Book 3 1. Kapitel

776 Words
1. Kapitel Pollepel Island, Hudson River, New York (In der Gegenwart) »Caitlin?«, fragte jemand leise. »Caitlin?« Als Caitlin Paine die Stimme hörte, versuchte sie mühsam, die Augen aufzuschlagen. Doch ihre Lider waren so schwer, dass es ihr kaum gelingen wollte, so sehr sie sich auch abmühte. Als sie es endlich schaffte – nur für einen kleinen Moment –, erkannte sie sofort, zu wem die Stimme gehörte. Es war Caleb. Er kniete neben ihr, hielt ihre Hände und musterte sie besorgt. »Caitlin?«, wiederholte er. Sie versuchte, sich zurechtzufinden und einen klaren Kopf zu bekommen. Wo war sie? Der Raum, in dem sie sich befanden, hatte kahle Wände aus Stein. Es war Nacht, und durch ein großes Fenster fiel das Licht des Vollmondes herein. Steinböden, gemauerte Wände, eine gewölbte Steindecke. Der Stein sah glatt und sehr alt aus. Waren sie in einem mittelalterlichen Kloster? Abgesehen von dem Mondlicht wurde der Raum nur von einer kleinen Fackel erhellt, die an einer Wand befestigt war und nicht besonders viel Licht abgab. Um mehr zu erkennen, war es einfach zu düster. Caitlin versuchte sich auf Calebs Gesicht zu konzentrieren, das ganz nah war. Hoffnungsvoll beobachtete er sie. Auf einmal leuchteten seine Augen auf, er drückte ihre Hand. Seine Hände fühlten sich warm an, während ihre ganz kalt und irgendwie leblos waren. Trotz ihrer Bemühungen fielen Caitlin die Augen wieder zu – sie waren einfach zu schwer. Irgendwie fühlte sie sich ... nein, krank war nicht das richtige Wort. Sie fühlte sich ... schwer. Es war, als würde sie irgendwo zwischen den Welten schweben. Sie fühlte sich nicht mit ihrem Körper verbunden und schien auch nicht mehr Teil der Erde zu sein. Trotzdem war sie nicht tot, sondern hatte das Gefühl, aus einem sehr, sehr tiefen Schlaf zu erwachen. Angestrengt versuchte sie, sich zu erinnern. Boston ... die King’s Chapel ... das Schwert. Dann fiel ihr ein, dass man sie niedergestochen hatte. Sie hatte im Sterben gelegen. Caleb war bei ihr gewesen. Und dann ... seine Eckzähne – sie waren immer näher gekommen. Seitlich am Hals spürte Caitlin einen pochenden Schmerz. Das musste die Stelle sein, an der sie gebissen worden war. Sie hatte ihn darum gebeten – ihn sogar regelrecht angefleht. Doch jetzt war sie sich nicht mehr sicher, ob das wirklich eine gute Idee gewesen war, denn sie fühlte sich schrecklich. Eiskaltes Blut schien durch ihre Adern zu strömen. Es fühlte sich an, als wäre sie gestorben, hätte aber den nächsten Schritt nicht gemacht. So, als wäre sie irgendwo stecken geblieben. Außerdem hatte sie Schmerzen. Dumpf pochten sie in ihrer linken Seite und in ihrem Bauch. Das musste die Stelle sein, an der das Schwert in ihren Körper gedrungen war. »Was du gerade durchmachst, ist ganz normal«, erklärte Caleb ihr sanft. »Hab keine Angst. Alle machen das direkt nach ihrer Verwandlung durch. Aber es wird besser werden, das verspreche ich dir. Die Schmerzen werden bald ganz verschwinden.« Sie hätte gerne gelächelt und ihm das Gesicht gestreichelt. Allein der Klang seiner Stimme machte alles wieder gut. Dafür lohnte sich alles. Endlich konnte sie für immer mit ihm zusammen sein, und das gab ihr Hoffnung. Aber sie war zu müde. Ihr Körper reagierte nicht auf die Wünsche ihres Gehirns – sie schaffte es nicht, zu lächeln oder die Hand zu heben. Ganz allmählich driftete sie wieder in den Schlaf zurück ... Doch plötzlich schreckte ein Gedanke sie auf. Das Schwert ... es hatte dort gelegen, und dann ... war es gestohlen worden. Wer hatte es jetzt? Auf einmal fiel Caitlin ihr Bruder Sam ein: Er war bewusstlos gewesen und von dieser Vampirfrau mitgenommen worden. Was war mit ihm, befand er sich in Sicherheit? Und Caleb, warum war er hier? Er müsste doch eigentlich das Schwert zurückholen und die anderen aufhalten. War er nur ihretwegen hiergeblieben? Opferte er gerade alles, nur um an ihrer Seite zu bleiben? Eine Frage nach der anderen schoss ihr durch den Kopf. Sie nahm all ihre Kraft zusammen und schaffte es tatsächlich, die Lippen zu bewegen. »Das Schwert«, brachte sie mühsam hervor. Ihre Kehle war so trocken, dass das Sprechen ihr Schmerzen bereitete. »Du musst gehen ...«, fügte sie hinzu. »Du musst das Schwert ...« »Pst, ganz ruhig«, erwiderte Caleb. »Ruh dich einfach aus.« Doch sie wollte mehr sagen, so viel mehr. Sie wollte ihm sagen, wie sehr sie ihn liebte, wie dankbar sie ihm war. Und wie sehr sie hoffte, dass er immer an ihrer Seite bleiben würde. Aber das würde warten müssen, denn sie fühlte sich wieder so benommen, dass sie nicht mehr in der Lage war, weiterzusprechen. Sie kämpfte dagegen an, aber sie versank in der Dunkelheit und fiel erneut in einen tiefen Schlaf.
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