es würde alles was Sophia hatte benötigen, um ihnen zu beweisen, wer sie war. Aber sogar dann, dann was? Glaubte sie, Menschen würden einfach ein Mädchen akzeptieren, die das Zeichen der maskierten Göttin auf ihrer Haut tätowiert hatte, um zu zeigen, dass sie eine der Leibeigenen war? Glaubte sie, Menschen würden sie aufnehmen und ihr einen Platz geben, wo sie ihr Kind großziehen könnte oder ihr sonst wie auf irgendeine Art helfen? Das war nicht, was die Menschen mit solchen Menschen wie sie machten. Könnte sie ein Kind in so eine Welt bringen? War es richtig so etwas Hilfloses wie ein Kind in eine Welt zu bringen die so viel Grausamkeit hatte? Es war nicht so, als wenn Sophia etwas darüber wusste, wie es war eine Mutter zu sein oder dass sie irgendwas Nützliches hatte, was sie ihrem Nachwuchs beibringen konnte. Alles, was sie als Kind gelernt hatte, war die Grausamkeit, die von Ungehorsamkeit kam oder die Gewalt, die für so etwas Verhextes wie eine Waise nur rechtens war. “Wir müssen jetzt keine Entscheidungen treffen”, sagte Emeline. “Das kann bis morgen warten.” Cora schüttelte ihren Kopf. “Je länger du wartest, umso schwerer wird es. Es ist besser wenn –“ “Stopp”, sagte Sophia und beendete den aufkommenden Streit. “Wir reden nicht mehr darüber. Ich weiß, ihr versucht beide zu helfen, aber das ist nichts, was ihr für mich entscheiden könnt. Es nicht mal etwas, was ich vielleicht entscheiden kann, aber ich muss es tun und ich muss es alleine tun.” Das war die Art von Sache, die sie am liebsten mit Kate besprochen hätte, aber es gab immer noch keine Antwort, wenn sie ihre Gedanken in die Nacht hinausrief. Auf jeden Fall war die Wahrheit, dass Kate vielleicht besser war bei Problemen, die Feinde zu bekämpfen beinhaltete oder vor Verfolgern zu fliehen. Das war die Art von Sache, mit der sie noch nie etwas zu tun gehabt hatte und Kate erst recht nicht. Sophia ging zur Längsseite des Wagens und nahm Coras Puder mit. Sie sagte ihnen nicht, was sie tun würde, denn im Moment war sie sich nicht sicher, ob sie es selbst wusste. Sienne stand auf, um ihr zu folgen, aber Sophia schob die Waldkatze mit einem Aufflackern der Gedanken weg. Sie hatte sich noch nie so alleine gefühlt, wie jetzt in diesem Moment.
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