Kapitel 1
Corey
Es gibt drei Arten von Spielern, die an meinem Roulettetisch so richtig etwas springen lassen.
Da wäre der kopflastige Typ. Er ist ruhig, seine Körpersprache ist gedeckt. Mit hochgezogenen Schultern sitzt er da und meidet den Blickkontakt. Er setzt auf Wahrscheinlichkeiten, normalerweise hat er ein System, an das er sich gewissenhaft hält. Zum Beispiel setzt er immer auf Rot und sobald er verliert, verdoppelt er den Einsatz.
Dann gibt es den leichtfertigen Spieler. Er wird von Emotionen, Drogen oder Alkohol gesteuert. Das Gegenteil vom ersten Spielertyp. Keine Strategie, völlig chaotisch. Zum Beispiel könnte er die Frau neben ihm nach ihrer Lieblingszahl fragen und darauf wetten.
Dann wäre da noch der intuitive Spieler, mein persönlicher Favorit. Er verfügt über einen Elan, der oft den ganzen Tisch vereinnahmt. Dieser Typ hat Magie. Fortuna, Mojo, günstige Sterne im Himmel – keine Ahnung, was es ist, aber er hat eine Eingebung und folgt ihr. Diese Spieler hören auf ihr Gefühl, sie folgen ihrer Intuition und wetten zum richtigen Zeitpunkt.
Oft ähneln sie den leichtfertigen Spielern, denn sie sind extrovertiert, sozial. Sie reden mit den Leuten um sich herum, einschließlich mir, ihrem Croupier.
Der Wal an meinem Tisch – so nennt man in Vegas die großen Fische mit lockerem Portemonnaie – ist weder leichtsinnig noch intuitiv, obwohl er vom Temperament und Stil her beiden ähnelt. Mit seinem maßgeschneiderten Anzug und europäischen Flair ist er einfach nur umwerfend, als ob er den Seiten eines italienischen Herrenmagazins entstiegen ist. Er flirtet schamlos mit mir und schwatzt mit den Leuten am Tisch.
Ich schaufele die Chips zusammen und stapele sie aufeinander, dann teile ich mit geübter Finesse die Gewinne aus; mein flinkes Händchen schiebt die Stapel blitzschnell zu ihren neuen Besitzern rüber.
„Sieh an, genauso schön wie talentiert.“
Es ist schmalzig, aber ich werfe ihm ein Lächeln zu. Ich habe ihn gerne an meinem Tisch, ich liebe seinen Charme und seine Ausstrahlung, die großzügigen Trinkgelder, und doch sagt mir mein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Irgendetwas an ihm ist merkwürdig.
Er ist Zweitausend im Minus. Im allerletzten Moment schiebt er seine Chips auf den Tisch, gerade als ich mein Zeichen gebe und keine Einsätze mehr annehme. Er stellt sie auch noch schlampig auf. Ich weiß nicht, ob er sie im Feld für 3rd 12 oder Odds haben will.
„Welches, Sir?“ Ich beuge mich vorwärts und mache ihn auf mich aufmerksam, während das Rad sich dreht.
Er hat einige Gläser intus, scheint aber nicht betrunken zu sein. Sein Blick fällt auf mein Dekolleté – welches ich trotz meiner maskulinen Uniform hervorzuheben weiß –, dann zurück auf mein Gesicht, bis er mir ein langsames, gutmütiges Grinsen schenkt. „Odds bitte. Entschuldigung.“
„Keine Schlampereien“, warne ich und schiebe die Chips rüber, als die Kugel zum Stehen kommt.
Er gewinnt. Er schiebt mir zwei Hundert-Dollar-Chips als Trinkgeld rüber. Als ich seine Chips wieder reinhole, bemerke ich, dass er einen Zehn-Dollar-Chip unter die Hunderter gemischt hat. Ich blicke auf und sehe, dass er mich beobachtet. Er zwinkert.
Arschloch.
Ich mache der Security ein unauffälliges Zeichen, damit sie rüberkommen.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Kunde mich anmacht, damit ich ihm beim Betrügen helfe. Es passiert immer wieder. Ich kann schwer nachvollziehen, dass er mir zweihundert Dollar zusteckt, um selber nur neunzig Dollar Gewinn einzustreichen. Aber ich vermute, dass es ein Test war. Sollte er erstmal herausfinden, dass ich es ihm durchgehen lasse, würde er es immer wieder versuchen.
Vincent, der Security-Chef heute Abend, kommt vorbeigeschlendert und stellt sich neben mich. Er senkt den Kopf und hört mir zu.
„Dieser Typ spielt unsauber und er steckt kleine Chips in seinen Stapel.“
Später würde mir klarwerden, dass Vincent etwas zu erfreut darüber war, aber in diesem Moment fällt es mir nicht auf. Ich ignoriere mein Bauchgefühl, als er um den Tisch herumgeht und den Typen rauseskortiert. Ich spüre keine Reue. Ich habe richtig gehandelt, das steht fest. Ich bin nur etwas enttäuscht, denn der Typ war attraktiv und irgendwie hat er mich fasziniert, und einen Moment lang habe ich mir vorgestellt, dass er mich auf ein Date einladen könnte.
Egal. Ich werde nicht meinen Job riskieren, nicht einmal für einen sexy Kerl in einem maßgeschneiderten Anzug. Im Bellissimo zu arbeiten ist wie Job, Ausbildung und Sozialisierung in einem einzigen, glamourösen Paket. Es gehört dem berüchtigten Nico Tacone, vom Tacone-Mafiaclan in Chicago, und er regiert den Ort mit eiserner Faust. Ich würde ihm auf keinen Fall ans Bein pissen. Selbst, wenn er in meine Cousine verliebt ist.
Ich beende meine Schicht und gehe zu den Umkleiden. Als ich den Flur Richtung Sicherheitsbüro durchquere, bleibe ich abrupt stehen.
Vincent steht da und quatscht mit niemand anderem als dem sexy Anzug von meinem Roulettetisch vorhin.
„Corey.“ Er grinst und winkt mich näher. „Komm, ich möchte dir jemanden vorstellen.“
Heilige Scheiße. Er war ein Mystery Shopper. Oder wie auch immer man einen Sicherheitstest nennt. Keine Ahnung, warum es mich aufregt, aber das tut es. Mein Magen verknotet sich, als ich zu ihnen rübergehe.
„Corey, das ist Stefano Tacone, unser neuer Security-Chef.“
Ich hebe die Hand, um Stefano eine Ohrfeige zu verpassen. Keine Ahnung, warum ich es tue. Klar doch, ich habe das Temperament einer Rothaarigen und ich bin in einer gewalttätigen Familie aufgewachsen. Dennoch müsste ich es besser wissen.
Er fängt mein Handgelenk ab und zieht mich direkt zu sich heran. „Das würde ich nicht tun.“ Seine Warnung gleicht einem langsamen, rauchigen Grollen. Als ob er dabei ist, mir direkt auf dem Flur schmutziges Zeug ins Ohr zu flüstern.
Mein Körper springt sofort darauf an, meine Muschi wird butterweich. Meine verdammten Wangen müssen sich auch aufheizen. Und bei einer Rothaarigen springt das natürlich ins Auge.
„Niemand ohrfeigt einen Tacone, ohne es hinterher zu bereuen.“ Es ist eine Drohung, dennoch spricht er sie wohlwollend aus, und zwar mit demselben herzerwärmenden Charme, mit dem er mich dazu bringen wollte, für ihn zu bescheißen.
Mist. Habe ich eben echt gegen einen Gangsterboss die Hand erhoben? Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken runter.
Meinen Job bin ich definitiv los.
Außer, dass Stefano gar nicht böse zu sein scheint. Im Gegenteil, er sieht aus, als wolle er mich zum Mittagessen vernaschen.
Das Beste wäre wohl, wenn ich meinen Fehler eingestehe. „Verzeihung.“