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Zweites Kapitel
Nikolai
Um elf Uhr abends ist das Spiel im vollen Gange. Wir haben eine Suite in einem eleganten Hotel gemietet, in der wir einen Tisch mit sieben Spielern aufgebaut haben. Ich bin zufrieden – das Haus hat bereits dreißig Riesen gewonnen und außerdem habe ich einen potenziellen Käufer für Zanes Mustang gefunden.
Es klopft an der Tür und ich werfe meinem Zwillingsbruder Dima, der für das Wochenende in der Stadt ist, einen Blick zu, während ich zur Tür gehe. Oleg tritt an meine Seite, als Verstärkung. Dima greift nach der Pistole in seinem Hosenbund. Wir sind alle vorsichtiger geworden seit dem Zwischenfall mit dem FBI letzten Monat. Bei einem meiner Pokerspiele erschossen zu werden, ist nicht die Art und Weise, wie ich sterben will. Jung zu sterben war seit dem Tag, an dem mein Bruder und ich der Bratwa beigetreten sind, eine Möglichkeit, aber ich würde viel lieber mit Ruhm und Ehre untergehen als durch einen Schuss aufs Geratewohl von irgendeinem schießwütigen Kerl.
Ich ziehe die Tür einen Spaltbreit auf und schaue auf den Flur.
„Ich bin hier, um Nikolai zu sprechen“, verkündet eine Frauenstimme.
„Oh nein“, erwidere ich, als ich die kleine, aber fuchsige Frau betrachte, die vor der Tür steht. Ich erkenne sie von dem Foto in ihrer Wohnung wieder – Zanes Schwester.
Geistesgegenwärtig streckt sie den Arm durch den Türspalt, bevor ich die Tür wieder schließen kann.
Ich bin vielleicht ein Arsch, aber ich würde einer Frau niemals die Finger zerquetschen. Aber ich werde sie auch nicht in die Suite einlassen, damit sie die Stimmung killt. Ich öffne die Türe gerade so weit, dass ich auf den Flur treten kann, und zwinge sie zurück.
Sie ist niedlich sauer – die ganzen eins fünfzig von ihr. Ihre kastanienbraunen Haare hat sie in einen hohen, dicken Pferdeschwanz gebunden und ihre goldenen Augen funkeln voller Feuer. Bronzene Sommersprossen bedecken ihre Nase und ihre Wangenknochen, passen zu dem rötlichen Schimmer ihrer Haare.
Hinter mir im Türrahmen baut sich Oleg auf, zieht ihren Blick auf sich, was mir aus irgendeinem Grund missfällt.
„Ich kümmere mich darum“, murmle ich ihm auf Russisch zu, lasse sie im Finsteren über das, was ich sage, und Oleg zieht sich zurück und schließt die Tür.
Sie stemmt die Hände in die Hüften und zieht die Augenbrauen hoch. „Ich bin Chelle Goldberg. Die Schwester von dem Kerl, den ihr heute krankenhausreif geprügelt habt?“
„Ich weiß, wer du bist“, sage ich sanft, komme langsam auf sie zu, nur um zu sehen, ob sie zurückweichen oder sich behaupten wird.
Sie weicht nicht von der Stelle, was sie in meinen Augen nur noch niedlicher macht.
„Sag mir, dass Zane dir nicht die Adresse für dieses Spiel gegeben hat, denn der Junge kann keine weitere Tracht Prügel von mir gebrauchen.“
„Nein“, fährt sie mich an und hebt herausfordernd das Kinn. „Ich habe die Nachricht auf seinem Handy gefunden. Während er in einem Krankenhausbett lag.“
Ich verdrehe die Augen. „Zane hätte nicht ins Krankenhaus gemusst, Sommersprösschen. Das Einzige, was ihm die Notaufnahme bringen wird, sind Schmerztabletten, was ein Typ mit einem Drogenproblem nicht gerade gebrauchen kann.“
Das nimmt ihr den Wind aus den Segeln. Sie blinzelt mich an, als ob meine Worte ihr einen unschönen Schrecken eingejagt hätten. Ein Anflug von Mitgefühl schleicht sich ein.
Weiß sie ernsthaft nicht, dass ihr Bruder ein Drogenproblem hat?
Vielleicht will sie es nicht wahrhaben und dass ich es laut ausgesprochen habe, macht es auf einmal real.
„Geh nach Hause. Nimm ihm die Pillen weg. Sieh zu, dass er zur Vernunft kommt und seinen Scheiß geregelt bekommt.“
„Ich bin hier, um über Zanes Schulden zu sprechen.“ Sie hat etwas ihres Zorns eingebüßt. Sie wirft mir einen kurzen Blick zu, kann mir aber nicht mehr länger in die Augen schauen.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Na schön. Sprich.“
Sie blickt sich übertrieben im Flur um. „Hier draußen?“
Es ist ziemlich komfortabel, was Korridore angeht. Hübsche Tapeten und Kunstdrucke und Beistelltische mit schweren Vasen darauf.
„Du kommst da nicht rein, Püppchen. Es sei denn, du hast Bargeld dabei.“
Sie presst ihre Handtasche an sich, als ob ich sie ihr jeden Moment wegreißen würde. „Ich bin hergekommen, um herauszufinden, wie viel genau er euch schuldet. Und um zu sehen, ob wir zu einer Einigung kommen können.“
Oh Sommersprösschen, ja. Es würde mir definitiv gefallen, mit dir zu einer Einigung zu kommen.
Der Sorte Nackt-an-mein-Bett-gefesselt.
Ich mache mein Interesse offenkundig, indem ich ihren Körper studiere. Sie ist nicht kurvig – tatsächlich ist sie sogar fast ein bisschen kantig, aber ich finde das Gesamtpaket ausgesprochen verlockend. Etwas an ihr hat mich vom Augenblick an, als ich ihr Foto in der Wohnung gesehen habe, angezogen. „Was für eine Vereinbarung?“ Mein leises Grummeln birgt einen verführerischen Tonfall und ihr Körper reagiert sofort, ihre Nippel zeichnen sich unter ihrem dünnen Pullover ab.
Sie beißt die Zähne zusammen. „Kann ich reinkommen?“
Fuck. Ich will sie definitiv nicht in der Suite haben. Aber aus irgendeinem Grund fällt es mir schwer, ihr einen Wunsch abzuschlagen.
Wider besseres Wissen öffne ich die Tür und winke sie herein.
Sofort kommt Oleg auf sie zu, um ihre Handtasche zu durchsuchen und sie nach Waffen abzuklopfen, und ich muss die strenge Rüge hinunterschlucken, die in mir aufsteigt. Er macht nur seinen Job. Beschützt mich davor, wieder angeschossen zu werden. Aber es gefällt mir einfach nicht, dass er sie überall berührt.
Sie wirft einen verhaltenen Blick auf das Pokerspiel, dann zieht sie einen dicken Umschlag aus ihrer Handtasche, nachdem Oleg sie ihr zurückgegeben hat, und reicht ihn mir an.
Ich nehme die Geldscheine heraus und zähle sie. „Streich fünfzehnhundert von Zanes Schulden“, sage ich zu Dima, der mit seinem Laptop in unserer Nähe sitzt und alles Geld notiert, das an diesem Abend den Besitzer wechselt.
Er nickt und tippt es ein.
„Ist das genug, um ihn für ein paar Wochen in Ruhe zu lassen?“, fragt sie.
„Nein, Häschen.“
Ihre Augen flackern verärgert über den Kosenamen auf, aber sie sagt nichts dazu. „Wie viel mehr schuldet er?“
„Momentan vierzigtausend.“
Sie stößt ein kleines hm aus. „Du hast zehn Riesen für den Mustang abgezogen?“
Ich nicke. „Das ist der Verkaufswert.“
Wieder wühlt sie in ihrer Handtasche und zieht einen Schlüsselbund heraus. Sie löst einen Toyota-Schlüssel vom Bund. „Nimm mein Auto. Das sollte mindestens weitere zehntausend einbringen.“ Ihre Finger zittern, als sie mir den Schlüssel hinhält.
Ich weigere mich, den Schlüssel anzunehmen. „Ich werde nicht dein Auto nehmen.“
Sie hält mir den Schlüssel unter die Nase und schüttelt ihn, zittert nun noch merklicher. Ihre Lippen beben ebenfalls, auch wenn ich vermute, dass sie vor Zorn beben, nicht vor Angst. Und ganz sicher nicht, weil sie ein Schluchzen unterdrückt. Chelle ist ein taffer Knochen, so viel ist klar. „Nimm ihn“, fährt sie mich an. „Du hast doch auch Zanes Auto genommen.“
„Ich werde dir nicht dein Auto abnehmen. Das hast du nicht verdient. Bist du dir über die längerfristigen Konsequenzen bewusst, wenn du deinem Bruder immer wieder aus der Klemme hilfst?“
Sie runzelt die Stirn. „Was?“
„Glaubst du wirklich, Zane lernt seine Lektion, wenn du immer wieder Opfer für ihn bringst, damit er sich nicht die Nase bricht?“
Der Mund fällt ihr auf. „Jetzt krieg ich also noch ein Life-Coaching von einem verdammten Kredithai? Das ist doch wohl ein Witz!“
Ich grinse. Diese Frau ist der Inbegriff von niedlich. Ich lehne mich mit einer Schulter an die Wand und verschränke die Arme. „Ob du es glaubst oder nicht, ich mag deinen Bruder. Bevor er die Nase ins Koks gesteckt hat, war er ein brillanter Pokerspieler und ein unterhaltsamer Gast an meinem Tisch. Aber jetzt? Ist er ein Arsch, der sich nicht mehr unter Kontrolle hat. Er braucht Hilfe, aber die wird er nicht bekommen, wenn du immer seinen Schlamassel beseitigst.“
„Also verprügelst du ihn, weil du ihn so magst? Ist es das?“ Ihre Stimme trieft förmlich vor Sarkasmus.
Wieder zucke ich mit den Schultern. „Das ist nur die natürliche Konsequenz, wenn man sich mit der Bratwa anlegt. Und es wird nicht aufhören, solange er sich nicht endlich zusammenreißt.“
Etwas ihres Wagemuts verpufft und ich kann sehen, wie Unsicherheit über ihr Gesicht flackert. Ich muss gegen das Verlangen ankämpfen, ihr zu versichern, dass ich ihren Bruder nicht vierteilen werde. Ein Problem bei der Sache ist, dass ich Zane habe glauben lassen, wir wären Kumpel. Mag sein, dass ich den Jungen mag, aber das heißt nicht, dass er nicht zahlen muss, so oder so.
„Die andere natürliche Konsequenz ist, dass er sein Auto verloren hat. Aber das sollte keine Konsequenz für dich sein. Du bist nicht diejenige, die kokst und an meinem Tisch falsch spielt.“
Ihre Augen schimmern vor Tränen und sie blinzelt sie zurück. „Er fährt jetzt ein Motorrad. Es hat meinem Vater gehört. Das könnt ihr ihm auch abnehmen.“
„Er kann es mir vorbeibringen“, sage ich unbeeindruckt.
„Ich bringe es –“
„Mh-mh“, unterbreche ich sie. „Halt dich da raus. Zane kann sich selbst darum kümmern. Er ist ein cleveres Kerlchen.“
Für einen Augenblick starrt sie mich an, dann nickt sie.
Ich öffne die Tür für sie. „Komm nicht wieder hierher“, sage ich, als sie durch die Tür tritt.
Sie hält inne und blickt zu mir auf. Ich verspüre das unvernünftige Verlangen, die Sommersprossen auf ihren Wangenknochen zu zählen. „Oder was?“ Wieder erblicke ich ein Aufblitzen ihres Temperaments. „Du verprügelst auch mich?“
„Dich?“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch, dann gestatte ich etwas der Hitze, die sie in mir heraufbeschwört, an die Oberfläche zu dringen. „Nein, Sommersprösschen“, murmle ich mit einem vielversprechenden Schnurren. „Ich halte deine Handgelenke über deinem Kopf fest und versohle dir deinen niedlichen kleinen Arsch, bis ich dich betteln höre.“
Ihre Augen werden groß, ihre beerenroten Lippen öffnen sich leicht. „B-bettle worum?“, fragt sie.
Ich unterdrücke ein Glucksen. „Worum würdest du mich anbetteln, Chelle?“
Sie holt schneidend Luft. „Du bist …“
Ich lege den Kopf zur Seite, als sie verstummt, erwarte eine mit Schimpfwörtern gespickte Beleidigung.
„Dreist.“
Meine Lippen zucken in ein überraschtes Lächeln. „Und du bist interessiert.“ Ich gestatte meinem Blick, auf die spitzen Knospen ihrer Nippel zu fallen, die sich unter ihrem Pullover abdrücken.
Sie senkt ebenfalls den Blick, dann wird sie rot. Ihre Augen wandern über meine tätowierten Unterarme, über meine Schultern und landen an meinem Hals. In dem Augenblick, als sie es schafft, den Blick zu heben und mir in die Augen zu blicken, fliegen die Funken zwischen uns.
Mein Schwanz wird härter als Stein. Sie erstarrt.
Oh Zane. Mir ist gerade der teuflischste Einfall gekommen, wie du deine Schulden begleichen kannst.
Nur, dass ich nicht für s*x bezahle. Noch würde ich zulassen, dass er als Zahlungsmittel eingesetzt wird.
Ich habe eine persönliche Regel dafür aufgestellt, um die Dinge sauber zu halten.
Außerdem würde Adrian vermutlich versuchen, meinen Kopf in einen Fleischwolf zu rammen, wenn Zane das versuchen sollte. Er ist nach Amerika gekommen, um seine Schwester aus den Händen von Menschenhändlern zu befreien, eine grausame Geschichte, von der sie sich noch immer kaum erholt hat.
Ich beobachte, wie ein Beben durch Chelles zierlichen Körper wandert, aber zu meiner Enttäuschung scheint sie der Schauder in die Realität zurückzureißen. Sie drückt sich an mir vorbei in den Flur.
„Komm nicht wieder hierher“, ermahne ich sie.
Sie zeigt mir den Stinkefinger, ohne sich noch einmal umzudrehen, und geht davon.
Ich stehe in der Tür, schaue ihrem süßen Arsch hinterher, wie er auf und ab wippt, während sie davongeht, labe mich an all dem, was Chelle Goldberg ist. Die feurige, hinreißende und verflucht fickbare Chelle.
Verdammt.
Ich will sie.
Sie hatte Glück, dass ich genug Skrupel hatte, um sie davongehen zu lassen.
Das nächste Mal hat sie vielleicht nicht so viel Glück.