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Nikolai
Es macht einfach keinen Spaß mehr, eine ordentliche Tracht Prügel auszuteilen.
Als Buchmacher der Chicagoer Bratwa ist das Teil des Jobs, aber ich bin einfach nicht mit Herzblut bei der Sache. Nicht bei diesem Bürschchen.
Ich vergrabe meine Faust in Zanes weichem Bauch und sehe zu, wie er vornüber klappt und nach Luft ringt. Wir befinden uns in seinem Zimmer im Studentenwohnheim an der Northwestern University. Ich hatte seinem Mitbewohner nahegelegt, einen Spaziergang zu machen, es sei denn, er wollte sich auch die Visage polieren lassen.
„Tut mir leid. Ich besorge euer Geld. Versprochen“, keucht er.
„Nee. Die Zeit für Versprechungen ist vorbei“, lasse ich ihn wissen. „Dieses Mal bin ich hier, um einzutreiben.“ Es ist ja nicht so, als ob er nicht gewarnt worden wäre. Die Wahrheit ist, dass ich vermutlich viel zu nett mit ihm umgesprungen bin, weil ich Zane einfach mag.
Er ist intelligent. War eine tolle Bereicherung für meine Pokerspiele, bevor er mit dem Koksen angefangen und sich wie ein Arschloch aufgeführt hat.
Oleg, der Vollstrecker unserer Bratwa-Zelle, reißt ihn wieder auf die Füße und hält ihn mir hin, damit ich ihm einen weiteren Kinnhaken verpassen kann. Ich nickte Adrian zu, einem unserer Fußsoldaten, damit er den Schlag ausführt.
Gewalt macht mich nicht an. Nicht so wie Pavel, dem größten Sadisten unserer Bratwa-Zelle. Aber er ist nach Los Angeles gezogen, um mit seiner Freundin, einer Schauspielerin, zusammenzuwohnen, die auf seine sadistische Art steht. Und Oleg, unser hünenhafter, stummer Vollstrecker, ist auch verliebt, was ihn weich gemacht hat.
Der Kerl war unter seinem furchteinflößenden Äußeren vermutlich schon immer ein Teddybär gewesen, aber in letzter Zeit hält er sich öfter zurück. Ein typisches Beispiel – er hält den Typen hoch, anstatt ihm einen Faustschlag zu verpassen. Wenn man bedenkt, dass ein gut platzierter Hieb von Olegs gigantischen Fäusten einen Kerl vernichten könnte, ergibt das keinen Sinn.
„Ich habe bereits ein Auge zugekniffen, während du das Geld zusammensuchst, aber du hast den Zahlungstermin letzte Woche verpasst. Hast nicht auf meine Nachrichten geantwortet. Also wird nun Folgendes passieren.“
Adrian verpasst dem Kerl einen Kinnhaken, dann einen Uppercut in die Rippen. Unser neuer Putzer ist vielversprechend. Adrian ist noch nicht lange im Land und hat eine schwere Zeit hinter sich. Er balanciert noch auf der scharfen Schneide der Gewalt. Die anderen von uns sind weicher geworden, seit wir in Amerika unsere Freiheit genießen.
„Du wirst mir die Schlüssel zu deinem Mustang aushändigen und mir die Papiere für den Wagen geben.“
Zane blickt mich mit offenem Mund an, die Augen weit aufgerissen. Blut tropft aus seiner Nase und von der Unterlippe. „Du kannst nicht … Ich …“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch und er beendet seinen Satz mit einem einfachen „Fuck“.
Adrian verpasst ihm noch einen Schlag.
„Ich bin nicht vollkommen herzlos. Ich ziehe die Verkaufssumme von dem ab, was du der Bratwa schuldest. Ist das ein 2018er-Modell?“
Erneut schlägt Adrian ihn, bevor Zane überhaupt antworten kann, und er sinkt auf die Knie. „Aufhören“, keucht er.
„Her mit den Papieren.“
„Hier sind die Schlüssel.“ Er stopft die Hand in die Hosentasche und zieht sie hervor. „Die Papiere sind in der Wohnung meiner Schwester. Ich bringe sie Freitag vorbei.“
Ich nehme ihm die Schlüssel ab. „Nee. Wir gehen sie jetzt holen – zusammen. Ich hätte nichts dagegen, die große Schwester kennenzulernen. Wie heißt sie noch mal? Chelle?“
Zanes Augen werden wild, versteht meine Andeutungen klar und deutlich. „Lass meine Schwester aus der Sache raus. Ich hole die Papiere jetzt sofort. Fahrt mich einfach hin.“
„Los geht’s“, sage ich und breite auffordernd die Arme aus.
Oleg zerrt Zane auf die Füße, aber er stolperte auf die Tür zu, als ob er sich nicht mehr daran erinnern würde, wie man läuft. Wir nehmen ihn in die Mitte, als wir den Flur hinuntergehen und die Treppen statt dem Aufzug nehmen.
Ich hatte den Mustang schon ausfindig gemacht, als wir angekommen waren, also gehe ich nun schnurstracks darauf zu und setze mich hinters Steuer. Adrian schiebt Zane auf die Rückbank und setzt sich selbst auf den Beifahrersitz.
Oleg geht zum SUV, mit dem wir hergekommen sind.
Zane beugt sich zwischen die beiden Vordersitze und deutet auf das Handschuhfach. „Da sind ein paar Papierservietten drin“, grunzt er. „Es sei denn, ihr wollt, dass ich euer neues Auto vollblute.“
„Das neue Auto von irgendjemand anderem“, sage ich milde und nicke in Richtung des Handschuhfachs, um Adrian wissen zu lassen, dass er die Servietten herausnehmen soll. „Glaubst du etwa, ich würde dein altes Auto fahren wollen?“
Adrian kräuselt die Lippen, als er die Servietten nach hinten reicht, und Zane zuckt bei der Härte im Gesicht unseres Soldaten zusammen.
Ich fahre zur Wohnung von Zanes Schwester, ohne dass er mir den Weg sagen müsste. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Mein Bruder Dima, der Hacker unserer Bratwa-Zelle, recherchiert zu allen unserer Spieler. Als Zane angefangen hat, Ärger zu machen, hatte Dima tiefer gebohrt. Ich habe alles, was ich wissen muss, um Zane völlig auszuquetschen.
Ich weiß beispielsweise, dass er und seine Schwester in der oberen Mittelklasse aufgewachsen sind. Ihr Vater war Börsenmakler, der sich vor drei Jahren erschossen hat. Sie hatten nur wenig geerbt, denn wie sich herausgestellt hatte, war der Kerl spielsüchtig gewesen. Ich schätze, in Zanes Fall fiel der Apfel nicht weit vom Stamm.
Die einzige Sache, die der Vater nicht angerührt hatte, war das Geld fürs College seiner Kinder, also genoss Zane dieses Privileg noch immer. Seine Schwester ist fünf Jahre älter als er und arbeitet für eine führende PR-Firma in der Stadt.
Ich halte vor einem Sandsteingebäude in einem aufstrebenden Viertel von Chicago. Es war eine diese brandheißen Hipster-Gegenden mit vielen alten Gebäuden, die gentrifiziert wurden, aber man konnte noch immer ein Schnäppchen finden.
Zane steigt aus dem Mustang und gibt an der Haustür einen Zahlencode ein, dann führt er uns über eine Treppe in den dritten Stock. „Du hast die Schlüssel“, murmelt er mir zu. Ich halte ihm seinen Schlüsselring hin und er sucht den passenden Schlüssel und schiebt ihn ins Schloss.
Die Wohnung ist klein, aber hübsch. Abgenutzte Eichendielen, weiße Wände, bis auf einige willkürliche Akzente in gedecktem Petrol und Pflaumenblau. Es gibt geschmackvolle, gerahmte schwarzweiße Kunstdrucke. Alles ist relativ ordentlich. Ich halte inne und nehme eins gerahmtes Foto in die Hand, das scheinbar Zanes Abschlusszeremonie von der Highschool zeigt. Er trägt seine Highschool-Tracht und hat den Arm um eine junge Frau geschlungen.
„Ist das Chelle?“ Die Frau ist viel kleiner als er, aber sie haben die gleichen Gesichtszüge – die Form ihrer Nasen und ihrer Münder, ihr Teint.
„Lass sie raus aus der Sache“, faucht Zane.
Ich erwidere nichts. Ich habe nicht vor, seiner Schwester etwas anzutun, aber ich bin mir nicht zu gut dafür, es ihn glauben zu lassen. Die Kunst der Einschüchterung habe ich von Ravil gelernt, unserem pachan. Ich weiß, dass es mehr darauf ankommt, was man nicht sagt, was man nur impliziert, als was man tatsächlich tut. Die Fantasie soll mit ihnen durchgehen. Sie sollen sich fragen, wozu wir tatsächlich in der Lage sind. Die Wahrheit ist, auch wenn wir bei vielen unserer Geschäfte auf der falschen Seite des Gesetzes operieren, folgen wir dennoch einem Kodex. Einer unschuldigen Frau etwas anzutun ist nichts, was wir tun.
Ich halte mir das Foto näher unter die Augen, um es zu inspizieren. Chelle ist wirklich reizend. Sie ist zierlich – ich bezweifle, dass sie größer als eins fünfzig ist, und alles an ihr ist niedlich. Ihre dunkelbraunen Haare wallen in langen Strähnen über ihre Schultern und sie hat ein paar vereinzelte Sommersprossen auf der Nase. Ich kann nicht sagen, ob es nur am Licht liegt, das auf das Foto fällt, aber ihre Augen scheinen weniger hellbraun zu sein als die von Zane und eher golden.
Zane ist zu einem Aktenschrank in der kleinen Ecke im Wohnzimmer gegangen, die sie scheinbar als Büro benutzt, und blättert die Unterlagen durch. „Ich meine es Ernst. Chelle hat nichts damit zu tun.“
Ich bin froh, dass Zane kein kompletter Idiot ist. Sein Bemühen, seine Schwester vor seinen Fehlern zu bewahren, verschafft ihm ein paar Pluspunkte bei mir.
„Hast du die Papiere gefunden?“
Zane reißt einen Ordner nach dem nächsten heraus, blättert sie durch und wirft sie auf den Boden. Schließlich richtet er sich auf. „Hier sind sie.“
Er kommt zu mir gehumpelt und hält mir die Papiere unter die Nase.
„Unterschreiben“, instruiere ich ihn.
„Das muss vom Notar beglaubigt werden.“
Ich grinse. „Darum kümmere ich mich schon.“
„Kannst du ihn nicht einfach behalten und mir zurückgeben, wenn ich meine Schulden bezahlt habe?“
„Nein. Ich brauche Bargeld. Du kannst von Glück sprechen, dass ich bereit bin, diese Angelegenheit für dich in die Hand zu nehmen. Es ist ein verfluchtes Geschenk, dass ich dir die volle Summe anrechne, also erweise dich auch als dankbar und besorge mir den Rest des Geldes.“
„Werde ich, werde ich.“ Zane nimmt einen Stift in die Hand und überschreibt mir den Wagen. Ich halte die Hand nach den Schlüsseln auf und er nimmt den Autoschlüssel ab. „Tut mir echt leid, Mann. Ich werde den Rest besorgen.“
Ich stopfe den Schlüssel in die Hosentasche und lege ihm die Hand auf die Schulter. „Du bist clever. Ich weiß, dass du aus diesem Mist herauskommen kannst. Ich erwarte bis nächsten Freitag eine weitere z*****g, und wenn ich nicht von dir höre, werden wir nicht mehr so nett sein wie heute.“ Ich achte darauf, noch einmal einen Blick auf das Foto von ihm und seiner Schwester zu werfen. „Ich hätte nichts dagegen, Chelle in die nächste Transaktion mit hineinzuziehen. Sie sieht heiß aus.“
Zane stößt ein ersticktes Geräusch aus, aber wir machen uns bereits davon.
Er kann selbst zusehen, wie er wieder zurück ins Wohnheim kommt.