Elise konnte ihren Blick kaum von dem gefeierten Biest abwenden, das als Sieger hervorgegangen war, während die Angst vor dem, was noch kommen würde, in ihr wuchs.
„Beeindruckend, nicht wahr?“ Kyren riss Elise aus ihren Gedanken. Sie biss sich fest auf die Lippen, um ihren aufsteigenden Schmerz zu unterdrücken, als sie den gefühllosen Alpha ansah.
Es‘, dachte sie, für ihn sind Menschen nur Werkzeuge.‘
„Ich gehöre niemandem. Ich bin kein Besitz und auch kein Werkzeug. Du wirst mich nicht an einen brutalen Unmenschen ausliefern, damit er mit meinem Körper machen kann, was ihm beliebt“, stieß sie hervor, doch Kyren lachte nur leise.
Er erhob sich von seinem Stuhl und trat zu ihr, seine Hand umklammerte grob ihren Nacken. „Dein Vater hat all die Jahre damit geprahlt, meine Männer zu töten. Sicher dachte er, eine einfache Heirat zwischen uns würde unsere Rudel vereinen und ihm mehr Macht verschaffen. Aber wie sich herausstellte, bist du ein Versager, und nun bist du nichts weiter als Nachtisch für ein Biest, das Appetit auf dich hat“, murmelte er.
„Du kannst hier nicht entkommen. Vor allem, da Gerüchte über den Mord an deiner Mutter durch das gesamte Reich gegangen sind. Sobald du diesen Ort verlässt, bist du ein Geächteter mit einem Kopfgeld auf deinem Kopf.“
„Das kannst du nicht tun! Was habe ich dir je getan? Geht es dir um meinen Körper, Kyren? Dann nimm ihn doch einfach!“
„Ich nehme keine schmutzigen Mischblütigen in mein Bett. Außerdem hast du dich mir nicht unterworfen, und als gebrochener Wolf hast du keine Wahl, Liebling. Du bist mein Eigentum, und ich kann mit dir machen, was ich will. Lustig, dass du trotzdem noch die Frechheit besitzt, mir Widerworte zu geben. Noch eine einzige Tat des Ungehorsams, und ich lasse meine Kämpfer dich zur Unterhaltung benutzen.“
Ein Schauder durchlief ihren Körper, ihre Wirbelsäule versteifte sich bei dem bloßen Gedanken, von Fremden gezwungen zu werden, sich ihnen hinzugeben. Doch ihre Aufmerksamkeit wurde von einem leisen Knurren des Alpha, der immer noch auf dem Feld war, abgelenkt.
Silberne Ketten waren über seinen Körper geworfen worden, um ihn am Kämpfen zu hindern. Trotz all dieser Wunden war Elise überrascht, dass er sich noch so wild bewegen und die vier Wachen abwehren konnte, die versuchten, ihn zu bändigen.
„Dein neuer Gefährte scheint doch wirklich ein Prachtexemplar zu sein, oder?“ spottete Kyren. „Du hast genau einen Tag, um dich vorzubereiten. Sein Rausch kommt bald, und du wirst ihm dienen.“
Elises Herz raste bei diesen Worten. „Du Monster, lass mich los!“ Sie schrie, während zwei Deltas sie festhielten, um sie daran zu hindern, Kyren anzugreifen.
„Bringt sie in ihre Zelle, und stellt sicher, dass sie nie wieder die Freiheit sieht“, befahl er.
Elise wurde die Wendeltreppe hinuntergeführt. Die Kerker wurden immer dunkler, nur spärlich beleuchtete Kerzen an der Rückwand zeigten den Weg zu den Zellen.
Der Gestank von Blut und Schmutz erfüllte die Luft. Sie wurde in eine der Zellen gestoßen, die Delta-Wache nahm ihr die Ketten ab. Neben ihrer Zelle befand sich eine große silberne Tür und ein kleines fensterartiges Gitter, das ihre Zelle mit einer dunkleren verband.
Kein Licht drang in diese Zelle, und sie konnte kaum erkennen, wer sich darin befand. „Viel Glück, Prinzessin“, höhnten die Wachen, bevor sie Elise allein zurückließen.
Nun konzentrierte sie sich auf ihre Umgebung. Das raue und schwere Atmen ihres Zellengenossen nebenan ließ Elise aufhorchen. Ihr Geruchssinn nahm die frische Note von Minze und einen Hauch von Zedernholz wahr, doch der strenge Geruch von Blut machte es schwer, genau zu bestimmen.
In diesem Moment erinnerte sie sich an den gefährlichen Alpha, der zuvor jemanden getötet hatte. Ihre Hände flogen entsetzt an ihren Mund. Zwischen ihr und dem unbändigen Alpha lagen kaum drei Meter.
Sein kraftvoller Duft und seine überwältigende Präsenz verrieten ihn, als sie das Rascheln von Heu hörte. „Wer ist da?“ knurrte eine tiefe Stimme leise, und Elise konnte das leise Quieken, das ihr entfuhr, nicht unterdrücken.
Ihr Körper zitterte, jetzt, da er sie bemerkt hatte, doch er machte keine Anstalten, sie anzugreifen. Elise verstand nicht, warum etwas in ihr auf die Stimme des Alphas reagierte.
„Ich bin auch ein Gefangener hier. Du brauchst nicht so feindselig zu sein, kleine Wölfin“, hallte seine Stimme durch die Zelle. „Wie heißt du?“, fragte er, aber sie antwortete nicht sofort. Elise konnte den Schmerz in seiner Stimme durch die Wunden hören.
Die Angst, jemanden sterben zu lassen, überwog ihre eigene Angst ums Überleben, als sie aufstand und durch das kleine Fenster spähte. Sie sah die blutroten Augen, die in seiner Zelle leuchteten. Seine Aura war mächtiger und gefährlicher als alles, was sie je erlebt hatte.
Er trug kaum Kleidung, nur eine Unterhose, und seine Hand blutete noch immer von der Wolfswunde. Ihre Instinkte setzten ein, bevor sie darüber nachdenken konnte. Sie riss ein Stück ihres zerschlissenen Gewandes ab und reichte es ihm über das Gitter.
„Ich bin Elise. Hier, benutze das, um die Blutung zu stillen.“
„Und warum kümmert dich das? Hat er dich auch zu mir geschickt?“
Er traute ihr nicht, nahm aber den Stofffetzen an, und Elise kroch zurück an ihren Platz. „Sag du es mir. Immerhin wurde ich hierher geschickt, um bei dir zu sein.“ Es folgte ein wissendes Schweigen, bis er schließlich sprach.
„Du bist die Erbin des Dunkelnacht-Rudels, meine Beute aus dem Kampf.“
„Ich bin niemandes Besitz.“
„Das wirst du morgen anders sehen, wenn sie dich zu mir in diese Zelle stecken“, fügte er hinzu.
„Also wirst du trotzdem bei mir sein? Auch nachdem ich dir geholfen habe?“
„Entweder das, oder sie töten dich direkt vor meinen Augen. Deine Wahl“, sagte er, und Elise spürte, wie ihr die Kehle trocken wurde. „Mein Rausch steht kurz bevor, und ich werde nicht mehr ich selbst sein. Aber ich werde dir nicht wehtun. Kyren will mich nur bestrafen.“
„Ich dachte, du wärst sein Champion.“
„Seine Champions haben Anwesen und erfahrene Heiler, die sich um sie kümmern. Ich bin sein Gefangener, und seine Pläne, mich zu quälen, beinhalten dich“, sagte er. Obwohl ihm der Maulkorb abgenommen worden war, war die Zelle viel zu dunkel, um ein klares Bild von seinem Aussehen zu bekommen.
„Warum? Und warum braucht er mich?“
„Er will Nachkommen von mir, um mich an sich zu binden, und du wurdest als Zuchtgefährtin ausgewählt. Aber bisher hat keine überlebt, sie starben alle mit dem Kind in ihnen.“
Elise wurde schlecht, als er weitersprach. „Hör auf!“, befahl der Alpha, als er sich gegen die Wand ihrer Zelle lehnte.
Elise blendete alles aus, legte ihren Kopf auf ihre Knie und atmete tief durch, um sich nicht in eine Panikattacke zu verlieren. Sie ballte ihre Hände so fest, dass ihre Handflächen zu bluten begannen.
In ihrer Zelle bemerkte sie eine kleine eiserne Schale, in die Wasser tropfte. Ihr Spiegelbild auf der Wasseroberfläche zeigte ihre weiß gesträhnten Haare, eine harte Erinnerung an das, was geschehen war. Nun war sie nicht nur verflucht, sondern sollte auch noch eine Zuchtwölfin werden.
Sie fragte sich, ob der Tod die bessere Wahl wäre, doch dann erinnerte sie sich an die verzweifelten Augen ihrer Mutter. Sie hatte ihrem Vater nicht gesagt, dass es die Möglichkeit gab, dass Elise nicht seine Tochter war, weil sie wollte, dass Elise lebte, und sie würde leben.
Auch wenn sie mit seltsamen, silbernen Haaren verflucht war, sagte sie: „Ich bin Ka’al“, hörte sie seine Stimme an der Wand widerhallen, während ihre Augenlider schwer wurden. Sie schloss die Augen, und ihr Körper verfiel in einen tiefen Schlaf.
Ein kühl wirbelnder Wind durchzog ihren Kopf, als sie die Stimme eines Mannes hörte, die in ihrem Geist widerhallte. „Es wird alles gut, Kleine. Vertraue mir.“
Elise war zu erschöpft, um gegen die Stimme anzukämpfen, und versank in einen tiefen Schlummer. Bang!
Die Gitter der Zelle wurden laut gerammt, und Elise wachte auf. Sie sah den gleichen Delta-Wächter, der sie lüstern ansah und sich nun hinsetzte. „Morgen, Schönheit“, sagte er, aber Elise wandte sich von ihm ab.
Der Delta-Wolf warf wütend den Brei, den er ihr als Frühstück gebracht hatte, gegen die Wand. „Gut, du Schlampe. Verhungere doch. In ein paar Stunden wirst du wie eine Stute bestiegen, und dein Körper wird so schwach sein, dass du ohnmächtig wirst. Pass lieber auf, dieses Monster wird dich bei seinem Rausch ganz und gar verschlingen!“ Er lachte hämisch.
„Verf“
„Sag das nicht“, ertönte plötzlich eine dunkle Stimme in Elises Kopf, laut und befehlend, und sie schlug panisch die Hände auf ihre Ohren, als ob sie so den Ursprung der Stimme aufspüren könnte.
Der Delta-Wolf sah sie nur an, als wäre sie verrückt, bevor er sich erhob und ging. „Verrückte Schlampe“, murmelte er, während er die Türen des Kerkers schloss.
„Wer hat das gesagt?“
„Das war ich“, kam die Antwort, und diesmal erkannte Elise die Stimme aus der Zelle. Er sprach telepathisch zu ihr.„Sie wissen nicht, dass ich diese Macht besitze, und sie wissen auch nicht, dass ich sprechen kann. All ihre Versuche, mir die Zunge abzuschneiden und mich für immer zu verstümmeln, waren vergeblich, weil ich schweige, wenn sie hier sind.‘
„Du hast letzte Nacht so stark geblutet, und wie ist das überhaupt möglich?“
„Hör zu, ich nutze den letzten Rest meiner Kraft und meines Verstandes, um mit dir zu sprechen. Bald werde ich in den Rausch verfallen. Was auch immer du tust, lauf nicht vor mir weg. Mein Wolf liebt die Jagd. Lauf nicht, und ich werde dir nichts tun“, warnte er.
Elises Herz hämmerte in ihrer Brust, als sie schwer schluckte und schließlich stumm nickte. In dem Moment, als sie reagierte, verstummte die telepathische Verbindung sofort.
Und genau wie er es vorausgesagt hatte, wurde Elise ein paar Stunden später aus ihrer Zelle geholt. Die schweren Türen der Alpha-Zelle wurden aufgebrochen, und ihr Herz raste, als sie die letzten Schlösser knacken hörte.
Sie wurde in die dunkle Zelle gestoßen, das Schicksal abwartend, das ihr in dem wilden Rausch des Alphas bevorstand.
Nun würde ihre Unschuld genommen werden.