ELISE
Ich konnte den qualvollen Schrei kaum unterdrücken, der mir entfloh, als ich den letzten Schrei meiner Mutter hörte. Mein Vater, Häuptling Dexton, hatte sie getötet, ihr kaltblütig das Genick gebrochen.
Er hatte sie ermordet, sobald er erfuhr, dass ich nicht seine Tochter war. Die Übelkeit stieg in mir auf, doch ich hielt sie zurück, ebenso wie die Galle, die mir im Hals brannte. Als ich versuchte, mich aufzurichten, erinnerte mich der schmerzhafte Ruck an meinem Handgelenk daran, wo ich war und mit wem ich es zu tun hatte.
Ich konnte meine Halbwölfin noch spüren, auch wenn ich sie weder verwandeln noch kontrollieren konnte. Mit einem Knurren fletschte ich die Zähne und zeigte Kyren meine Reißzähne. „Lass mich los!“
„Halt den Mund, du gehörst jetzt mir, also benimm dich gefälligst so.“ Bevor ich mich wehren konnte, spürte ich einen heftigen Schlag im Gesicht. Mein Körper wurde zur Seite geschleudert, und ich fiel mit dem Gesicht voran auf den Kies. Meine Sicht verschwamm, und das Letzte, was ich sah, war Kyrens selbstgefälliges Gesicht, während sein Vater Jon neben ihm leise lachte.
„Gute Nacht, Schatz“, hörte ich noch, bevor alles schwarz wurde. Eine brennende Träne lief meine Wange hinab, erfüllt von Hass, Trauer, Wut und dem Schwur, mich zu rächen.
Als ich wieder zu mir kam, schmerzte mein ganzer Körper, und ich versuchte mich aufzurichten. Doch die Plattform, auf der ich lag, schwankte gefährlich. Ich war nicht mehr auf dem Altar und auch nicht mehr im Rudel.
Ich befand mich auf der Rückseite eines Käfigwagens, umgeben von männlichen Wachen. Das vertraute Wappen und die dunkelroten Umhänge bewiesen, dass ich vom Dunkelnacht-Rudel gefangen genommen worden war.
Als ich hinabblickte, sah ich, dass meine Hände und Beine in Ketten lagen. Sie hatten mir zwar Kleidung gegeben, aber es waren kaum saubere Stoffe, eher Lumpen, die vermutlich von meinem Vater stammten. Mein Vater, der jetzt ein Mörder war.
Die Erinnerungen flammten sofort auf, die Schreie meiner Mutter. Dieses Monster war nicht mehr mein Vater. „Die kleine Prinzessin ist endlich wach!“ rief einer der Wachen, während die anderen lachten.
Ich konnte sehen, wie sich das Tor des Dunkelnacht-Rudels vor uns öffnete, als wir hineinfuhren. Nein, wenn ich hier hineingebracht wurde, gab es keinen Ausweg mehr. Ich musste jetzt fliehen.
„Lasst mich sofort hier raus!“ schrie ich und riss an den Ketten, die mit jedem Zug mehr schmerzten, aber das war mir egal. Der dumpfe Schmerz in meinem Schädel erinnerte mich daran, dass ich noch nicht wieder voll bei Kräften war.
„Halt die Klappe!“ sagte ein Delta-Wolf. Verblüfft schwieg ich. Ein Delta-Wächter sprach mit mir, als wäre ich nichts wert. Sicherlich war dies das Werk von Häuptling Jon. Sie mussten alle erfahren haben, dass ich nicht die Tochter von Alpha Dexton war.
Seine Aufmerksamkeit wurde nach vorne gerichtet, als Schritte auf mich zukamen. Ein jüngerer Mann, ranghöher als der Delta, trat vor und sagte: „Alpha Kyren will sie jetzt in der Halle sehen.“
Ich wurde in die Kerzen erleuchtete Halle des Dunkelnacht-Rudels geschoben, der Thronsaal war groß und imposant, mit dunklen grauen Steinen an den Wänden und Säulen. Der Thron, von schwachem Licht umhüllt, stand in der Mitte, und Kyren saß darauf.
Verwirrt und erstaunt fragte ich mich, warum er dort war. Doch dann wurde mir klar, dass sein Vater ihm den Sitz überlassen hatte, und er nun der Alpha des Dunkelnacht-Rudels war.
„Da ist sie“, murmelte er, während er sich vom Thron erhob und auf mich zumarschierte. Sein schmutzig blondes Haar war zu einem glatten Zopf zurückgebunden, und sein verwegen gutaussehendes Gesicht war bei einem Monster wie ihm pure Verschwendung.
„Du hast mich abgelehnt, Kyren. Warum bin ich immer noch hier? Lass mich gehen!“ forderte ich ihn auf, aber er lachte nur. Seine Hand hob sich und packte mein Kinn zwischen seinen Fingern, als er sprach.
„Es scheint, als würdest du es vorziehen, wenn ich dich verbanne, bis du zu einem elenden, ausgestoßenen Wolf wirst. Stell dir das vor: Eine hochgeborene Prinzessin, die sich nachts in eine Ausgestoßene verwandelt. Ein Jammer, nicht wahr?“ murmelte er amüsiert.
„Es ist besser, ein ausgestoßener Wolf zu sein, als hier mit dir zu bleiben!“ spuckte ich ihm entgegen, woraufhin sich sein Blick verdunkelte und ein böses Grinsen seine Lippen zierte. Seine Hand löste sich von meinem Kinn.
„Zum Glück für dich bin ich heute in guter Laune. Eigentlich sollte ein Fest stattfinden, um unsere Bindung und meinen Aufstieg zum Alpha zu segnen. Schade, dass eins davon nicht passiert ist, aber die Show muss weitergehen. Mein Vater versprach mir den Thron, wenn ich dich aus deinem hochmütigen Rudel entführen würde, und ich habe es trotzdem getan, oder nicht? Also bin ich jetzt König.“
Mir drehte sich der Magen um. Ich war also nichts weiter als ein bloßer Wetteinsatz zwischen ihm und seinem Vater mein Leben und meine Hand im Tausch für seinen Thron.
Plötzlich hörte ich lautes Jubeln vor den Wänden des Thronsaals Schreie von Hunderten von Wölfen. „Was geht hier vor?“ fragte ich panisch.
„Das wirst du gleich sehen“, sagte er, als mich ein Wächter vorwärtsstieß. Es war qualvoll, die Stufen hinaufzusteigen, da mein Körper schmerzte, aber ich ließ es Kyren nicht sehen ich wollte nicht, dass er sah, wie sehr er mir zusetzte.
Als wir die Öffnung erreichten, blendete mich der Anblick. Es war eine Art Kampfarena, die in der Mitte eines Stadions lag. Wilde Jubelrufe des Bloodnight-Rudels hallten durch die Luft, als zwei Kämpfer aufgerufen wurden.
Der erste war ein rotschöpfiger Schlägertyp, dessen Muskeln so groß wie mein Kopf waren. Mit einem stolzen Grinsen schlug er sich zur Begeisterung der Menge auf die Brust. Er wirkte wild und gefährlich, und ich hasste den Blick in seinen Augen, sobald er mich ansah. Ekelhafte Lust funkelte in ihnen, und es jagte mir einen Schauer über den Rücken.
Der andere Mann, der aufgerufen wurde, brachte die Menge zum Schweigen. Auch ich schluckte schwer bei seinem Anblick. Sein dunkles Haar klebte schweißnass an seiner Haut, als hätte er gerade mehrere Kämpfe hinter sich. Mit einem Keuchen bemerkte ich die offenen, unmenschlichen Kratzwunden auf seinem Körper.
Es waren Wolfskrallen, die ihn verwundet hatten, und je mehr sein Gesicht von einem Maulkorb verdeckt wurde, desto deutlicher wurde, wie gefährlich er war. Seine bloße Aura ließ die Menge erschaudern.
Ich sah zu Kyren hinüber, dessen Augen sich vor Eifersucht verengten, bevor er sie mit einem lässigen, jedoch bösartigen Lächeln verdeckte. Er blickte in die Kampfarena und dann zu dem schwarzhaarigen, maulkorbtragenden Biest. „Ka’al, es scheint, als hättest du wieder einen meiner besten Männer besiegt“, sagte er zu dem dunkelhaarigen Mann, der auf das Podium zuging, auf dem ich stand.
Ein elektrisierendes Kribbeln ging durch meinen Körper, und meine Haut stellte sich auf, als sich unsere Blicke trafen. Sofort wandte ich mich ab. Ich wollte nichts mit diesem gefährlichen Mann zu tun haben.
„Aber dieses Duell wird etwas Besonderes sein, denn ich habe dir ein besonderes Geschenk mitgebracht: Die Prinzessin des Dunkelnacht-Rudels ehrt uns mit ihrer Anwesenheit!“ rief er spöttisch, während die Menge jubelte. „Und wenn einer von euch dieses Duell gewinnt, wird er sie besteigen und als die Seine nehmen!“ fügte er hinzu.
Mir rutschte das Herz in die Magengrube. Er hatte mich gerade dazu verdammt, von einem dieser Männer gewaltsam genommen und misshandelt zu werden. Mein Magen krampfte sich zusammen, und ich spürte, wie mein Körper vor Angst bebte echte, lähmende Angst.
Mir wurde übel. „K-Kyren“ stammelte ich, doch er ignorierte mich und wandte sich stattdessen den wilden Männern in der Arena zu.
„Möge das Turnier beginnen!“
Der Rothaarige verwandelte sich sofort in seinen Wolf, während der Mann mit dem Maulkorb in menschlicher Form blieb. Trotz meiner Angst konnte ich die aufkeimende Neugier nicht unterdrücken. Warum verwandelte er sich nicht? Er würde getötet werden!
Der rote Wolf war gnadenlos in seinem Angriff, er sprang und schlug mit seiner klauenbewehrten Pfote zu. Der Dunkelhaarige wich aus. Die Angriffe waren heftig, aber es erstaunte mich umso mehr, dass der Mann mit den dunklen Haaren mithalten konnte.
Seine Verteidigung war jedoch langsam, von all den Wunden, die er bereits erlitten hatte. Eine davon blutete noch immer aus seinem Arm, während er versuchte, sich zu wehren. Der rote Wolf erkannte die Chance und biss sich hart in seine Schulter.
Schmerzensschreie erfüllten die Arena, doch die Menge jubelte stattdessen. Mir wurde eiskalt, als ich mir vorstellte, wie dieses rothaarige Monster sich mir aufzwang.
Es war wie ein Fiebertraum, als die ganze Halle plötzlich das harte Knacken von Knochen hörte. Alle dachten, es seien die Schultern des Dunkelhaarigen gewesen, aber zu meiner Überraschung war es der Schädel des roten Wolfs, der zerbrach.
Der Alpha mit dem Maulkorb bewegte sich schnell und präzise, als er den tödlichen Schlag ausführte. Blut spritzte in alle Richtungen, und der rote Wolf fiel mit einem lauten Krachen zu Boden.
In menschlicher Form hatte der Mann mit dem Maulkorb das gesamte Turnier gewonnen. Er hatte die Kraft eines Monsters. Ich hatte noch nie jemanden mit solcher Stärke gesehen. Doch während meine Wölfin seinen Sieg verarbeitete, kroch ein schrecklicher Gedanke in mein Bewusstsein.
Er war der Gewinner. Ein Monster, so furchteinflößend und stark, dass sein Gesicht mit einem Maulkorb bedeckt war. Eine gefährliche Bestie.
Und ich würde ihm ausgeliefert werden.