Ludwig Bechstein-1

2119 Words
Ludwig Bechstein Schneider Hänschen und die wissenden TiereEin Schuhmacher und ein Schneider sind einmal miteinander auf die Wanderschaft gegangen. Der Schuster hatte Geld, der Schneider aber war ein armer Schwartenhans. Beide hatten ein und dasselbe Mädchen lieb, welches Lieschen hieß und jeder gedachte, es zu heiraten, wenn er sich ein gutes Stück Geld verdient habe und Meister geworden sei. Der Schuster, Peter genannt, war aller Tücke voll und hatte ein schwarzes Herz, das Schneiderlein war gutmütig und leichtfertig, und sein Name war Hänschen. Erst hatte Hänschen nicht mit dem Peter zusammen wandern wollen, weil es kein Geld hatte, aber Peter, der auf eitel Bosheit gegen das Schneiderlein sann, weil jenes Lieschen das Hänschen gern sah und nicht den Peter, sann auf des Schneiderleins Verderben und sprach: ťKomm nur mit mir, ich habe Batzen, ich halte dich frei, auch wenn wir keine Arbeit bekommen. Alle Tage wollen wir uns dreimal tüchtig satt essen und satt trinken. Ist dir das nicht recht?Ť ťVon satt essen und satt trinken bin ich ja ein Freund!Ť antwortete Hänschen, und beide schnürten ihre Ränzel und traten ihre Wanderschaft an. Neun Tage lang gingen sie und fanden nirgends Arbeit, zumal Peter keine finden mochte und, wenn auch Hänschen Arbeit hätte haben können, diesen immer verlockte, sie nicht anzunehmen, sondern mit ihm zu wandern. Nun, nach den neun Tagen sprach Peter: ťHänschen, mein Geld nimmt ab, soll es noch eine Weile reichen, so dürfen wir von jetzt an des Tages nur zweimal essen und trinken.Ť ťO weh!Ť seufzte Hänschen, ťwird schon jetzt Schmalhans unser Wandergeselle? Wär ich doch nicht mit dir gegangen! Hungern konnt ich auch daheim! Dort hatt ich doch was Liebes, was mir den Hunger versüßt hätte!Ť Peter, der während des Weitermarsches stets die Speisen kaufte, aß sich heimlich dicksatt, denn er hatte Geld genug dazu, aber Hänschen gab er täglich nur zweimal und hatte seine Freude daran, wenn seinem Gefährten der Magen murrte und knurrte und sich, nach dem Sprichwort, die Betteljungen in Hänschens Leibe prügelten. So gingen abermals neun Tage hin, und noch immer fand sich keine Arbeit, da sprach Peter: ťLiebes Hänschen, mit meinem Gelde wird es bald Matthäi am letzten sein - es langt wahrlich nimmer zu vier Mahlzeiten täglich, zwei für dich, zwei für mich. Mein Geldbeutel hat die galoppierende Schwindsucht. Schau her, es ist so dünn wie ein Spulwurm. Wir können von jetzt an uns nur einmal täglich sättigen.Ť ťAch, ach Peterlein!Ť klagte Hänschen. ťIn welches Unglück hast du mich gebracht! Das halt ich ja nicht aus! Sieh mich doch nur an, ich bin ja schon so dünne und durchsichtig, daß ich schier kaum noch einen Schatten werfe. Wo soll denn das zuletzt hinaus?Ť ťSchnalle einen Schmachtriemen um!Ť lachte Peter. ťÜbe dich in der Tugend der Enthaltsamkeit. Tritt in einen Mäßigkeitsverein!Ť ťHat sich was einzutretenŤ, jammerte das Schneiderlein. ťIch meint, wir wären schon mitten in der Mäßigkeit!Ť Was half aber nun alles, es mußte gut tun, wohl oder übel; Hänschen hungerte tapfer, daß er aber nicht zunahm an Leibesfülle, kann sich jeder denken. Er wurde rasseldürr, und sein Angesicht bekam eine Farbe wie Hauszwirn. Und immer gab es keine Arbeit, und nun zumal erst recht nicht, denn die Meister sprachen: ťReise mit Gott, Bruder Mondschein! Wie kann so ein Kerlchen etwas Dauerbares nähen, dem sein ganzes eigenes Gestelle aus der Naht reißt? Schneider dürfen von Natur dünn sein, aber nur was recht ist - so dann, daß man sie statt Nähgarns einfädeln kann, dürfen sie doch nicht sein!Ť Hänslein weinte heiße Tränen, wenn er solche lose Reden zu hören bekam, und der schlechte Peter frohlockte heimlich und innerlich darüber, und als wiederum neun Tage vergangen waren und Hänschen vor Hunger fast am Wege liegenblieb, da sprach der falsche Peter: ťBruderherz - es tut mir leid und schneidet mir in die Seele, daß ich's sagen muß, aber mein Geldbeutel ist jetzt ganz auf den Hund - mit Essen und Trinken bei Bäcker und Wirt ist es nun ganz und gar vorbei.Ť ťDaß's Gott erbarm!Ť schrie Hänschen. ťGar nicht mehr essen und trinken? Da steht mir der Verstand stille! Wer kann das aushalten? O wehe, wehe mir! Daß ich dir folgte! Wehe dir, daß du mich so verlockt hast!Ť ťMein Himmel, wie du gleich außer dir geraten kannst, Hänschen!Ť rief Peter. ťAls ob es nicht zu trinken vollauf gäbe!Ť ťWo? Wo?Ť rief Hänschen mit lechzender Zunge. ťÜberall! Wasser , Bruderherz! Wasser!Ť lachte Peter. ťWasser ist sehr gesund, es verdünnt Blut und Säfte, es heilt die meisten Krankheiten, es stärkt die Glieder. Siehst du, ich muß ja auch Wasser trinken.Ť ťAber Wasser ist kein Essen!Ť klagte Hänschen. ťVon Luft kann ich nicht leben, also schaffe mir zu essen, oder ich muß ins Gras beißen und Erde kauen. Etwas muß ich zu kauen haben.Ť ťNun, ich will zum Bäcker gehen und für das letzte Geld ein Brötchen kaufen, das will ich redlich mit dir teilen!Ť sagte der falsche Peter, hieß Hänschen auf einen Stein sitzen und ging zu einem Bäcker, kaufte dort vier Brötchen, aß drei davon gleich auf und trank einen Schnaps dazu - dann kam er wieder zu Hänschen. ťAber Peter!Ť sprach das hungrige Schneiderlein: ťDu bleibst sehr lange aus. Gib mir zu essen, die Ohnmacht wandelt mich an.Ť ťIch habe erst warten müssen, bis das Brot sich abgekühlt hatteŤ, verteidigte sich Peter, ťwarmes Brot ist nicht gut in einen leeren Magen. Hier hast du deine Hälfte.Ť ťPeter, du riechst nach Schnaps!Ť sprach Hänschen. ťSo?Ť fragte Peter, ťkann schon sein, drinnen trank einer, der stieß an mich und schüttete mir aus Ungeschick ein paar Tropfen auf mein Gewand.Ť Hänschen verschlang sein halbes Brötchen mit Wolfshunger, stillte mit Wasser seinen Durst und wanderte weiter mit seinem treulosen Gefährten. Beide sprachen fast nichts mehr miteinander. Als es bald Abend wurde und beide wieder durch ein Dorf kamen, ging Peter wieder zu einem Bäcker, aß sich satt und kam mit einem Brötchen aus dem Laden. Hans dachte, jener werde das Brötchen mit ihm teilen, aber Peter schob es in die Tasche. Nach einer Weile sprach Hänschen, als sie das Dorf im Rücken hatten und in einen Wald gelangt waren: ťNun, Peter! Rücke heraus mit deinem Brötchen! Mich hungert äußerst.Ť ťMich nichtŤ, antwortete Peter ganz kurz. ťNicht?Ť schrie Hänschen erschrocken und blieb stehen, und seine Beine zitterten. ťUnmensch, der du bist!Ť ťVielfraß, der du bist!Ť höhnte Peter. ťBei dir trifft doch recht zu, was ich immer habe sagen hören: je dürrer ein Kerl ist, eine um so bessere Klinge schlägt er. Das Brötchen, das ich noch bei mir trage, ist, wie du sehr richtig bemerktest, mein Brötchen, und du bekommst nicht eine Krume davon, weil du gesagt hast Unmensch .Ť ťSo muß ich ja Hungers sterben!Ť schrie Hänschen in Verzweiflung. ťStirb in Gottes Namen!Ť antwortete Peter. ťDie Leichenträger werden sich an dir keinen Schaden heben.Ť ťAber ich bitte dich um Gottes willen!Ť jammerte Hänschen. ťUm was?Ť fragte Peter lauernd. ťUm die Hälfte deines Brötchens!Ť stammelte Hänschen. ťUmsonst ist der Tod - es hat mich mein allerletztes Geld gekostet. Wie viel Geld könnte ich noch haben, hätte ich mich nicht mit dir geschleppt und dich gefüttert!Ť sprach Peter aufs neue. ťAber du selbst hast mich ja beredet, mit dir zu gehen!Ť warf Hänschen ein, doch machten Ärger und Hunger ihm schon schwer, die Worte hervor zu würgen. Seine Zunge klebte am Gaumen. ťGibst du mir, so geb ich dirŤ, nahm Peter wieder das Wort. ťMir ist mein Brötchen so lieb wie meine Augäpfel, folglich ist es zwei Augäpfel wert. Gib mir einen deiner Augäpfel für die Hälfte.Ť ťGott im Himmel! Wie strafst du mich, daß ich diesem folgte!Ť wimmerte Hänschen, denn schreien konnte das arme Schneiderlein schon vor Schwäche nicht mehr - doch streckte es die Hand nach dem halben Brötchen aus und sättigte sich, und dann stach ihm Peter den einen Augapfel aus. Am andern Tage wiederholte sich alles Traurige des vorigen Tages bei den zwei Wandergesellen. Peter kaufte wieder ein Brötchen und gab Hänschen nichts davon, und wollte das andere Auge Hänschens für dessen Hälfte haben. ťAber dann bin ich ja stockblind!Ť jammerte das Schneiderlein. ťDann kann ich ja nicht mehr arbeiten! Ohne ein Auge mindestens kann ich doch nicht einfädeln!Ť ťWer blind istŤ, tröstete der hart-und schwarzherzige Peter mit heimlichem Hohne, ťder hat es gut. Er sieht nicht mehr, wie böse, falsch und treulos die Welt ist; er braucht nicht mehr zu arbeiten, denn er hat eine triftige Entschuldigung, und einem armen Blinden gibt auch der Geizigste zur Not noch eine Gabe. Du kannst noch reich werden als blinder Bettler, während ich mich armselig durch die Welt schleppen muß. Sollte dies eintreten, so werde ich zu dir kommen und du wirst mich noch als deinen besten Wohltäter segnen und deinen Reichtum mit mir teilen, wie ich bisher meine Armut mit dir geteilt habe.Ť Hänschen vermochte auf diese teuflische Rede gar nichts mehr zu erwidern - er ließ alles mit sich geschehen und gab, um nur nicht Hungers zu sterben, dem treulosen Gefährten auch den zweiten Augapfel preis. Und als das geschehen war und Hänschen hoffte, daß der Peter ihn nun leiten und fuhren werde, sprach dieser: ťNun gehabe dich recht wohl, mein gutes dummes Hänschen! Hier habe ich dich haben wollen. Hier ist Bettelmanns Umkehr. Jetzt wandre ich wieder heim und heirate unser Lieschen. Ätsch! Siehe du zu, wohin du kommst!Ť Fort ging Peter, und Hänschen schwanden vor Körper und Seelenschmerz eine Zeitlang völlig die Sinne, so daß er umsank und wie tot am Wege lag. Da kamen drei Wanderer des Weges daher, aber keine zweibeinigen, sondern zufällig vierbeinige, das waren ein Bär, ein Wolf und ein Fuchs. Sie berochen den Ohnmächtigen, und der Bär brummte: ťDieses Manntier ist tot! Mögt ihr ihn? Ich mag ihn nicht!Ť ťIch habe vor einer Stunde erst ein frisches Schaf verspeist, habe justament jetzt keinen Hunger, auch ist ja der Kerl so dürr und so hart wie ein Baumast!Ť sprach der Wolf. ťDa wäre mir leid um meine Zähne, die ich weiter brauche.Ť ťDieser Held muß ein Schneider gewesen sein!Ť spöttelte der Fuchs. ťMir ist eine fette Gans lieber als ein dürrer Schneider. Wäre er ein Kürschner gewesen, so würde ich ihm die Nase abbeißen - so aber liegt er mir gut. Er ist ja blind gewesen, der hat gewiß nie einen Fuchs geschossen.Ť Das arme Schneiderlein kam wieder zu sich, merkte seine Gesellschaft und hielt den Odem an sich, so gut es ging, während die drei Tiere sich gar nicht weit von ihm behaglich ins Grüne lagerten. ťBlind zu sein, ist ein großes UnglückŤ, sprach der Fuchs, ťsowohl für uns edle Tiere als für die schlechten zweibeinigen Gabeltiere, die sich Menschen nennen und sich so klug dünken und so fürchterlich dumm sind, daß sie gar nichts wissen. Wüßten sie, was ich weiß, so gäb es keine Blinden mehr.Ť ťOho!Ť rief der Wolf. ťIch weiß auch, was ich weiß. Wüßten das die Manntiere in der nahen Königsstadt, so litten sie nicht den gebrannten Durst, den sie leiden, und kauften nicht ein Schnapsgläschen voll Wasser um eine Krone.Ť ťHm hm!Ť brummte der Bär. ťUnsereiner ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Auch mir ist ein Geheimnis kund. Sagt ihr mir das eure, sage ich euch das meine, aber bei Leib und Leben darf keiner von uns den andern verraten.Ť ťNein das dürfen und wollen wir nicht tun!Ť gelobte der Fuchs. ťEs muß einer dem andern feierlich die rechte Pfote darauf geben!Ť bekräftigte der Wolf. ťTopp, es gilt!Ť sprach Petz, und hielt seine haarige Tatze hin, und wie die andern einschlugen, so drückte und schüttelte der Bär zum Spaß ihre Pfoten so, daß sie vor Schmerz laut aufheulten, davon dem blinden Schneiderlein angst und bange wurde. ťIch weiߍ, begann der Fuchs, als der Bär ihn ob seines Zartgefühles ausgelacht und wieder begütigt hatte, ťdaß heute eine besonders heilige Nacht ist; in dieser fällt Himmelstau auf Gras und Kraut. Wer blind ist, darf nur mit dem Tau seine Augen salben, so wird er wieder sehend, und selbst wenn er keine Augäpfel mehr hat, so bekommt er neue.Ť ťDas ist ein schönes GeheimnisŤ, sprach der Wolf, ťmeins ist aber auch nicht zu verachten. In der Königsstadt ist das Wasser ausgeblieben, und die Leute dort leben jetzt fast nur vom Geist, wenigstens sagen sie so, wenn es aber noch ein Weilchen so fort geht, so werden sie ihren Geist ganz aufgeben müssen. Gleichwohl haben sie Wasser die Fülle unter sich und wissen's nur nicht. Auf dem Markte mitten im Pflaster liegt ein Grauwackenstein, wenn der aufgehoben wird, so wird ein Wasserpütz turmhoch aus dem Boden springen. Ach, wie froh würden die Residenzstädter sein, und wie heilsam wär es ihnen, wenn sie wieder Wasser hätten. Daß aber keiner von euch es ihnen sagt, sonst beiße ich jedem die Zunge im Maule ab!Ť
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