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ROSE
Der Himmel war kohlrabenschwarz, da es in Clayton genauso dunkel war wie auf der Ranch. Nur Laternen, die vor ein paar Häusern leuchteten, erhellten den Weg. Ich hatte mein Pferd am Mietstall zurückgelassen und war auf dem Weg zum Gästehaus. Die Nacht war warm, weshalb ich keinen Schal oder Mantel brauchte und nur eine kleine Tasche bei mir trug. Ich würde die nächste Postkutsche nehmen, die die Stadt verließ, wobei es mir egal war, ob sie nach Osten oder Westen fuhr. Clayton war nicht groß, aber der Mietstall lag auf der anderen Seite der Stadt wie das Haus, in dem ich die Nacht verbringen würde, wodurch ich gezwungen war, die Entfernung allein zu laufen. Das war nicht die beste Entscheidung, wenn man bedachte, dass alle möglichen Männer durch die Stadt reisten, aber es gab keine Alternative. In den Bergen gab es zahlreiche Minen und in Clayton war der nächste Saloon. Das bedeutete Whiskey und Frauen. Einem dieser Männer begegnete ich unglücklicherweise auf meinem Weg.
Ich lief schnell mit meiner kleinen Tasche über die Schulter geschwungen, aber der Mann erwischte mich unvorbereitet, da er zwischen zwei Gebäuden hervor und in meinen Weg trat. Ich hatte über Chance und unsere Abschiedsworte nachgedacht. Ich hatte keine Pistole oder ein Messer oder irgendeine andere Waffe, um mich zu beschützen, als ich mit einem Umpf direkt gegen ihn lief. Im Dunkeln konnte ich sein Gesicht nicht ausmachen, aber der beißende Körpergeruch von Schweiß und Whiskey strömte aus seinen Poren. Seine Hände agierten schnell und packten mich an den Armen.
„Nun schau mal einer an, was ich da gefangen habe! Eine Bordsteinschwalbe.“
„Ich bitte um Verzeihung! Aber ich sehe nicht aus wie eine Bordsteinschwalbe“, erwiderte ich beleidigt. Auch wenn ich nicht gerade damenhaft war, verdiente ich diesen Vergleich nicht. Ich kämpfte gegen seinen Griff an. Ein Energiestoß brachte mein Herz zum Rasen. „Lassen Sie mich los!“, rief ich.
„Oh, nein. Du gehörst jetzt mir.“ Er drehte mich grob herum, sodass einer seiner Arme wie ein Schraubstock um meine Taille lag und mir das Atmen erschwerte. Sein Griff war so stark, dass er mich hochheben konnte und nur noch meine Zehenspitzen den Boden berührten. Die andere Hand legte sich über meinen Mund, schmutzige Finger hielten mich vom Schreien ab. Ich wusste das, weil ich es versucht hatte, was ihn nur noch gröber mit mir umgehen ließ. Ich wurde in eine Gasse gezerrt, dann hinter ein Gebäude. Die Hand wich für einen Moment von meinem Mund, um eine Tür zu öffnen, nur um gleich wieder zurückzukehren und einen weiteren Schrei zu ersticken. Mit einem Fuß kickte er die Tür hinter sich zu, was die billigen Fenster zum Klappern brachte. Ich konnte ein blechernes Klavier spielen hören und der Geruch nach Whiskey – nicht nur von meinem Entführer – und dicker Zigarrenrauch hingen schwer in der Luft.
Ein Mann, der in einem tiefen Waschbecken Geschirr spülte, drehte seinen Kopf und erstarrte mit einem Teller in der Hand. Ich machte gegen die Hand auf meinem Mund Geräusche, meine Augen waren weit aufgerissen und flehten ihn an, mir zu helfen, aber er drehte sich einfach wieder um und widmete sich seiner Aufgabe. Eine schmale Holztreppe führte nach oben und der Mann drehte sich zur Seite, sodass wir beide auf die Treppe passten, während er sie erklomm und mich dabei gegen die raue Wand stieß.
Oben angelangt, gab er mich frei, meine Füße berührten den Boden und Luft gelangte in meine Lungen. Ich konnte am Ende des Flurs eine zweite Treppe sehen, die Musik war hier lauter. Eine Frau – die höchstwahrscheinlich eine Bordsteinschwalbe war – stand spärlich bekleidet da und unterhielt sich mit einem Mann, der über ihre forsche Aufmerksamkeit ziemlich erfreut zu sein schien. Weiter unten im Flur waren zwei Männer, die sich über eine Brüstung beugten, wahrscheinlich, um auf den Saloon im Erdgeschoss hinabzuschauen. Ich hatte keinerlei Zweifel an meinem Aufenthaltsort. Das Etablissement hatte am Ende der Straße gelegen, an der mich der Mann gepackt hatte und aufgrund des Mannes, der Frau und des Alkohols war es leicht zu diesem Schluss zu kommen.
„Du kannst schreien, aber keiner wird dir helfen.“ Der Mann beugte sich nach unten, um direkt in mein Ohr zu sprechen. Sein Atem war heiß und stinkend. „Sie werden denken, dass du spielst, dass du es grob magst. Ich mag das. Ich mag es, wenn eine Frau kämpft.“
Ein bitterer Geschmack füllte meinen Mund bei seinen grässlichen Worten. Mein einziger Gedanke war, den Mann davon abzuhalten, mich in eines der vielen Zimmer, die den Flur säumten, zu ziehen. Von Miss Trudy und Miss Esthers Geschichten wusste ich, was in den Räumen über einem Saloon geschah und das war nichts für mich. Schreien und Wegrennen würde mir nicht die Hilfe beschaffen, die ich wollte, da mich jemand einfach zu dem Mann zurückschleifen oder sich selbst entsprechende Freiheiten herausnehmen könnte. Ich musste mich verteidigen!
Ich erinnerte mich daran, was uns Miss Esther über das Abwehren eines übereifrigen Verehrers beigebracht hatte. Dieser Mann war mit Sicherheit kein Verehrer, aber er war mehr als übereifrig. Ich hob mein Knie und trat ihm mit all meiner Kraft auf den Fuß. Er trug schwere Lederstiefel, die den Tritt dämpften, aber es überraschte ihn genug, dass er seinen Griff lockerte. Ich rammte meinen Ellbogen nach hinten, direkt in seine Weichteile.
Ein ersticktes, hohes Stöhnen drang zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor.
Seine Hände legten sich über seine Verletzung und ich zögerte nicht. Ich stürzte den Flur hinab in die Richtung der vorderen Treppe.
„Ich werde dich kriegen, Miststück.“
Bei seiner gezischten Warnung drehte ich den Kopf, um zu dem niederträchtigen Mann zu schauen, was mich davon abhielt, den Mann zu sehen, der in meinen Weg trat. Ich rannte mit meiner Schulter und meinem Kopf gegen ihn. Wieder umfassten mich kräftige Arme.
„Nein. Lass mich los!“ Ich kämpfte mit einem Energiestoß, der in meiner Angst begründet lag, gegen ihn an.
„Rose. Hör auf.“ Die Stimme klang vertraut, aber das war es nicht, was mich innehalten ließ. Es war sein Duft, den ich erkannte. Chance.
Ich beruhigte mich sofort und sah zu meinem Freund, meinem Retter hoch. Ich entdeckte weder die Freundlichkeit noch die Wärme, die ich normalerweise in seinem Gesicht sah. Stattdessen waren seine Augen zu Schlitzen verzogen, sein Kiefer fest zusammengepresst und ein Muskel zuckte an seiner Wange. Er war jetzt mehr Krieger als Cowboy. „Hat er dir wehgetan?“
Sein dunkler Blick wanderte über mein Gesicht, dann meinen Körper, während er mich von sich drückte. Er ließ mich nicht los, sondern behielt meine Schultern in einem festen Griff. Dieses Mal störte mich weder, dass die Hände eines Mannes auf mir lagen, noch sein eindringliches Starren. Bis auf den merkwürdigen Daumen-Vorfall früher am Tag war das das einzige Mal, das er mich berührt hatte. Seine Hände waren ziemlich groß und sehr warm. Das feste Gewicht seines Griffs war tröstlich anstatt einengend.
Mein Angreifer hatte sich einigermaßen erholt und machte sich vornüber gekrümmt auf den Weg zu uns. „Sie gehört zu mir.“ Die Wut, die seine Worte begleitete, machte seinen Tonfall noch furchteinflößender als zuvor. Ich wusste, wäre er jetzt mit mir allein, wäre eine Vergewaltigung noch die kleinste meiner Sorgen. Ein Mantel bösartiger Gefahr umhüllte ihn, der mich einen Schritt zurück und gegen Chances festen Körper treten ließ.
„Ich glaube, die Frau ist da anderer Meinung“, entgegnete Chance.
Ich nickte heftig mit dem Kopf, sodass mir die Haare ins Gesicht fielen. Ich strich sie hinter mein Ohr.
Der andere Mann wischte sich mit den Fingern über den Mund, während er mich anstarrte. „Das ist egal. Sie war draußen auf der Straße und hat ihre…Vorzüge herumgezeigt.“ Sein Blick senkte sich und ich erschauderte, da ich wusste, er dachte unflätige Dinge über mich.
„Das habe ich nicht getan“, protestierte ich mit empörter Stimme.
„Wenn sie getan hat, was Sie behaupten, dann kann ich Ihnen versichern, dass sie für ihr Verhalten bestraft werden wird. Meine…Frau ist nicht ganz richtig im Kopf.“
Ich drehte mich, um zu Chance hochzuschauen. Der Mann verschob seine Aufmerksamkeit ebenfalls.
„Frau?“, sagten wir gleichzeitig.
Was für eine Art von Lüge spann Chance da? Ich war mit Sicherheit nicht seine Frau.
„Ich denke, wir können uns drauf einigen, dass dieser kleine Vorfall nie passiert ist. Ich kann es genauso wenig gebrauchen, dass sich Gerüchte über meine Frau herumsprechen, wie Sie, dass die Leute erfahren, dass Sie eine Dame entführt haben. Aber wenn ich Ihr Gesicht auch nur noch einmal wiedersehe, werde ich Sie zum Sheriff schleifen, nachdem ich Sie windelweich geprügelt habe.“ Chances Worte enthielten eine unleugbare Schärfe und der andere Mann bemerkte das. Er trat einen Schritt zurück, da ihm bewusstwurde, dass sich seine Pläne für den Abend sehr schnell geändert hatten.
„Wenn sie so verrückt ist, wie Sie sagen, dann sollten Sie ein wachsameres Auge auf sie haben, Mister.“ Er deutete auf mich, während er sich zurückzog. „Sie könnte jemandem begegnen, der weniger angebrachte Aufmerksamkeiten im Sinn hat.“
Die Ironie hinter den Worten des Mannes entging Chance nicht. Er schob mich hinter sich und trat mit geballten Fäusten auf meinen Angreifer zu. Der Mann wusste, dass es an der Zeit war, den Rückzug anzutreten und ich beobachtete um Chances breiten Oberkörper schielend, wie er den Weg hinabfloh, den wir gekommen waren. Seine Schritte trampelten laut über die hintere Treppe.
Nur der Klang der Klaviermusik und Stimmen drangen nun vom Saloon zu uns hoch. Der Flur war jetzt verlassen. Mein Herz dröhnte laut in meinen Ohren, mein Atem ging schnell.
Chance wandte sich mir zu, die Hände in die Hüften gestemmt. Ich war nicht nur dankbar, dass er mich gerettet hatte. Ich war sogar begeistert. Aber ich schämte mich auch, dass er mich in einer so kompromittierenden, schwachen Position vorgefunden hatte. Auf der Ranch war ich in der Lage gewesen, mich um mich selbst zu kümmern, aber nur wenige Minuten allein in der Stadt und schon brauchte ich einen Retter.
Ich war auch wütend und die Wut verbarg die Scham sehr gut. „Warum hast du das über mich gesagt?“
Seine Augen verzogen sich zu Schlitzen. „Der einzige Grund, aus dem die Rose Lenox, die ich kenne, etwas so absolut Dummes tun würde, ist, dass sie nicht ganz richtig im Kopf ist.“
Mein langjähriger Freund war verschwunden. An seine Stelle war ein Mann getreten, den ich nicht erkannte – eindringlich, dreist und sehr, sehr männlich. Ich hatte Chance immer als Mann betrachtet, aber nicht als ein Mann. Das war anders. Er war anders. Obwohl sein Zorn direkt und allein auf mich gerichtet war, konnte ich nicht anders, als diese neue Version von Chance Goodman zu bewundern.
„Ich denke, dass mit dir etwas nicht stimmt. Du hast dem Mann erzählt, ich wäre deine Frau!“
Seine Augenbrauen schossen in die Höhe und er grinste, zeigte mir ein Aufblitzen seiner geraden weißen Zähne und sein gefährliches Grübchen. „Das habe ich.“ Als ich ihn weiterhin einfach nur finster anstarrte, fuhr er fort: „Er hätte dich mir nicht einfach überlassen, vor allem nicht, da du ihn praktisch entmannt hast. Ich musste dich für mich beanspruchen.“
„Du musstest so etwas nicht tun. Mich einfach aus dem Gebäude zu schleifen wäre ausreichend gewesen.“
„Mach dir keine Sorgen, ich habe immer noch vor, das zu tun“, schwor er. „Lass uns gehen.“
Er ergriff meinen Arm und führte mich die Treppe hinab, durch den Saloon und hinaus in die dunkle Nacht. Ich lief mit gesenktem Kopf und blieb dicht an Chances Seite, da ich kein Interesse daran hatte, auch nur noch einen Augenblick länger im Saloon zu verweilen. Die Luft war kühl und frisch und ich war erleichtert, dass er mich gerettet hatte. Ich wusste, wie knapp ich einer grässlichen Situation entkommen war und ich würde mich bei dem Mann noch ausreichend bedanken, aber momentan war ich nach wie vor stinksauer über seine Taktik. Ich war weder seine Frau noch im Entferntesten verrückt.
Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich erst bemerkte, dass wir angehalten hatten, als Chance an die Tür eines kleinen Hauses klopfte. Ich sah mich um und erkannte, dass wir nur von der Hauptstraße abgebogen waren und neben dem Gefängnis standen. Nach einem Moment öffnete sich die Tür.
„Guten Abend, Sheriff“, begrüßte Chance den Mann und nahm seinen Hut ab.
Sheriff! „Du lässt mich verhaften? Du bist derjenige, der nicht ganz richtig im Kopf ist, Chance Goodman!“ Ich trat Kopf schüttelnd von ihm weg.
Der Sheriff trat aus der Tür, das sanfte gelbe Licht, das aus seinem kleinen Haus fiel, beleuchtete uns drei.
„Ich sollte dich zu deinem eigenen Schutz ins Gefängnis werfen, aber nein. Kein Gefängnis für dich“, erwiderte Chance.
„Miss.“ Der Sheriff nickte mit dem Kopf in meine Richtung und sah dann zu Chance. „Goodman, es ist zu lange her. Was kann ich für dich tun?“
„Ich brauche deine Dienste“, antwortete Chance. Er würde mich verhaften lassen. Die Unverschämtheit dieses Mannes! „Als Friedensrichter.“
Ich erstarrte bei seinen Worten. Friedensr…
Der Sheriff grinste.
Ich runzelte die Stirn. „Du willst mich wirklich heiraten?“ Ich deutete auf Chance. „Das war doch nur eine Ausrede, um der vertrackten Situation zu entkommen.“
„Vertrackten Situation?“ Er schüttelte den Kopf, dachte einen Moment nach. „Du befandst dich im zweiten Stock des Saloons, Rose, mit einem Mann, der Pläne für dich hatte, die alles andere als einvernehmlich gewesen wären.“ Chance schüttelte langsam den Kopf, seine Augen lagen auf mir. „Oh, nein. Du brauchst einen Wächter und wie ich dem Mistkerl erzählt habe, wirst du bestraft werden. Ich habe kein Recht dich zu bestrafen, Rose, solange du nicht meine Frau bist.“
„Du wirst mich schlagen?“, konterte ich. „Sheriff, haben Sie das gehört? Er wird mich schlagen.“
Die Hände des älteren Mannes hoben sich in einer Geste der Abwehr, aber er schwieg.
„Ich werde dich nicht schlagen“, entgegnete Chance mit einem schwachen Seufzen und fuhr sich mit der Hand durch seine zerzausten Haare. „Ich beschütze, was mir gehört. Du gehörst zu mir, Rose. Das hast du schon immer. Ich werde dich sogar vor dir selbst beschützen.“
Mein Mund klappte auf. Du gehörst zu mir, Rose. Das hast du schon immer. Diese Worte wirbelten durch mein Gehirn, machten mich schwindlig.
„Lass uns das über die Bühne bringen, Sheriff.“