Erstes Kapitel
Lucy
Es war vermutlich an der Zeit, keine High Heels mehr zu tragen. Oder mich zumindest für weniger hohe Absätze zu entscheiden.
Mit einem taufrischen Sieg vor Gericht in der Tasche trete ich in den Fahrstuhl. Ich verberge das schmerzvolle Zusammenzucken, das mir meine geschwollenen Füße bescheren, die ich in meine Boss-b***h-Stilettos gezwängt habe – die Stilettos, mit denen ich mein Dienstalter, meine Statur und meine allgemeine Überlegenheit im Gerichtssaal und, noch viel wichtiger, in der Kanzlei meines Vaters demonstriere.
Fast zucke ich erneut zusammen, als ich bemerke, dass auch Jeffrey im Fahrstuhl mitfährt.
Er mustert meinen runden Bauch, dann schaut er mich mit einem Ausdruck von gequälter Zerrissenheit in seinen grauen Augen an.
Es ist nicht seins.
Wir haben vor sechs Monaten Schluss gemacht, bevor ich ein für mich sehr untypisches Sexabenteuer in D.C. hatte, das meinen derzeitigen anderen Umstand zur Folge hatte.
„Lucy“, sagt er. Es ist eine Feststellung, keine Eröffnung einer Unterhaltung. Eine Kenntnisnahme der acht Jahre, die wir miteinander verschwendet haben.
Ich zwinge ein Seufzen zurück. „Jeffrey.“
Dankenswerterweise sind noch vier andere Leute mit im Fahrstuhl, also nehme ich neben ihm meine aufrechte Haltung ein und starre auf die Aufzugtüren, während wir nach oben sausen.
„Wie gehts deinem Dad?“
Meine Güte. Will er das wirklich durchziehen?
„Unverändert.“ Ich werfe ihm den obligatorischen Blick zu.
„Tut mir leid.“
„Ja. Na ja, es ist, was es ist.“
Ich sehe mich jeden Tag mit feindlichen Rechtsbeiständen konfrontiert – in meiner Kanzlei, im Gerichtssaal. Mit einer Aufzugfahrt mit meinem Ex komme ich schon klar. Aber bei dieser Mischung aus Mitleid und Bedauern in Jeffreys bohrendem Blick wird mir in meinem Lafayette-148-New-York-Blazer – dem mit dem Knopf über meinem Bauch, der so spannt – plötzlich unfassbar heiß und eng.
Andererseits kann ich mir vorstellen, dass jeder Blazer unerträglich wird, wenn es Juli ist und man selbst schwanger.
Trotzdem, ich wünschte, Jeffrey würde sich mit seinem emotionalen Mist endlich auseinandersetzen und aufhören, meinen immer größer werdenden Bauch als Anlass für irgendeinen innerlichen Konflikt zu missbrauchen. Ich vermute, er fragt sich, wie es wäre, wenn es sein Baby wäre. Oder vielleicht fühlt er sich auch nur schuldig, dass ich diese Baby-Sache allein durchziehe, weil er sich nie dazu durchringen konnte, eine Verpflichtung einzugehen.
Tatsache ist, dass ich mein Ding ohne ihn durchgezogen habe.
Ende der Geschichte.
Der Fahrstuhl hält auf der Etage seines Architekturbüros, aber er zögert, wedelt mit dem Arm vor dem Sensor in der Tür herum, tritt aber nicht aus dem Fahrstuhl heraus. „Wir gehen heute Abend was trinken, im Rocket, falls du mitkommen willst“, sagt er, dann zieht er eine Grimasse, vermutlich, weil ihm klar wird, dass Drinks für mich derzeit aufgrund des kleinen Lebewesens, das da in mir heranwächst, außer Frage stehen.
„Ein anderes Mal“, sage ich mit desinteressiertem Tonfall, der eigentlich ein niemals vermitteln soll, es aber nicht ganz schafft. Womöglich habe auch ich gemischte Gefühle, was Jeffrey angeht.
Oder vielleicht habe ich auch einfach nur riesige Angst, dass ich das alles nicht allein schaffen werde.
Ich stehe mit erhobenem Haupt da, halte meine Gerichtssaal-Statur aufrecht, bis die Türen zugleiten. So ist es einfacher, meine Haltung auch aufrechtzuerhalten, wenn die Türen auf meiner Etage aufgleiten und ich mit selbstbewusstem Gang zum Schreibtisch der Sekretärinnen schreite.
„Der erste Termin?“ Für gewöhnlich kenne ich meine Termine, ohne dass man mich erinnern muss. Ich gehöre eigentlich zu der Sorte Mensch mit dem sprichwörtlichen Elefantengedächtnis, aber die Hormone bringen auch mein Erinnerungsvermögen durcheinander. Ich fühle mich wie benebelt.
Und ich hasse es, wie verletzlich und machtlos ich mich dadurch fühle.
„Der erste Termin ist Adrian Turgenev, der junge Mann, der für Brandstiftung in der Sofafabrik am elften angeklagt ist“, informiert mich Lacey, die Sekretärin.
Stimmt. Russische mafija, oder Bratwa, wie sie es nennen. Der Klient wurde von Paolo Tacone an mich verwiesen, einer meiner Klienten aus der italienischen Gangsterfamilie.
Lustig, stecken die Russen und die Italiener jetzt unter einer Decke? Ist auch egal. Über die tatsächlichen Einzelheiten ihrer Geschäfte Bescheid zu wissen, ist nicht meine Aufgabe.
Es ist nur meine Aufgabe, sie anhand der von den Strafverfolgungsbehörden zusammengesammelten Fakten zu verteidigen.
Ich muss zugeben, dass mir bei der Vorstellung, mich mit den Russen einzulassen, ein leichtes Kribbeln der Vorahnung den Rücken hinunterläuft. Nicht, weil ich mich den Leuten, die ich verteidige, moralisch überlegen fühlen würde. Man kann kein Strafverteidiger sein und auf diesem hohen Ross sitzen.
Sondern nur seinetwegen.
Master R, der sexy russische Kriminelle, den ich am letzten Valentinstag in Washington D.C. getroffen habe.
Dem unbeabsichtigten Samenspender für mein Abenteuer als alleinerziehende Mutter.
Aber das ist in Washington D.C. passiert. Vermutlich absolut keine Verbindung zu der Zelle hier in Chicago.
Ich schließe mein Büro auf und suche die Akte von Adrian Turgenev heraus, um die Notizen durchzuschauen, die mir die Sekretärin zu dem Fall gemacht hat. Ich setze mich an meinem Schreibtisch, dann schlüpfe ich aus den acht Zentimeter hohen Absatzschuhen, die in meine geschwollenen Füße schneiden.
Herr im Himmel. Schwanger sein ist wirklich nichts für Weicheier. Vor allem nicht mit fünfunddreißig.
„Lucy. Habe ich richtig gehört, dass du eine neue kriminelle Vereinigung repräsentierst?“
Ich versuche, meine Augen nicht zu Schlitzen zu verengen, als d**k Thompson, einer der Partner in der Firma meines Dads, in mein Büro kommt. Ich kenne ihn, seit ich ein kleines Mädchen war, und muss hart dafür kämpfen, dass er mich nicht immer noch wie ein Kind behandelt.
„Du hast richtig gehört.“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch, um ihn zu fragen, worauf er hinauswill.
Er schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Wir haben damals lange darüber diskutiert, ob es clever ist, die Tacones zu repräsentieren, als dein Vater der Anwalt für Don Santo, oder wie auch immer er hieß, war. Wir können nicht zulassen, dass diese Firma durch einen schlechten Ruf ruiniert wird.“
Ich kann mich daran erinnern. Ich habe hier in den Sommer- und Winterferien gejobbt, seit ich sechzehn Jahre alt war. Ich kann mich auch daran erinnern, was mein Vater damals gesagt hat.
„Diese Firma ist bekannt dafür, Mörder und Kriminelle zu verteidigen. Organisiertes Verbrechen bietet schlicht und einfach die Garantie für wiederkehrende Aufträge.“ Ich wackele mit den Augenbrauen und grinse ihn kühl an.
Das hat nichts mit moralischer Überlegenheit oder einem hohen Ross zu tun. Es hat damit zu tun, dass d**k ein Depp ist. Er provoziert mich absichtlich. Hat er schon immer getan. Ich musste doppelt so hart arbeiten, um zu beweisen, dass ich die Stelle in der Firma verdiene, sowohl weil ich eine Frau bin, aber auch, weil mein Vater mir zur Stelle verholfen hat. Und jetzt findet hinter meinem Rücken irgendeine Schmähkampagne wegen der Partnerschaft statt. d**k sammelt Beweismaterial gegen mich. Oder vielleicht gegen meinen Dad. Vermutlich gegen uns beide.
Wir werden sehen.
Als Frau in einer halsabschneiderischen Branche und in einer der halsabschneiderischsten Firmen überhaupt warte ich nur darauf, dass sich jeden Moment ein Dolch in meinen Rücken bohrt.
Mein Telefon klingelt.
„Das wird er sein. Ich habe zu tun“, flöte ich d**k zu, während ich meine Füße zurück in die Pumps zwänge und den Hörer abnehme.
„Mr. Turgenev und Mr. Baranov sind hier.“
„Schicken Sie sie bitte herein.“
Ich stehe auf und gehe um meinen Schreibtisch herum, bereit, ihnen die Hände zu schütteln, wenn sie hereinkommen.
Ich hätte darauf vorbereitet sein sollen.
Ich hatte dieses nagende Gefühl. Trotzdem, als die Tür aufgeht und ich das attraktive, brutale Gesicht des Mannes erblicke, der dort steht, gerät der Boden unter mir ins Wanken, kippt und meine Welt wird für einen Augenblick dunkel.
Er ist es. Master R. Mein Partner aus dem Black Light, dem b**m-Club in D.C.
Der Vater meines Kindes.