Eine von Regen durchnässte Gestalt trat die Tür ein, wobei Holzsplitter und Wasser überall auf den frisch geputzten Boden flogen.
„Willkommen zu Hause, Mutter“, sagte Quinn ohne von dem Hasen hochzuschauen, den er für das Abendessen vorbereitete. Er unterdrückte einen mutlosen Seufzer wegen des schmutzigen Bodens, den er nun schon wieder putzen musste. Mutter ist schon gereizt genug, es gibt keinen Grund, sie durch eine Beschwerde noch wütender zu machen.
Das Heim, das er mit seiner Mutter teilte, war bescheiden: es gab nur ein Hauptzimmer, das als Küche, Wohnzimmer und Flur diente, mit einem kleinen davon abgehenden Schlafzimmer. Quinn war stolz darauf, alles blitzsauber zu halten, trotz der ständigen Versuche seiner Mutter so misshandelnd und rücksichtslos wie möglich zu sein.
Mit Quinns Mutter, Beatrice, war nicht zu spaßen. Sie war klein und in fortgeschrittenem Alter, hatte aber eine gemeine Ader und wusste mit einem Gürtel umzugehen, was ihr als Witwe mit zwei Kindern gute Dienste geleistet hatte. Sie war außerdem bekannt dafür, ihre Kinder zu verkaufen, wenn die Rechnung bei der Kneipe zu hoch geworden war. Quinn erinnerte sich kaum noch an seine Schwester, nur vage an wütende, laute Stimmen aus dem anderen Zimmer. Aber der Tag vor fünfzehn Jahren, an dem seine Mutter mit seiner Schwester das Haus verlassen hatte und mit vier Ziegen und einem siegreichen Lächeln wiedergekommen war, war für immer in sein Gedächtnis gebrannt. Er bekam etwa einmal im Jahr eine Postkarte von seiner Schwester, in der sie schrieb, dass es ihr gut ging, sie aber nie Quinns Flehen ihn aufzunehmen beantwortete. Nach ein paar Jahren hatte er aufgehört, sie darum zu bitten und nutzte seine Zeit stattdessen dazu, sich seiner Mutter gegenüber unabdingbar zu machen, so dass sie sich es nie leisten können würde, ihn zu verkaufen.
„Quinn mach, dass das Essen fertig wird!“, fauchte Beatrice durch ihre gelben Zähne. Sie ließ ihren matschigen Umhang auf den Boden fallen. „Hör mir zu, während du kochst. Ich habe gute Neuigkeiten für dich.“ Sie drehte ihren Kopf zur Seite, um ihre langen grauen Haare auszuwringen. Die Pfütze die sich zu ihren Füßen formte war schmutzig und hatte einen fettigen Schimmer.
Scheiße. Quinn lief es eiskalt über den Rücken. Das letzte Mal, als seine Mutter den Ausdruck „gute Neuigkeiten“ benutzt hatte, hatte er seine Schwester verloren. Ich kann nur hoffen, dass sie wenigstens sechs Ziegen für mich bekommen hat.
„Deine alte Mutter hat eine Chance für dich aufgetan, mein Junge. Ich habe einen schönen Spaziergang durch den Wald gemacht, als dieser furchtbare Sturm anfing.“
Quinn versuchte, seinen Gesichtsausdruck neutral zu halten. Beatrice war eine notorische Stammkundin der Dorfkneipe. Ihre „Spaziergänge im Wald“ waren nicht der frischen Luft und Bewegung zuliebe, sondern vielmehr ein betrunkenes Stolpern durch diesen und jeder wusste es. Aber Quinn wusste, es würde sie nur reizen, wenn er das berichtigte.
„Ich habe ein verlassenes Schloss gefunden und mich dort untergestellt, bis das Schlimmste des Sturmes vorbei war.“ Sie sah sich den Schmutz, die Pfütze und den durchnässten Umhang im Eingang an und zeigte mit einem knorrigen Finger darauf, „mach das sauber!“
Quinn sprang sofort auf und wischte die Schweinerei weg. „Ich bin froh, dass du einen Unterschlupf gefunden hast. Der Sturm war furchtbar.“
„Ich bin mir sicher, dass du dir schreckliche Sorgen gemacht hast“, spie Beatrice. „Dir ist es noch nicht einmal eingefallen, deine eigene Mutter in so einem Gewitter zu suchen. Ich habe aber an dich gedacht!“ Sie setzte sich an den kleinen Holztisch in der Mitte des Zimmers und deutete an, dass Quinn ihr das Essen bringen sollte. „Da war dieser erstklassige Bogen an der Wand befestigt, neben einem vollen Köcher mit Pfeilen.“ Beatrice stocherte mit einem schmutzigen Fingernagel in ihren Zähnen herum. „Kannst du dir das vorstellen? Wie eine Art nutzlose Dekoration! Offensichtlich wäre er besser dazu geeignet, Essen auf meinen Tisch zu schaffen.“
Oh Scheiße, sie hat den geklaut. Quinn gab seiner Mutter den Teller mit dem Hasen und gekochtem Gemüse und drehte sich um, um die Arbeitsfläche abzuwischen. Ein eindrucksvoller Bogen wäre wunderbar, aber Quinns Schultern spannten sich an. Beatrice war ein gerissenes altes Weib, aber es gab sicherlich Konsequenzen dafür, das Heim eines Fremden zu plündern.
„Der Sturm hatte nachgelassen und ich hatte mich genügend ausgeruht, so dass ich mich entschloss, den Bogen einfach mitzunehmen und zu gehen.“ Sie schaufelte Essen in ihren Mund, während sie sprach, wobei sie kleine Stückchen auf den Tisch versprühte. „Diese Leute kamen aus dem Nichts heraus. Irgendeine schicke Tussi mit einem irrsinnigen Temperament…“
Das musst du gerade sagen. Quinn verzog sein Gesicht.
„…und diese Verrückte, die immer ins Dorf kommt, Mira?“
„Spiegel?“ Hoffnung machte sich in Quinn breit. Spiegel lebte irgendwo im Wald am Rande des Dorfes und kam manchmal ins Dorf, um Vorräte zu kaufen. Sie kam regelmäßig genug, um bekannt zu sein, aber selten genug, um von den Anwohnern als Außenseiterin behandelt zu werden. Quinn bewunderte immer, wie nett und geduldig sie war, trotz der idiotischen Kommentare, die sie sich anhören musste. Die Tatsache, dass Spiegel umwerfend schön war, schadete dabei natürlich nicht.
„Was auch immer. Komischer Name, komisches Mädchen.” Beatrice stand auf und goss sich irgendetwas Braunes in ein Glas, was so stark war, dass Quinns Augen in der anderen Ecke des Zimmers wässerten. „Anscheinend war das Schloss nicht so verlassen, wie ich gedacht hatte, und die Besitzerin war unverhältnismäßig wütend über mein Dasein. Schlampe.“ Sie trank schnell einen Schluck, wobei sich ihr Gesicht wegen des Geschmacks verzog. „Das Spiegel-Mädchen sagte irgendwas darüber, dass du und ihre Herrin gut zusammenpassen würdet, also dachte ich mir, das war das.“
„Was war was?“ Quinns unwohles Gefühl der Vorahnung verstärkte sich mit jedem Wort.
„Du bekommst diesen tollen Bogen, den ich für dich haben wollte, aber du musst ihn im Schloss benutzen.“ Ein weiterer Schluck verschwand in Beatrices Kehle. „Das Schloss, in dem du leben wirst.“ Die braune Flüssigkeit verwand in einem Schluck. „Für immer.“
„Du hast mich für einen Bogen verkauft?“ Quinn wünschte sich, darüber überrascht zu sein.
„Nein!“ Beatrice lächelte warmherzig. “Nein, natürlich nicht, mein Junge. Ich habe dich hierfür verkauft!“ Sie hob einen großen Beutel, der voll mit glänzenden Goldmünzen war.
Das ist wesentlich mehr wert als vier Ziegen. Es war ein merkwürdiger und trauriger Sieg, aber Quinn war zufrieden damit. Nach fünfundzwanzig Jahren Vernachlässigung und Misshandlung hörte sich eine Veränderung – sogar eine Zwangsknechtschaft für eine Fremde – als eine unglaublichen Erleichterung an.
Schließlich sagte er „Scheiß drauf“ und schmiss den schmutzigen Lappen weg. „Ich werde gehen.“
Sophie zog den Vergrößerungsspiegel nah an ihr Gesicht heran und griff nach der Pinzette wie nach einer Waffe, um sich die störrischen schwarzen Haare auszuzupfen; sie verschwanden nie, egal wie oft sie daran zog.
Verdammter Fluch. Verdammter Zauberer.
Eine Dame sprach solche Obszönitäten nicht aus, aber sie konnte zur Genüge daran denken. Sophies Mutter hatte sie eindringlich darauf gedrillt, wie eine Dame zu sein hatte: wunderschön, unnahbar, sittsam und fein geschliffen. Wie ein Messer. „Eine Dame ist wie ein Skalpell: scharf, aber schön.“ Nicht gerade die Art von Rat, die jedes kleine Mädchen von seiner Mutter erwartet, aber da ihre Familie schon lange weg war, hatte sie nur noch die Erinnerung an Ratschläge von vor langer Zeit.
Nichts hatte Sophie auf den Fluch von vor zehn Jahren vorbereitet.
Verdammt. Verdammt. Verdammt. Die Worte fühlten sich gut in Sophies Kopf an und die harten Konsonanten begleiteten das Herausziehen der letzten drei Haare. Sie strich mit den Fingerspitzen über ihr Kinn und lächelte ihr Spiegelbild an. Ihr braunes Haar war modisch in Stufen auf ihren Kopf getürmt, ihre Augenbrauen zwei Sichelmonde und ihr hellroter Mund sah zierlich und feminin aus, anstatt nach dem Maul eines sabbernden Biests. Dank der Schminkegötter. Sie seufzte und legte den Spiegel weg. Sie hatte weniger als zwei Stunden, um das Gefühl schön zu sein zu genießen, bevor der Fluch sie einholen und wieder zum Biest machen würde.
„Er reitet auf das Tor zu“, sagte Spiegel, als sie ohne zu klopfen die Tür aufmachte. Niemand im Schloss außer Spiegel würde es wagen, ihre Türe zu öffnen, aber Spiegel war die Ausnahme zu so ziemlich allen Regeln.
„Bist du dir sicher, was all dies angeht?“, fragte Spiegel, wobei sie die Tür zuzog, damit niemand anderes es hören würde. „Als ich gesagt habe, er sei ein anständiger Kerl, hätte ich nicht gedacht, dass du eine Abmachung mit dieser schrecklichen Frau treffen würdest, ihn zu kaufen. Komm schon, meinst du wirklich, er könnte den Fluch brechen? Es gab schon so viele Kandidaten. Sie haben alle versagt. Hast du jemals daran gedacht, dass vielleicht...“
Sophie hielt eine Hand hoch, um Spiegel davon abzuhalten schon wieder davon anzufangen, wie sie den Fluch missdeutete. Spiegel war nicht dabei gewesen. Spiegel würde nie verstehen können, wie es sich anfühlte, mit solch einem starken Zauber zu leben, dass er jeden Augenblick ihres Lebens beeinflusste.
„Ich weiß, dass du es gut meinst, Spiegel, aber bitte halte die Klappe über deine Theorien.“ Sophie sah sich ein letztes Mal kritisch im Spiegel an, stand auf und strich die Falten an ihrem Kleid aus, damit es in anmutigen Seidenwellen runterfiel. „Dies ist Nummer Dreizehn. Ist dreizehn nicht eine Glückszahl?“
„Nein, das ist sie nicht“, sagte Spiegel, wobei sie tief seufzte, ihre Arme verschränkte und ihre Herrin zweifelnd ansah. Sophie zog eine Augenbraue hoch, was eine Einladung für Spiegel war, ihre Meinung kundzutun. Die Frau würde unausstehlich sein, bis sie ihr ihre Meinung kundgetan hatte.
„Ich denke einfach, dass diese ganze Sache etwas barbarisch ist. Musst du mit diesen Kerlen wirklich eine Beziehung haben, während du sie hier gefangen hältst? Wäre es nicht einfacher, ins Dorf zu gehen, in ein paar Kneipen herumzuhängen oder zu einigen Erntefesten zu gehen?“ Sie ging auf Sophie zu, um ihr die Schultern zu massieren, wobei sich ihre Finger erstaunlich überredend anfühlten, so dass Sophie ein leichter Seufzer herausrutschte, als sie sich gegen Spiegels Hände lehnte. „Du weißt schon, Leute normal kennenzulernen? Musst du wirklich so weiter machen mit dem Leute-gefangen-halten-bis-sie-dich-lieben?“
Sophie trat ein Schritt von Spiegel zurück. „Du vergisst, dass ich nicht normal bin. Ich würde ein abstoßendes Biest sein, bis ich im Dorf ankäme, und du weißt das. Was für ein Mann würde sich wirklich in so etwas Scheußliches verlieben? Ich mache, was ich machen muss.“
Sophie konnte laute Hufschläge auf dem Kopfsteinpflaster hören, das zum Schloss führte. Er war hier. Sie unterdrückte die Schmetterlinge in ihrem Bauch, die jedes Mal auftauchten, wenn ein neuer potenzieller Fluchesbrecher ankam. Keiner der ersten zwölf hatte den Fluch durch eine Tat wahrer Liebe gebrochen, und dieser würde wahrscheinlich nicht anders sein. Trotzdem konnte Sophie die Hoffnung nicht ganz unterdrücken, die sich in ihr ausbreitete, als sie davon träumte endlich frei zu sein.
„Man weiß nie“, sagte Sophie, mehr zu sich selbst als zu Spiegel. „Er könnte der Richtige sein. Wie heißt er nochmal?“
„Quinn“ sagte Spiegel.
„Das mag ich. Hört sich an wie Gin. Daran kann ich mich erinnern.“ Sophie konnte sich nicht noch so ein Debakel wie bei Nummer Neun leisten, als sie den Namen von Nummer Acht im Bett ausschrie. Furchtbar peinlich. „Geh und öffne die Tür, ich bin bereit“, sagte Sophie während sie zum oberen Ende der Treppe ging.
„Ach ja, stimmt, ich habe deinen dramatischen Auftritt vergessen. Stolpere diesmal nur nicht über deine Füße“, sagte Spiegel mit einem kleinen Lächeln.
„Das habe ich erst einmal gemacht“, fauchte Sophie. Nummer Fünf; sie würde das ewig zu hören bekommen.
„Zweimal“, sagte Spiegel, während sie in ihren praktischen, flachen Schuhen die Stufen runterhüpfte, bevor Sophie um sich zu rächen an Spiegels Haaren ziehen konnte.