Kapitel 1

1894 Words
Kapitel 1 Wenn kleine Mädchen mit ihren Puppen spielten, taten die Meisten so, als wären sie die Mütter oder Prinzessinnen oder Lehrerinnen. Sie hielten Kaffeekränzchen mit ihnen ab, verkleideten sich. Das war zumindest das, was meine Schwester Violet mit ihren Puppen getan hatte. Ich? Ich hatte Klempnerin mit meiner gespielt. Ich hatte meine kleine Betsy in einen grauen Overall gekleidet, den ich von einer männlichen Pilotenactionfigur gestohlen hatte, die ich im Spielzeugladen entdeckt hatte. Die Figur hatte ich nackt in die Ecke meines Schranks gepfeffert, bis meine Schwester ihn fand und ihn als Bräutigam für ihre Fantasie-Hochzeiten nutzte. Ich kleidete meine Puppe, die selbst pinkeln konnte, nicht nur in Männerkleidung, sondern verlegte auch einen Strohhalm an ihrem Hosenbein entlang, um das Fake-Pippi von ihrem anatomisch inkorrekten Körper abzuleiten. Sie brauchte kein Töpfchen. Ich war damals fünf gewesen und hatte bereits gewusst, was ich werden wollte, wenn ich einmal groß war. Ich, Veronica Miller, hatte Klempnerin werden wollen. Genau wie mein Vater. Jetzt, über zwanzig Jahre später, hatte ich mir meinen Kindheitstraum erfüllt. Ich war die Klempnerin, die ich hatte sein wollen, und arbeitete mit meinem Dad zusammen. Schon bald würde ich allein arbeiten. Nur noch eine letzte z*****g an meinen Vater standen zwischen seiner offiziellen Pensionierung und meinem neuen Status als Geschäftsinhaberin. Ich lächelte mir bei dem Gedanken an dieses fast erreichte, gigantische Ereignis zu, während ich meine Haare in der Dusche einschäumte. Ich quiekte und wusch mir schnell das Erdbeer-Shampoo aus den Haaren, als der Wasserstrahl, unter dem ich stand, kalt wurde. „Dämlicher Boiler“, grummelte ich vor mich hin, während ich den Plastikduschvorhang zur Seite riss und hinaus in den Dampf gefüllten Raum trat. Ich sehnte mich danach, in mein eigenes Haus zurückzukehren, da das Rohrsystem meiner Schwester Violet dringend überholt werden sollte. Sogar in der dichten Feuchtigkeit breitete sich auf meinem gesamten Körper Gänsehaut aus, während ich mich schnell abtrocknete und in meinen abgetragenen, dennoch wunderbar bequemen Flanellbademantel kuschelte. Als ich mich nach vorne beugte und meine nassen Haare mit einem knallpinken Handtuch abtrocknete, hörte ich etwas. Was war das für ein Geräusch? War das die Eingangstür, die geöffnet wurde? Ich erstarrte mit dem Kopf nach unten, starrte zwischen den Säumen des Bademantels auf meine Knie hinab, während sich das Handtuch mit meinen langen Haaren verhedderte. Da ich Klempnerin war, keine Polizistin, fehlte es mir an dem nötigen Training, um meine Panik in Zaum zu halten. Innerhalb eines Herzschlags stieg diese heiße, durch Adrenalin erzeugte Angst in mir auf. Ich hätte schwören können, dass sich sogar die kleinen feuchten Haare in meinem Nacken aufgestellt hatten. Hilfe. Ich musste Hilfe holen, aber mein Handy lag in meiner Handtasche, die ich neben der Eingangstür, ein Zimmer entfernt von mir, hatte fallen lassen. Und Violet hatte kein Festnetztelefon. Ich erhob mich, warf meine dunklen Haare über meine Schulter, hielt die Luft an und lauschte. Klappern und leises Murmeln war alles, was ich hören konnte. Wer war in Violets Haus? Derjenige hatte mit Sicherheit einen Schlüssel, da ich nicht gehört hatte, dass ein Fenster zerbrochen worden war, aber die einzige andere Person, die einen Schlüssel haben sollte, war Violet und sie war in Utah. Auf Zehenspitzen lief ich zur Tür, biss auf meine Lippe und verzog angestrengt das Gesicht, als ich den Türknauf drehte und hoffte, er würde nicht quietschen. Langsam öffnete ich mit angehaltenem Atem die Tür. Als ich in das Schlafzimmer spähte, sah ich nichts Außergewöhnliches. Ein kaum gemachtes Bett, schmutzige Kleider, die achtlos in den Wäschekorb geworfen worden waren. Etwas Schweres trampelte über den Boden in der Nähe der Eingangstür und ich sah in diese Richtung, als hätte ich einen Röntgenblick und könnte durch die Wand die Person im Wohnzimmer sehen. Ich quetschte mich durch die kleine Lücke, die ich zwischen Badtür und Türrahmen geschaffen hatte, da ich Angst hatte, dass mich die alten Scharniere verraten würden, wenn ich sie weiter öffnete. Ich atmete so ruhig wie möglich, was im Panikmodus ziemlich schwierig war, bückte mich und schnappte mir das Erste, das ich in die Finger bekam, um es als Waffe zu nutzen. Was ich in der Hand hielt, bemerkte ich gar nicht. Ich wusste, es war stabiles Holz gleich einem Baseballschläger und das Beste, was ich zum Schutz finden würde. Violets Haus war klein, hatte nur ein Stockwerk und einen gruseligen Keller, den ich selten aufsuchte. Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer und Bad. Das war’s. Das bedeutete auch, dass ich mich nirgends verstecken konnte. Dafür, dass er einfach in fremdes Eigentum einbrach, benahm sich der Kerl nicht gerade wie Mr. Unauffällig. Es war mitten am Nachmittag. Er war durch die Eingangstür hereingekommen und schrecklich laut für jemanden, der an einem Ort eindrang, wo er nicht sein sollte. Auch wenn er der schlechteste Einbrecher aller Zeiten war, bedeutete das nicht, dass er nicht gefährlich war. Meine Handflächen waren schweißnass, als ich um den Türpfosten ins Wohnzimmer spähte. Sein Rücken war mir zugewandt und er wirkte, als würde er auf etwas vor sich hinabsehen, wahrscheinlich sein Handy. Es hatte den Anschein, als würde er eine Nachricht schreiben oder lesen. Groß, um die eins achtzig, vielleicht ein wenig größer, und kompakt. Er trug Jeans und dunkle Lederschuhe. Seine schwarze Jacke war leichter als man es hier mitten im Winter in Montana, das die Eiseskälte in festem Griff hatte, erwarten würde. Eine graue Strickmütze verdeckte den Großteil seiner dunklen Haare. Ich erkannte ihn nicht, aber war auch nicht in der Stimmung darauf zu warten, dass er sich umdrehte und mich sah. Ich beschloss, das Überraschungsmoment auszunutzen. Ich schlich auf Zehenspitzen zu ihm und ließ meine hölzerne Waffe auf ihn niedersausen. Fest. Rumms! Ich hatte auf seinen Kopf gezielt, aber Nervosität und meine rutschigen Hände hatten das versaut und stattdessen traf ich seine Schulter. Der Schlag vibrierte bis in meine Fingerspitzen und brachte sie zum Kribbeln. „Was zum Henker?“, sagte Mr. Einbrecher mit tiefer, überraschter Stimme und das Handy fiel auf den Boden vor seinen Füßen. Er hob eine Hand zu seinem Oberarm. Als er anfing, sich zu mir zu drehen, schlug ich ihn wieder, diesmal auf seinen Hinterkopf. Krach! Das war nicht das Geräusch seines Schädels, der zerbrach, sondern das meiner Waffe. Das Holz zerbrach in zwei Hälften, ein Stück landete klappernd auf dem Boden. Der Einbrecher grunzte, fiel mit einem Plumps auf seine Knie und dann mit dem gesamten Körper auf den Blümchenteppich vor dem Kamin, das Gesicht mir zugewandt. Ich stand reglos da, verblüfft, die Hälfte meiner zerbrochenen Waffe noch in den Händen. Ha, das Softballtraining hatte sich doch bezahlt gemacht. Anscheinend hatte ich einen Home Run geschlagen. Ich sah hinab auf die zusammengesunkene Gestalt am Boden. Ein Bein bewegte sich leicht, was, zusammen mit dem Stöhnen, darauf hinwies, dass ich ihn nicht umgebracht hatte. Obwohl er seine Augen geschlossen hatte, erkannte ich ihn sofort. „Oh, Scheiße“, flüsterte ich, während ich mich neben ihn kniete. Der dicke Wollteppich kratzte an meinem Knie. Warum hatte ich nicht gewusst, wer er war, bevor ich ihn bewusstlos geschlagen hatte? Ich hätte erleichtert sein sollen, dass kein axtschwingender Verrückter versuchte mich zu töten, aber dafür war ich zu überrascht. Das war Jack Reid. Der Kerl, in den ich in der Highschool verliebt gewesen war und den ich seit über zehn Jahren nicht gesehen hatte. Zehn Jahre, in denen ich oft über ihn fantasiert hatte, darüber, was hätte sein können. Ich hatte oft von dem Moment geträumt, in dem er in mein Leben zurückkehren würde, aber das war definitiv keine meiner Traumvorstellungen. Sicher, als er in meinem Abschlussjahr mit Violet anstatt mit mir ausgegangen war, hatte ich ihn deswegen langsam und schmerzhaft töten wollen, aber ich hatte mir eher vorgestellt, ihn zu erwürgen oder mit bloßen Fäusten auf ihn einzuschlagen. Jetzt, da ich ihn möglicherweise getötet hatte, ihn zumindest bewusstlos geschlagen hatte mit – ich hob meine zerbrochene Waffe hoch – dem Paddle aus der Schachtel Sexspielzeuge für die Sexspielzeugparty, die ich heute Abend veranstalten würde – wurde mir bewusst, dass die Wut und Bitterkeit über seine Abweisung vor all diesen Jahren nicht verschwunden war. Wie konnte er es wagen, wieder in mein Leben zu platzen, unangekündigt, wenn ich doch kein bisschen bereit für ihn war! Ich wollte geschminkt sein, ein umwerfendes Kleid und Fick-mich-Schuhe tragen, meine Haare frisiert haben, am Arm eines heißen Kerls, der in mich verliebt war, gehen, wenn mich Jack wiedersah. Damit er erkannte, was ihm entgangen war. Dann würde ich ihn unter dem Absatz meines Stilettos zerquetschen, bevor mein Liebhaber meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge richtete. Aber ein abgewetzter Bademantel und verknotete, nasse Haare? Ein Sexspielzeug-Paddle? Rache und etwas Genugtuung wären nett, aber eine Verurteilung wegen eines tätlichen Angriffs? Ojemine. Nachdem ich das Paddle auf den Boden fallen gelassen hatte, beugte ich mich über Jack und stupste sanft gegen seinen Hinterkopf. Keine Gehirnmasse trat aus, kein Blut quoll unter seiner Mütze hervor. Allerdings war dort eine riesige gänseeigroße Beule. Ich verzog das Gesicht, weil ich mir die Kopfschmerzen – und vielleicht Gehirnerschütterung – vorstellte, die er wahrscheinlich hatte. Mann, er roch gut. Nach Wald, sauberem Mann vermischt mit dem fruchtigen Duft des Shampoos in meinen Haaren, die wirr um mein Gesicht hingen. Sein Duft war auf unaufdringliche Art und Weise sexy. „Jack, Jack wach auf“, sagte ich und rüttelte sacht an seiner Schulter. „Jack!“ Er musste aufwachen, denn ich könnte einfach nicht damit leben, in der Stadt als die Frau bekannt zu sein, die Jack Reid mit einem Paddle getötet hatte. Nach einem weiteren Stöhnen und einigem Ächzen rollte er sich auf den Rücken, blinzelte ein paarmal und starrte mich an. Zuerst wie blind, dann fokussiert. Junge, sogar fast bewusstlos sah er umwerfend aus. Die zehn Jahre hatten dem Mann viel Gutes getan. Sein Gesicht war kantiger, sein Kiefer markanter. Vielleicht half auch der leichte Bartschatten dabei. Er hatte eine fabelhafte Bräune. Die Art Bräune, die man bekommt, wenn man in Florida lebt. Seine Lippen, von denen ich mit sechzehn geträumt hatte, wie ich sie küsste, sahen immer noch verlockend aus. Seine dunklen Haare, die unter der Mütze hervorlugten, hatten kleine Locken. Seine blauen Augen sahen, selbst in diesem verschwommenen Zustand, genauso aus wie in meiner Erinnerung. Eine Sehnsucht, die ich vergessen hatte, erwachte wieder zum Leben. Er starrte mich einfach nur an, musterte mich, als wäre ich ein Alien. Eine langsame eingehende Betrachtung von Kopf bis Fuß. Ich konnte nicht erkennen, ob er nur verwirrt war oder er schlimmere Schäden davongetragen hatte. „Jack, sag etwas.“ Er blinzelte. Grinste, aber zuckte gleich darauf zusammen. „Ähm.“ Oh Gott, hatte ich eine Amnesie bei ihm verursacht? Er räusperte sich. „Hübscher Busen.“ Ich sah an mir selbst hinab. Eine entblößte Brust hing definitiv heraus, sodass Jack sie sehen konnte, mein Nippel war hart. Ich riss an der Seite meines Bademantels, die offenstand, und meine Hand hielt die Flügel am Hals zusammen. „Behandelst du so all deine Freunde?“ Seine blauen Augen waren klarer geworden und nicht mehr ganz so vernebelt wie noch vor einer Minute. „Ein Kuss zur Begrüßung wäre wahrscheinlich besser. Aber vielleicht ist das einfach nicht deine Art.“ Sein Blick fiel wieder auf meine Brust. Mein Mund klappte auf, während die Wut in mir hochkochte. „Du bist nicht mein Freund. Du hast diese Chance vor zehn Jahren vertan“, sagte ich bitter. Jack grinste anzüglich. Das Lächeln, mit dem er mich bedachte, konnte als nichts anderes beschrieben werden. „Begrüßt du jeden, der zur Tür reinkommt, mit deinem nackten Busen oder nur mich?“ Er hob eine Hand und rieb sich den Hinterkopf, zuckte zusammen. Ich spürte, dass meine Wangen bei dem Gedanken an mein episches Kleiderversagen heiß brannten. Es war absolut und hochgradig peinlich und dazu kam noch, dass er sich diesbezüglich wie ein richtiger Arsch verhielt. „Nur diejenigen, denen ich vorher den Schädel einschlage.“
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