Kapitel 1-2

1973 Words
Er war das komplette Gegenteil von dem Bild, zu dem ich mich normalerweise hingezogen fühlte und das auf den attraktiven Kerlen in Filmen fußte, nicht auf echten. Wenn der aktuelle James Bond zufällig auf der anderen Seite des Raumes stehen würde, würde ich die anderen Damen auf jeden Fall aus dem Weg schupsen, um zu ihm zu gelangen. Aber das dort drüben war nicht James Bond. Eher sein Bruder, der auf der Schattenseite des Lebens geboren worden war, sich der Armee angeschlossen hatte, dann einer Motorradgang, und anschließend das Ganze mit einem Jurastudium in Harvard ausgebügelt hatte. Er schien sich mit seinen Tattoos, aber auch der Krawatte wohlzufühlen. „Nun?“ Bob/Bill veränderte seine Position so weit, dass er meine Sicht auf den Kerl versperrte und ich schaute ihn finster an. Er hielt mich davon ab, den heißen Typ anzustarren. Was hatte er mich nochmal gefragt? Ach ja, richtig, Job. „Ja, nein.“ So ein chauvinistischer Idiot. „Das machen freiwillige Helferinnen und die sind entweder fünfzehn Jahre alt oder achtzig. Also etwas völlig anderes.“ Freiwillige Helferin, das ich nicht lache! Als ich leicht zur Seite rutschte, um wieder einen Blick auf den mysteriösen Mann zu erhaschen, war er fort. Natürlich war er fort, während ich hier bei Mr. Vollposten mit seinem Austernatem ausharren musste. Er hatte mittlerweile sicherlich seine Freundin oder Frau gefunden, hatte eine Hand in ihr Kreuz gelegt, sie zur Begrüßung geküsst. Gott, ich verschwendete meine Zeit. Warum unterhielt ich mich weiter mit einem Kerl, der widerliche frauenverachtende Annahmen über meinen Beruf anstellte? Ich hatte mir für meinen Abschluss den Arsch aufgerissen. Ich hätte mir schon vor fünf Minuten eine Ausrede einfallen lassen und fliehen sollen. Eine Hand, die meinen Rücken hinabglitt und sich auf meine Taille legte, setzte mein Gehirn wieder in Gang. „Also, bereit zu meiner Wohnung zu gehen?“ Er trank einen Schluck von seinem Bier und beobachtete mich über den Rand seines Glases. Unterdessen spürte ich durch mein Kleid, dass seine Finger meine Seite drückten. Mein Mund klappte auf, während ich einen Schritt zurück machte, wodurch seine Hand wegrutschte. Vielleicht war ich doch besser darin Männer abzuschleppen als ich gedacht hatte. Ich musste lediglich „ja“ sagen und könnte mit Bob/Bill nach Hause gehen. Ich brauchte jedoch dringend mehr Übung, wenn dieser Mann das war, was meine Fähigkeiten an Land zogen. „Meinst du das ernst?“ Ich musste lachen und schaute ihn leicht verlegen an, wenn auch nicht lang. „Natürlich meine ich das ernst.“ Sein Blick glitt über meinen Körper, während er mir ein weiteres Mal auf die Pelle rückte. Ich brauchte eine Dusche. „Wir haben eine Verbindung.“ Verbindung? Ja, genau. „Ich mag Austern nicht einmal“, wand ich ein. „Das ist nicht die Verbindung, von der ich spreche.“ Igitt. „Okay. Ähm…hör zu – “ „Sorry, dass ich zu spät bin, Baby. Dieser Laden ist so überfüllt. Paul hat mir den Weg zu dir gewiesen.“ Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, ehe mir klar wurde, dass die Stimme mit mir sprach. Wegen der überraschenden Berührung machte ich einen Satz, aber sie fühlte sich nicht so gruselig und eklig an wie es Bob/Bills Hand getan hatte. Sie fühlte sich wie…Elektrizität an, wie sie vor einem Gewitter in der Luft hing. Ein Blick nach hinten zeigte mir, dass es sich um Mr. Bonds Bruder – das würde ihn ebenfalls zu Mr. Bond machen, oder? – handelte, der mich anlächelte. Mich! Seine braunen Augen waren nicht nur dunkel, sie waren fast schwarz und sie waren direkt, ganz und gar, allein auf mich gerichtet. Sie sanken kurz von meinen Augen zu meinem Mund. Ich erstarrte völlig überrascht und gaffte den Mann an. Genauso wie Bob/Bill. „Weißt du, Paul wusste genau, wo du bist.“ Er deutete in die Richtung meines Freundes auf der anderen Seite des Raumes. Ich folgte der Richtung seines Arms und schaute zu Paul. Er zeigte mir einen nach oben gereckten Daumen, womit er seine Zustimmung dafür ausdrückte, dass dieser Mann hier auftauchte und so tat als…als was? Würde er mich kennen? Wusste Paul wirklich, dass sein Cousin ein Widerling war und rettete mich? Sie waren miteinander verwandt, also wusste er natürlich, dass sein Cousin ein Vollpfosten war. „Danke, dass Sie meinem Mädel Gesellschaft geleistet haben, weil ich spät dran war.“ Er schüttelte Bob/Bills Hand freundschaftlich. Seine Stimme war tief, rau wie Schotter und der Tonfall drückte eindeutig aus, verschwinde verdammt nochmal von meiner Frau. Bob/Bill sah aus, als hätte er Verdauungsstörungen, vielleicht von den Austern, die er in einem R-Monat gegessen hatte, oder weil seine Pläne für einen One-Night-Stand durchkreuzt worden waren. Mein Mädel. Oh mein Gott. „Kein Problem“, murmelte Bob/Bill. Dann machte er einen Schritt zurück in sichereres Gebiet und räusperte sich, wobei er Mr. Bond mit den Augen maß. Er bemerkte die zusätzlichen Zentimeter, um die er überragt wurde, die dreißig zusätzlichen Pfund und eine Riesenmenge knallharter Taffheit, die er niemals haben würde. Er würde sich auf keinen Fall mit diesem Kerl anlegen. Wenn Bob/Bill die Auster im Ozean war, dann war Mr. Bond der Hai. Barrakuda? Gerissen, tückisch und lautlos tödlich. Aus der Nähe war er sogar noch…umwerfender. Männlich. Potent. Und ich war sein Mädel, zumindest für den Moment. Heilige Scheiße, er war heiß. Dunkle Stoppeln ließen sein Kiefer markant wirken und seine Hand in meinem Rücken war warm, selbst durch die Baumwolle meines Kleides. Die Schmetterlinge von vorhin waren nun wütende Bienen in meinem Bauch und er konnte bestimmt sehen, dass mir das Herz praktisch aus der Brust sprang. Anders als Bob/Bills sank sein Blick nicht tiefer als bis zu meinem Kinn. Er huschte allerdings nochmal kurz zu meinem Mund und meine Lippen öffneten sich leicht, während ich versuchte, nach Luft zu schnappen. „Worüber habt ihr beiden geredet, als ich euch unterbrach?“ Er wandte seine Augen von mir und zu Bob/Bill, der leicht blass um die Nase wurde, eindeutig verängstigt, es zu sagen. Die Partnerin dieses Mannes anzubaggern, war definitiv nicht gut für seine Gesundheit. „Oh, ähm…“ Bob/Bill griff nach seinem Krawattenknoten und zerrte daran, da sie ihm anscheinend ganz plötzlich viel zu eng war. „Austern“, antwortete ich, da ich gewillt war, Pauls Cousin einen möglichen langsamen und gnadenlosen Tod zu ersparen. Er war ziemlich schmierig, aber recht harmlos, vor allem mit Mr. Bond neben mir. Bei Mr. Bond fühlte ich mich irgendwie beschützt, geborgen und sicher vor Bob/Bills weniger ehrenhaften Absichten. Er gab mir das Gefühl…weiblich zu sein im Vergleich zu seiner mega-maskulinen Präsenz. Das hätte daran liegen können, dass ich nur bis zu seiner Schulter reichte oder sein Bizeps den Umfang meines Halses hatte. Ich wagte noch einen kurzen Blick durch den Raum zu Paul. Er zwinkerte mir zu, dann wurde er wieder in ein Gespräch verwickelt. Er hatte diesen Kerl hergeschickt, damit er mich vor Bob/Bill rettete. „Austern? Das ist faszinierend.“ Nach Mr. Bonds Tonfall zu urteilen, war es alles andere als das. „Sie sehen nicht gerade gut aus.“ Er deutete mit dem Kinn auf Bob/Bill, dem jetzt zusätzlich zu seiner käsigen Gesichtsfarbe auch noch Schweißtropfen auf der Stirn standen. „Bereit?“, fragte er mich, wobei seine Augen prüfend über mein Gesicht schweiften. Ohne meine Antwort abzuwarten, ergriff er meine Hand und entließ Bob/Bill mehr oder weniger. „Schätze, du hättest die Regel befolgen und auf die Austern verzichten sollen.“ Oder darauf verzichten sollen, mich anzumachen und meinen Job schlecht zu reden. Ich setzte ein unechtes Lächeln auf und ließ mich von Mr. Bond wegführen. Jeder schien uns, ihn, anzuschauen, denn er hatte ein Auftreten und Verhalten, das geradezu schrie: Geh mir verdammt nochmal aus dem Weg. Ich stellte mein Glas auf einen leeren Tisch, an dem wir vorbeiliefen. Mr. Bond ließ meine Hand los – er hatte einen Drink in seiner anderen – um die Tür zur Terrasse aufzudrücken und sie mir aufzuhalten. Die Terrasse führte um drei Seiten des Gebäudes, allerdings gab es nur auf der Seite, die zum Wasser schaute, Fenster. Die Luft war warm und schwül, ein ziemlicher Kontrast zu dem klimatisierten Inneren. Es war jedoch nicht der heiße Tag, der dafür sorgte, dass ich überhitzt war. Das hatte einen ganz anderen Grund. Als sich die Tür hinter uns schloss, wurden der Lärm des Restaurants und Bar gedämpft. Die Sonne ging gerade unter, der Himmel war trüb und dunstig von der Hitze, dennoch in eine wunderschöne Mischung aus Pink und Orange getaucht. Die Lichter der Hafengebäude gingen nach und nach an, wodurch das Wasser sogar noch mehr glitzerte. Pärchen und kleine Gruppen unterhielten sich an der Brüstung und an den kleinen Tischgruppen. Deshalb deutete er mit der Hand, in der er den Drink hielt, um die Ecke. Dort war es ruhig und ich setzte mich in einen von zwei Stühlen, die den Hafen überblickten. Kleine Boote schnitten durchs Wasser und in der Ferne saßen Touristen mit Rettungswesten in einfachen Tretbooten, die wie Schwäne geformt waren. Da Christy verliebt war, wollte sie, dass alle um sie herum, das Gleiche erlebten, aber Männer wie Bob/Bill weckten nicht gerade den Wunsch in mir, meinen f*******: Status auf in einer Beziehung zu verändern. Nichtsdestotrotz hatten sie und Paul versucht, mich aus meinem Schneckenhaus zu locken, jetzt da Chris fort auf dem College war, aber diesen Kerl dafür zu nutzen – heiliger Bimbam. Mein Leben hatte sich so lange nur darum gedreht, Chris groß zu ziehen, dass ich gar nicht mehr wusste, wie ich nur ich sein konnte, die Frau, nicht die Mom. Und jetzt, waren da nur ich und dieser unverschämt gut aussehende Kerl und ich wusste nicht, was ich tun sollte! Es war eine Sache, sich mit Bob/Bill zu unterhalten, aber ich war nervös und sprachlos und überwältigt von diesem Mann. „Hättest du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze?“ Seine Stimme war tief, entspannt und ruhig, geduldig. Mein Herz machte diese ganze in-die-Kehle-springen Sache, als ich zu ihm hochsah. Nur wenige Schritte entfernt von mir stehend, wirkte er leicht gefährlich. Seine Nase war gebrochen worden. Ich hatte recht damit gehabt. Er hatte auch eine Narbe, die seine linke Augenbraue spaltete, das Weiß bildete einen starken Kontrast zu den dunklen Haaren. Er lächelte und wartete. „Oh, ähm. Sicher doch.“ Er ergriff die Stuhllehne und beugte sich zu mir, um zu fragen: „Du scheinst dir nicht so sicher zu sein.“ „Ich…ich habe mich nur gefragt warum“, antwortete ich verlegen. Meine Unsicherheit zeigte sich. Auch wenn ich mich meiner Selbst recht sicher fühlte, so fühlte ich mich doch recht unscheinbar, wenn es um Männer wie ihn ging und im Vergleich zu der großen Auswahl jüngerer und sexyer Frauen an der Bar. Da ich nun vor dem Austern-Mann in Sicherheit war, konnte Mr. Bond zur Bar zurückkehren. Er hatte seine Heldentat für den Abend vollbracht. Ich könnte den Ratschlag meiner Oma beherzigen und mir einen netten Mann in der Kirche suchen, aber das war auch nicht unbedingt der richtige Ansatz für mich. Er runzelte die Stirn, wodurch sich dort eine kleine Falte abzeichnete. „Warum?“ „Warum willst du hier bei mir bleiben?“ Ich deutete in die Richtung der Bar. „Ich werde Paul sagen, dass du mich gerettet hast. Du bist vom Haken.“ Daraufhin setzte er sich hin und beugte sich nach vorne, sodass seine Unterarme auf seinen Schenkeln ruhten. Die sehnigen Muskeln seiner Unterarme konnte ich nur schwer ignorieren und ich fragte mich, wie der Rest des Tattoos aussah, das unter seinem Hemd verborgen war. Seine geballte Aufmerksamkeit war ein weiteres Mal allein auf mich gerichtet. „Vielleicht will ich gar nicht vom Haken sein.“ Oh. Ich konnte den Blick nicht abwenden, konnte nichts tun, außer mir bewusst machen, dass er bei mir sitzen wollte und ich fühlte, dass sich etwas in mir regte. Etwas Gutes. „Oh.“ Er schaute hinab auf seine Hand. „Ich hab dir einen neuen Drink mitgebracht.“ Er hielt ein Highball-Glas in der Hand, das mit einer eisigen Flüssigkeit und zwei Limettenscheiben gefüllt war, die oben auf schwammen. Kondensationstropfen perlten an den Seiten nach unten. „Danke, aber ich trank – “ „Wasser“, unterbrach er, beendete den Satz für mich und stellte das Glas auf den niedrigen Tisch vor uns. Seine dunklen Augen musterten mich wieder aufmerksam, ruhig. Es war, als könne er alle anderen Gäste des Restaurants aussperren, sowie den Lärm des Geschirrs, das aufeinandergestapelt wurde, sogar die leise Musik, und mir jedes bisschen seiner Aufmerksamkeit schenken.
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