Prolog-2

824 Words
Einige Tage später trat Drago zurück, um seine Arbeit zu begutachten. Er hatte allen seinen Leuten, die er finden konnte, befohlen, in ihren Häusern zu bleiben, um sie vor den Elementen zu schützen. Diejenigen, die in der Burg lebten und arbeiteten, hatte er in die große Halle beordert. Er richtete seinen Blick auf die Gestalt, die ihm am nächsten stand. Theron erwiderte seinen Blick. Er hob seine Hand und fuhr reumütig über den schwarzen Streifen an der Seite des Drachenhalses. Drago hielt inne und schloss die Augen, als der vertraute, quälende Schmerz ihn erneut durchschoss. Einen Moment lang wünschte er sich, der Schmerz wäre stark genug, um ihn einfach umzubringen. Der Schmerz, die Leere und die Gefühle der Hilflosigkeit und Reue waren fast mehr, als er ertragen konnte. Alle seine Versuche, die Meerhexe durch Zauberei aufzuspüren, waren erfolglos gewesen. Es war, als ob sie nicht mehr existierte. Ohne zu wissen, wie sie es geschafft hatte, sein Volk in Stein zu verwandeln, gab es keine Möglichkeit, es wieder rückgängig zu machen. Er konnte nichts tun. Nicht einmal das Drachenherz hatte die Macht, einen solchen Zauber zu brechen – das wusste er, weil er bereits versucht hatte, ihn anzuwenden. Er holte tief Luft, öffnete die Augen und straffte die Schultern. Eines Tages würde die Meerhexe wieder auftauchen und wenn es soweit war, würde er bereit sein. Bis dahin würde er diejenigen beschützen, die nicht selbst auf sich aufpassen konnten. Drago drehte sich um, ging durch die Tür der großen Halle und schloss die massiven Türen hinter sich. Er sprach einen Zauberspruch, um die Türen des Raumes zu versiegeln, bevor er durch die Doppeltüren trat, die nach draußen führten. Dann flüsterte er einen Zauberspruch, um das Schloss zu verzaubern. Dasselbe würde er auch für den Rest der Dracheninsel tun. Niemand würde in der Lage sein, einen Fuß auf die Insel zu setzen – nicht einmal die Bewohner der Zauberinsel. Es war ein Zauber, den niemand außer ihm kannte. Alle, die das Pech hatten, an die Küste zu gelangen, würden zugrunde gehen, gefangen zwischen den hohen Klippen und dem Wasser. Er verwandelte sich und stieg in die Luft. Er umkreiste die Insel fünf Mal und verstärkte den Zauber, bis der Nebel dicht und schwer wurde. Erst als er zufrieden war, kehrte er zum Schloss zurück. Er landete auf dem höchsten Turm und ließ seinen prüfenden Blick ein letztes Mal über die Insel schweifen. Dies war das letzte Mal, dass er sie sehen würde. Drago blinzelte und richtete seinen Blick auf den Boden. Dann stieß er sich von dem Turm ab und stürzte nach unten. Einen Augenblick, bevor er auf der harten Oberfläche des Hofes aufschlug, öffnete sich der Boden und er verschwand darin. Der Abgrund war fast dreißig Meter tief und nachdem er hindurchgeflogen war, verschloss sich die Öffnung über ihm wieder. Leicht zusammengekrümmt sauste er die kunstvollen Steintreppen hinunter und durch die gewölbten Türen in die massive Höhle darunter. In der tiefsten Kammer flog er über das Meer von Schätzen, bis er auf einem Berg von Goldmünzen und Juwelen landete. Er glitt an der Schatzlawine hinunter, an deren Fuß eine große Plattform emporragte. Drago stieg die Treppe hinauf. Mit einer Bewegung seines Schwanzes fegte er die Münzen und Juwelen weg, die auf die Steinplattform gefallen waren, bevor er sich im Kreis drehte und sich hinlegte. Sein Blick wanderte über den unermesslichen Reichtum der Drachen. In der Ferne konnte er die Statuen seines Vaters und seiner Mutter sehen. Die beiden waren als erste verschwunden, kurz bevor die große Schlacht begonnen hatte. Sie waren auf die Monsterinsel zu Nali gereist. Ihr Verlust hatte ihn und die anderen Drachen schwer getroffen. „Ich habe dich enttäuscht, Vater, aber ich werde nicht aufgeben“, schwor Drago mit Blick auf die Statue seines Vaters. „Ich habe nichts mehr zu beschützen außer dem Drachenherz in deinen Händen. Ich werde es bis zum bitteren Ende bewachen.“ Drago senkte den Kopf, schloss traurig die Augen und als die Stille wuchs, begann er mit seiner Aufgabe, den Schatz seines Volkes zu bewachen. Bald verwandelten sich die Stunden in Tage und Tage wurden zu Wochen. Aus den Wochen wurden Jahre und die Jahre verschwanden im Abgrund der Leere, die in Drago wuchs. Schließlich wurde er müde und schlief noch mehr, denn seine Einsamkeit und die Magie, die er brauchte, um seinen Körper bei Kräften zu halten, begannen, ihren Tribut zu fordern. Er erwachte kurz, als die Insel erschüttert wurde. Der Boden unter ihm zitterte, aber er spürte keine andere Gegenwart und schlief bald darauf wieder ein. Das Drachenherz leuchtete und schimmerte hell, als ob die Göttin wüsste, dass der letzte der Drachen vom Untergang bedroht war. Doch Drago bekam nicht mit, dass sich ein riesiger blutroter Diamant, der sich zuvor in den Händen der Statue seines Vaters befunden hatte, erhob. Verloren im Reich der Träume schlief er tief und fest weiter, während sich in seiner Nähe langsam ein Durchgang zu einer anderen Welt öffnete.
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