MIDAS
Im Leben des Midas gab es drei unausgesprochene Konstanten.
Von seiner Kindheit als Prinz und Erbe des Drachenthrons bis zu dem Tag, an dem die Macht des Drachenfeuers in ihm erwachte - das Ergebnis eines Rituals, das sein Vater am Tag seiner Geburt durchgeführt hatte, um ihn auf den Weg zu führen, den er nun beschritt.
Diese drei Dinge haben sich nie geändert.
Er wurde immer mit dem größten Respekt behandelt. Wenn er einen Raum betrat, senkten die Menschen ihre Köpfe so tief, dass sie fast den Boden berührten.
Seine Worte waren Gesetz und seine Entscheidungen endgültig. Niemand wagte es, ihm zu widersprechen, und wenn doch, dann war sein Zorn schnell und erbarmungslos und machte erst Halt, wenn er alles verschlungen hatte, was sich ihm in den Weg stellte.
Und er bekam immer... immer, was er wollte.
Doch eines Tages war es einem einzigen Menschen, einer Frau mit Augen so blau wie der Sommerhimmel, gelungen, diese drei unumstößlichen heiligen Regeln völlig zu zerstören.
Vielleicht war er deshalb so erschüttert, als er aus seinen Gemächern trat - er, der furchterregende Bestien erlegt und Nationen erobert hatte, der sie mit einem einzigen Befehl in Schutt und Asche gelegt hatte, der nie zweimal über ein Urteil nachgedacht hatte.
Es war ein Gefühl, an das er nicht gewöhnt war, und es irritierte ihn zutiefst.
Er hatte versucht, das Bild von ihr in seinem Bett, zitternd vor Wut und Schmerz, zu verdrängen, aber die Angst, die sich in ihr Gesicht gebrannt hatte, ließ ihm keine Ruhe.
„Mein Herr...“
Er sah Ryder an, der sich verbeugte, aber er konnte sich nicht erinnern, jemals so dankbar gewesen zu sein, dass seine Gedanken unterbrochen wurden. „Ja, was gibt es?“
„Er ist angekommen und wartet auf Euch, mein Herrr.“
Ah. Sein Schmied war da und brachte zweifellos neu gefertigte Waffen aus feinstem Material, verziert mit Juwelen und Edelsteinen.
Nichts anderes als Kriegsgeräte, um einen König an seine Pflichten und an das Reich zu erinnern, das er zu schützen geschworen hat.“
Sicherlich würde das seinen umherirrenden Geist wieder zur Besinnung bringen“.
Doch es kam anders.
Anstatt in seinem Thronsaal zu sitzen, das Kinn in die Handfläche gestützt, und dem königlichen Waffenmeister zuzuhören, wie er endlos von diesem Schwert und jenem Speer sprach, hatte er halb im Sinn, den ahnungslosen Mann ins Gefängnis zu werfen.
Sie hielt seinen Verstand fest im Griff, und allmählich überquerte er die Brücke von der Verärgerung zum Zorn.
Midas wusste, dass er kein einfacher Mensch war.
Er hatte ein wildes Temperament und einen eisernen Willen, und manchmal, wenn er in diesem Zustand war, fielen seine Entscheidungen hart aus, aber keine hatte ihn jemals so sehr beunruhigt.
„Verbinden Sie mich mit dem Chef Ryder.“
Der Schwertmeister erschrak über die Unterbrechung und der Tonfall der Stimme seines Königs ließ ihm das Schwert aus der Hand fallen und es klirrte laut auf dem Boden.
„Aber mein Herr...“
Er hob eine schwere Augenbraue. War sein ganzer Hof verrückt geworden?
Der Waffenmeister eilte aus dem Zimmer. „...sofort, Eure Majestät.“
War sie auch eine Hexe?
Konnte es sein, dass sie ihn mit einem Zauber belegt hatte?
„Du hast mich gerufen, mein Herr.“
„Das habe ich.“
Der Hauptritter sah ihn an. „Du bist besorgt.“
Midas blickte aus den großen Glasfenstern links von seinem schweren goldenen Thron.
Die Sonne war längst untergegangen, Dunkelheit hatte sich über das Fünfte Reich gelegt, und der Mond, ein glühend weißer Wächter, hatte seinen Platz eingenommen, um über den Nachthimmel zu wachen.
„Es scheint, Leo, dass ich eine Entscheidung getroffen habe, die mir nicht ganz gefällt und die mich mit einem merkwürdigen Gefühl erfüllt... Gefühl erfüllt, das ich nicht verstehe“.
Captain Ryder wählte seine Worte mit Bedacht.
Der König war in einer schlechten Stimmung, und alle, die seinen Kopf liebten und ihn auf ihrem Hals behalten wollten, taten gut daran, ihn nicht zu verärgern.
„Vielleicht hat mein König im Zorn eine Entscheidung getroffen, die er jetzt bereut ...“
Midas drehte den Kopf und sah ihn mürrisch an. „Bereuen ... Was für eine lächerliche Vorstellung. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas bereut.“
„Nun, wenn mein Herr dieses Gefühl noch nie erlebt hat, woher weiß er dann, was es ist und was nicht?“
Midas dachte eine Weile nach, die Stirn in konzentrierter Faltenbildung.
„Wenn der König mir meine Neugier verzeiht ... hat diese Entscheidung vielleicht etwas mit der ehemaligen Prinzessin von Averia zu tun?“
Ein finsterer Blick legte sich auf sein Gesicht. „Prinzessin? Betrügerische Hexe“, spuckte er aus, der Zorn über ihre Täuschung kehrte mit Macht zurück.
„Es tut mir leid, mein König, ich verstehe nicht.“
„Averia hat mich ausgetrickst, mir eine Sklavin statt der Prinzessin geschickt und nun ist das Portal für tausend Jahre verschlossen. Sie denken, sie haben mich ausgetrickst, aber sie vergessen, dass ich Midas der Unsterbliche bin. Tausend Jahre bedeuten mir nichts, und der Preis für ihre Sünden wird auf ihre Enkel fallen.“
Der Oberste Ryder ignorierte den schreienden Teil seines Gehirns, der ihm befahl zu schweigen.
„Mein Herr, glaubt Ihr nicht, dass dieser ... Täuschungsversuch eine Angelegenheit war, in der sie... als Sklavin... keine Wahl hatte?“
Midas erhob sich von seinem Thron und ging an seinem einzigen Freund vorbei aus dem Thronsaal. „Deine Vernunft hilft mir jetzt nicht weiter.“
Aber Leos Worte, die sich weigerten, vergessen zu werden, hatten sich in seinen Kopf geschlichen, um neben dem Gesicht der Frau Platz zu nehmen, die seine Gedanken beunruhigte.
Hera.
Ihr Name beschwor unwillkürlich Bilder von Sklavinnen herauf, deren Haar die Farbe des Waldes von Albanoe hatte, drei Monde vor dem Winter, wenn die fallenden Blätter die Sonnenstrahlen einfingen und in einem leuchtenden, wilden Orange erstrahlten.
Ein Körper, der unter seinen Händen zitterte, und ein Kuss, der das Blut in seinen Adern zum Rasen brachte, bis er von einem uralten Verlangen und einer Sehnsucht erfüllt war, die er stillen musste.
Er kannte dieses Gefühl.
Einfaches, ungezügeltes Verlangen.
Er stieß die Türen auf, und die Frau mit den langen schwarzen Haaren und den spärlich bedeckten Kurven sprang erschrocken auf die Füße.
„Mein König! Ich habe dich heute Nacht nicht erwartet.“
Er trat in die Kammer, nahm ihr den königlichen Umhang ab und legte ihn auf ihren Schminktisch, bevor er die Kordeln ihres Hemdes öffnete. „Soll ich dich jetzt über meine Bewegungen in meinem eigenen Palast informieren, oder soll ich verstehen, dass du mit deiner Position unzufrieden bist und ersetzt werden möchtest?“
„Natürlich nicht.“ Sie hatte ihre Fassung wiedergefunden, und ihre Stimme war weich und sanft, eine verführerische Kadenz, als sie auf ihn zuging und ihre scharfen grünen Augen über seine Züge wanderten.
Sie schlang ihm die Arme um den Hals.
„Du bist besorgt, mein König.“
Er zog sie grob an sich. „Du redest zu viel.“
Doch selbst als er sie küsste, ihre geschickten Hände sein Hemd über den Kopf zogen und die Konturen seines schlanken, muskulösen Körpers nachzeichneten, war etwas seltsam.
Etwas, von dem er nicht einmal wusste, dass es ihm fehlte.
Bis sie kam.
Verdammt, verdammt.
„Mein Herr... Eure Hoheit! Wo wollt Ihr hin?“
Aber er stürmte aus dem Zimmer und zog sich wütend das Hemd über den Kopf. Da begannen die Glocken zu läuten.
„Verdammt!“
Er bewegte sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit, ohne zu merken, dass er rannte, aber er wusste, dass er sie erreichen musste, bevor sich die Tore öffneten.
War der Anblick des Drachenkönigs, der durch die Gänge rannte, schon eine Überraschung, so war seine Anwesenheit im Keller ein noch größerer Schock, und die beiden Riesen am Eingang waren nicht immun dagegen.
„Du. Gib mir deine Schwerter.“
Verwirrt nahm der Wächter zur Linken die in Scheiden gehüllten Waffen von seinem Rücken und reichte sie ihm, mit Scheide und allem.
„Hoch mit den Gittern“, knurrte Midas, krempelte wütend die Ärmel hoch und band sich die langen Haare zu einem Knoten auf dem Kopf zusammen.
Die Glocken läuteten zum elften Mal.
Die Wachen blickten sich an. „Eure Majestät ...“
Er wirbelte auf sie zu. „Ihr wagt es, mich herauszufordern?“
Sie schüttelten energisch die Köpfe, der Mutigste von ihnen. „Niemals, mein König ... es ist nur, es ist fast Mitternacht, mein Herr, die Gefangenen...“
Der zwölfte Gong hallte durch den Tunnel.
Er zog das erste Schwert aus der Lederscheide, dessen stählerne Oberfläche den orangen Schein der brennenden Fackeln reflektierte.
„Es ist meine Sache, damit umzugehen, aber wenn ich dort hingehe und ihr etwas zustößt ...“ Er zog das zweite Schwert. „...dann könnt ihr sicher sein, dass keiner von euch einen weiteren Tag erleben wird. Nun öffnet... die Tore.“
Die Gitter begannen sich langsam zu heben, die Zahnräder mahlten laut.
Es ging ihm nicht schnell genug, und ohne auf seine königliche Kleidung zu achten, rutschte er auf den Boden und unter den Gitterstäben hindurch in die Dunkelheit dahinter, seine Schwerter hinter sich herziehend.
Er wusste nicht mehr genau, wie er in ihre Zelle gekommen war.
Sie stürzten sich auf ihn, sobald sie ihn sahen, was dumm von ihnen war, denn sie hatten ihn nicht nur erkannt, sie waren auch unbewaffnet und er hatte zwei Schwerter, die er verdammt gut beherrschte.
Vielleicht hatten sie in der Dunkelheit den Verstand verloren.
Er tauchte und wirbelte, trat und wich aus, seine Schwerter bewegten sich so schnell, dass es fast unmerkliche Wirbel waren. Weite Lichtbögen, die ihre Ziele mit erstaunlicher Präzision trafen.
Verstümmelung und Blutvergießen.
Er hatte nicht vor, einen von ihnen zu töten, er wollte sich nur einen Weg bahnen, bis er das Objekt seiner Obsession gefunden hatte.
Bis er ihre Schreie hörte.
Er zählte fünf von ihnen in seiner Zelle, brutale, riesige Schurken. Dann entdeckte er den, der sie unter sich auf dem kalten Boden festhielt, und die Wut ergriff ihn vollends.
Vielleicht war sie eine Schachfigur in einem Trick, um ihn zu täuschen. Ein Trick, den jemand mit Sicherheit teuer bezahlen würde.
Aber sie gehörte ihm, die Braut des Drachenkönigs Midas aus dem fünften Reich.
Und niemand... niemand rührte an, was Midas gehörte.
Es war in Sekunden vorbei und er stand am Eingang, nichtsahnend von dem Blut, das an die Wände des Raumes und auf seine Kleidung spritzte.
Seine Augen brannten noch in der Farbe seines Drachens, seine Brust hob sich vor Wut.
Aber als sie sich ihm in die Arme warf, mit genug Kraft, um ihn umzuwerfen, hatte sich noch nie etwas so richtig angefühlt.