Prolog
Parauapebas, Brasilien
29 Dezember 2032 / 8:47 a.m. Ortszeit
Pearl
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und warf einen Blick auf die Reihe der geduldig wartenden Menschen. Die Sprechstunde hatte gerade erst angefangen und es war bereits so heiß, dass mir der Schweiß kitzelnd zwischen den Brüsten hinab lief. Es war mein dritter Tag hier im Camp und ich hatte noch immer Probleme von Winter auf Sommer umzuschalten. Als ich Washington verlassen hatte, lag Schnee auf dem Rasen des weißen Hauses und es war eisig kalt gewesen. Ich hatte mich auf ein wenig Wärme gefreut, doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mir so schwer sein würde, mich an den Klimawechsel zu gewöhnen. Seufzend sah ich zu der Frau auf, die vor meinem Pult stand. Sie hatte ein Baby auf dem Arm, ein Kleinkind von etwa vier Jahren an der Hand.
„Wie ist dein Name?“, fragte ich.
„Maria Jozè.“
„Und die Kinder?“
„Inez Maria und Paolo Juan.“
Ich schrieb die Informationen auf die Karteikarte vor mir.
„Alter? Deines und das der Kinder.“
„Dreiundzwanzig“, antwortete Maria. „Inez ist sechs und Paolo acht Monate.“
Ich runzelte die Stirn. Die Frau sah deutlich älter aus, als dreiundzwanzig. Ich hätte sie auf mindestens Ende zwanzig oder sogar Anfang dreißig geschätzt, während ich das Mädchen für deutlich jünger gehalten hatte. Das war es, was schlechte Ernährung und Armut aus den Menschen hier machte. Die Kinder wuchsen nicht gut, während die Erwachsenen wiederum schnell alterten und jung starben. Die Lage der Menschen hatte sich seit dem Krieg vor fünf Jahren, drastisch verschlechtert. Ich war hier als Volontär, um diesen Menschen zu helfen. Von meinem gemütlichen Zimmer im weißen Haus aus hatte es allerdings viel einfacher gewirkt, als es in Wirklichkeit war. Die Hitze, Moskitos und das Elend der Menschen zerrten an mir, körperlich und emotional. Doch ich würde meinem Vater zeigen, dass ich mehr war, als nur eine verwöhnte Tochter! Ich würde das hier durchhalten und ihn stolz machen! Ich wusste, dass ihm viel daran lag, dass ich mich für gute Zwecke einsetzte. Nicht nur, dass dies von der Tochter des Präsidenten erwartet wurde, ihm selbst lag das Schicksal der Minderprivilegierten am Herzen.
„Mit was können wir dir heute helfen?“, fragte ich Maria.
„Paolo will nicht essen. Er hat Fieber und Durchfall.“
Ich nickte. Das war leider ein häufiges Problem hier. Meistens wurde der Durchfall von schlechtem Wasser verursacht. Besonders die Kleinen litten unter Infektionskrankheiten. Durchfall war eines der häufigsten Symptome, verursacht von unterschiedlichen Erkrankungen. Die Kindersterblichkeit war erschreckend hoch. Ich gab Maria die Karte und deutete zum Wartebereich hinüber.
„Setz dich bitte dort rüber. Einer der Ärzte wird dich aufrufen.“
Die Frau nickte und ging mit müden Schritten zu der Bank, zu der ich sie verwiesen hatte. Ich hob den Kopf, um meinen nächsten Patienten aufzunehmen. Es war ein junger Mann.
„Wie ist dein Name?“, fragte ich und machte mich zum Schreiben bereit.
„Pearl Jackson?“, fragte der Mann, und ich sah erstaunt auf.
„Ja“, bestätigte ich argwöhnisch.
Plötzlich zog der Mann eine Waffe und die Hölle brach los. Vier weitere Männer sprangen aus der Reihe der Wartenden und zogen ihre Waffen. Menschen schrien und flohen in Panik. Ich wurde von einem Mann grob am Arm gepackt und auf die Beine gezogen.
„Hey!“, schrie ich, „Was zur Höll...“ Ich kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu führen, als eine schallende Ohrfeige mich mitten im Wort stoppte. Mein Kopf schnappte zurück durch die Wucht und es tat höllisch weh. Ich konnte Blut schmecken und meine Augen wässerten. In meinem ganzen Leben war ich nie grob angefasst, geschwiegen denn geschlagen worden.
„Was geht hier ...?“, hörte ich Daniel Peters, einen der Ärzte fragen.
Er verstummte, als er sah, was passiert war. Zwei Männer packten ihn und fesselten rasch seine Hände auf dem Rücken. Eine weiterer Helfer, Jesus de Lima, wurde aus einem der Zimmer gezogen, und ebenfalls gefesselt.
Der Mann, der meinen Arm hielt, zog mich mit sich.
„Wir verschwinden von hier“, sagte er und die anderen Männer folgten uns mit Daniel und Jesus im Schlepptau. Ich war vor Schock wie gelähmt. Wie in Trance stolperte ich hinter dem Mann her, der mich hielt. Doch als wir uns dem Dschungel näherten, dämmerte mir endlich, was hier los war. Wir wurden von Rebellen verschleppt. Und Geiseln wie wir, kamen selten lebend zurück. Ich weigerte mich, ein solches Schicksal zu akzeptieren und stemmte mich gegen den Zug meines Entführers. Ich versuchte, ihm meinen Arm zu entreißen, doch sein Griff war eisern. Er wandte sich zu mir um und funkelte mich aus dunklen Augen hasserfüllt an.
„Entweder kommst du mit, oder ich mach dich kalt, du kleine Schlampe. Glaub nicht, dass ich Skrupel habe, dir etwas anzutun, nur weil dein Vater Präsident ist. Ganz im Gegenteil! Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein und einer der Männer wird mit dem Handy ein hübsches Video für deinen Vater drehen!“
„Nein!“, schrie ich und wehrte mich verzweifelt, als er mich fester packte. Er boxte mir brutal in den Bauch und ich krümmte mich vor Schmerz.
Schläge hagelten auf mich ein und ich ging schreiend zu Boden. Von irgendwo her hörte ich Daniel und Jesus protestieren. Dann hörte ich sie schreien. Offensichtlich wurden sie ebenfalls zusammengeschlagen. Schließlich verstummten sie. Ich hatte mich zu einer Kugel zusammengerollt und versuchte, meinen Kopf mit den Armen zu schützen. Es schmerzte überall. Irgendwann wurde es schwarz um mich herum.