KAPITEL FÜNF

1682 Words
KAPITEL FÜNF Während sie Jilly, April und Gabriela nach Hause fuhr, konnte Riley sich nicht dazu bringen, ihnen zu sagen, dass sie gleich wieder losmusste. Sie würde Jillys erstes großes Ereignis verpassen, eine führende Rolle in einem Theaterstück. Würden die Mädchen verstehen können, dass sie unter Befehl stand? Selbst als sie das Haus erreichten konnte Riley es ihnen nicht sagen. Sie war so beschämt. Heute hatte sie eine Auszeichnung für Ausdauer bekommen und in der Vergangenheit für Mut und Tapferkeit. Und natürlich waren ihre Töchter im Publikum gewesen. Aber sie fühlte sich gerade nicht wie eine Heldin. Die Mädchen vergnügten sich im Garten und Riley ging zu ihrem Schlafzimmer, um ihre Sachen zu packen. Es war eine vertraute Routine. Der Trick war, eine Tasche zu packen, die alles Notwendige enthielt, um für ein paar Tage oder sogar einen Monat zu reichen. Während sie alles auf ihrem Bett ausbreitete, hörte sie Gabrielas Stimme. "Señora Riley – was machen Sie?" Riley drehte sich um und sah Gabriela in der Tür stehen. Die Haushälterin hielt einen Stapel frischgewaschene Laken, die sie in den Flurschrank räumen wollte. Riley stammelte, "Gabriela, Ich – Ich muss gehen." Gabriela blieb der Mund offen stehen. "Gehen? Wohin?" "Mir wurde ein neuer Fall zugeteilt. In Kalifornien." "Können Sie nicht morgen fliegen?", fragte Gabriela. Riley schluckte hart. "Gabriela, das FBI Flugzeug wartet bereits. Ich muss gehen." Gabriela schüttelte den Kopf. Sie sagte, "Es ist gut, das Böse zu bekämpfen, Señora Riley. Aber manchmal denke ich, dass Sie aus den Augen verlieren, was das Gute ist." Gabriela verschwand in den Flur. Riley seufzte. Seit wann bezahlte Riley Gabriela, um ihr Gewissen zu spielen? Aber sie konnte sich nicht beschweren. Es war ein Job, den Gabriela mit Bravour ausführte. Riley starrte auf ihre halb gepackte Tasche. Sie schüttelte den Kopf und flüsterte vor sich hin: "Ich kann das Jilly nicht antun. Ich kann einfach nicht." Ihr ganzes Leben hatte sie ihre Kinder für ihre Arbeit geopfert. Jedes Mal. Nicht ein Mal hatte sie ihre Kinder an die erste Stelle gestellt. Und das, wurde ihr klar, war das, was an ihrem Leben nicht stimmte. Das war ein Teil ihrer Dunkelheit. Sie war mutig genug, um sich Serienmördern entgegenzustellen. Aber war sie mutig genug, um ihre Arbeit an zweite Stelle zu stellen und ihre Kinder in ihrem Leben zur Priorität zu machen? In diesem Moment machten Bill und Lucy sich bereit, nach Kalifornien zu fliegen. Sie erwarteten sie auf dem Flugplatz in Quantico. Riley seufzte. Es gab nur einen Weg, um dieses Problem zu lösen – falls sie es denn lösen konnte. Sie musste es versuchen. Sie nahm ihr Telefon heraus und wählte Merdiths private Nummer. Bei dem Klang von seiner rauen Stimme, sagte sie, "Sir, hier ist Agentin Paige." "Worum geht es?", fragte Meredith. Sie hörte leichte Besorgnis in seiner Stimme. Riley verstand, warum. Sie nutzte diese Nummer nur in ausgesprochenen Notsituationen. Sie nahm ihren Mut zusammen und kam direkt auf den Punkt. "Sir, ich möchte meinen Flug nach Kalifornien verschieben. Nur für heute Abend. Agenten Jeffreys und Vargas können schon vor fliegen." Nach einer Pause fragte Meredith, "Was ist der Notfall?" Riley schluckte. Meredith würde es ihr nicht einfach machen. Aber sie war entschlossen, nicht zu lügen. Mit zittriger Stimme stammelte sie, "Meine Tochter, Jilly –– sie ist heute in einem Theaterstück. Sie – Sie hat eine der Hauptrollen." Die Stille, die folgte, war ohrenbetäubend. Hat er gerade aufgelegt? fragte Riley sich. Dann sagte Meredith mit einem Knurren, "Könnten Sie das wiederholen? Ich bin nicht sicher, dass ich Sie richtig verstanden habe." Riley unterdrückte ein Seufzen. Sie war sich sicher, dass er sie sehr genau verstanden hatte. "Sir, dieses Stück ist wichtig für sie", sagte sie, mit jeder vergehenden Sekunde nervöser. "Jilly – nun, Sie wissen, dass ich versuche, sie zu adoptieren. Sie hatte ein hartes Leben und sie hat eine sehr schwere Zeit hinter sich und ihre Gefühle sind sehr verletzlich und …" Rileys Stimme verlor sich. "Und was?", fragte Meredith. Riley schluckte. "Ich kann sie nicht enttäuschen, Sir. Nicht diesmal. Nicht heute." Eine weitere grimmige Stille folgte. Riley sammelte ihren Mut zusammen, entschlossen nicht aufzugeben. "Sir, es wird keinen Unterschied in dem Fall machen", sagte sie. "Agenten Jeffreys und Vargas fliegen vor und Sie wissen, wie fähig die beiden sind. Sie können mich auf den neuesten Stand bringen, sobald ich da bin." "Und wann wäre das?", fragte Meredith. "Morgen früh. Sehr früh. Ich mache mich auf den Weg zum Flughafen, sobald das Stück vorbei ist. Ich nehme den ersten Flug, den ich bekommen kann." Nach einer kurzen Pause fügte Riley hinzu, "Auf meine eigenen Kosten." Sie hörte ein leises Grunzen von Meredith. "Und ob sie das werden, Agentin Paige", sagte er. Riley keuchte leise. Er gibt mir seine Erlaubnis! Ihr wurde plötzlich klar, dass sie während der ganzen Unterhaltung den Atem angehalten hatte. Es bedurfte all ihrer Kraft, nicht in unkontrollierte Dankesreden auszubrechen. Sie wusste, dass Meredith das nicht gefallen würde. Und das Letzte, was sie wollte, war seine Meinung zu ändern. Also sagte sie einfach, "Danke." Sie hörte ein weiteres Grunzen. Dann sagte Meredith, "Sagen Sie ihrer Tochter Hals- und Beinbruch." Er beendete den Anruf. Riley atmete erleichtert auf und bemerkte dann, dass Gabriela lächelnd in der Tür stand. Sie hatte offensichtlich zugehört. "Ich denke, Sie werden erwachsen, Señora Riley", sagte Gabriela. * Mit April und Gabriela im Publikum sitzend, genoss Riley das Theaterstück außerordentlich. Sie hatte vergessen, wie amüsant eine solche Veranstaltung sein konnte. Die Kinder der Mittelschule trugen alle selbstgemachte Kostüme. Sie hatten auch die Bühnenbilder gemalt, um sie wie Szenen aus der Geschichte von Demeter und Persephone aussehen zu lassen – Blumenfelder, ein Vulkan, die dunklen Höhlen der Unterwelt und andere mythologische Orte. Und Jilly machte ihre Sache wirklich gut! Sie spielte Persephone, die junge Tochter der Göttin Demeter. Riley kannte die Geschichte. Persephone pflückte eines Tages Blumen, als Hades, der Gott der Unterwelt, in seinem Streitwagen vorbeikam und sie entführte. Er nahm sie mit in die Unterwelt, um sie zu seiner Königin zu machen. Als Demeter bemerkte, was ihrer Tochter geschehen war, schrie sie vor Trauer und Schmerz auf. Riley spürte Schauer ihren Rücken herunterlaufen, als das Mädchen, das Demeter spielte, ihre Trauer zum Ausdruck brachte. Die Geschichte berührte Riley mehr, als sie erwartet hatte. Persephones Geschichte schien Ähnlichkeit mit Jillys zu haben. Schließlich war es die Geschichte eines Mädchens, das einen Teil ihrer Kindheit an Kräfte verlor, die größer waren, als sie selbst. Riley spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie kannte auch den Rest der Geschichte. Persephone erlangte ihre Freiheit zurück, aber nur für jeweils ein halbes Jahr. Wenn Persephone nicht auf der Erde war, ließ Demeter die Erde erkalten und sterben. Wenn sie zurückkam, dann erweckte sie die Erde wieder zum Leben und der Frühling kam. Und so waren die Jahreszeiten entstanden. Riley drückte Aprils Hand und flüsterte, "Hier kommt der traurige Teil." Riley war überrascht April kichern zu hören. "Nicht so traurig", flüsterte April zurück. "Jilly hat die Geschichte ein wenig geändert. Schau einfach zu." Riley konzentrierte sich wieder auf die Bühne. Im Charakter der Persephone zerschlug Jilly eine griechische Urne auf Hades' Kopf – ein angemaltes Kissen. Dann stürmte sie aus der Unterwelt und zurück zu ihrer überglücklichen Mutter. Der Junge, der Hades spielte, hatte einen Wutausbruch und brachte so den Winter in die Welt. Er und Demeter lieferten sich dann ein Tauziehen, änderten die Jahreszeiten von Winter zu Frühling und zurück, und so weiter, für den Rest der Zeit. Riley war begeistert. Als das Stück endete, ging Riley hinter die Bühne, um Jilly zu gratulieren. Auf ihrem Weg, traf sie auf die Lehrerin, die das Stück geleitet hatte. "Ich finde es fantastisch, was Sie mit der Geschichte gemacht haben!", sagte Riley zu der Lehrerin. "Es war so erfrischend zu sehen, wie Persephone von einem hilflosen Opfer zu einer starken Heldin wird." Die Lehrerin lächelte breit. "Danken Sie nicht mir", sagte sie. "Es war Jillys Idee." Riley eilte zu Jilly und nahm sie in die Arme. "Ich bin so stolz auf dich!", sagte Riley. "Danke, Mom", sagte Jilly mit einem glücklichen Lächeln. Mom. Das Wort echote durch Riley. Es bedeutete ihr mehr, als sie sagen konnte. * Später am Abend, als sie alle wieder zu Hause waren, musste Riley den Mädchen schließlich sagen, dass sie einen neuen Fall hatte. Sie streckte ihren Kopf durch Jillys Tür. Jilly schlief schon, erschöpft von ihrem großen Erfolg. Riley liebte den Ausdruck von Zufriedenheit auf ihrem Gesicht. Dann ging Riley zu Aprils Zimmer und sah hinein. April saß auf ihrem Bett und las ein Buch. April sah auf. "Hey, Mom", sagte sie. "Was gibt's?" Riley trat leise in den Raum. Sie sagte, "Das klingt vielleicht seltsam, aber … ich muss jetzt los. Ich habe einen neuen Fall, in Kalifornien." April lächelte. Sie sagte, "Jilly und ich haben uns das schon gedacht, als du das Meeting in Quantico hattest. Und dann haben wir deine Tasche auf dem Bett gesehen. Wir dachten schon, du würdest vor dem Theaterstück gehen. Normalerweise packst du nicht, wenn du nicht danach sofort aus der Tür bist." Sie sah Riley an, ihr Lächeln wurde breiter. "Aber dann bist du geblieben", fügte sie hinzu. "Ich weiß, dass du deinen Flug verschoben hast, zumindest für das Stück. Weißt du, wie viel uns das bedeutet hat?" Riley spürte Tränen aufsteigen. Sie ging zu April und umarmte sie. "Also ist es okay, wenn ich gehe?", fragte Riley. "Natürlich ist das okay. Jilly hat mir gesagt, sie hofft, dass du ein paar Verbrecher schnappst. Sie ist wirklich stolz auf das, was du tust, Mom. Das bin ich auch." Riley war sprachlos vor Bewegung. Beide ihre Töchter wurden so schnell erwachsen. Und sie wuchsen zu fantastischen jungen Frauen heran. Sie küsste April auf die Stirn. "Ich liebe dich, mein Schatz", sagte sie. "Ich liebe dich auch", sagte April. Riley wackelte mit dem Finger vor Aprils Gesicht. "Warum bist du überhaupt noch auf?", fragte sie. "Licht aus und schlafen gehen. Morgen ist wieder Schule." April kicherte und machte das Licht aus. Riley ging in ihr Schlafzimmer, um ihre Tasche zu holen. Es war nach Mitternacht und sie musste rechtzeitig nach DC kommen für ihren Flug. Es würde eine lange Nacht werden.
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