Kapitel 1-2

2008 Words
„Aye, ja, alles ruhig.“ „Gut.“ „Gute Nacht, dann“, sagte Buck. „Ich mach dann mal meine Runde.“ „Ja, gute Nacht.“ Buck setzte seine Kappe wieder auf seine schütteren grauen Haare und machte sich auf. Viper legte eine große Hand auf meinen Rücken und dirigierte mich zur Rückseite des Backsteinhauses, wo eine Feuerleiter nach oben führte. Wir erklommen die Metallstufen ganz nach oben, und Viper schloss eine rostig ausschauende Metalltür auf. „Nach dir“, sagte er und hielt die schwer aussehende Tür für mich auf. Ich schlüpfte unter seinem Arm hindurch ins Innere. Es war dunkel, doch Viper betätigte einen Schalter hinter mir, und ein paar Lampen an der Decke gingen an und beleuchteten Vipers Reich. Staunend stand ich da und nahm den Anblick in mich auf. Wir standen in einem riesigen Raum, der zu einer Seite hin eine große Fensterfront hatte. Massive Stützbalken waren in der Mitte des Raumes und hielten die Dachkonstruktion. Links von mir befand sich eine lange Küchenzeile in schwarz mit blank poliertem Chrome. Dahinter war ein großer Sitzbereich mit dem größten Flachbildfernseher, den ich je gesehen hatte. Rechts erstreckte sich ein Fitnessbereich mit verschiedenen Geräten und Hantelbänken, sowie einer Spiegelfront mit Hanteln davor. Weiter hinten sah ich drei Türen. Vermutlich die Schlafzimmer und vielleicht das Bad. „Fühl dich wie zu Hause“, sagte Viper hinter mir und schlenderte in die Küche. Ich stand noch immer wie erstarrt da, als er sich zu mir umdrehte. „Kaffee?“, fragte er. Ich nickte. „Ja ... bitte“, brachte ich schließlich atemlos hervor. „Schwarz, kein Zucker.“ Er hantierte in der Küche herum, um den Kaffee zuzubereiten. Ich fasste ein Herz und ging langsam durch den Raum auf den Sitzbereich zu. Ein wenig unschlüssig blieb ich dort stehen. „Setz dich ruhig“, hörte ich Vipers belustigte Stimme. Ich setzte mich vorsichtig auf eine schwarze Ledercouch und schaute etwas verlegen zu Viper hinüber. Ich nahm mir die Zeit, ihn genauer zu mustern. In den Straßen war es recht schummrig gewesen und ich hatte nicht so viel von ihm erkennen können. Er hatte seine Lederjacke ausgezogen und das T-Shirt, welches er jetzt trug, zeigte deutlich seine massiven Arme. Er war gut gebräunt, wahrscheinlich besuchte er regelmäßig die Sonnenbank. Sein schwarzes Haar war an den Seiten ganz geschoren, nur auf dem Kopf trug er es stachelig kurz. Ich konnte seine Augen nicht sehen, doch sein Gesicht war kantig mit einem breiten Kinn, vollen Lippen und hohen Wangenknochen. Seine Nase schien schon mindestens einmal gebrochen gewesen zu sein, was bei seinem Sport wohl kein Wunder war. Es war klar, dass er irgendeine Art von Kampfsport betrieb. Da er nicht nur seine Hände, sondern auch seine Beine eingesetzt hatte, tippte ich auf MMA. Mein Stiefvater hatte mit Begeisterung MMA Kämpfe im Fernsehen angesehen. Als Viper den Kaffee in zwei Becher gegossen hatte, schaute ich schnell weg. Ich konnte aber aus den Augenwinkeln sehen, wie er auf die Sitzgruppe zukam. Er setzte sich mir gegenüber und stellte einen Becher vor mich hin. „Danke“, murmelte ich und griff nach dem Becher. Ich war froh mich mit dem Kaffee beschäftigen zu können, und somit mein Unbehagen zu überspielen. „Also“, brach Viper nach einer Weile das Schweigen. „Jetzt erzähl mir, wie es kommt, dass du hier in New York ganz allein und ohne Wohnung bist. Und was du um diese Zeit in einem solchen Viertel zu tun gehabt hast.“ Ich starrte auf meine Tasse in meinen Händen hinab und überlegte, was ich ihm erzählen sollte. Ich hatte noch nie mit jemandem über meine familiäre Situation gesprochen. „Wie heißt du überhaupt?“, fragte er, als ich nach einer Weile noch immer nichts geantwortet hatte. „Fay“, erwiderte ich. „Okay, Fay. Ich will dich nicht drängen. Sag mir nur eins. Du hast weder Wohnung, noch Geld, noch Job und keine Freunde oder Familie zu denen du gehen kannst, ist das richtig?“ Ich nickte. „Hast du dir überlegt, was du tun willst, um das zu ändern?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich ... ich hatte Geld. Man hat mir meinen Rucksack gestohlen. Dann bin ich rumgelaufen und irgendwie in dieses Viertel gelangt. Nun ja, den Rest kennst du ja.“ „Ich mach dir ein Angebot“, sagte er. „Du kannst das Gästezimmer haben und ich besorg dir einen Job. Wenn du auf die Füße gekommen bist, dann helfe ich dir dabei, eine Wohnung zu finden. Wie klingt das?“ Ich schaute vorsichtig auf und begegnete seinem Blick. Grün. Seine Augen sind grün, dachte ich. Nein! Sie sind grau-grün. „Was ... was verlangst du als ... Gegenleistung?“, fragte ich vorsichtig. „Nichts“, erwiderte er ruhig, ohne den Blick von mir zu wenden. „Ich hab dir schon gesagt, dass du nicht mein Typ bist. Und zu jung sowieso. Wie alt bist du. Siebzehn?“ „Ich werde im Januar neunzehn“, erwiderte ich trotzig. „Hast du einen Ausweis bei dir, der das beweisen kann?“ Ich schüttelte den Kopf. „Der war in dem Rucksack“, sagte ich betrübt. „Aber es ist wahr!“ „Okay. Dann bist du eben achtzehn. Immer noch zu jung für mich.“ „Wie alt bist du?“, fragte ich. „Ich bin ziemlich genau zehn Jahre älter als du. Ich werde im März neunundzwanzig.“ Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee und schaute mich um. Er verdiente offenbar ganz gut, denn die Möbelstücke sahen alle ziemlich teuer aus. Ich sah eine umfangreiche DVD-Sammlung und eine beinahe ebenso große Sammlung an CD’s. Auf einem kleinen Tisch lagen eine teuer aussehende Fotokamera und mehrere Objektive. „Bist du hungrig?“, wollte Viper wissen. „Nein, danke. Ich hatte ... einen Hotdog.“ „Einen Hotdog“, wiederholte Viper skeptisch. „Wie lange ist das her?“ Ich zuckte mit den Schultern und er seufzte. „Ich mach dir ein schnelles Sandwich, dann zeig ich dir dein Zimmer. Morgen früh besorg ich dir was zum Anziehen. So kannst du nicht arbeiten gehen.“ Er erhob sich, ehe ich protestieren konnte. Verlegen nippte ich an meinem Kaffee während er in der Küche rumorte. Wenig später kam er zurück und stellte einen Teller vor mich. Zwei reichlich belegte Sandwichs mit Bacon, gekochten Ei, Salat und Majonäse lagen darauf. „Danke“, sagte ich und griff nach einem Sandwich. Erst als ich einen Bissen im Mund hatte bemerkte ich wie hungrig ich war. Im nu hatte ich die beiden Sandwichs aufgegessen. Viper hatte mir schweigend zugesehen. Ich war mir seines prüfenden Blicks unangenehm bewusst. Er hatte mich gerettet, gewährte mir Unterschlupf und machte mir sogar Sandwiches, doch ich konnte mich noch immer nicht recht entscheiden, was ich von ihm halten sollte. Ich hoffte, dass ich nicht an einen Loverboy geraten war. Ich hatte davon gelesen. Sie waren nett zu Mädchen und kümmerten sich um sie, dann zwangen sie die Mädchen zum s*x mit Männern und machten sie zu Huren. Ich würde eben auf der Hut sein müssen. „Wenn du fertig bist, dann zeig ich dir jetzt dein Zimmer und das Bad“, sagte Viper und erhob sich. Ich stellte meine Tasse ab und erhob mich ebenfalls. Er deutete mir, ihm zu folgen und wir gingen auf die linke der drei Türen zu. Er öffnete sie für mich und ich betrat das Zimmer, das mit einem schmalen Bett, einem Schrank und einem Waschbecken ausgestattet war. „Ist nichts Tolles, aber besser als die Straße“, sagte er hinter mir. „Es ist wunderbar“, erwiderte ich ehrlich. Es war größer, als mein Zimmer zuhause und sauber. Die schweren, dunkelblauen Vorhänge vor dem Fenster und ein paar Bilder an den Wänden ließen den Raum recht hübsch erscheinen. „Das Badezimmer ist nebenan. Es ist abschließbar“, erklärte er. „Brauchst du noch etwas? Handtücher findest du im Badezimmerschrank und du kannst mein Shampoo benutzen. Im Schrank unter dem Waschbecken dürftest du noch eine frische Zahnbürste finden.“ „Das ist sehr nett“, erwiderte ich. „Danke.“ „Nicht zu danken. Dann schlaf gut.“ Ich nickte. „Danke. Gute Nacht.“ „Gute Nacht, Fay.“ Viper verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich stand eine Weile unschlüssig da, dann ging ich zum Bett und setzte mich erst einmal. Ich konnte noch gar nicht fassen, was heute alles passiert war. Erst die Sache mit meinem Rucksack, dann die vier miesen Kerle und jetzt hatte ich auf einmal ein weiches Bett, einen vollen Magen und bald vielleicht sogar einen Job, wenn Viper Wort hielt. Angespannt lauschte ich in die Stille. Ich konnte Viper nebenan rumoren hören, dann ging Wasser an. Mein Gastgeber schien zu duschen. Der Gedanke an Vipers muskulösen gutgebauten Körper, nackt unter der Dusche, bescherte mir ein warmes Kribbeln zwischen meinen Schenkeln und ich schüttelte verwirrt den Kopf. Ich hatte mich nie sexuell für Kerle interessiert. Die Erfahrungen mit Martin, meinem Stiefvater, hatten in mir eine Abscheu gegenüber Männern erzeugt, doch jetzt saß ich hier und fantasierte über einen Typen, den ich kaum kannte. Ich musste verrückt geworden sein. Das Wasser verstummte und wenig später wurde eine Tür geöffnet und geschlossen, dann klopfte es auf einmal an meine Tür. Verdammt, was will der jetzt?, fragte ich mich mit klopfendem Herzen. Hatte er mir etwas vorgemacht? Wollte er nun doch s*x? „Ja?“, rief ich aufgeregt, unfähig den Klang von Panik in meiner Stimme zu unterdrücken. Die Tür ging auf und Viper stand auf der Schwelle. Er hatte ein Handtuch um seine Hüften geschlungen und Wassertropfen liefen seine breite haarlose Brust hinab. Er trug ein Tattoo in Form einer Schlange, deren Kopf an seinem Hals begann, wo es aussah, als wenn sie ihre Zähne in sein Fleisch geschlagen hätte, der Körper schlang sich einmal um seinen Oberkörper herum, und die Schwanzspitze verschwand an seiner rechten Seite unter dem Handtuch. Ich fragte mich, bis wohin die Schlange gehen mochte und errötete. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich morgen ganz früh aus dem Haus gehe und so gegen zehn Uhr zurück sein werde. Ich bringe dir Sachen mit. Du kannst dich wie zu Hause fühlen und dir Kaffee und Frühstück machen.“ Ich versuchte, meinen Blick von seinem Waschbrettbauch zu lösen und einen zusammenhängenden Satz zu formulieren, doch mein Gehirn schien sich in Brei verwandelt zu haben. „Fay?“, erklang seine fragende Stimme. „Alles in Ordnung?“ Ich nickte. „Ja, ähm ... Danke“, sagte ich und wandte endlich den Blick von seinem sexy Sixpack ab. Stattdessen starrte ich auf meinen Schoß hinab. „Okay, dann schlaf gut“, sagte er. „Du kannst die Bürste nutzen, die auf der Ablage liegt. Ich brauche sie nicht. Ist ein Überbleibsel von einer der Frauen, die ... Du kannst sie benutzen. Sie ist sauber.“ Ich nickte. Die Erwähnung von Frauen beschwor Bilder in mir herauf, die ich lieber nicht sehen wollte. Bilder von Viper beim s*x mit vollbusigen Schönheiten. Es gefiel mir irgendwie nicht, obwohl es vollkommener Unsinn war, und mich ja nun wirklich nichts anging. Wir waren kein Paar. Er war nicht einmal an mir interessiert und ich ja auch nicht. Oder? „Gute Nacht, Fay.“ „Gute Nacht“, erwiderte ich krächzend, dann hörte ich, wie die Tür sich schloss und ich wagte es endlich, wieder von meinem Schoß aufzusehen. Ich wartete eine Weile, ehe ich mich traute, ins Badezimmer zu gehen. Es war größer, als ich vermutet hatte. Große, graue Fliesen zierten die Wände, die Bodenfliesen waren anthrazit. Es gab eine große Eckbadewanne mit eingelassenen Lichtern am Rand und Löchern für Blubberblasen am Boden. Ich hatte noch nie in einem Whirlpool gelegen und war versucht, es einmal auszuprobieren. Vielleicht morgen früh, wenn Viper nicht da war. Neben der Wanne gab es eine Jacuzzi Dusche, zwei große Waschbecken und natürlich eine Toilette. In einer Ecke stand ein hoher Schrank. Ich öffnete ihn und holte ein frisches Handtuch heraus. Mein Blick glitt über die männlichen Utensilien auf der Glasablage über den Waschbecken. Rasiermesser mit Seife und Pinsel in einem Ständer, Aftershave, Gel und eine Box mit Wattestäbchen auf der einen Seite und ein Handspiegel und eine Bürste auf der anderen Seite. Wieder kam mir Vipers Damenbesuch in den Kopf. Bestimmt hatte ein Kerl wie er viele Frauen. Er erschien mir nicht als der Typ für feste Beziehungen. Ich öffnete den Unterschrank und fand eine noch original verpackte Zahnbürste, genau, wie er gesagt hatte. Ich legte sie auf das Waschbecken und schaute mich im Spiegel an. Ich sah müde aus und meine Wange war geschwollen und gerötet, wo der bullige Mistkerl mich geschlagen hatte. Es sah aus, als wenn es blau werden würde. Na wunderbar, dachte ich ärgerlich. Wie sollte ich so einen Job antreten? Ich seufzte, dann begab ich mich unter die Dusche. Nachdem ich frisch geduscht war, huschte ich mit dem Handtuch um den Leib gewickelt und meinen Kleidern über dem Arm aus dem Bad und in mein Zimmer. Ich war jetzt wirklich müde und das Bett sah mehr als einladend aus. Ich legte meine Kleider neben das Bett und löste das Handtuch, dann schlüpfte ich nackt unter die Decke. Das Licht ließ sich von einem Schalter neben dem Bett ausmachen. Die Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen, rollte ich mich auf die Seite, und war wenig später fest eingeschlafen.
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