Kapitel eins-1

2015 Words
Kapitel eins Sedona Meine Augen öffnen sich. Sie sind sandig und wund. Ich würde sie reiben, wenn ich nicht in Wolfsform wäre. Wo bin ich? Ich versuche, mich zu bewegen, und treffe auf Metallstäbe. Oh Schicksal. Ich bin in einem Käfig – einem verdammten Käfig. Es kommt alles zurück zu mir. Ich war bei meinem Morgenlauf am Strand in San Carlos. Frühlingssemesterferien in Mexiko. Ich witterte den Geruch eines männlichen Wandlers und ich hielt an, drehte mich in einem langsamen Bogen, um zu identifizieren, woher er kam. Ein Mann hebt seine Hand winkend. Er kommt rüber, lässig wie es nur geht, aber die Haare in meinem Nacken stellen sich auf. Ich weiß, er wird ein Problem sein. Ich glaube auch, dass ich eine gute Chance habe, mit ihm fertig zu werden. Ich bin die Tochter eines Alphas. Ich bin einundzwanzig Jahre alt – jung. Fit. Bereit. Der Typ geht mit einem freundlichen Lächeln auf mich zu. Er sagt etwas auf Spanisch. Ich fange an, ihm zu sagen: „No hablo–“, als mir mit etwas von hinten in den Nacken gestochen wird. Ich wandle mich, aus Angst und Notwendigkeit. Meine Wölfin will mich beschützen. Mein Tanktop und meine Jogginghose reißen, als ich die Form wandle, aber meine Beine halten mich nicht. Ich bin auf meiner Seite im Sand, mein weißes Fell zu heiß in der Sonne. Über mir stehen fünf Männer im Kreis und blicken nach unten. Von dort an wird es unscharf. Ich erinnere mich, dass ich in den Käfig gelegt wurde und der Käfig in den Gepäckraum eines kommerziellen Flugzeugs gebracht wurde. Als wäre ich ein verdammter Hund oder sowas. Jemandes verdammtes Haustier. Scheiße. Mein Kopf schmerzt und ich habe einen fusseligen Mund. Viele schlimmer als jeder Kater, den ich in den letzten drei Jahren auf der Uni je hatte. Nicht, dass ich ein Partygirl oder sowas bin. Nun, ab und an mag ich es zu feiern, aber wer nicht? Ich drehe mich im engen Käfig um, aber es ist unmöglich, sich wohlzufühlen. Ein tiefes Knurren grollt in meiner Kehle und meine Wölfin schnappt, als wäre sie bereit, jemanden anzuspringen, obwohl es keinen Ausweg aus diesem verdammten Käfig gibt. Ich weiß es, weil ich mich jetzt daran erinnere, bei früheren Gelegenheiten aufgewacht zu sein und es versucht zu haben. Maria Jesus. Wie lange verliere ich schon das Bewusstsein? Zwölf Stunden? Vierundzwanzig? Es sieht aus, als wäre ich in einem großen Lagerhaus. Es gibt andere Käfige, die ein riesiges Metallregal mit Regalen auskleiden – wie Produkte in der Metro oder die beim Großhandel gelagert werden. Die meisten sind leer. Ein dünner schwarzer Wolf mit gelben Augen blinzelt mich an, von wo aus er in einem von ihnen auf seiner Seite liegt. Zigarrenrauch wabert durch die Luft und der Klang von Männerstimmen, die Spanisch sprechen, kommt von hinter einer Tür durch. Ich erinnere mich, wie ich in meinem Käfig von der holprigen Fahrt hier her oder vielleicht nur von den Drogen gekotzt habe. Jemand hat mich danach gewaschen und leise auf Spanisch gesprochen, als wollte er mich beruhigen. Ich entblößte ihm meine Zähne und versuchte, ihm die Hand abzubeißen, aber er stieß mir noch eine Nadel in den Hals und ich fiel zurück in den tiefen Schlaf. Die Tür schwingt auf und lässt einen Lichtschacht vom Flur hereinfallen. Die männlichen Stimmen nähern sich, bis sich eine Gruppe von Männern um meinen Käfig versammelt. Dieselben Arschlöcher, die mich am Strand entführt haben. Wenn ich schlau wäre, würde ich mich wandeln und ein paar Informationen aus ihnen kriegen. Wer sie sind, was sie von mir wollen. Aber meine Wölfin will nicht reden. Ich springe auf meine Füße, schlage mit meinem Rücken und dem Kopf gegen die oberen Gitter, das Gefängnis zu klein, um mich stehend zu beherbergen. Meine Lippen ziehen sich zurück, um meine Zähne zu zeigen, und das Knurren, das tief in meinem Hals beginnt, ist tödlich. „Que belleza, no?“, fragt einer der Männer. Sie sind Wölfe, nach ihrem Duft zu urteilen. Alle von ihnen. Und wie sie mich anstarren, jagt einen eiskalten Schauer von Angst durch mich. Ich schnappe meinen Kiefer durch die Stäbe und fletsche meine Zähne. Die Männer nehmen meinen Käfig und bringen mich zu einem strahlend weißen Transporter. Die Männer öffnen die Hintertüren des Wagens und heben mich hinein. Ich werfe mich gegen die Gitter des Käfigs, belle und knurre. Einer der Männer kichert. „Tranquila, ángel, tranquila.“ Er schwingt die Türen mit einem entscheidenden Klick zu und lässt mich noch einmal allein. ~.~ Ich hüpfe im Dunkeln im Käfig herum. Der Transport scheint hochzufahren, über holprigen und immer holpriger werdenden Boden – es muss ein Feldweg sein. Ich verwandle mich zurück in menschliche Form, um zu denken, nackt zwischen den Metallstäben kauernd. Mein Kopf klärt sich langsam vom Beruhigungsmittel, obwohl mein Magen immer noch rumpelt, als wäre ich grade doppelt Achterbahn kopfüber gefahren. Ich brauche einen Plan. Eine Strategie, um hier verdammt nochmal rauszukommen. Ich ertaste das Vorhängeschloss an der Außenseite des Käfigs. Es ist solide. Ich bräuchte Drahtschneider oder ein Werkzeug zum Schlösserknacken, um freizukommen, aber ich habe nichts. Mein älterer Bruder Garrett hatte mir beigebracht, wie man Schlösser knackt. Ich habe ihn als Teenager beobachtet, wie er jedes Schloss auseinandernahm, das unser Vater benutzte, um ihn je nach Situation drinnen oder draußen zu behalten. Aber ich habe keine Haarnadel, keine Handtasche. Nicht einmal ein Kleidungsstück. Wo bringen sie mich hin? Mein Magen ist in Knoten verheddert. Wenn dies eine zufällige Entführung wäre, würde ich sagen, dass sie Lösegeld von meiner Familie verlangen würden. Aber ich bin die Tochter eines Alphas. Jemand könnte ein Hühnchen mit meinem Vater rupfen wollen, in welchem Fall … ich von einem fremden Rudel massenvergewaltigt werde. In ihre Sexsklavin verwandelt werde. Schicksal, ich hoffe, sie stehen nicht auf Folter. Mein Wolf jammert, als der Duft meiner eigenen Angst meine Nase verstopft. Denk nach, Sedona, denk nach! Sie sind Wölfe. Sie haben mich von einem Touristenstrand in San Carlos entführt. Ich bin jung und weiblich. Sie werden mich wahrscheinlich nicht töten. Weibliche Wandlerinnen sind seltener als männliche. Ich bin ein Bedarfsartikel. Vielleicht versteigern sie mich? Scheiße. Das ist schlecht. So schlecht. Garrett mochte es nicht, dass ich mit Menschen nach San Carlos reiste. Wie ein Depp habe ich seine Sorge abgewinkt. Dachte, er wäre übervorsichtig. Ich bin ein Wandlerin. Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Wie sich herausstellt, eine krasse Menge. Ich kann fast meinen Vater sagen hören: Ich habe es dir doch gesagt. Wenn ich hier lebend rauskomme, stimme ich ihm gerne zu. Der Transporter hält rumpelnd an. Meine Wölfin kämpft, um mich zu beschützen, aber ich zwinge sie zurück. Meine einzige Chance ist, so zu tun, als ob ich kooperiere, und dann ihre verdammten Augen mit meinen Daumen ausstechen und wegrennen. Fügsam zu spielen ist besser, als nackt und verängstigt zu sein wie in dieser dummen Reality-Serie. Ich rolle mich zur Seite, ziehe meine Knie hoch und bedecke meine Brüste mit meinen Unterarmen. Da. Hilflos wie ein Baby-Häschen. Die Transportertür öffnet sich. „Bitte“, raspele ich. „Ich bin so durstig.“ Einer der Männer murmelt etwas auf Spanisch. Oh ja. Dieses Spiel wird schwieriger sein, weil ich nicht die Sprache sprechen kann. Verdammt nochmal, warum habe ich nicht Spanisch in der Oberstufe genommen? Ach ja, ich wollte in jedem Kunstkurs sein. Und ich hatte keine Ahnung, dass ich eines Tages mit meinen mexikanischen Entführern sprechen müsste. „Lasst mich aus diesem Käfig“, flehe ich und bete, dass jemand Englisch spricht. Sie ignorieren mich. Zwei Männer nehmen meinen Käfig an den Griffen auf jeder Seite und führen ihn aus dem Transporter. Sie tun ihn auch nicht runter. Sie gehen einen von Bäumen gesäumten Weg hinauf, der Käfig rempelt und schwingt zwischen ihnen. Jenseits der gepflegten Rasenflächen und hohen Mauern des Gebäudes gibt es nur dichten Wald. Meine Entführer bringen mich zu einer Festung auf einem Berg. Mein Puls galoppiert in die Höhe. „Bitte“, flehe ich. „Ich brauche Wasser. Und Essen. Lasst mich raus.“ „Cállate“, zischt einer von ihnen. Selbst ich kenne dieses Wort. Ich bin schließlich aus Arizona. Halt die Klappe. Okay, also sind sie eher weniger mitfühlend. Zwei ältere Männer – auch Wandler, beurteilend nach ihrem Geruch – in italienischen Anzügen und Schuhen, die wie Spiegel glänzen, tauchen hinter einem riesigen Fallgitter aus Stahl und geschnitztem Holz hervor. Drogendealer. Das ist mein erster Gedanke, basierend auf der Art, wie sie angezogen sind, obwohl … wenn es ein Wandler-Drogenkartell gäbe, hätte ich davon gehört. Oder nicht? Aber wer sonst trägt Tausend-Euro-Anzüge auf einem bewaldeten Berg? Die betuchten Männer sprechen mit meinen Wärtern in tiefen Tönen und führen sie rein. Ich versuche mein nacktes und verängstigtes Spiel wieder. „Bitte helfen Sie mir, Señor. Ich bin so durstig.“ Einer der älteren Männer dreht sich um und schaut mich direkt an und ich weiß, dass er mich versteht. Er sagt etwas in scharfen Tönen zu meinen Wärtern, die zurückmurmeln. Ja, das hat mich nicht sehr weit gebracht. Aber sie müssen diesen Käfig irgendwann öffnen. Und wenn sie es tun, werde ich Nasen zerbrechen, mich verwandeln und verdammt nochmal hier abhauen. Keine nette Wölfin mehr. Mein Magen taumelt, während der Käfig schaukelt. Ich muss die Metallsprossen umgreifen, um nicht mit der Bewegung zu rutschen. Die Männer folgen einem Pfad entlang der Innenseite der total polierten Lehmwände. Eine riesige Villa oder ein Herrenhaus aus glänzendem weißem Marmor erhebt sich auf der anderen Seite majestätisch. Es hat eine jenseitige Qualität, als wären wir in einer ganz anderen Ära. Oder Realität. Wir kommen an einer modernen Sicherheitstür an und einer der älteren Männer zieht eine Schlüsselkarte hervor. Er öffnet die Tür und führt meine Entführer eine Treppe hinunter. Es liegt eine feuchte Kühle in der Luft. Meine Nase rümpft sich von dem muffigen Geruch. Ich blinzle, als sich meine Augen an die trübe Beleuchtung gewöhnen. Oh mein Gott. Ich bin in einem Verlies. Ich schwöre auf mein Grab, es gibt Eisentüren mit Guckloch-Fenstern den ganzen Flur entlang. Einer der alten Männer bellt etwas auf Spanisch und sie halten an und stellen den Käfig ab, um darauf zu warten, dass er eine Zellentür aufschließt. Sobald ich sehe, was drinnen ist, wandle ich mich, mein Knurren hallt von den Steinmauern. Das Zimmer enthält nichts als ein Bett mit eisernen Fesseln an den vier Pfosten, bereit, eine Gefangene zu halten. Und jetzt weiß ich, warum sie mich hierhergebracht haben. Ich werfe mich gegen die Käfigwände. Irgendjemand wird meine Reißzähne zu spüren bekommen. Ein scharfes Piksen sticht mir in den Nacken und meine Beine geben wieder unter mir nach. Mein Knurren hallt in meinen Ohren, als meine Sicht sich verblasst und wieder schwarz wird. ~.~ Carlos Die Rückseite meines Halses kribbelt, als Don José mich die Marmorstufen des Palastes hinunterführt. „Wohin gehen wir?“ Meine Schuhe klicken auf dem Stein und hallen an den Wänden des schwach beleuchteten Durchgangs zurück, der täglich geschrubbt und poliert wird. Der Leiter des El Consejo, des Ältestenrats, neigt seinen Kopf. „Wir müssen dir etwas zeigen.“ Er geht weiter und erwartet, dass ich ihm folge, als wäre ich immer noch ein ahnungsloser Welpe. Ein tiefes Knurren steigt in meinem Hals hoch. Don José blickt zurück und ich schlucke die Antwort meines Wolfs zurück. „Beruhige deinen Wolf, Alpha. Das hier wirst du sehen wollen.“ Die leichte Achtung in seinen Worten berührt seinen arroganten Ton nicht. Ich zermalme meine Zähne, bis er eine Kurve geht, um in die Verliese zu gehen – den Aufbewahrungsbereich für feindliche Wölfe und Aufständische. „Genug“, fauche ich. Das Misstrauen meines Wolfs ist zu groß, um es zu ignorieren. „Was ist es, dass du mir zeigst?“ Don José zögert. „Ich bin kein Welpe mehr“, sage ich leise. „Ich bin dein Alpha.“ Für einen Moment trifft der Blick des alten Wolfs auf meinen. Er senkt ihn eine Sekunde später, bevor es zu einer echten Herausforderung wird. „Du weißt, dass unsere Geburtenrate in den letzten Jahren gesunken ist.“
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