KAPITEL DREI

3672 Words
KAPITEL DREI Geblendet vom Licht hob Thor die Hände vor die Augen, als die glänzenden, goldenen Tore zum Schloss seiner Mutter weit aufschwangen. Eine Gestalt kam auf ihn zu, die Silhouette war die einer Frau, und mit jeder Faser seines Seins spürte er, dass dies seine Mutter war. Sein Herz pochte, als er sie vor sich stehen sah. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Licht. Er senkte seine Hände und sah sie an. Das war der Augenblick, auf den er sein Leben lang gewartet hatte, der Augenblick, der ihn bis in seine Träume verfolgt hatte. Er konnte es kaum glauben: Sie war es wirklich. Seine Mutter. Er war hier, in ihrem Schloss auf den Klippen. Thor betrachtete sie, wie sie nur ein paar Meter entfernt vor ihm stand und ihn ansah. Zum ersten Mal sah er ihr Gesicht. Ihm stockte der Atem, denn vor ihm stand die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Sie wirkte alterslos – sowohl alt als auch jung, ihre Haut war makellos, ihr Gesicht strahlte. Sie lächelte ihn liebevoll an. Ihr langes, blondes Haar reichte ihr bis zur Taille, sie hatte große, graue Augen und ihre Wangenknochen und ihr Kiefer ähnelten seinem. Was Thor am meisten überraschte, war die Tatsache, dass er seine Züge in ihrem Gesicht wiedererkennen konnte – nicht nur die Augen, Wangen und der Kiefer, sondern auch ihre Lippen, der Schwung ihrer Brauen und ihre Stirn. In gewisser Weise war es so, als würde er sich selbst ins Gesicht sehen – oder Alistair. Sie ähnelte Alistair fast wie ein Ei dem anderen. Thors Mutter trug eine weiße Seidenrobe und einen Umhang, dessen Kapuze zurückgeschlagen war. Sie trug keinen Schmuck, und hatte ihre Hände zur Seite ausgestreckt. Thor konnte eine intensive Energie spüren, die von ihr ausging, intensiver als er es je zuvor gespürt hatte. Es fühlte sich an, als würde die Sonne ihn umschließen. Als er vor ihr stand und in ihrer Energie badete, spürte er Wellen der Liebe, die von ihr ausgingen. Nie zuvor hatte er eine derart bedingungslose Liebe und Akzeptanz gespürt. Er war zu Hause. Als er hier vor ihr stand, fühlte Thor sich ganz, gerade so, als ob auf der Welt alles in Ordnung war. „Thorgrin, mein Sohn“, sagte sie. Es war die schönste Stimme, die er je gehört hatte. Sanft hallte sie vom uralten Gemäuer des Schlosses wider und klang, als käme sie direkt vom Himmel. Thor stand wie angewurzelt da, wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. War das real? Einen Moment lang fragte er sich, ob nicht auch das hier eine Kreation des Lands der Druiden war, nur ein weiterer Traum, sein Geist, der ihm wieder einen Streich spielte. Er hatte sich so lange danach gesehnt, seine Mutter in den Arm zu nehmen. Er machte einen Schritt auf sie zu, entschlossen herauszufinden, ob es wieder nur ein Trugbild war. Thor streckte die Arme nach ihr aus, auch wenn er befürchtete, ins Leere zu greifen. Doch dann spürte er sie – die warme Umarmung seiner Mutter, die ihn umfing. Es war das schönste Gefühl der Welt. Sie hielt ihn fest, und Thor war überglücklich zu wissen, dass sie real war. Dass alles real war. Dass er eine Mutter hatte, dass sie wirklich existierte, dass sie in Fleisch und Blut vor ihm stand, in diesem Land der Illusion und Phantasie – und dass sie ihn wirklich liebte. Nach einer langen Weile sah Thor sie mit feuchten Augen an, und entdeckte, dass auch ihr Tränen in den Augen standen. „Ich bin so stolz auf dich, mein Sohn“, sagte sie. Er starrte sie sprachlos an. „Du bist am Ziel deiner Reise angekommen“, fügte sie hinzu. „Du hast dich als würdig erwiesen hier zu sein. Du bist zu dem Mann herangewachsen, den ich immer in dir gesehen habe.“ Thor sah sie an, nahm ihren Anblick in sich auf, immer noch erstaunt darüber, dass sie real war, und wusste nicht, was er sagen sollte. Sein ganzes Leben lang war er so voller Fragen gewesen. Doch nun, da er wirklich vor ihr stand, fehlten ihm die Worte. Er wusste nicht einmal, wo er anfangen sollte. „Komm mit mir“, sagte sie, und drehte sich um. „Ich will dir diesen Ort zeigen. Den Ort, an dem du das Licht der Welt erblickt hast.“ Sie lächelte und streckte ihm eine Hand entgegen, die er dankbar ergriff. Seite an Seite gingen sie ins Schloss hinein. Von seiner Mutter schien ein Leuchten auszugehen, das von den Mauern des Schlosses zurückgeworfen wurde. Thor betrachtete alles staunend: Dies war der prachtvollste Ort, den er je gesehen hatte. Die Wände waren aus glitzerndem Gold, alles glänzte, perfekt, surreal. Er fühlte sich, als hätte er ein magisches Schloss im Himmel betreten. Sie gingen einen langen Flur mit einer hohen, gewölbten Decke entlang. Der Boden schimmerte im Licht, als bestünde er aus unzähligen Diamanten. „Warum hast du mich verlassen?“, fragte Thor plötzlich. Es waren die ersten Worte, die er zu ihr sagte, und sie überraschten selbst ihn. Von all den Dingen, die er sie fragen wollte, war aus irgendeinem Grund diese Frage zuerst aus seinem Mund gekommen, und er schämte sich dafür, dass er nichts Netteres gesagt hatte. Er hatte nicht so barsch sein wollen. Doch das mitfühlende Lächeln seiner Mutter verließ ihr Gesicht nicht. Sie ging neben ihm her und sah ihn voller Liebe an, und er konnte spüren, dass sie ihn niemals verurteilen würde, egal, was er sagte. „Du hast Recht, böse auf mich zu sein“, sagte sie. „Ich muss dich um Vergebung bitten. Du und deine Schwester bedeuten mir alles auf der Welt. Ich wollte euch so gerne hier großziehen – doch ich konnte es nicht. Weil ihr beide etwas Besonderes seid.“ Sie bogen in einen anderen Flur ab, wo seine Mutter stehen blieb und ihn ansah. „Du bist mehr als nur ein Druide, Thorgrin – mehr als nur ein Krieger. Du bist der größte Krieger den es jemals gab und der jemals sein wird – und ebenso der stärkste Druide. Du hast ein ganz besonderes Schicksal; Dein Leben ist dazu bestimmt grösser, viel grösser zu sein, als dieser Ort. Es ist ein Leben und ein Schicksal, das dazu bestimmt ist, mit der Welt geteilt zu werden. Darum habe ich dich in die Welt der Menschen geschickt. Ich musste dich gehen lassen, damit du der Mann werden konntest, der du jetzt bist; damit du die Erfahrungen machen konntest, die du gemacht hast, um der Krieger zu werden, der dir zu sein bestimmt ist.“ Sie holte tief Luft. „Thorgrin, du musst verstehen, dass Abgeschiedenheit und Privilegien keine Krieger hervorbringen – nur Mühe, Leid und Schmerz. Vor allem Leid. Es hat mir das Herz gebrochen, dich leiden zu sehen – und doch, so paradox es auch scheinen mag – das war genau das, was du brauchtest, um zu werden, wer du bist. Kannst du das verstehen, Thorgrin?“ Zum ersten Mal in seinem Leben verstand er es wirklich. Zum ersten Mal ergab alles einen Sinn. Er dachte an all das Leid, dass ihm in seinem Leben begegnet war: wie er ohne Mutter als Lakai seiner Brüder aufgewachsen war, bei einem Ziehvater, der ihn hasste, in einem kleinen, erdrückenden Dorf, wo er ein Niemand war. Seine Erziehung hatte aus einer Demütigung nach der anderen bestanden. Doch nun begann er zu sehen, dass er all das gebraucht hatte; dass all das so vorherbestimmt gewesen war. „All dein Leid, deine Unabhängigkeit, dein Kampf, deinen Weg zu finden“, fügte seine Mutter hinzu. „Das war mein Geschenk an dich. Mein Geschenk, um dich stärker zu machen.“ Ein Geschenk, dachte Thor bei sich. Er hatte nie zuvor so darüber gedacht. Damals war es ihm wie das Gegenteil vorgekommen – doch nun, rückblickend, wusste er, dass es genau das gewesen war. Als sie die Worte aussprach, wusste er, dass sie Recht hatte. All die Widrigkeiten, denen er in seinem Leben begegnet war – sie alle waren ein Geschenk gewesen, das dabei geholfen hatte, ihn zu dem zu machen, was er geworden war. Sie gingen weiter durch das Schloss. In Thors Kopf schwirrten unendlich viele Fragen an sie herum. „Bist du real?“, fragte er. Wieder schämte er sich für seine direkte Frage, und ertappte sich bei Stellen einer Frage, mit der er selbst nicht gerechnet hatte. Doch er verspürte ein brennendes Verlangen, es zu erfahren. „Ist dieser Ort hier real?“, fügte er hinzu. „Oder ist all das nur eine Illusion, eine Schöpfung meiner eigenen Vorstellungskraft, wie der Rest dieses Landes?“ Seine Mutter lächelte ihn an. „Ich bin so real wie du“, antwortete sie. Thor nickte zufrieden. „Du hast Recht, wenn du sagst, das Land der Druiden ist ein Land der Illusion, ein magisches Land in dir selbst“, fügte sie hinzu. „Ich bin sehr real – doch zur gleichen Zeit bin ich, genau wie du, ein Druide. Wir sind nicht so sehr an physische Orte gebunden wie die Menschen. Was bedeutete, dass ein Teil von mir hier lebt, während ein anderer Teil von mir an einem anderen Ort lebt. Darum bin ich immer bei dir, auch wenn du mich nicht sehen kannst. Druiden sind gleichzeitig überall und nirgendwo. Wir wandeln zwischen den Welten in einer Weise, wie es den Menschen nicht möglich ist.“ „Wie Argon“, sagte Thor, während er sich an Argons durchdringenden Blick erinnerte, und daran, wie er ebenso plötzlich wie er auftauchte, auch wieder verschwand. Auch er war zu jederzeit überall und nirgendwo. Sie nickte. „Ja“, antwortete sie. „Genau wie mein Bruder.“ Thor keuchte erschrocken. „Dein Bruder?“, echote er. Sie nickte. „Argon ist dein Onkel“, sagte sie. „Er liebt dich sehr. Er hat dich immer geliebt, und Alistair genauso.“ Thor schwirrte der Kopf. Er war überwältigt. Seine Stirn legte sich in Falten, als ihm etwas einfiel. „Aber es ist anders für mich“, sagte er. „Ich fühle mich nicht so wie du. Ich fühle mich mehr an Orte gebunden. Ich kann nicht einfach wie Argon zwischen den Welten reisen.“ „Weil du zur Hälfte Mensch bist“, antwortete sie. Thor dachte darüber nach. „Jetzt bin ich hier, in diesem Schloss, Zuhause“, sagte er. „Das hier ist mein Zuhause, oder nicht?“ „Das ist es“, sagte sie. „Dein wahres Zuhause. So wie jedes andere Zuhause, das du in der Welt der Menschen hast. Doch Druiden sind nicht an das Konzept von ‚Heimat‘ gebunden.“ „Wenn ich also hier leben wollte, dann könnte ich das?“, wollte er wissen. Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie. „Denn deine Zeit hier im Land der Druiden ist endlich. Deine Ankunft war vorherbestimmt – doch du kannst dieses Land nur ein einziges Mal besuchen. Wenn du es verlässt, kannst du nie wieder zurückkehren. Dieser Ort, dieses Schloss, alles was du hier siehst, all das hier, was du so viele Jahre in deinen Träumen gesehen hast, all das wird verschwinden. Wie ein Fluss, der niemals derselbe sein wird.“ „Und du?“, fragte Thor, plötzlich ängstlich. Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Du wirst mich ebenfalls nicht wieder sehen. Nicht so. Doch ich werde immer bei dir sein.“ Der Gedanke verstörte ihn. „Aber ich verstehe es nicht“, sagte er. „Endlich habe ich dich gefunden, diesen Ort, meine Heimat. Und nun sagst du mir, dass ich nicht wieder hierher zurückkehren kann?“ Seine Mutter seufzte. „Die Heimat eines Kriegers ist da draußen, in der Welt“, sagte sie. Es ist deine Pflicht, wieder hinauszugehen, anderen zu helfen, sie zu verteidigen, und ein immer besserer Krieger zu werden. Du kannst immer stärker werden. Kriegern ist es nicht bestimmt, an einem Ort zu bleiben, besonders nicht einem Krieger mit einem großen Schicksal wie du. Du wirst in deinem Leben großartigen Dingen begegnen: Großartigen Schlössern, einzigartigen Städten, außergewöhnlichen Völkern. Du darfst dich jedoch an nichts festklammern. Das Leben ist wie die Gezeiten, und du musst ihm erlauben, dich dorthin zu tragen, wo es dir bestimmt ist.“ Thor runzelte die Stirn, während er versuchte, ihre Worte zu verstehen. Es war alles zu viel auf einmal. „Ich habe immer gedacht, dass meine große Suche vorüber ist, wenn ich dich erst einmal gefunden habe.“ Sie lächelte ihn an. „So ist das Leben“, antwortete sie. „Uns werden große Aufgaben gegeben, oder wir entscheiden uns bewusst für sie – dann machen wir uns auf, sie zu erfüllen. Wir können uns niemals vorstellen, sie wirklich erfüllen zu können – und doch gelingt es uns irgendwie. Sobald es uns gelungen ist, erwarten wir, dass unser Leben zu Ende ist. Doch unser Leben steht gerade erst am Anfang. Einen Gipfel zu erklimmen, ist eine große Leistung – doch dieser Gipfel führt auch zu einem weiteren, noch größeren Gipfel. „ Thor sah sie überrascht an. „So ist es“, sagte sie, als sie seine Gedanken las. „Dass du mich gefunden hast, führt dich zu deiner nächsten, noch größeren Aufgabe.“ „Welche andere Aufgabe kann es für mich geben, die grösser ist, als dich zu finden?“, wollte er wissen. Sie lächelte ihn mit weisen Augen an. „Du kannst dir nicht einmal ansatzweise vorstellen, welche Aufgaben noch vor dir liegen“, sagte sie. „Manche Menschen werden für eine einzige Aufgabe geboren. Manche gar ohne. Doch du – Thorgrin – du bist mit einem Schicksal von zwölf Aufgaben geboren worden.“ „Zwölf?“, fragte er verblüfft. „Das Schwert des Schicksals zu finden war eine davon. Du hast sie ausgezeichnet gelöst. Mich zu finden, war die Nächste. Damit hast du zwei der Aufgaben erfüllt, die dir zugedacht sind. Zehn weitere werden folgen. Zehn Aufgaben, die weit grösser sind, als die ersten zwei.“ „Zehn weitere?“, fragte er. „Noch grösser? Wie ist das möglich?“ „Lass es mich dir zeigen“, sagte sie, legte ihm den Arm auf die Schulter, und führte ihn sanft den Flur hinunter. Sie führte ihn durch eine blau schimmernde Tür aus Saphir in einem Raum, der ganz mit Saphiren ausgekleidet war schimmernd grün. Thors Mutter führte ihn zu einem großen Kristallfenster. Thor stand neben ihr. Er hob seine Hand und legte sie auf die kristallene Scheibe. Er verspürte einen Drang, das zu tun, und als seine Fingerspitzen die Scheibe berührten, öffneten sich die Fensterflügel langsam. Thor blickte aufs Meer hinaus, über dem einblendend weißer Nebel lag, der das Licht reflektierte, und ihm das Gefühl gab, über den Wolken zu schweben. „Sieh hinaus und sag mir, was du siehst.“ Thor ließ den Blick schweifen, und zunächst sah er nichts außer dem Meer und den weißen Dunst. Doch bald wurde der Dunst heller, das Meer begann zu verschwinden, und Bilder begannen, vor ihm aufzublitzen. Das erste, was Thor sah, war sein Sohn, Guwayne, der auf hoher See in einem kleinen Boot trieb. Thors Herz begann zu rasen. „Guwayne!“, rief er aus. „Ist das wahr?“ „Ja, in diesem Augenblick ist er auf dem offenen Meer“, sagte sie. „Er braucht dich. Ihn zu finden, ist eine der großen Aufgaben deines Lebens.“ Als Thor zusah, wie Guwayne von den Wellen davongetragen wurde, spürte er einen unglaublichen Drang, diesen Ort zu verlassen, und zum Meer zu laufen. „Ich muss sofort zu ihm!“ Doch seine Mutter legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. „Schau weiter. Es gibt noch mehr zu sehen“, sagte sie. Thor blickte wieder in den weißen Dunst, und sah Gwendolyn und ihr Volk; sie saßen zusammengekauert auf einer felsigen Insel und wappneten sich, als eine riesige Schar von Drachen den Himmel verdunkelte. Er sah eine Wand aus Feuer, brennende Körper, Menschen, die unter unglaublichen Qualen schrien. Thors Herz pochte wild. „Gwendolyn!“, rief er. „Ich muss zu ihr.“ Seine Mutter nickte. „Sie braucht dich, Thorgrin. Sie alle brauchen dich – und sie brauchen eine neue Heimat.“ Als Thor weiter durch das Fenster blickte, sah er, wie sich die Landschaft veränderte. Er sah, dass der gesamte Ring zerstört war, eine schwarze, verkohlte Ebene, und er sah Romulus Armee, die wie Heuschrecken über alles, was übrig geblieben war, herfiel. „Der Ring“, flüsterte er geschockt. „Er ist zerstört.“ Thor spürte ein brennendes Bedürfnis, sofort aufzubrechen und alle sofort zu retten. Seine Mutter schloss das Fenster, und er drehte sich um und sah sie an. „Das sind nur einige der Aufgaben, die vor dir liegen“, sagte sie. „Dein Kind braucht dich; Gwendolyn braucht dich; dein Volk braucht dich – und darüber hinaus musst du dich auf den Tag vorbereiten, an dem du König werden wirst.“ Thor riss seine Augen auf. „Ich? König?“ Seine Mutter nickte. „Das ist dein Schicksal, Thorgrin. Du bist die letzte Hoffnung. Du musst der König der Druiden werden.“ „Der König der Druiden?“, fragte er, und versuchte die Worte seiner Mutter zu verstehen. „Aber… Ich verstehe es nicht. Ich dachte, ich wäre im Land der Druiden?“ „Die Druiden leben hier nicht mehr“, erklärte sie. „Wir befinden uns im Exil. Sie leben nun in einem weit entfernten Königreich in den Weiten des Empire, und sie sind in großer Gefahr. Es ist dir bestimmt, ihr König zu werden. Sie brauchen dich, und du brauchst sie. Ihre und deine Kräfte müssen vereint werden für die Schlacht gegen die größte Macht, die sich uns je entgegengestellt hat. Eine Gefahr, die noch viel grösser ist als die Drachen.“ Thor starrte sie an. „Mutter, ich bin verwirrt“, gab er zu. „Das kommt daher, weil deine Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist. Du hast große Fortschritte gemacht, doch du bist noch nicht einmal annähernd auf der Stufe angekommen, die du erreichen musst, um ein großer Krieger zu werden. Du wirst mächtige neue Lehrer treffen, die dich auf Ebenen führen werden, die sich deiner Vorstellungskraft entziehen. Du hast noch nicht einmal begonnen, dein Potential als Krieger auszuloten. Du wirst all ihr Training brauchen“, fuhr sie fort. „Du wirst dich gigantischen Reichen gegenübersehen, Königreichen, die großartiger sind, als alles, was du bisher gesehen hast. Du wirst wilden Tyrannen begegnen, gegen die Andronicus gar nichts ist.“ Seine Mutter betrachtete ihn aus wissenden und mitfühlenden Augen. „Das Leben ist immer noch ein wenig großartiger, als du es dir vorstellen kannst, Thorgrin“, erklärte sie. „Immer ein wenig grösser. In deinen Augen ist der Ring ein großes Königreich, das Zentrum der Welt. Doch es ist klein verglichen mit dem Rest der Welt, nicht mehr als ein Fleckchen auf der Landkarte des Empire. Thorgrin, es gibt Welten, die alles übertreffen, was du dir vorstellen kannst. Sie sind grösser als alles, was du je gesehen hast. Du hast noch nicht einmal zu leben begonnen.“ Sie hielt inne. „Du wirst das hier brauchen.“ Thor sah seine Hand an, als er etwas um sein Handgelenk spürte. Er sah, wie seine Mutter einen breiten Armreif umlegte, der seinen halben Unterarm bedeckte. Er bestand aus glänzendem Gold mit einem einzelnen, schwarzen Diamanten in der Mitte. Es war das schönste, mächtigste Ding, das er je gesehen hatte, und als sich um seinen Arm schloss, spürte er, wie die Macht des Armreifs pulsierte und in ihn eindrang. „Solange du das hier trägst“, sagte sie, „kann kein Mann der aus dem Schoss einer Frau hervorgegangen ist, dir ein Leid zufügen.“ Thor sah sie an, und vor seinem geistigen Auge blitzten die Bilder wieder auf, die er vor dem kristallenen Fenster gesehen hatte. Er spürte wieder den Drang Guwayne, Gwendolyn und sein Volk zu retten. Doch ein Teil von ihm wollte diesen Ort nicht verlassen, diesen Ort seiner Träume, zu dem er nie wieder zurückkehren konnte. Er wollte seine Mutter nicht hier zurücklassen. Er sah den Armreif an, und spürte seine überwältigende Macht. Er hatte das Gefühl, als würde er einen Teil seiner Mutter bei sich tragen. „Ist das der Grund, warum es uns bestimmt war, uns zu begegnen?“, fragte Thor. „Damit ich den Armreif bekomme?“ Sie nickte. „Und aus einem noch viel wichtigeren Grund“, sagte sie. „Um meine Liebe zu empfangen. Als Krieger musst du lernen zu hassen. Doch genauso wichtig ist es, dass du lernst zu lieben. Die Liebe ist die stärkere der beiden Mächte. Hass kann einen Mann töten, doch Liebe kann ihn aufrichten. Es bedarf stärkerer Macht zu heilen, als zu töten. Du musst den Hass kennen, doch auch die Liebe darf dir nicht fremd sein – und du musst lernen, wann du das eine oder das andere wählen musst. Du musst nicht nur lernen zu lieben, vielmehr noch musst du lernen, dir zu erlauben, Liebe zu empfangen. Genauso wie wir Nahrung brauchen um zu leben, brauchen wir Liebe. Du musst wissen, wie sehr ich dich liebe, wie stolz ich auf dich bin, und dass ich immer bei dir sein werde. Und du musst wissen, dass wir uns wieder begegnen werden. In der Zwischenzeit, lass zu, dass meine Liebe dich trägt. Und noch viel wichtiger: akzeptiere und liebe dich selbst.“ Thors Mutter umarmte ihn. Es fühlte sich so gut an, sie in den Armen zu halten, zu wissen, dass er eine Mutter hatte, eine echte Mutter. Während er sie festhielt, spürte er, wie ihre Liebe ihn erfüllte, ihn nährte, und er fühlte sich wie neu geboren – bereit, sich zu allem stellen, was das Schicksal für ihn bereithielt. Thor blickte ihr in die Augen. Sie sahen genau wie seine Augen aus: grau und leuchtend. Sie legte beide Hände um seinen Kopf und küsste seine Stirn. Thor schloss die Augen und wünschte sich, dass dieser Augenblick niemals enden würde. Plötzlich spürte er eine kalte Brise, hörte das Rauschen der Wellen und spürte die feuchte Meeresluft. Er öffnete die Augen und sah sich überrascht um. Zu seinem großen Schrecken, war seine Mutter verschwunden. Das Schloss war verschwunden, und ebenso die Klippen. Er sah sich um und stand an einem Stand – dem roten Strand, der vor dem Eingang zum Land der Druiden lag. Irgendwie hatte er das Land der Druiden verlassen. Er war allein. Seine Mutter war verschwunden. Thor blickte zu seinem Handgelenk hinunter, auf seinen neuen Armreif mit dem schwarzen Diamanten in der Mitte, und fühlte sich verändert. Er spürte, dass seine Mutter bei ihm war, fühlte ihre Liebe, und war bereit, die Welt zu erobern. Er fühlte sich stärker denn je. Er war bereit, es mit jedem Gegner aufzunehmen, um seine Gemahlin und sein Kind zu retten. Er hörte ein schnurrendes Geräusch, und als er sich umsah, war er hoch erfreut Mycoples ganz in der Nähe sitzen zu sehen. Sie schnurrte und kam auf ihn zu. Er spürte, dass auch sie bereit war. Als sie näher kam, erschrak er, als er etwas am Strand hinter ihr liegen sah. Es war weiß, groß und rund – es war ein Ei. Das Ei eines Drachens. Mycoples sah Thor an und er erwiderte erschrocken ihren Blick. Mycoples sah sich traurig nach dem Ei um, als ob sie es nicht verlassen wollte, und doch wusste, dass sie es tun musste. Thor sah das Ei verwundert an, und fragte sich, welcher Drachen aus der Verbindung von Mycoples und Ralibar hervorgehen würde. Er spürte, dass das der größte Drache der Menschheitsgeschichte sein musste. Thor stieg auf Mycoples Rücken und nach einem langen letzten Blick verließen sie das Land der Druiden, diesen mysteriösen Ort, der Thor willkommen geheißen und wieder hinausgeworfen hatte. Es war ein Ort, vor dem Thor großen Respekt hatte, ein Ort, den er niemals ganz verstehen würde. Thor drehte sich um, und blickte auf das Meer hinaus. „Es ist Zeit, in den Krieg zu ziehen, liebe Freundin“, sagte Thor selbstbewusst. Seine Stimme war die Stimme eines Mannes, eines Krieger, dem es bestimmt war, König zu werden. Mycoples schrie, schlug mit ihren großen Flügel und erhob sich in die Luft, über den Ozean, fort von diesem Ort, zurück zu Guwayne und Gwendolyn – zu Romulus, seinen Drachen, und der Schlacht des Lebens. .
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