Drittes Kapitel. Fünfzehn Jahre später-3

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„Du machst mich sehr ängstlich, lieber Chennery, du machst mich sehr ängstlich“, sagte Mr. Phippen, „besonders mit dieser Theorie von langwieriger Schwäche nach Krankheit. Gütiger Himmel ! Ich habe auch an langwieriger Schwäche gelitten – ich leide jetzt noch daran. Punkte sah er vor den Augen ? Ich sehe auch schwarze Punke – tanzende schwarze Punkte – tausende, schwarze, gallige Punkte. Auf mein Ehrenwort, lieber Chennery, das paßt ganz auf mich – meine Sympathie ist schmerzlich erregbar – Ich fühle diese Blindengeschichte in jedem Nerv meines Körpers – du kannst es mir glauben.“ „Wer aber Leonard ansieht und es nicht weiß, der würde kaum glauben, daß er blind ist“, sagte Miß Louise, indem sie sich mit der Absicht, Mr. Phippens Gleichmut wieder herzustellen, ins Gespräch mischte. „Abgesehen davon, daß seine Augen ruhiger aussehen als die anderer Leute, scheint kein Unterschied bemerkbar zu sein. Wer war jener berühmte Mann, von dem Sie uns erzählten, Miß Sturch, der auch blind war und dem man es ebensowenig anmerkte wie Leonard Frankland ?“ „Milton, liebes Kind. Ich bat euch, zu merken, daß er der berühmteste der epischen Dichter Englands war“, antwortete Miß Sturch in ihrem freundlichen Tone. „Er spricht sich selbst sehr poetisch über die Ursache seiner Blindheit aus. Du sollst es selbst lesen. Louise. Nachdem wir diesen Morgen ein wenig französisch getrieben haben, werden wir ein wenig Milton vornehmen. Still, still, liebes Kind,- dein Papa spricht.“ „Der arme junge Frankland !“ sagte der Vikar mitleidig. „Das gute, zärtliche, edle Wesen, welches ich ihm diesen Morgen vermählt, scheint ihm in seinen Leiden als Trost gesendet zu sein. Wenn irgend eine menschliche Kreatur ihn für sein noch übriges Leben glücklich machen kann, so ist es Rosamunde Treverton.“ „Sie hat ein Opfer gebracht“, sagte Mr. Phippen, „aber deswegen gefällt sie mir, denn ich habe auch ein Opfer gebracht, indem ich ledig geblieben bin. Auch scheint es aus Humanitätsrücksichten unumgänglich nötig zu sein, daß ich ledig bleibe. Wie könnte ich mit gutem Gewissen bei einer solchen Verdauung wie die meinige ein Mitglied des schönern Teils der Schöpfung unglücklich machen ! Nein, ich bin ein Opfer in meiner eigenen Person und habe Mitgefühl für Andere, die sich in derselben Lage befinden. Weinte sie sehr, Chennery, als du die Zeremonie vollzogst ?“ „Ob sie weinte !“ rief der Vikar verächtlich. „Rosamunde Treverton gehört nicht zu der weinerlichen sentimentalen Sorte, das kann ich dir versichern. Sie ist ein schönes, kräftiges, warm fühlendes Mädchen, welches schon durch ihre Blicke zu erkennen gibt, was sie meint, wenn sie einem Manne sagt, sie wolle ihn heiraten. Und merke wohl, sie ist auf die Probe gestellt worden. Wenn sie ihn nicht von ganzem Herzen und ganzer Seele liebte, so hätte ihr schon vor Monaten freigestanden, ganz nach Belieben einen Andern zu heiraten. Sie waren schon lange zuvor, ehe der junge Frankland von diesem grausamen Leiden heimgesucht ward, miteinander verlobt, denn die Väter haben seit Jahren als Nachbarn hier nebeneinander gewohnt. Als Leonard blind ward, erbot er in seiner Gewissenhaftigkeit sich sofort, Rosamunde ihres Versprechens zu entbinden. Du hättest den Brief lesen sollen, Phippen, den sie ihm darauf schrieb. Ich gestehe ganz offen, daß ich flennte wie ein altes Weib, als man mir ihn zeigte. Ich würde die jungen Leute sofort, nachdem ich den Brief gelesen, vermählt haben, der alte Frankland aber war ein krittlicher, pedantischer Mann und bestand auf einer Probezeit von sechs Monaten, damit Rosamunde sich überzeugen könne, ob sie ihr eigenes Gemüt auch richtig verstünde. Er starb ehe diese Frist um war und dies war die Ursache, daß die Heirat abermals hinausgeschoben ward. Alle diese Verzögerungen aber äußerten auf Rosamunden keine Einwirkung und sechs Jahre würden sie ebensowenig verändert haben, als diese sechs Monate im Stande gewesen waren. Sie stand dem armen geduldigen Blinden heute morgen noch ebenso zärtlich liebend zur Seite wie an dem ersten Tage ihrer Verlobung. ‚Du sollst keinen traurigen Augenblick kennen, Lenny, wenn ich es verhindern kann, so lange du lebst.’ Diese waren die ersten Worte, die sie zu ihm sagte, als wir alle aus der Kirche heraustraten. ‚Ich höre Sie, Rosamunde’, sagte ich. ‚Und Sie sollen auch mein Richter sein, Doktor’, sagte sie blitzschnell. ‚Wir wollen wieder nach Long Beckley kommen und Sie sollen dann Lenny fragen, ob ich nicht mein Wort gehalten habe.’ Mit diesen Worten gab sie mir einen Kuß, den Ihr hier in dem Pfarrhause hättet hören können, das gute Mädchen ! Wir wollen bei dem Dinner auf ihre Gesundheit trinken, Miß Sturch – wir wollen auf die Gesundheit beider trinken, Phippen, und zwar in einer Flasche des besten Weins, den ich im Keller habe.“ „Was mich betrifft, in einem Glas Wasser, wenn du es mir erlaubst“, sagte Mr. Phippen traurig. „Aber, mein lieber Chennery, als du von den Vätern dieser beiden interessanten jungen Leute sprachst, sagtest du, sie hätten seit Jahren hier in Long Beckley als nahe Nachbarn gelebt. Mein Gedächtnis hat sehr gelitten, dies weiß ich recht wohl, aber ich glaubte, Kapitän Treverton sei der älteste der beiden Brüder und habe, wenn er nicht zur See gewesen, stets in dem alten Familienschlosse in Cornwall gewohnt.“ „So lange seine Gattin lebte, war dies allerdings der Fall“, entgegnete der Vikar. „Seit ihrem Tode, der schon im Jahre Neunundzwanzig erfolgte – jetzt schreiben wir Vierundvierzig – das macht –“ Der Vikar schwieg einen Augenblick, um nachzurechnen und sah Miß Sturch an. „Fünfzehn Jahre, Sir“, sagte Miß Sturch, indem sie dieses Fazit eines kleinen Subtraktionsexempels mit ihrem freundlichen Lächeln darbot. „Sehr richtig“, fuhr Doktor Chennery fort, „seitdem Mistreß Treverton vor fünfzehn Jahren starb, ist der Kapitän dem Schlosse Porthgenna Tower nicht wieder zu nahe gekommen. Und was noch mehr ist, Phippen, bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm darbot, verkaufte er es – er verkaufte es mit allem Zubehör, Bergwerk, Fischereien u.s.w. – alles zusammen für vierzigtausend Pfund.“ „Wie ?“ rief Mr. Phippen; „fand er denn die Luft ungesund ? Ich sollte meinen, die dortigen Bodenerzeugnisse, insoweit sie als Nahrungsmittel dienen, müßten in jenen rauhen Regionen von ziemlich geringer Art sein. Wer kaufte denn die Besitzung ?“ „Leonard Franklands Vater“, sagte der Vikar. „Es ist eine ziemlich lange Geschichte, dieser Verkauf von Porthgenna Tower, und es knüpfen sich einige seltsame Umstände daran. Wie wäre es, wenn wir einen Gang in den Garten machten, Phippen ? Ich will dir die ganze Geschichte erzählen, während ich meine Morgenzigarre rauche. Miß Sturch, wenn Sie mich brauchen, so finden Sie mich unten im Garten. Mädchen, sehet zu, daß ihr eure Aufgaben richtig lernt. Bob, vergiß nicht, daß ich in der Hausflur einen Stock stehen und in meinem Ankleidezimmer eine Rute hängen habe ! Komm, Phippen, erhebe dich aus diesem Armstuhle. Willst du denn keinen Spaziergang mit im Garten machen ?“ „O ja, mein lieber Freund, das heißt, wenn du mir freundlichst einen Sonnenschirm leihen und mir erlauben willst, daß ich meinen Feldstuhl in der Hand trage“, sagte Mr. Phippen. „Ich bin zu schwach, um die Sonnenhitze zu ertragen, und kann nicht weit gehen, ohne mich niederzusetzen. In dem Augenblick, wo ich mich ermüdet fühle, Miß Sturch, schlage ich meinen Feldstuhl auseinander und setze mich nieder, mag es sein wo es wolle, ohne die mindeste Rücksicht darauf, wie es vielleicht aussieht. Ich bin bereit, Chennery, sobald es dir beliebt – ebenso bereit, mein guter Freund, auf den Spaziergang im Garten als auf die Geschichte wegen des Verkaufs von Porthgenna Tower. Du sagtest, es wäre eine seltsame Geschichte, nicht wahr ?“ „Ich sagte, es knüpfen sich allerhand seltsame Umstände daran“, entgegnete der Vikar, „und wenn du dieselben gehört haben wirst, so wirst du, glaube ich, dasselbe sagen. Komm mit, du findest deinen Feldstuhl und eine Auswahl von allen Arten Regen- und Sonnenschirmen unten in der Hausflur.“ Mit diesen Worten öffnete Doktor Chennery sein Zigarrenetui und ging voran aus dem Frühstückszimmer hinaus.
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