Prolog

1327 Words
Dieses Buch widme ich allen dort draußen, die wie ich fest daran glauben, dass die Menschheit noch immer nicht ganz verloren ist, auch wenn es in der heutigen Zeit manchmal den Anschein erwecken mag und meinem Freund, der immer an mich glaubt und für mich da ist ♡ ▪ ~ ▪ ☆ ▪ ~ ▪ ,,Glaubst du, dass wir bald alle sterben werden? Glaubst du, dass es wahr ist, was sie sagen?", hauchte die Frau leise, die im fahlen Licht einer Straßenlaterne stand und nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Ihre Stimme zitterte leicht, überschlug sich dabei mehrmals und versagte schließlich ganz. Schweißperlen rannen ihr die hohe Stirn hinunter, obwohl ein kalter Windhauch ihre lockigen, kastanienbraunen Haare aus dem Gesicht fegte und so den Blick auf etwas blasse, aber ebenmäßige Gesichtszüge freigab. ,,Ich glaube es nicht. Ich weiß, dass es so ist. Aber sieh es doch einmal so. Früher oder später wird jeder von uns sterben müssen. Das ist nunmal der Lauf des Lebens. Also mach dir nichts draus. Ich komme auch irgendwann an die Reihe", erwiderte ihr Gegenüber gelassen und steckte sich gleichgültig eine Zigarette zwischen die schmalen Lippen. Marlboros, wie die Frau nur zu genau wusste. Eine andere Marke war für ihn schließlich noch nie in Frage gekommen. Und wenn er sich einmal für eine Sache entschieden hatte, blieb er ihr treu, egal was auch kommen mochte. Bei diesem Anblick verzog sich das hübsche Gesicht der Frau angewidert. Ihr hatte es noch nie gefallen, dass der Mann, dem sie nun mit etwas hängenden Schultern gegenüber stand, diesen stinkenden, qualmenden Giftcocktail freiwillig in seine Lungen inhalierte. Aber nun, in diesem entscheidenden Moment, an dem er scheinbar ungerührt das nahende Ende der Menschheit verkündete, erschien diese alltägliche, zerstörerische Geste einfach nur grotesk. Verzweifelt suchte die Frau nach irgendeinem Anzeichen der Unsicherheit in der Miene ihres Gegenübers, welches ihr verriet, dass er log, konnte jedoch nichts vorfinden, was sie von dieser Annahme überzeugt hätte. Seine Worte ließen keinerlei Zweifel an der Wahrheit des Gesagten aufkommen. Es war sein voller Ernst. Ein panisches Aufkeuchen war daraufhin zu vernehmen, was den Mann ziemlich zu belustigen schien. Es entlockte ihm ein schwaches, abschätziges Lächeln, was zwei Reihen seiner schneeweißen Zähne aufblitzen ließ. Lauernd neigte er den Kopf leicht zur Seite, ganz so, als würde er gerade eine Laborratte bei einem sehr interessanten Experiment beobachten. Die Frau brauchte einige Zeit, bis sie sich zumindest so weit gefangen hatte, dass sie ihrer eigenen Stimme trauen konnte und ängstlich fortfuhr - auch wenn ihre Knie dabei gefährlich zitterten und sie aufgebracht an der trockenen Haut an ihren Händen herumspielte: ,,Und man kann nichts mehr dagegen unternehmen? Wirklich rein gar nichts?" Die letzten Worte schrie sie beinahe, vor lauter Angst, dass tatsächlich bald alles vorbei sein könnte. Und damit meinte sie wirklich alles. Das Leben, wie es gerade existierte, gäbe es dann nicht mehr. Es wäre ausgelöscht. Voll und ganz. Ein für allemal. Eine Gänsehaut breitete sich auf den schlanken Armen der jungen Frau aus und es fröstelte sie. Jedoch kam ihre zunehmende Panik nicht daher, dass sie erst in diesem Moment wirklich realisierte, wie nahe sie alle dem Tod bereits gekommen waren. Nein. Das war ihr im Grunde genommen völlig gleichgültig. Ihr eigenes Leben bedeutete ihr schon lange nichts mehr. Es war etwas ganz anderes, das sie beschäftigte. Sie hatte einfach nur Angst um das ungeborene Kind, das friedlich in ihrem Bauch schlummerte, ungeahnt der Dinge, die sich auf dieser verkorksten Welt gerade abspielten. Der Mann, der sich noch immer im Halbschatten eines Containers verbarg, legte seine Stirn daraufhin nachdenklich in Falten und dachte angestrengt nach. Es war, als müsste er sich zunächst darüber klar werden, ob er seinem Gegenüber tatsächlich die ganze Wahrheit zumuten wollte oder nicht. Eine kurze Pause entstand, in der die Frau vor lauter Sorge beinahe befürchtete, den Verstand zu verlieren. Schließlich, nach unendlich lang erscheinenden Sekunden, erklang ein kleines Räuspern aus der Dunkelheit. Erst danach erlöste sie ihr Gegenüber: ,,Es gibt eine Möglichkeit. Eine winzig kleine Chance besteht noch, dass wir die Katastrophe rechtzeitig abwenden können. Wir haben womöglich eine Methode gefunden, das TNM-Virus aufzuhalten. Auch, wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass es uns gelingt. Ein Versuch ist es dennoch wert. Aber ich warne dich. Es wird ein harter Kampf werden und der Preis, den wir dafür bezahlen müssen, ist hoch. Vor allem für dich. Es wird einige Opfer geben." Bei diesen Worten zeichnete sich Erleichterung auf dem Gesicht der jungen Frau ab. Es gab also doch noch Hoffnung! Unwillkürlich strich sie zärtlich über ihren runden Bauch und dachte an das Kind, das darin heranwuchs. Sie würde nicht einfach kampflos aufgeben. Nicht, so lange es eine Möglichkeit gab, das Ganze zu verhindern. ,,Was muss ich tun? Wie kann ich dir helfen? Aus diesem Grund hast du mich doch herbestellt oder liege ich da etwa falsch? Und was genau ist der Preis, den ich bezahlen muss?", fuhr sie fort, nun schon wieder viel gelassener als zuvor. Denn insgeheim wusste sie bereits instinktiv, wie die Antwort auf ihre letzte Frage lauten würde. Schließlich war sie an den ersten Forschungen für ein Medikament gegen den TNM-Virus beteiligt gewesen, der bei allen Infizierten bösartige Tumore mit Metastasenbildung hervorrief, hoch ansteckend war und bisher bei allen Patienten bereits nach wenigen Wochen den Tod herbeigeführt hatte. Zudem kannte sie die Risiken, die ihnen dabei schon von Beginn an zu schaffen gemacht hatten. Der Mann lächelte schwach, schüttelte den Kopf, als könnte er den plötzlichen Stimmungswandel der Frau nicht so ganz nachvollziehen, kam aber dennoch ohne Umschweifen zur Sache. Seine tiefe und zugleich melodiöse Stimme entführte die Frau in eine andere Welt, fernab der Realität, was sie an ihrem Gegenüber bereits von der ersten Sekunde an fasziniert hatte. Er besaß die Gabe, Menschen mit seinen Worten in den Bann zu ziehen. Die Frau lauschte aufmerksam, spürte dabei jedoch keinerlei Angst mehr. Diese war so plötzlich verflogen, als hätte es sie nie gegeben. Stattdessen machte sich eine wilde Entschlossenheit in ihr breit. ,,... und du wirst sterben. Das ist der Preis. Dein Leben gegen das Leben deines ungeborenen Kindes und wenn der Plan aufgeht, das Leben aller Menschen auf diesem Planeten. Wie es genau ablaufen wird, erkläre ich dir, wenn du später zu mir kommst. Aber denke daran, dass es ganz allein deine Entscheidung ist. Es zwingt dich niemand dazu, dieses Opfer zu bringen und ich würde es verstehen, wenn du nein sagst. Du musst das nicht tun. Also überlege es dir gut", schloss er. Seine Augen ruhten dabei abschätzig auf der Frau und schienen diese bis in die Tiefen ihrer Seele zu durchleuchten. Es wirkte beinahe so, als wollte er sie dadurch zu der richtigen Antwort zwingen. Die Frau drehte ihren Kopf schnell zur Seite, um das leichte Erröten ihrer Wangen zu vertuschen, nickte dann jedoch zögernd. Für sie gab es nichts mehr zu überlegen. Sie hatte sich im Grunde ihres Herzens bereits entschieden, noch bevor sie überhaupt hierher gekommen war. Sie würde alles dafür tun, um ihr Kind zu beschützen. Wirklich alles. ,,Ich mache es", erwiderte sie deshalb knapp, nun die Ruhe selbst. Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie ihr Baby niemals mit eigenen Augen würde bewundern können. Sie würde niemals eine Mutter für das Kind in ihrem Bauch sein, es niemals in den Schlaf wiegen, ihm tröstend über den Kopf streichen oder ein Gute-Nacht-Lied singen. Aber das war schon in Ordnung, solange ihr Kind lebte und behütet aufwuchs. Mehr wollte sie gar nicht. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte die Frau nach diesem Bekenntnis so etwas ähnliches wie Bewunderung und aufrichtige Anteilnahme im Gesicht ihres Gegenübers ausmachen, was man fast als Zuneigung hätte deuten können. In all den Jahren, in denen sie mit diesem Mann zusammen gewesen war, war ihr diese Ehre noch nie zuteil geworden. Und jetzt, in der bizarrsten Situation ihres Lebens, bekam sie das, was sie sich die ganze Zeit über sehnlichst gewünscht hatte. Seine volle Aufmerksamkeit.
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