Kapitel 1-2

1882 Words
Es sollte nicht allzu schwierig sein, die anderen dazu zu bringen, mich anzugreifen, dachte sie mit düsterem Selbsthass. Sie atmete tief durch, richtete ihren Blick wieder auf die Frau und erhob den gebogenen Dolch. Mit einer schnellen Handbewegung schnitt sie eine dünne Linie quer über die Kehle des Königs. Das Wesen in ihr geriet durch ihren kühnen Schritt in Wallung. Ein leises Zischen entwich ihren geöffneten Lippen, als die Kreatur sich für die nächste Aktion bereitmachte. Noch nicht, murmelte sie. Töte ihn! Er wird als Erster sterben. Ich brauche ihn nicht mehr, befahl das Wesen. Wenn ich ihn umbringe, werden die anderen keinen Grund haben, näherzukommen. Wir müssen warten, bis sie alle nahe genug sind, bevor wir zuschlagen, beharrte sie, während sie die wirbelnde Masse an der Decke im Auge behielt. Magna stieß ein weiteres schrilles Lachen aus, bevor sie sich an die Hexe wandte. „Der Meereskönig ist an die Gesetze seines erbärmlichen Volkes gebunden. Er ist schwach und kann mir nichts anhaben“, meinte sie nur und zuckte mit einer Schulter. „Er vielleicht, aber ich nicht“, ertönte eine laute Stimme am Eingang des Thronsaals. Ihr Blick wanderte zur Tür. Sie spürte, wie das Wesen in ihrem Inneren zurückwich. Sie konnte die Angst und das Verlangen der Kreatur nach der überwältigenden Macht des Drachen regelrecht schmecken. Sie musterte Dragos eindrucksvolle Gestalt mit einem Anflug von Befriedigung und Vorfreude. Drago stand in der Mitte des nun zerstörten Türrahmens, sein Gesicht und sein Körper waren angespannt vor Wut. Magna biss sich auf die Lippe. Das Wesen in ihr war immer noch zu stark, als dass sie die Fesseln lösen könnte. Und damit Dragos Feuer wirksam genug war, brauchte sie das letzte Element ihres Plans – Orion und seinen Dreizack. „Es ist Zeit zu sterben, Meerhexe! Ich habe viel zu lange auf diesen Moment gewartet. Du solltest dankbar sein, dass es ein schneller Tod werden wird. Ich würde nichts lieber tun, als dich die gleichen Qualen spüren zu lassen, die du anderen bereitet hast“, sagte Drago spöttisch, als er den Raum betrat. In seinen Augen loderte ein Funken seines Drachenfeuers auf. Die Rache brannte so hell in ihm, dass seine Brust durch den Stoff seines Hemdes blutrot glühte. Seine Gesichtszüge waren hart, und sein langes schwarzes Haar umwehte ihn, als er auf sie zuging. Die Absicht in seinem Blick war eindeutig – tödlich. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich die schwarzen, dornigen Tentakel nach unten ausstreckten und sich um Drago wickelten. Sie streckte warnend die Hand aus, und ein Schrei entwich ihren Lippen. „Pass auf!“, rief sie. Du widersetzt dich mir!, zischte die Kreatur in ihr. Es war so weit. Sie konnte nicht länger warten. „Göttin, bitte … gib mir die Kraft, die ich brauche, um das hier zu beenden“, flüsterte sie. Ihre Augen tränten angesichts des plötzlichen intensiven Schmerzes, der sie durchfuhr. Feuer brannte in ihren Adern. Ihre Lippen öffneten sich zu einem Schmerzensschrei, als eine weitere intensive Welle über sie hereinbrach, aber sie schluckte sie hinunter. Sie musste alles tun, was sie konnte, um das Wesen abzulenken, damit Drago oder einer der anderen sie angreifen konnte. Ein zitternder, zischender Atemzug entwich ihr. „Du wirst Drago und Orion niemals besiegen können“, flüsterte sie dem Wesen in ihrem Inneren zu, während sie um Kontrolle rang. Ich werde sie alle vernichten. Und dann werde ich mich um dich kümmern, zischte das Wesen voller Zorn. „Ich … werde nicht … zulassen, dass du ihnen etwas antust“, schwor sie. Sie wehrte sich, aber das Wesen zwang Magna, die Hand, die das Messer hielt, zu erheben. Sie wusste genau, was es vorhatte – König Oray zu töten. Mit der anderen Hand hielt sie das Handgelenk der Hand, die das Messer hielt, fest und hielt gegen die Bewegung. „Nein!“, schrie sie und drehte ihren Körper von dem König weg. Das Wesen schickte elektrische Stöße durch ihren Körper, und Magna krümmte sich, ihr Herz schlug unregelmäßig. Dann richtete sie sich auf, wie eine Marionette an einem Faden, und das Messer steuerte erneut auf die Kehle des Königs zu. Im selben Moment hallte das Geräusch einer Explosion durch den Saal. Magna spürte, wie ein markerschütternder Schmerz ihre linke Schulter durchbohrte. Das Messer fiel zu Boden, als die Wucht des Schlages ihren Körper heftig nach hinten riss. Sie drehte sich um und brach auf dem Boden zusammen. Als sie benommen auf dem kalten Stein neben dem Thron lag, konnte sie spüren, wie warmes Blut durch ihre Kleidung sickerte und sich unter ihr zu sammeln begann. Sie keuchte und das Wesen versuchte, sich aus ihrem Körper zu befreien, während Magna sich bemühte, den Zauber, mit dem sie es an sich gebunden hatte, zu verstärken. Schließlich gelang es der Kreatur jedoch, durch den zauberlosen Pfad, der durch die klaffende Wunde entstanden war, aus ihrem Körper zu entweichen. Magna stieß ein langgezogenes, schmerzerfülltes Keuchen aus und ihr Körper wölbte sich, als das dunkle Wesen durch die Wunde in ihrer Schulter aus ihrem Körper herausströmte. Ein Schauer durchfuhr sie und sie sah zu, wie die schwarze Wolke in einer wirbelnden Masse über ihr aufstieg. Sie ließ sich wieder auf den Boden sinken, als der letzte Teil der Kreatur ihren Körper verließ. Sie fühlte sich verwirrt und schwach, als sich ein seltsames Gefühl in ihr ausbreitete, als ob plötzlich eine höhlenartige Leere in ihr herrschen würde. Dieses Gefühl wurde jedoch schnell durch eines ersetzt, das ihr nur allzu vertraut war – Angst. Die Angst durchzuckte sie, ließ ihre Finger und Zehen taub werden und schnürte ihr die Kehle zu, als sie begriff, dass das Wesen nun nach einem neuen Wirt Ausschau hielt. Es war zu früh befreit worden. Orion hatte sie noch nicht mit der Kraft des Dreizacks getroffen. Das Wesen hatte noch die volle Kontrolle über seine eigene Kraft. Die Kreatur richtete ihre Aufmerksamkeit auf König Oray. Magna hob ihre rechte Hand und flüsterte den Zauberspruch, mit dem sie das Wesen an sich gebunden hatte. Ihr Körper zuckte, als der Zauber das Wesen einfing und es von dem gebrechlichen König wegzog. Auf der anderen Seite des Throns hörte sie die Stimme ihres Cousins und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es gab so viel, was sie ihm sagen wollte. Sie würde alles dafür geben, ihn um Verzeihung bitten zu können für all das, wozu sie unfreiwillig gezwungen worden war. „Feuer“, rief Orion. Lass mich los!, zischte das Wesen, das sich zornig drehte und wendete, als Orion und Drago es angriffen. Ich werde dich zerstören! Magna ignorierte die Drohung, denn sie wusste, dass sie diejenige sein würde, die es zerstören würde. Mit eisernem Willen, der aus Hoffnung, Verzweiflung und Trauer heraus geboren war, hielt sie den dünnen Faden der Verbindung zwischen sich und dem Wesen, von dem sie die letzten zwei Jahrhunderte über kontrolliert worden war, fest. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich auf die Verbindung und belegte das Wesen langsam einen weiteren Zauber. Die Zauber würden das Wesen über dem Thron in der Schwebe halten und es daran hindern, sich von ihr wegzubewegen, während sie es ihm gleichzeitig unmöglich machen würden, in ihren Körper zurückzukehren. Ein Schauer durchfuhr sie, als sie die Berührung einer warmen Hand unter ihrem Kinn spürte. Sie öffnete die Augen und blickte zu dem Mann auf, der sie mit seiner seltsamen Waffe verletzt hatte. Als sie seinen besorgten Blick sah, liefen ihr langsam Tränen über die Wangen. „Geh!“, befahl sie und leckte sich über ihre trockenen Lippen. „Du musst … gehen“, wiederholte sie mühsam. Sie hatte einen Kloß im Hals und konnte kaum sprechen. Der Mann schüttelte den Kopf. „Nicht ohne dich“, entgegnete er mit fester Stimme. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und versuchte, sie hochzuheben. Ihr Gesicht verzerrte sich, als der intensive Schmerz sie mit seinen heftigen Wellen zu ertränken drohte. Sie streckte ihre rechte Hand aus und drückte sie gegen die Schulter des Mannes. Sie schüttelte bedauernd den Kopf. „Wie ist dein Name?“, fragte sie. Der Mann warf ihr einen verwunderten Blick zu. „Mike Hallbrook. Ich muss dich hier rausholen“, meinte er mit einem Stirnrunzeln. Ihr Blick wanderte wieder zur Decke über ihnen und er drehte seinen Kopf, um ihrem Blick zu folgen. Jetzt war der Moment gekommen, um zuzuschlagen. Die Kreatur wurde von Dragos Drachenfeuer und den zerstörerischen Blitzen aus den Dreizacken von Orion und seinen Männern in Stücke gerissen. Sie würde die Kreatur ein für alle Mal vernichten. „Nein“, sagte sie mit einem leichten Kopfschütteln, als er erneut versuchte, sie hochzuheben. „Nein, ich weiß jetzt, wie man … wie man es tötet. Geht! Sonst wird euch das, was ich tun muss, alle umbringen. Geh, Mike Hallbrook. Rette meinen König und die Inseln. Nimm die anderen mit. Es gibt keine Hoffnung mehr für mich. Ich bin sowieso dem Tode geweiht. Ich möchte wenigstens, dass mein Leben für etwas gut war“, flehte sie mit erschöpfter Stimme. Sie sah, wie sich Mikes Augen vor Unentschlossenheit verdunkelten. Die Furcht und die Entschlossenheit gaben ihr die Kraft, die sie brauchte, um ihn beiseitezuschieben. Unsicher rappelte sie sich auf. Sie atmete tief durch, nahm das letzte schwindende Quäntchen ihrer Kraft zusammen, um den Kopf zu heben. Sie ignorierte den quälenden Schmerz in ihrer Schulter, als sie ihre Arme über den Kopf hob und mit klarer Stimme voller Entschlossenheit zu singen begann. Magie durchströmte ihren Körper, und sie konnte spüren, wie die Macht der Zauberinsel in sie eindrang und ihr die zusätzliche Stärke gab, die sie brauchte, um den letzten Schlag auszuführen, der sie alle befreien würde. Leuchtend rotes Blut lief über ihre Schulter und durchtränkte die Vorderseite ihres weißen Kleides. Sie ignorierte alles außer der Magie des Zaubers, die sich in ihr aufbaute, und den schwarzen Schatten des Wesens an der Decke. Ich werde nicht versagen, schwor sie sich. Im Hintergrund hörte sie die eindringlichen Rufe von Mike, der Drago und Orion anwies, sich zurückzuziehen. Mike trug König Oray über seiner Schulter und eilte auf den ausgebrannten Eingang des Thronsaals zu. Drago und Orion stoppten ihre Angriffe, um ihm zu folgen, und das Wesen konzentrierte seine gesamte verbleibende Kraft darauf, Magnas Griff abzuwehren. „Möge das Licht der Wahrheit mich leiten und mein Schwert sein“, sang sie. Ein helles Licht flammte um sie herum auf, als der von ihr gesprochene Zauber die Luft im Raum entzündete. Wogende Wellen der Macht durchströmten den Raum wie ein dichter Nebel und saugten die Luft aus dem Wesen heraus. Sie konnte hören, wie es zischte, als die Kraft über es hinwegfegte und seinen Körper mit dem hellen Licht entzündete. Das Wesen streckte sich nach ihr aus, aber die blendende Kraft des Lichts, das von ihr ausstrahlte, hinderte es daran, sie zu erreichen. Magna spürte, wie ihr Körper vom Steinboden abhob. Sie schloss die Augen, dachte an den weiten Ozean, in dem sie zuhause war, und wünschte sich, das kühle Wasser würde sie umgeben und die Flammen löschen, die ihren ausgelaugten Körper versengten. Während die Luft um sie herum immer noch loderte, fühlte sie, wie ihr Körper auseinandergerissen wurde, bis die schwarze Leere sie schließlich erlöste. Es ist vorbei, dachte sie. Ich bin frei.
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD