KAPITEL DREI

742 Words
KAPITEL DREI Er saß in seinem Auto und genoss die Stille. Die Straßenlichter warfen einen geisterhaften Schein auf die Straße. Zu dieser späten Stunde waren nicht mehr viele Autos unterwegs, weshalb es fast schon unheimlich ruhig war. Er wusste, dass so gut wie jeder in diesem Teil der Stadt, der sich um diese Uhrzeit draußen aufhielt, beschäftigt und gedankenverloren war oder etwas im Geheimen erledigte. Das machte es für ihn einfacher, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren – die Gute Arbeit. Die Gehwege lagen im Dunkeln, mit Ausnahme der vereinzelten Neonleuchten der schäbigen Einrichtungen. Der grobe Umriss einer vollbusigen Frau leuchtete im Fenster des Gebäudes, das er beobachtete. Es flackerte wie ein Leuchtfeuer bei rauer See. Doch diese Orte boten keine Zuflucht – zumindest keine respektable Zuflucht. Während er in seinem Auto saß, so weit von den Straßenlaternen entfernt wie möglich, dachte er über seine Kollektion nach, die er Zuhause hatte. Er hatte sie genau betrachtet, bevor er in dieser Nacht losgefahren war. Auf seinem kleinen Schreibtisch lagen zahlreiche Überbleibsel seiner Arbeit: eine Handtasche, ein Ohrring, eine goldene Halskette, ein Büschel blonder Haare in einem kleinen Tupperware-Behälter. Sie waren Erinnerungen, eine Erinnerung daran, dass ihm diese Arbeit aufgetragen worden war. Und dass er noch mehr Arbeit vor sich hatte. Ein Mann verließ ein Gebäude auf der anderen Straßenseite und riss ihn aus seinen Gedanken. Während er ihn beobachtete, saß er in seinem Auto und wartete geduldig. Er hatte im Laufe der Jahre gelernt, geduldig zu sein. Deshalb machte ihn das Wissen, dass er nun schnell handeln musste, nervös. Was, wenn er nicht präzise genug war? Er hatte keine große Wahl. Der Mord an Hailey Lizbrooks Mord war bereits in den Nachrichten. Die Menschen suchten nach ihm – als ob er derjenige wäre, der etwas Schlechtes begangen hätte. Sie verstanden es einfach nicht. Was er der jungen Frau gegeben hatte, war ein Geschenk. Ein Akt der Gnade. In der Vergangenheit hatte er zwischen seinen heiligen Akten viel Zeit verstreichen lassen. Aber nun spürte er eine gewisse Dringlichkeit in sich. Es gab so viel zu tun. Hier draußen gab es immer Frauen – an Straßenecken, in persönlichen Anzeigen, im Fernsehen. Am Ende würden sie verstehen. Sie würden verstehen und ihm danken. Sie würden ihn darum bitten, sie zu reinigen, und er würde ihre Augen öffnen. Kurze Zeit später erlosch der neonfarbige Umriss der Frau im Fenster. Auch der Schein hinter dem Fenster verblasste. Der Ort lag im Dunkeln, die Lichter waren ausgeschaltet, da der Laden für diese Nacht schloss. Er wusste, dass das bedeutete, dass die Frauen jeden Moment rauskommen und zu ihren Autos gehen würden, um nach Hause zu fahren. Er legte den ersten Gang ein und fuhr langsam um den Block herum. Die Straßenlichter schienen ihn zu verfolgen, aber er wusste, dass es keine neugierigen Augen gab, die ihm hinterherschauten. In diesem Teil der Stadt kümmerte sich niemand um solche Dinge. Die Autos an der Rückseite des Gebäudes waren größtenteils gut in Schuss. Man konnte viel Geld damit verdienen, seinen Körper zur Schau zu stellen. Er parkte ganz am Ende des Parkplatzes und wartete. Nach langer Zeit öffnete sich schließlich die Tür der Mitarbeiter. Zwei Frauen traten, begleitet von einem Mann heraus, der aussah, als würde er als Sicherheitsmann für den Laden arbeiten. Er beäugte ihn und fragte sich, ob er womöglich ein Problem darstellen würde. Er hatte eine Waffe unter dem Sitz, die er verwenden konnte, wenn es denn wirklich sein musste, aber er würde lieber nicht auf solche Mittel zurückgreifen. Er hatte sie noch nicht verwenden müssen. In Wirklichkeit hasste er Waffen. Sie hatten etwas Unreines an sich, fast schon etwas Faules. Schließlich teilten sie sich auf, stiegen in ihre Autos und fuhren davon. Er beobachtete, wie weitere Angestellte herauskamen, und setzte sich auf. Er konnte spüren, wie sein Herz wild schlug. Das war sie. Das war die Eine. Sie war klein, mit gefärbt blonden Haaren, die zu einem langen Bob geschnitten waren und ihr fast bis auf die Schultern reichten. Er beobachtete, wie sie in ihr Auto stieg, doch er fuhr erst los, als die Rücklichter ihres Wagens hinter der Ecke verschwunden waren. Er fuhr auf die andere Seite des Gebäudes, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Als er sie verfolgte, begann sein Herzschlag zu rasen. Instinktiv tastete er mit seiner Hand unter den Sitz, wo er das Seil zu fassen bekam. Das beruhigte ihn. Es beruhigte ihn zu wissen, dass nach der Verfolgung das Opfer kommen würde. Und es würde definitiv kommen.
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD