Damiens Perspektive
Ich weiß nicht, was in letzter Zeit über mich gekommen ist, aber ich genieße die Grausamkeit gegenüber meiner jüngeren Schwester Winter nicht mehr. Da ist etwas an der Art, wie sie mich ansieht, so viel Schmerz in ihrem Blick, dass ich einen Anflug von Schuld fühle. Wenn unsere Mutter noch leben würde, wäre Winter immer noch ein fröhliches Kind oder Teenager, aber stattdessen ist sie in einem Haus voller Missbrauch aufgewachsen. Früher hat es mir nichts ausgemacht, aber in letzter Zeit lastet es schwer auf meinem Gewissen. Meine Mutter wäre traurig, zu sehen, wie mein Vater und ich sie behandeln. Sie liebte Winter so sehr. Sie starb, um ihre kleine Tochter zu schützen. Ich seufze.
Ich schätze, deshalb habe ich sie gewarnt, dass unser Vater auf dem Kriegspfad ist. Normalerweise würde ich das nicht tun, aber heute hatte ich das Bedürfnis dazu. Der betrunkene alte Mann hatte sich wieder einmal gefeuert, aber das passiert eben, wenn man ständig betrunken oder schwer verkatert zur Arbeit erscheint. Ich habe aufgehört, zu zählen, wie viele Jobs er verloren hat. Es ist wirklich erbärmlich. Ich weiß, dass er unsere Mutter vermisst, aber irgendwann muss er doch mal weiterkommen, oder? Das letzte Mal, als ich das vorschlug, wandte er sich gegen mich, und ich habe nicht vor, es ihm bald wieder vorzuschlagen.
Etwas scheint falsch zu sein, mein Magen dreht sich und Übelkeit kommt auf, und aus irgendeinem Grund kann ich dieses nagende Gefühl in meinem Bauch nicht loswerden. Ich wende mich an meine Freunde und sage ihnen ab, während sie protestieren. Was auch immer dieses Gefühl ist, ich habe das Bedürfnis, nach Hause zu gehen. Sie kommen eine Nacht ohne mich klar, verdammt nochmal. Es ist nicht so, als würden sie mich nicht jeden Tag in der Schule sehen. Nun ja, an den Tagen, an denen ich hingehe. Ich eile zurück zum Haus, aber renne nicht. Die ganze Zeit versuche ich, mich selbst davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist und dass ich überreagiere. Schließlich könnte mein Bauchgefühl falsch sein, oder? Ich mochte es nicht einmal, meinem Vater zu begegnen, wenn er auf einem kompletten Besäufnis war.
Das Haus ist still, zu still, als dass ich mich hineinlasse. Mein Vater schnarcht wild im Sessel, eine Bierflasche locker in seiner Hand. Wo war Winter? Angst steigt in mir auf. Normalerweise wäre sie schon in der Küche und würde nach dem Abendessen aufräumen, aber ich konnte sie von meiner Position aus nicht sehen. Noch konnte ich sie irgendwo spüren, aber ich konnte den ekelhaften metallischen Geruch von Blut in der Luft riechen, und mein Herz sank. Instinktiv weiß ich, dass es Winters Blut ist, denn Vater blutet nicht aus irgendwelchen Wunden, die ich sehen kann. Ich ging um die Ecke und blieb stehen, absolut entsetzt, das ganze Blut wich aus meinem Gesicht. Ich kann meinen Augen nicht trauen, und ich zwinge den Würgereiz herunter, der in meinem Hals aufsteigt.
Winter liegt dort auf dem kalten harten Boden und sieht aus wie eine Puppe, beide Augen geschlossen, völlig bewusstlos. Rotes Blut sammelt sich um ihren Kopf, und ich kann sehen, dass es sich farblich verändert hat, einiges davon ist alt. Wie lange hatte sie schon so gelegen? Gott, was hatte Vater getan? Das war das erste Mal, dass ich sie in einem so schlimmen Zustand gesehen habe. Etwas kam mir in den Sinn, und ich bückte mich und rümpfte die Nase beim Geruch ihres Blutes, erleichtert zu sehen, dass sich ihre Brust hebt und senkt. Sie atmete zumindest und hatte einen Puls, auch wenn dieser schwächer als normal schien. Ich fühle eine kleine Erleichterung.
„Was hast du getan, alter Mann?“, sagte ich grimmig, bückte mich, um sie aufzuheben, fühlte ihren Kopf gegen mich lehnen, und aus irgendeinem unerklärlichen Grund fühlte ich mich beschützend ihr gegenüber. Ich schüttelte das Gefühl ab. Ich kann es mir nicht leisten, ihr gegenüber gnädig zu sein, egal wie weich ich werde. Sie war der Grund, warum unsere Mutter tot ist, und das konnte ich nicht vergeben, egal wie sehr sie mich darum bat. Aber war sie es wirklich, dachte ich? Was, wenn sie die Wahrheit sagte? Ich hatte keinen Grund, ihre Geschichte anzuzweifeln, auch wenn mein Vater sicher war, dass Winter irgendwie den Tod unserer Mutter verursacht hatte. Aber Winter war damals nur ein Kind gewesen, kaum fähig zu dem, was unser Vater sagte, und ich schüttelte den Kopf, versuchte die Dutzende von Gedanken zu klären, die jetzt meinen Kopf füllten.
Ich brachte sie in ihr Zimmer. Ich konnte sehen, dass ein Teil ihrer Wunde heilte und wusste, dass es zwar langsam gehen würde, aber sie bis morgen wieder in Ordnung sein würde, als wäre nichts passiert. Ich bezweifle, dass sie sich allerdings jemals an die Erinnerung vergessen wird, und ich fühle einen kleinen Hauch von Trauer bei diesem Gedanken. Noch eine unglückliche Erinnerung, die sie behalten muss; das arme Ding hat nur sehr wenige Glückliche. Ich legte sie in ihr Bett und platzierte vorsichtig ihre Decke über sie, hielt einen Moment inne und überlegte, was ich tun sollte. War es sicher, sie in diesem Zustand zu lassen? Würde Vater wegbleiben oder musste ich die Tür abschließen? Ich seufze. Vater ist zu betrunken, um noch mehr zu tun, und ich bezweifle, dass er in seinem Zustand überhaupt dazu fähig war. Winters Körper hatte Schlimmeres erlebt und sie hatte überlebt. Etwas, worauf ich nicht gerade stolz bin. Außerdem konnte ich es mir nicht leisten, in ihrem Zimmer gesehen zu werden und ihr zu helfen. Vater würde seine ganze Wut an mir auslassen, wenn ich das täte.
Sie kann es ausschlafen, sage ich mir selbst, weiche vom Türrahmen zurück und weigere mich, ihr Gesicht anzusehen, wie unschuldig meine kleine Schwester aussah, wenn sie schlief. Wie verletzlich sie plötzlich wirkte. Sie wird in Ordnung sein, das ist sie immer. Das wird sie immer sein. Das Letzte, was sie braucht, ist der Bruder, der sie quält, in ihrem Zimmer. Ich gehe, ohne zurückzublicken, in mein eigenes Zimmer. Ich schätze, ich werde heute Abend meine eigenen Hausaufgaben machen müssen, denke ich ein wenig gedankenverloren, mein Kopf noch immer bei Winters Verletzungen und wie gebrochen sie aussah.