Kapitel 2-2

722 Words
Chelle Innerhalb von vier Sekunden drücke ich achtmal auf den Knopf für den Aufzug, mir voll und ganz bewusst darüber, wie Nikolais Blick meinen Rücken in Flammen setzt. Was ist da gerade passiert? Diese Begegnung hat mich völlig ins Rudern gebracht. Die Türen des Fahrstuhls gleiten auf und ich stürze in die Kabine. Als ich mich herumdrehe und auf den Knopf drücke, steht Nikolai natürlich noch immer in der Tür, beobachtet mich amüsiert. Verdammt. Mir wurde gerade von einem Mafioso der Arsch aufgerissen. So viel hatte ich irgendwie schon erwartet, aber es war die Art und Weise, wie es abgelaufen war, die mich schockiert hatte. Ich hatte erwartet, dass Nikolai furchteinflößend sein würde. Ich hatte mir Goldzähne vorgestellt, dicke Ketten um den Hals, einen Revolver, der sich gegen meine Schläfe drückt – irgendwie so etwas in der Art. Er war mir definitiv gefährlich vorgekommen. Aber ich hatte nicht erwartet, dass er ein so aalglatter Spieler sein würde. Das gute Aussehen. Der Charme. Seine Arme waren mit Tattoos übersät, aber er trug Stoffhosen und ein adrettes Anzughemd, das am Hals offen stand. Keine Ketten. Gute Zähne. Perfekte Zähne, ehrlich gesagt, ein richtiges Hollywoodlächeln. Nikolai war absolut heiß. Worum würdest du mich anbetteln, Chelle? Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses suggestive Knurren jemals wieder aus meinen Gedanken bekomme. Noch kann ich seine Drohung ignorieren. Er will mir den Arsch versohlen? Ähm, ja, bitte. Sogar jetzt, ganz allein im Fahrstuhl, lässt mich die Erinnerung daran rot werden. Vermutlich werde ich noch mindestens bis Thanksgiving rot werden. Ich hasse mich dafür, von seinen Worten so angetörnt zu sein. Von ihm. Was ist da gerade passiert? Das war noch nicht einmal das Beunruhigendste. Das war die Art und Weise, wie er über Zane gesprochen hatte – als ob er ihn wirklich kennen würde. Als ob er ihn womöglich sogar mochte. Er schien sich Sorgen wegen Zanes Drogenkonsum zu machen. Von dem ich gehofft hatte, er würde nicht existieren. Es hatte mich schockiert, es laut ausgesprochen zu hören. Zane hat ein Drogenproblem. Davor hatte ich Angst, aber ganz ehrlich? Ich habe diese Wahrheit gemieden. Es hat mich überrumpelt, und als Nikolai mir also seinen Dr.-Domian-Ratschlag ausgeteilt hatte, hatte ich ihn angenommen. Sosehr es mir auch widerstrebte, es zuzugeben, womöglich hatte er recht. Ich kann nicht glauben, dass ich Lebensratschläge von einem Kredithai der russischen mafiya annehme. Die Türen des Fahrstuhls dingen auf und ich betrete die Hotellobby. Vor dem Eingang pfeift ein eisiger Wind durch die Gebäude in der Innenstadt von Chicago und ich wünsche mir, ich hätte meine Jacke angezogen. Die Parkgebühren in der Tiefgarage des Hotels hatte ich mir nicht leisten können – sie waren astronomisch gewesen. Als ich um die Ecke biege, bleibe ich stehen und blicke das Gebäude hinauf, als ob ich durch die Wände hindurchschauen könnte, um einen weiteren Blick auf den Verfolger meines Bruders zu werfen. Ein Schauder durchfährt mich. Ich muss den Verstand verloren haben, allein hierherzukommen. Ich hatte großes Glück, dass Nikolai nicht boshaft war. Die ganze Sache hätte furchtbar schiefgehen können. Die ganze selbstgerechte Rage, die ich auf dem Hinweg in mir gehegt hatte, war nun völlig verpufft. Jetzt bin ich nur noch sauer auf Zane. Er hat das angerichtet. Nikolai hat recht. Zane sollte die Sache selbst wieder auf die Reihe bekommen. Das Problem ist nur, dass Zane alles ist, was ich habe, und er ist mein kleiner Bruder. Meine Verantwortung. Wenn ich diese Sache nicht kläre, dann könnte er für immer geschädigt werden oder sogar umkommen. Meine Gedanken flattern zu Nikolais Bemerkung über das Krankenhaus. Ich sollte es nicht interessant oder respektabel finden, dass er zu wissen scheint, wie schwer Zanes Verletzungen sind. Er war davon ausgegangen, dass Zane keinen Arzt brauchen würde. Das heißt nicht, dass er ehrbar ist. Aber es heißt, dass er clever ist. Viel cleverer, als ich erwartet hatte. Die Prügel, die Nikolai ausgeteilt hatte, war berechnend gewesen. Bemessen. Vielleicht ein Rezept für ein Heilmittel gegen nicht zahlungswillige Kunden. Ich will gar nicht wissen, was er Zane antun wird, wenn mein Bruder nicht zahlt. Ich öffne die Tür zu meinem Auto – das der Bratwa zu übergeben ich vollkommen beabsichtigt hatte – und steige auf den Fahrersitz. Nun gut, immerhin habe noch mein Auto. Womöglich habe ich nicht mehr lange einen Bruder, aber wenigstens kann ich noch zu seiner Beerdigung fahren.
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