Kapitel 1-1

1220 Words
Kapitel 1 Junior Eigentlich sollte es sich um ein ganz lockeres, abendliches Treffen im Caffè Milano handeln. Das Problem ist nur, dass man sich mit der russischen Mafiya nie so sicher sein kann. Diese barbarischen Schweine sind nämlich ziemlich unberechenbar. Wir sind gekommen, um über unser Territorium zu sprechen. Sie haben sich in unserer Gegend breit gemacht. Drogen vertickt. Und vermutlich Zwangsprostituierte beschäftigt. Mir ist scheißegal, was sie anderswo treiben, und in unseren alten Vierteln läuft sowieso nicht mehr viel, aber im Namen meiner Familie bin ich dazu verpflichtet, die Gegend sauber zu halten. Die verdammten Russen draußen zu halten. Wir treffen uns im Freien, vor einem Straßencafé in Cicero. Die Gegend nennen wir das alte Viertel, ähnlich wie die Generation meines Vaters gerne von der alten Heimat sprach. Unser Geschäft ist und bleibt der Geldverleih. Die Sache ist legal, abgesehen von der Prügel, die jedem droht, dessen Zahlungen auf sich warten lassen. Heutzutage hat unser Business gewaltige Proportionen angenommen und wir leben jetzt in Villen in den Vororten. Was aber nicht heißt, dass mir mein altes Viertel am Arsch vorbeigeht. Einer der jüngeren Bratva sitzt an einem Tisch – Ivan, glaube ich. Von ihrem Anführer Vlad fehlt jede Spur. Cazzo. Das gefällt mir schonmal überhaupt nicht. Ich steige zusammen mit meinen Brüdern Gio und Paolo aus dem Range Rover aus, gefolgt von unseren Soldaten Mario und Luca. Wir alle sind diskret bewaffnet; wir werden keine Show inszenieren und mit gezückten Waffen ins Café spazieren. „Wo ist Vlad?“, will ich von Ivan wissen. Gio begleitet mich, die anderen drei halten sich wie vereinbart zurück. Ivan zuckt recht gleichgültig die Achseln. „Er kommt noch.“ Das Mädchen hinter der Theke tritt hervor, ein Millennial in Röhrenjeans und engem Oberteil. Ich kenne sie, aber ihr Name will mir nicht einfallen. Sie ist die Enkelin von Luigi Milano, dem ursprünglichen Besitzer und Freund meines Vaters. „Mister Tacone.“ Sie grüßt mich, aber ihre Miene ist alles andere als heiter. Im Gegenteil; ihre Lippen sind zu einer knappen Linie gespannt und ein Muskel an ihrem Kiefer zuckt nervös. Ihr Blick fällt auf den Russen und dann blickt sie zurück zu mir, als hätte sie Angst, weil wir beide gleichzeitig in ihrem Lokal aufkreuzen. Ich habe das Caffè Milano als Treffpunkt ausgemacht, weil die Leute uns wohlgesonnen sind. Das könnte sich allerdings mit der neuen Generation geändert haben. Vielleicht haben sie mit den Russen einen Deal gemacht. Der Gedanke daran sollte mich ärgern, aber irgendwie nehme ich ihn nur am Rande wahr – wie eine Belanglosigkeit. „Kann ich Ihnen etwas bringen? Einen Espresso? Cannoli?“ „Zieh Leine“, blafft der Russe. Sie zuckt zusammen und als ihr Blick zu mir zurückschweift, fleht sie mich regelrecht an. Scheiße verdammt. Was auch immer die Russen hier treiben, sie ist nicht damit einverstanden. Woraus ich ableite, dass mein Problem sich nicht von selbst erledigt hat. „Espresso“, entgegne ich und wünschte, ich könnte mich an ihren Namen erinnern. Ich weiß noch, wie sie hier als kleines Mädchen herumgetobt ist; damals, als mein Vater das Lokal als Treffpunkt genutzt hatte. Marissa? Faith? Verdammt, er will mir einfach nicht einfallen. Sie bleibt noch eine Sekunde länger dort stehen, viel zu lange für eine normale Kellnerin, und jetzt bin ich mir sicher, dass es ein Problem gibt. „Zieh. Leine.“ Der Russe sieht furchteinflößend aus. Sie wirft mir einen letzten Blick zu und geht wieder rein. Gio presst unauffällig, aber nachdrücklich den Ellbogen gegen meinen Arm. Er will mir etwas sagen. Ich spüre, wie Paolo hinter uns auf der Stelle tritt. Fanculo, diese Geschichte ist dabei, aus dem Ruder zu laufen. Es ist ein Trick. Ein Hinterhalt. Ich schaue durch das große Glasfenster. Alle Plätze beim Fenster sind besetzt. Das ist ungewöhnlich am Abend. Caffè Milano ist sonst eher tagsüber geschäftig. Sie haben zwar bis in den Abend geöffnet, aber normalerweise ist es dann ruhig. Mir fällt auf, dass die Kunden allesamt ihre Gesichter von mir abwenden, als wollten sie anonym bleiben. Ivan steht auf und meine Hand wandert zur Walther PPK, die ich hinten an meinem Gürtel trage. „Lass uns reingehen.“ „Das denke ich nicht“, erwidert Gio und zückt seine Waffe. Und dann bricht die Hölle los. Von allen Seiten ertönen Schüsse. Einige kommen aus dem Inneren des Cafés und Fenster gehen zu Bruch. Einige kommen von unseren Jungs hinter mir. Gio und der Russe auf dem Bürgersteig feuern aufeinander. Ich schleudere den Tisch durch die Scheibe, um freie Sicht zu haben, dann treffe ich einen verwundeten Ivan, und zwar genau, als er Gio erwischt. Gio ächzt und taumelt rückwärts. Er umklammert seinen Bauch. Nein. Nein! Nicht Gio. Scheiße! Dann passiert alles im Zeitlupentempo. Ich reiße Gio die Waffe aus der Hand und schiebe ihn rüber zu Paolo und Mario. „Schafft ihn ins Auto!“, brülle ich und gleichzeitig ziele ich auf die Köpfe, die unterm Fenster in Deckung gegangen sind. Ich drücke die Abzüge. Einer. Zwei. Drei Tote. Ich ballere mit beiden Händen wie in einem verfickten Film. Ich trete die Tür auf und gehe rein. Vier. Fünf sind unten. Ich schwinge die Waffen umher und suche nach Bewegungen. Kurz darauf folgt Luca mit gezückter Waffe, für die Show kommt er aber einen Tick zu spät. Hinter der Theke regt sich etwas und ich schwenke den Lauf meiner Beretta. Luca zielt ebenfalls. Es ist das Mädchen vom Caffè Milano. Scheiße. Kann ich ihr vertrauen? Wird sie reden? Ich halte meine Waffe auf sie gerichtet; ich muss eine Entscheidung treffen. „Sie ist Zeugin“, flüstert Luca, als ob ich das nicht längst wüsste. Aber wir töten keine Unschuldigen. Ich denke daran, wie loyal ihre Familie war, und frage mich, ob das immer noch so ist. Sie hat Tränen in den Augen. „Mister Tacone …“ Merda. Ich stecke meine Knarren weg. Sie ist loyal. Sie wollte mich warnen, da bin ich sicher. „Nein, nicht Mister Tacone“, schärfe ich ihr ein. Ich deute auf den Raum: „Russen.“ „Richtig“, nickt sie angeschlagen. „Nur Russen.“ Sie hat Köpfchen. „Gib mir fünf Minuten, ehe du den Notruf wählst.“ „Verstanden.“ Ihr Kopf schlingert immer noch. Ich gehe zurück zur Tür. „Ich übernehme den Schaden.“ Ich deute mit dem Kopf aufs Fenster, dann auf die kugeldurchsiebte Inneneinrichtung. Sie bricht in Tränen aus, als wir verschwinden und in den laufenden Wagen springen. Paolo tritt aufs Gas und fährt schnell, aber unauffällig davon. Keine quietschenden Reifen oder sonstigen Extravaganzen. „Gio. Gio? Rede mit mir.“ Ich sitze neben meinem Bruder und presse meine Hand auf die Stelle, wo er seine Wunde hält. „Mich hats erwischt.“ Gio ist auf dem Rücksitz zusammengesackt und sein Hemd und sein Sakko sind blutdurchtränkt. „Ich weiß. Halte durch. Du wirst wieder, verstanden?“ „Junior, wohin soll ich fahren?“, ruft Paolo vom Steuer aus. „Zu mir nach Hause. Danach müsst ihr Desiree Lopez holen.“ „Moms Krankenschwester?“ „Richtig. Sie schuldet mir noch einen Gefallen. Sie arbeitet in der Unfallklinik von Cook County. Wenn sie nicht arbeitet, dann wohnt sie in der 22sten in Humboldt Park. Findet sie und bringt sie zu meinem Haus. “
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