Sophie verschwand hinter einer Säule und lauschte den Geräuschen von Nummer Dreizehn – Quinn wie Gin erinnerte sie sich selbst – als er an die Tür klopfte und Spiegel ihn hereinließ. Sophie wartete einen Moment, damit ihr Gast die reich ausgestattete Eingangshalle mit dem großen Portrait ihrer Familie, den üppigen importierten Teppich, die Goldverkleidung um die Türen, die silbernen Kerzenständer und die verzierte Standuhr bestaunen konnte. Dann glitt sie hinter der Säule hervor und stieg die Stufen herunter.
Sophie breitete ihre Arme aus, wobei sie sich bewusst darüber war, wie die Bewegung ihre Brüste in der Korsage nach oben drückte und ihre Arme zierlich und weiblich unter ihren hängenden Ärmeln erscheinen ließ.
„Willkommen in meinem bescheidenen Heim. Ich hoffe, Sie werden ihre Zeit hier genießen“, sagte sie, indem sie ihre Stimme zu einem rauchigen Schnurren sinken ließ. Männer liebten ein rauchiges Schnurren. Das stand in allen Büchern über Verführung. „Herr Quinn, ich fühle mich geehrt, dass Sie zu uns gekommen sind.“ Männer mochten außerdem Komplimente.
Als Sophie sich Nummer Dreizehn genauer anguckte, fühlte sie, wie sich ihr künstliches Lächeln in ein herzlicheres Lächeln verwandelte. Dieser Typ war traumhaft schön, der weitaus schönste Kandidat bisher unter denen, den es nicht gelungen war den Fluch zu brechen: groß, braune lockige Haare, ein starkes Kinn, ansehnliche Muskeln und Augen, die blauer waren als der Frühlingshimmel.
Hallo, mein Hübscher.
„Meine liebe Freundin Spiegel hat mir erzählt, dass Sie so freundlich wie gut aussehend sind“, sagte Sophie, wobei sie ein Zusammenzucken unterdrückte. Zu viel, zu verzweifelt. Oh Gott. Sie versuchte es zu vertuschen, indem sie ihm die Hand zum Küssen hinhielt.
Quinn warf Spiegel einen kurzen Blick zu, bevor er einen Kuss auf Sophies Fingerspitzen hauchte, der ein angenehmes Kribbeln durch ihren Arm bis zwischen ihre Beine schießen ließ.
„Danke, gnädige Frau. Ich hoffe, dass ich eine hilfreiche Ergänzung zu ihrem Haushalt sein werde“, sagte Quinn mit einer tiefen Stimme, die sich wie ein Waldbach kräuselte.
„Bitte, mein Herr, ich bin die Dame Sophia Chase. Aber ich hoffe, dass du mich Sophie nennen wirst“, sagte Sophie, indem sie sich ihm unterhakte, wobei sie die harten Muskeln unter seiner Jacke bewunderte. „Ich werde dir alles zeigen.“ Sie warf Spiegel einen festen Blick zu. „Alleine.“
Spiegel zuckte mit den Schultern und zeigte Quinn ein ermutigendes ‚Daumen hoch‘, das er seines verwirrten Blickes nach nicht richtig zu interpretieren wusste. Sophie tätschelte seinen Arm.
„Kümmre dich nicht um sie. Ich will dir so viel zeigen.“
Quinn schien nicht sehr beeindruckt von der drei-stöckigen Bücherei, oder der Größe der Küchen, der Gärten oder anderen großzügigen Teilen des Schlosses zu sein. Einer der Typen hatte die Bücherei so sehr geliebt, dass er nie Zeit für Sophie gehabt hatte und sie ihn mit seiner Nase in einem Buch weggeschickte hatte. Ein anderer hatte ihre riesigen Gärten umschwänzelt und ein riesiges Beet bunter Rosen gepflanzt. Sie hatte zu dem Zeitpunkt gehofft, dass das ein Zeichen dafür war, dass er dort bleiben wollte. Eine närrische Hoffnung, natürlich. Sie blieben nie.
Die einzige Sache für die sich der neue Typ zu interessieren schien, waren die ständigen Streitereien der Bediensteten. Die Geräusche eines weiteren Streites hallten durch das Schloss und er blieb mit einem angespannten Ausdruck abrupt stehen.
„Schreien die sich immer so an?“, fragte Nummer Dreizehn – Quinn, ich muss mich daran erinnern, dass sein Name Quinn ist.
„Wovon redest du?“, fragte Sophie und guckte sich um. Die einzigen anderen Leute im Flur waren die Haushälterin und die Köchin, die oben auf der Haupttreppe standen. Die Haushälterin, Frau Ladium, war uralt und ihre Familie diente dem Haushalt schon ewig; ihr Sohn arbeitete in den Ställen. Die Köchin, Macy, war ein hübscher Männerschwarm, die Art kecke Schönheit, die Sophie nie sein würde, auch trotz ihrer täglichen intensiven Schönheitspflege. Sophie hasste Macy ein kleines bisschen für ihre makellose Haut, aber es war schwierig daran festzuhalten, da Macy ebenfalls im Kreuzfeuer von Sophies Fluch gefangen war.
„Ich räume immer hinter dir her!“, schrie die alte Frau so laut, dass die Kristalle im Kronleuchter aneinander klirrten.
„Wenn es dir nicht gefällt, wie ich meine Küche führe, dann geh nicht hinein!“, brüllte die jüngere Frau zurück. Normalerweise hatte Macy eine liebliche Stimme, wie eine Glocke, aber wenn sie sich aufregte – was fast immer war, seitdem der Fluch zugeschlagen hatte – hörte sich ihre Stimme an wie das kratzende Gejaule einer räudigen Katze. Alle Bediensteten außer Spiegel waren in einem endlosen Kreislauf von sich wiederholenden Streitereien gefangen und stritten sich wieder und immer wieder über die gleichen Sachen.
„Wenn du nur ein bisschen weniger Zeit damit verbringen würdest, dich mit jedem Mann, den du triffst, herumzuwälzen, müsste ich nicht jeden Tag so ein Chaos beseitigen!“ Frau Ladium wedelte mit einem schmutzigen Tuch im Gesicht der jüngeren Frau herum.
Quinn berührte sanft Sophies Arm und sie fuhr hoch. Die Kandidaten waren fast nie sanft.
„Solltest du nicht etwas unternehmen?“, fragte er und zeigte auf die zwei Frauen. „Sie sehen wirklich sehr aufgebracht aus.“
Sophie zuckte mit den Schultern. „Die streiten sich immer über irgendetwas.“ Momentan war nicht der richtige Zeitpunkt, ihm den Fluch zu erklären. Der Zeitpunkt für solche Erklärungen musste perfekt sein. Nummer Zwei war so gut wie zur Tür herausgerannt bevor sie ihm ganz erzählten konnte, was vor all den Jahren passiert war, als die Zeit in diesem verfluchten Schloss angehalten wurde.
„Und der Gärtner und der Stalljunge?“, fragte Quinn. „Als wir in den Gärten waren, haben die sich angeschrien und geschlagen. Dir ist das noch nicht einmal aufgefallen.“
Ein Scheppern war vom anderen Zimmer zu hören und Quinn lief darauf zu. Sophie seufzte und ging ihm hinterher, gerade als die Silberplatte, die Frau Ladium auf Macy geschleudert hatte, die Treppe herunterflog.
„Warum kannst du es nicht einfach zugeben?“, schrie eine Frauenstimme aus dem anderen Zimmer, gefolgt von einem zweiten Scheppern. Sophie hielt in der Tür inne, um ihr Kleid zu richten, während Quinn nicht guckte.
Hillary, Sophies Kosmetikerin, stand mit erhobenem Arm einen Kerzenständer haltend da und war bereit dazu, ihn auf den Mann zu schmeißen, der in die Ecke des Ballsaals gedrückt mit seinen Händen schützend vor seinem Kopf dastand.
„Ich schwöre, dass ich deine verfluchte Haarfarbe nicht weggenommen habe! Ich bin der Schlossgärtner, was zum Teufel würde ich mit Haarfarbe anfangen wollen?“, quietschte er.
Großartig, Hillary und Aaron wiederholen die Schleife schon wieder, seufzte Sophie.
„Soll ich dir wirklich glauben, dass deine Haare natürlicherweise so schwarz sind? Glaubst du wirklich, dass du mich einfach so beklauen kannst, Aaron?“ Hillary schmiss den Kerzenständer, er prallte von der Wand ab und hinterließ eine neue Delle in der Wand, die schon von Hunderten dieser Kerben von Hillarys und Aarons sinnloser, bescheuerten Schleife gezeichnet war.
„Bitte! Bitte hört auf!”, schrie Quinn und rannte zwischen sie. „Das ist Wahnsinn. Was meinst du, das dieser junge Mann getan hat?” Er hob die Hände zwischen ihnen hoch, doch Hillary befand sich in einer Schleife und konnte ihn somit nicht sehen.
„Warum kannst du es nicht einfach zugeben?”, schrie Hillary und nahm denselben Kerzenständer, der genau dort aufgetaut war, wo der erste gestanden hatte den sie geschmissen hatte. Sophie war kurz dafür dankbar, dass der Zauber des Fluches all ihre Dinge ersetzte, die während der Fluchesschleife kaputt gingen. Sie würde sonst nichts übrig haben, so wie die Diener sich den ganzen Tag stritten.
„Ich schwöre, dass ich deine verfluchte Haarfarbe nicht weggenommen habe! Ich bin der Schlossgärtner, was zum Teufel würde ich mit Haarfarbe anfangen wollen?“, sagte Aaron wieder.
„Was ist mit denen los?“, fragte Quinn und duckte sich, als Hillary den Kerzenständer schmiss.
„Sie befinden sich in einer Schleife. Das kommt vor.“
„Kannst du sie nicht stoppen?“, fragte Quinn indem er zwischen Hillary und Aaron hin und her schaute. Das Scheppern der Platte, die im anderen Zimmer wieder die Treppe runterfiel, ließ ihn zusammenzucken. „Befinden sich die zwei auf der Treppe auch in einer Schleife?“
„Warum kannst du es nicht einfach zugeben?“, schrie Hillary wieder und griff nach dem wiederaufgetauchten Kerzenständer.
„Ich schwöre, dass ich deine verfluchte Haarfarbe nicht weggenommen habe! Ich bin der Schlossgärtner, was zum Teufel würde ich mit Haarfarbe anfangen wollen?“
Quinn guckte entsetzt weiter zwischen der Kosmetikerin und dem Schlossgärtner hin und her.
„Na gut, wenn dich das so beunruhigt…“, seufzte Sophie und ging weiter in das Zimmer hinein bis sie Hillary in die Augen gucken konnte. Hillary sah für eine Sekunde verwirrt aus und ließ dann den Kerzenständer sinken. Sophie hielt den Augenkontakt mit ihr und sagte in einer festen Stimme: „Hillary, geh nach oben und fang damit an, eine neue Augencreme vorzubereiten. Wir haben nicht mehr viel davon.“
Hillary nickte, knickste und lächelte so, als wäre alles in der Welt in Ordnung. „Auf jeden Fall, meine Dame, ich werde sofort damit anfangen.“
Sophie nickte Aaron zu. „Du auch, geh wieder an die Arbeit.“ Sie wedelte mit der Hand und Aaron kam auf die Beine, verbeugte sich tief und rannte aus der Tür heraus. Sie konnte nur hoffen, dass Aaron den Stalljungen Chad nicht zu Gesicht bekommen würde bevor er mit der Arbeit anfangen konnte. Deren Schleife war laut.
Sophie rieb ihre Hände zusammen und drehte sich zu Quinn. „Nun gut, jetzt, da wir diese unangenehme Angelegenheit hinter uns haben, möchte ich dir noch eine letzte Sache auf unserem Rundgang zeigen.“ Sie ging aus dem Zimmer und warf einen kurzen Blick hinter sich, um sicherzustellen, dass Quinn ihr folgte. Er schenkte ihr aber keine Aufmerksamkeit. Er strich mit seinen Fingern über die ruinierte Stelle der Wand, wo die Tapete gerissen und die Holzverkleidung von dem wiederholten Aufprall des Kerzenständers, der von Hillary mit aller Kraft geschmissen wurde, gezeichnet war.
„Folge mir, Quinn“, sagte Sophie und versuchte die Ungeduld in ihrem Ton zu unterdrücken.
Sie hatte vorgehabt, ihn über die Haupttreppe nach oben zu führen. Das war bei Weitem der eindrucksvollste Weg zu ihrem Ziel, aber sie konnte noch immer Frau Ladium und Macy streiten hören.
Das Leben ist so unfair. Sie seufzte und hielt Quinn eine Hand hin. Er zögerte eine Sekunde und legte seine Hand dann in die ihre. Sie wartete auf den kleinen Wärmestoß, den sie gefühlt hatte, als er ihre Hand geküsste hatte, aber er kam nicht. Er sah sich noch immer die geschundene Wand an.
Sophie konnte die tadelnde Stimme ihrer Mutter in ihren Ohren hören. Ein Mann ist wie ein Löffel: er hat nur eine bestimmte Kapazität, also stell sicher, dass du ihn mit Gedanken an dich füllst. Während er noch nach hinten guckte, zog sie schnell an ihrem Kleid, so dass es tiefer auf ihren Büsten saß.
„Ich habe dir gesagt, dass ich das Beste für den Schluss verwahrt habe“, sagte sie.
„Ach ja, richtig. Du weißt, dass dein Schloss ein bisschen komisch ist, oder?“, sagte er in einem distanzierten Ton.
„Ich weiß nicht, wovon du redest. Du bist so stark. Machst du Sport?“ Sophie rieb die Seite seines Arms.
„Ich habe noch nie darüber nachgedacht“, sagte er, mit einem Unterton in seiner Stimme, den Sophie nicht ganz zuordnen konnte. Ärger? Genervtsein?
Er muss einfach anders sein. Ich kann diesmal etwas anders machen, sagte sie zu sich selbst, als sie durch ihre Schlafzimmertür ging und zur Seite trat, damit er ihr folgen konnte.
Ihr Schlafzimmer war so dekoriert wie ein Bild, das sie einmal gesehen hatte, das das Innere einer Wunderlampe zeigte: ein würdiger Hintergrund für eine opulente Phantasie. Das Zimmer war mit blauen, grünen und lila Seidenstoffen behangen, mit einem breiten Sofa so lang wie die Wand und einem großen Himmelbett, das den Großteil des Raumes einnahm. Es war groß genug für vier Erwachsene und der seidene Bezug war von einem Dutzend Samtkissen bedeckt, die genau auf die Vorhänge abgestimmt waren.