Kapitel 2-2

1375 Words
Desiree „Giovanni“, rufe ich aus, als ich mich schließlich an seinen Namen erinnere. Ich habe ihn einmal im Haus seiner Mutter getroffen. Als ich ihn mit einer Schusswunde und besudelten Laken auf dem Bett liegen sah, ist mein Puls in die Höhe geschnellt. Ich weiß nicht genau, warum es mir so nahegeht, aber es scheint umso schlimmer zu sein, wenn man die Leute persönlich kennt. Und dabei kenne ich ihn kaum, aber ich habe mich fast drei Monate um seine Mutter gekümmert und sie hatte pausenlos von ihren Kindern erzählt. Seine Augenlider flattern auf und er blickt mich an und stöhnt. „Nicht bewegen“, schärfe ich ihm ein. „Ich weiß, dass es wehtut. Keine Sorge. Wir werden uns um dich kümmern, Giovanni.“ „Gio“, grollt Junior an meiner Seite. „Er heißt Gio. Verstanden.“ Ich richte mich auf und blicke ihn an. „Hör zu, ohne Material kann ich nicht viel für ihn tun. Ohne Desinfektion kann ich nicht seine Wunden zunähen. Aber solange er stillhält, müsste er relativ stabil bleiben.“ Junior nickt. „Paolo ist dabei, die Sachen zu besorgen.“ Und da wir im Moment nur abwarten können, beschließe ich, meine Unzufriedenheit kundzutun. „Du kannst mich nicht einfach kidnappen, wenn du eine Krankenschwester brauchst.“ Juniors Miene wird vollkommen teilnahmslos. Er sagt nichts darauf. Nix. Als ob ich nicht einmal einer Antwort würdig bin. Ich haue ihm auf die Brust. „Im Ernst.“ Er fängt meine Hand und zieht sie zurück an seine Brust. „Vorsicht, Püppchen. Letztes Mal habe ich es dir durchgehen lassen. Solltest du mich nochmal schlagen, dann wird das Konsequenzen haben.“ Ein Schauer läuft mir den Rücken hoch, aber es ist eher ein Schauer der Aufregung als echte Angst. Da bin ich sicher, denn gleichzeitig wird mein Schlüpfer nass. Ich liebe es, wenn Juniors tiefe Stimme mir mit Konsequenzen droht und er dazu meine Hand an seine Brust hält und nur wenige Zentimeter entfernt von mir steht. Ich liebe es fast so sehr, dass ich ihn provozieren und folglich herausfinden will, wie genau diese Konsequenzen aussehen, aber so dumm bin ich dann doch nicht. Ich will ihn wegschieben und meine Hand befreien, aber er rührt sich nicht vom Fleck und meine Hand bleibt an seine Brust geklebt. Er senkt den Kopf und wirft mir einen finsteren Blick zu. „Du kümmerst dich um Gio, ich kümmere mich um dich.“ Jetzt werde ich leicht nervös, auch wenn ich vermute, dass er mir ein Angebot macht und nicht dabei ist, mir zu drohen. Seine Worte erinnern mich an die vielen Mafia-Deals aus dem Fernsehen und ich bin dabei, auszuflippen. „Ich werde ihn zusammenflicken und warten, bis er stabil ist, aber das ist alles. Morgen Mittag beginnt meine Schicht im Krankenhaus.“ Er schüttelt den Kopf. „Du wirst so lange hierbleiben, bis es ihm besser geht. Mir ist egal, wie lange – und wenn es einen Monat dauert. Du wirst morgen bei deiner Arbeit anrufen und sagen, dass du die Grippe bekommen hast.“ Ich starre ihn ungläubig an. Scheiße. Er wird mich definitiv hier gefangen halten. „Meine Mom arbeitet im gleichen Krankenhaus – sobald ihre Schicht vorbei ist, wird sie bei mir vorbeischauen.“ Seine Miene bleibt ungerührt. „Dann lässt du dir besser was einfallen.“ Mir rutscht das Herz in die Hose. „Oder sonst was?“ Er neigt den Kopf zur Seite und betrachtet mich einen Moment lang. „Es gibt einen guten Grund, warum wir nicht ins Krankenhaus gegangen sind, capiche?“ Ich nicke. „Also überleg dir gut, ob deine Mom eine Zeugin werden soll. Das wäre ein Problem.“ Mein gesamter Körper wird eiskalt. Das war definitiv eine Drohung. Eine verdammt unheimliche Drohung. Und soll das bedeuten, dass ich auch zum Problem werden könnte? Dass er mich loswerden wird, sobald er mich nicht mehr gebrauchen kann? Damit ich nicht rede? Heilige Scheiße, nochmal. Ich stecke richtig tief in der Scheiße hier. Meine Knie geben nach. Würde er nicht meine Hand halten, wäre ich wohl nach hinten gestolpert. Dann nimmt er mit Daumen und Zeigefinger mein Kinn in den Schraubstock, damit ich ihm in die Augen blicke. „Du bleibst so lange hier, bis es ihm besser geht. Kein Kontakt nach draußen. Und wenn du hier fertig bist, wirst du genug Knete haben, um dir ein neues Auto zu kaufen.“ Einmal musste Junior mich nach Hause fahren, nachdem mein Wagen vor dem Haus seiner Mutter liegengeblieben war. Er weiß genau, wie uralt mein Schlitten ist. „Okay?“ Tränen steigen mir in die Augen und wieder will ich ihn wegschubsen. Diesmal lässt er mich los. „Nein, das ist nicht okay.“ Ich blinzele aufgeregt, damit er bloß nicht meine Tränen sieht. „Nur weil ich ein beschissenes Auto fahre, denkst du, du kannst mit mir machen, was du willst? Du glaubst, du kannst mich einfach kidnappen, über mein Leben bestimmen und es mit einer Stange Geld wiedergutmachen?“ Dabei ist es unklug, mich mit ihm zu streiten. Bekloppt, ehrlich gesagt. Ich weiß nicht einmal, ob er mir ernsthaft Geld geben will oder es einfach nur so dahinsagt, damit ich den Job mache. So oder so; ich muss einsehen, dass er mich zwingen kann. Aber irgendwie komme ich eben erst in Fahrt und kann mein Getobe scheinbar nicht zurückhalten: „Ist dir klar, dass ich meinen Job verlieren könnte? Ich habe gerade erst wieder hier angefangen – bisher war ich nur einen Tag krankgemeldet.“ Juniors Lippen verschließen sich zu einer schmalen Linie und zum ersten Mal bemerke ich, wie todbringend er aussieht. Vorher habe ich mich irgendwie immer auf die attraktive Seite konzentriert. Jetzt aber? Jetzt sehe ich dasselbe Gesicht, das andere Leute sehen müssen, wenn sie sich in die Hosen pissen und den Allmächtigen um Vergebung ihrer Sünden bitten, und zwar genau vor ihrem Tod. Denn dieser Ausdruck ist einfach nur tödlich. „Wenn du den Job verlierst, dann bezahle ich dich, okay? Jetzt hör auf, Ärger zu machen. Dein Job ist erstmal hier und ich erwarte, dass du ihn gut machst.“ Ich funkele ihn an, wage es jedoch nicht, nochmal den Mund aufzumachen. Er dreht mich um, sodass ich mich wieder Gio zuwende. „Komm schon, Püppchen, jetzt mach die Sache nicht so schwer.“ Seine Stimme verliert etwas von ihrer Härte und bekommt eine schmeichelnde Note. „Nur du kommst dafür infrage“, spricht er hinter meinem Rücken. Ich möchte über die Schulter blicken und ihn bitten, näher darauf einzugehen, widerstehe aber dem Drang. „Du wusstest vom ersten Moment an, was zu tun ist. Du hast die Sache im Griff. Ich würde niemandem sonst das Leben meines Bruders anvertrauen.“ Etwas Hartes in meiner Brust entspannt sich. „Ich bin sicher, dass noch jede Menge andere Leute infrage kämen“, murmle ich. „Nein.“ Er tritt näher heran. Er steht genau hinter meinem Rücken, jedoch ohne mich zu berühren. „Du musstest es sein.“ Seine Hände berühren locker meine Taille. Ein Kribbeln durchfährt meine Wirbelsäule. Meine Oberschenkel verkrampfen sich und fangen leicht an zu zittern. „Ich werde deine Mühe belohnen.“ Er senkt den Kopf nach unten, sodass sein Mund neben meinem Ohr schwebt. „Versprochen.“ Ich schwöre, das Versprechen ist zweideutig. Plötzlich kommt mir eine unwillkommene Fantasie in den Sinn, die ich hatte, als ich bei seiner Mutter beschäftigt war. Eine Fantasie, in der er mich über den Küchentisch beugt und mich grob von hinten nimmt, während ich ihn bitte, sanft zu sein. Diese Fantasie könnte jetzt sehr wohl zur Realität werden und das sollte mich in Angst und Schrecken versetzen. Oder mich anwidern. Aber nein, stattdessen flattert es nur so in meinem Unterbauch und erneut kommt in mir der Drang auf, ihn so weit zu provozieren, damit er mir seine gottverdammten Konsequenzen veranschaulicht. Nur gut, dass ich nicht total übergeschnappt bin. Ich verwerfe den Drang und begrabe ihn unter dicken Schichten aus Angst und Anstand und gelobe, nie wieder mein Interesse für diesen Mann in mein Wachbewusstsein aufsteigen zu lassen. Er ist gefährlich. Er hat diese Art der Aufmerksamkeit nicht verdient. Ich darf nicht einmal anfangen, an solche Sachen zu denken.
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