Kapitel 1-6

634 Words
Gio Das Nein! hallt von meinen Schlafzimmerwänden wider und ich werde von meinem eigenen Schrei aus dem Schlaf gerissen. Marissas entsetztes Gesicht hat sich in meine Netzhäute gebrannt, ihre blaugrünen Augen glitzern mit Tränen. Verdammt. Ich werfe das Laken von meinem schweißgebadeten Körper und stehe auf, an meiner Flanke macht sich dabei ein dumpfes Ziepen bemerkbar. Das Narbengewebe wird mit jedem Tag steifer. Desiree – Juniors Frau und die Krankenschwester, die mir das Leben gerettet hat – meinte, ich muss meine Faszien trainieren. Sie möchte, dass ich zu einem Physiotherapeuten gehe, aber das Einschussloch ist ein Beweis für Juniors Verbrechen an der Bratva. Kommt also nicht infrage. Ich begnüge mich daher mit meinem Morgenlauf und dem Gewichtheben in meinem Heimstudio. Mit nacktem Oberkörper stehe ich am Fenster und blicke auf den Lake Michigan. Segelboote schneiden durchs Wasser und der Ausblick ist so idyllisch wie ein verdammtes Gemälde. Vielleicht sollte ich Segeln lernen. Der Gedanke ist schwer wie ein Ziegelstein – wie alle meine Zukunftspläne – und ich lasse ihn sofort wieder fallen. Nee. Ich lebe hier den gottverdammten Traum. Eine Penthousewohnung direkt am Lake Shore Drive, die edle Ausstattung, der schwarze Mercedes G-Klasse in der Garage. Ich führte bereits vor meiner zweiten Chance ein Leben in Saus und Braus. Warum also bin ich der undankbarste Wichser in ganz Chicago? Ich sollte jeden Tag aufwachen und meinen Glückssternen für all das danken, was ich habe. Aber genau das ist es. Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Nicht einmal der Ruhm des Geschäfts ist mir geblieben. Nicht, dass ich es vermisse. Die Gewalt, die Gefahr. Die Intrigen. Aber jede Interaktion brachte einen gewissen Adrenalinstoß mit sich. Nervenkitzel, wenn ich mich ums Geschäft kümmerte. Zusehen konnte, wie das Geld sich vermehrt. Es ausleihen. Es einsammeln. Nachdem ich angeschossen wurde, hat Junior einen Großteil des Geschäfts dichtgemacht. Was wohl viel mehr damit zu tun hatte, dass er wieder Ehemann und Vater geworden ist, als mit meinem Beinahe-Ableben. Es ist nicht so, dass er unter dem Vorfall nicht gelitten hätte; das hat er. Er leidet immer noch darunter. Sein Job war schon immer, mich zu beschützen, und zwar seit meiner Geburt. Und das hat er auch getan. Selbst wenn es bedeutete, mich vor dem Verdikt unseres Vaters abzuschirmen. Er und Paolo waren die Draufgänger, ich war der Schlaumeier. Wenn nötig, dann habe ich mit meiner Schönrederei die Wogen geglättet. Den guten Bullen gespielt; nicht, dass es bei uns je einen bösen Bullen gegeben hätte. Immer noch in meine Boxershorts gekleidet schlendere ich ins Wohnzimmer und setze mich an mein Klavier. Meine Finger fließen automatisch über die Tasten, das Muskelgedächtnis funktioniert tadellos. Ich habe immer noch meine Musik. Schade, dass das nicht ausreicht. Plötzlich klingelt das Telefon und ich unterbreche mein Spiel und gehe ran. Es ist die Rufnummer, die ich nur für Frauen benutze – außer, dass ich seit dem Unfall mit keiner mehr zusammen war. Marissa. Neulich hatte ich ihr meine Nummer gegeben, bevor ich gegangen war. Ich hätte nie gedacht, dass sie von ihr Gebrauch machen würde. Ich gehe ran. „Ja, Gio hier.“ „Hi Gio. Ich bins, Marissa. Vom Caffè Milano?“ Sie klingt nervös. „Alles in Ordnung, Kleines?“ „Ähm, ja. Also, ich muss mit dir reden. Können wir uns irgendwo treffen? Nicht im Café.“ Keine Ahnung, was ich mir erhofft hatte. Dass sie mich auf ein Date einlädt? Oder dass sie mir nochmal sagt, wie froh sie ist, dass ich überlebt habe. Dass sie weiß, dass ich jede Nacht von ihr träume. Aber nein. Es gibt nur einen Grund, warum ich so einen Anruf bekomme. Und ich hasse verdammt nochmal, wie ich mich dabei fühle. „Aber sicher, Marissa. Warum kommst du nicht in mein Büro?“ Mein Schwanz wird steif, als ich ihr meine Adresse gebe, obwohl klar ist, dass es nicht so laufen wird. Aber die bloße Vorstellung, dass sie hier aufkreuzen wird, beschert mir eine Latte. Ich lege auf und verpasse meinem Schwanz einen ordentlichen Kniff. Immer mit der Ruhe, Junge. Es geht hier ums Geschäft, nicht ums Vergnügen. Wirklich zu schade.
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