KAPITEL EINS
KAPITEL EINS
Keira Swanson stieß die Glastüren vom Viatorum Magazin auf und trat zielstrebig ein. Es war ein Feiertag, der Tag der Arbeit, aber sie war, wie auch der Rest des Schreibpools, kurzfristig zur Arbeit beordert worden.
Keira war sich darüber im Klaren, dass es sich nicht wirklich um einen Notfall handelte, jedenfalls nichts so Dringendes, was eine Zusammenkunft an einem Feiertag rechtfertigte. Aber bei dem Reisemagazin wurde der interne Wettbewerb sehr groß geschrieben und Joshua, ihr Boss, nutzte gern jede Gelegenheit, um "die Spreu vom Weizen zu trennen". Jeder, der sich zu sehr darüber aufregte, an Feiertagen zu arbeiten, oder wer bei den Besprechungen griesgrämig aus der Wäsche schaute, stand prompt bald wieder auf der Straße. Keira hatte zu hart gearbeitet, um diesen Schreibjob zu ergattern, sie würde jetzt nicht an dieser Hürde scheitern. Selbst wenn das bedeutete, dass ihr Freund Zachary gerade daheim einen Familienbrunch ohne sie veranstalten musste.
Ihre schwarzen Stilettos klapperten über die makellosen, weißen Kacheln, als sie zu ihrem Schreibtisch eilte. Das Viatorum Hauptquartier befand sich in einem der angesagtesten Viertel von New York City, in einem großen, alten Warenhaus, das als schickes Büro umfunktioniert worden war. Die Fenster waren riesig und reichten vom Fußboden bis zur hohen Decke. Die Stahlträger mit den großen Schrauben waren noch sichtbar; ein Überbleibsel aus der Zeit, als das Gebäude noch als Warenhaus gedient hatte. Der offene Raum sorgte dafür, dass man jedes Gespräch mitbekam, selbst Geflüster. Es bedeutete auch, dass niemand es wagte, geruchsintensives Essen mitzubringen. Keira konnte sich noch gut daran erinnern, wie eine neue Autorin, eine dümmliche junge Frau namens Abby, an ihrem ersten Tag einen Thunfischsalat mitbrachte. In der Sekunde, als Joshua der Geruch an die Nase drang, hatte er auch schon dafür gesorgt, dass Abbys erster Tag auch ihr einziger und letzter bei Viatorum war.
Als sie ihren Blick durch den großen Raum schweifen ließ, stellte Keira fest, dass sie nicht als Erste eingetroffen war. Nina, ihre Freundin und eine der Redaktionsassistentinnen, beugte sich bereits über ihren Tisch und tippte eifrig auf ihrer Tastatur. Sie warf Keira ein schnelles Grinsen zu bevor sie sich wieder ganz ihrer Arbeit widmete.
Keira legte ihre Tasche auf den Tisch und ließ sich auf ihren Stuhl sinken, sehr darauf bedacht, dass ihr Seufzer stumm blieb. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Arbeit für das renommierte Viatorum Magazin so viel Schauspielerei erforderte, so viel geheucheltes Interesse an Unterhaltungen, und das ach-so-kompetente Geschwafel.
Durch die gläserne Wand, die Joshua von seinen Angestellten trennte, bemerkte Keira, dass er sie beobachtete. Sie fragte sich, was er denken mochte. War er überrascht, dass sie als Zweite seinem dringenden Ruf gefolgt war? Oder war er begierig darauf, jemanden zu entlassen, und sie war ihm gerade als williges Opfer vor die Flinte gesprungen?
Joshua kam hinter der gläsernen Trennwand hervor. Er trug einen stahlblauen Anzug und sein Haar war zu einer Tolle frisiert. Er kam zu Keiras Tisch.
„Hast du die Recherche über Irland schon erledigt?“, fragte er, ohne sich mit einem Hallo aufzuhalten.
Ach ja, der Artikel über das Festival der Liebe. Joshua war von Elliot beauftragt worden darüber zu schreiben. Elliot war der Geschäftsführer von Viatorum. Es sollte ein großes, wichtiges Projekt werden, zumindest hatte Joshua das angedeutet. Allerdings konnte Keira sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein alberner, süßlicher Bericht über Kuppelei während einer veralteten Zeremonie in einem urigen irischen Dorf sich als große Story erweisen könnte. Wie auch immer, Joshua war in noch schlechterer Stimmung als sonst und Keira, als jüngste Autorin, war damit beauftragt worden, die Recherche zu erledigen, denn dafür war er natürlich viel zu beschäftigt.
Wohl eher viel zu wichtigtuerisch, dachte Keira, während sie ihn anlächelte. „Ich habe dir alles per E-Mail geschickt, bevor ich am Freitag gegangen bin.“
„Schick es mir noch mal“, verlangte Joshua prompt. „Ich habe nicht die Zeit, um mich durch Massen von Mails in meinem Posteingang zu wühlen.“
„Kein Problem“, sagte Keira, freundlich wie immer.
Joshua stürmte zurück in sein Büro und Keira schickte ihm erneut die E-Mail mit der Masse an Informationen, die sie über das irische Festival der Liebe gesammelt hatte. Sie musste grinsen bei der Erinnerung daran, wie albern das alles war, wie widerlich romantisch.
Sie hatte gerade erst die E-Mail abgeschickt, als weitere Autoren von Viatorum hereinkamen. Alle taten so, als mache es ihnen überhaupt nichts aus, an einem Feiertag ins Büro zu kommen. Keira konnte hören, wie sie sich gegenseitig darin überboten, wer wohl das größte Opfer gebracht hatte.
„Meine Nichte hatte ein Baseball-Turnier“, sagte Lisa. „Aber das hier ist natürlich viel wichtiger. Sie hat sich die Augen ausgeweint, als ich ihr sagte, dass ich gehen müsse, aber sie wird es verstehen, wenn sie älter ist und ihre eigene Karriere verfolgt.“
Duncan konnte das noch übertreffen. „Ich musste Stacy am Flughafen zurücklassen. Ich meine, wir können Madrid ja auch ein anderes Mal besuchen. Es läuft uns ja nicht weg.“
„Ich komme gerade vom Krankenbett meiner Mutter“, fügte Victoria hinzu. „Es ist ja nicht so, als befände sie sich in einem kritischen Zustand. Sie versteht, dass meine Karriere vorgeht.“
Keira unterdrückte ein Grinsen. Das betriebliche Umfeld bei Viatorum erschien ihr in höchstem Maße fragwürdig. Sie wünschte, ihre Karriere würde sich aufgrund von Hingabe, Talent und harter Arbeit entwickeln, und nicht dank ihrer Fähigkeit, am Wasserspender zu plaudern. Das sollte nicht heißen, Keira konzentrierte sich nicht auf ihre Karriere – sie war im Augenblick das wichtigste in ihrem Leben, auch wenn sie das Zachary gegenüber nicht zugeben würde – sie wollte sich nur nicht verbiegen, um in die Unternehmenskultur dieses Magazins zu passen. Sie hatte oft das Gefühl, sich in einer Warteschleife zu befinden, bis ihre Zeit zu glänzen gekommen war.
Im nächsten Moment summte Keiras Handy. Nina hatte ihr eine ihrer heimlichen Nachrichten geschickt.
Ich nehme mal an, Joshua hat vergessen zu erwähnen, dass Elliot beim heutigen Meeting anwesend sein wird?
Keira hielt überrascht die Luft an. Auch wenn der Geschäftsführer von Viatorum um Längen angenehmer war als Joshua, fühlte sie sich in seiner Gegenwart dennoch nicht gerade entspannt. Immerhin hielt er die Schlüssel zu ihrer Karriere in der Hand. Er war derjenige, der einen jederzeit einstellen und feuern konnte, derjenige, dessen Meinung wirklich zählte. Joshua sagte Keira niemals, dass sie gute Arbeit geleistet hatte, oder dass sich ihr Schreibstil verbessert hatte, egal wie sehr sie sich anstrengte. Elliot hingegen machte Komplimente, wenn sie verdient waren, was selten genug der Fall war, aber das machte es umso wertvoller, wenn man eines bekam.
Keira wollte Nina gerade zurückschreiben, als sie Joshuas schnelle Schritte hörte.
„Was zur Hölle soll das, Keira?“, rief er schon von Weitem.
Seine Worte schallten durch das Büro. Alle Köpfe drehten sich zu ihr um, das wollte keiner verpassen. Alle waren gleichermaßen erleichtert, dass sie selber nicht das Ziel dieser Verbalattacke waren und dass sich Joshuas Zorn über jemand anderem entladen würde.
„Entschuldigung?“, fragte Keira freundlich, auch wenn ihr das Herz raste.
„Dieser Mist über Irland! Das ist vollkommen unbrauchbar!“
Keira wusste nicht, wie sie antworten sollte. Sie wusste, dass sie gründlich recherchiert hatte. Sie hatte sich an die Vorgaben gehalten, alles in einem benutzerfreundlichen Ordner gesammelt, sie hatte sich wirklich reingekniet in die Arbeit. Joshua hatte einfach schlechte Laune und wollte die an ihr auslassen. Vielleicht war es auch ein Test, wie sie mit der öffentlichen Schelte umgehen würde.
„Ich kann noch weiter recherchieren, wenn du das möchtest“, sagte Keira.
„Dafür reicht die Zeit nicht“, schrie Joshua. „Elliot wird in fünfzehn Minuten hier sein!“
„Um genau zu sein“, unterbrach Nina, „fährt sein Auto gerade vor.“ Sie beugte sich in ihrem Bürostuhl vor, um besser aus dem Fenster sehen zu können.
Joshua lief rot an. „Ich ziehe mir diesen Schuh nicht an, Swanson“, sagte er und richtete seinen Finger auf Keira. „Wenn Elliot enttäuscht ist, dann sage ich ihm, wer dafür die Verantwortung trägt.“
Er stürmte zurück in seinen abgeteilten Arbeitsbereich. Aber unterwegs trat er mit seinem Lacklederschuh in eine Kaffeepfütze, die einer der gehetzten Schreiberlinge auf dem Weg zur Arbeit hinterlassen hatte.
Es gab einen Moment, in dem die Zeit still zu stehen schien und Keira genau sehen konnte, was passieren würde. Dann schlitterte und stolperte Joshua wie im Comic. Sein Körper drehte sich, als würde er tanzen und er versuchte, die Balance zu halten. Die Kombination von blanken Kacheln und Macchiato war einfach zu viel für ihn.
Joshua verlor komplett das Gleichgewicht, ein Bein schoss nach vorn, das andere verdrehte sich unter ihm. Alle schnappten nach Luft, als er mit einem lauten Platschen hart auf dem Boden aufschlug. Ein lautes Knirschen hallte durch das große Büro. Es klang übel.
„Mein Bein!“, schrie Joshua und hielt sich das Schienbein. „Ich habe mir das Bein gebrochen!“
Alle wirkten wie gelähmt. Keira lief zu ihm, auch wenn sie nicht wusste, wie sie ihm helfen sollte, aber sie glaubte nicht, dass man sich auf diese Weise wirklich ein Bein brechen konnte.
„Es ist sicher nicht gebrochen“, stammelte sie, in der Hoffnung, zuversichtlich zu klingen. Aber dann sah sie, in welch schrägem Winkel Joshuas Bein abstand, sah den Riss in der Hose, wo der Knochen herausragte. Ihr wurde schlecht. „Um ehrlich zu sein….“
„Steh nicht einfach so da!“, schrie Joshua voller Schmerz. Er wagte einen kurzen Blick auf die Verletzung. „Oh Gott!“, schrie er. „Mein Hose ist zerrissen! Die hat mehr gekostet, als du im ganzen Monat verdienst!“
Genau in diesem Augenblick ging die Tür auf und Elliot trat ein.
Selbst wenn Elliot nicht 1,92 m groß gewesen wäre, hätte er dennoch Eindruck gemacht. Da war etwas in seiner Haltung. Er konnte die Leute mit einem einzigen Blick in Angst versetzen und sie sich gefügig machen.
Wie das Wild vor dem Autoscheinwerfer verharrte jeder genau da, wo er gerade war und starrte ihn ängstlich an. Selbst Joshua war stumm vor Angst.
Elliot erfasste die Situation um ihn herum mit einem Blick. Er sah Joshua am Boden liegen, sich das Bein haltend und vor Schmerzen schreiend, er sah Keira hilflos daneben stehen, sah die Gruppe der Schreiberlinge an ihren Tischen stehen, mit Entsetzen auf den Gesichtern.
Aber Elliots Gesichtsausdruck änderte sich nicht im Mindesten. „Hat jemand schon einen Krankenwagen für Joshua gerufen?“ Mehr fragte er nicht.
Die Folge war geschäftiges Treiben.
„Ich mache das!“, sagten alle gleichzeitig und griffen nach ihren Telefonen, um nur ja in Elliots Augen als Retter zu dazustehen.
Auf Joshuas Stirn stand der kalte Schweiß. Er blickte zu Elliot auf.
„Es wird schon wieder“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen und scheiterte kläglich bei dem Versuch, lässig zu klingen. „Ist nur ein Knochenbruch. Zum Glück ist es das Bein und nicht der Arm. Ich brauche das Bein ja nicht, um den Artikel über Irland zu schreiben.“ Er klang ziemlich verwirrt.
„Aber du brauchst es, um ins Flugzeug zu kommen und über die Hügellandschaft zu wandern“, sagte Elliot ruhig.
„Krücken“, sagte Joshua und verzog das Gesicht. „Rollstuhl. Wir müssen eben ein wenig improvisieren.“
„Joshua“, antwortete Elliot ernst, „der einzige Ort, wo ich dich hinschicke, ist das Krankenhaus.“
„Nein!“, rief Joshua und versuchte, sich aufzusetzen. „Ich kann den Auftrag erledigen! Ich brauche nur einen Gips und dann bin ich praktisch so gut wie neu!“
Ohne jegliche Gefühlsregung ignorierte Elliot Joshuas Flehen und blickte auf die Uhr. „Ich werde das Meeting um Punkt elf Uhr eröffnen“, verkündete er den Mitarbeitern. Dann marschierte er Richtung Konferenzsaal, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Alle standen da, stumm, entsetzt, unsicher, was zu tun war. Dann brachte sie Joshuas Geschrei wieder zurück in die Gegenwart.
„Ich hole dir etwas Wasser“, sagte Lisa.
„Ich will kein verdammtes Wasser!“, schrie Joshua.
„Hier“, sagte Duncan und eilte zu ihm, „du musst das Bein hochlegen.“
Er streckte die Hand nach dem verletzten Bein aus, aber Joshua schlug sie ihm weg. „Fass mich nicht an! Ich schwöre bei Gott, wenn du mich anfasst, schmeiße ich dich raus!“
Duncan hob abwehrend die Hände und zog sich zurück.
„Der Krankenwagen ist da“, rief Nina vom Fenster. Blaue Lichter blitzten von der anderen Seite der Glasscheibe auf.
Gott sei Dank, dachte Keira. Sie hatte von Joshua wirklich die Nase voll. Für immer, wenn sie ehrlich war.
Sie blickte auf und sah Elliot, der im Flur zum Konferenzraum stand und sie alle dabei beobachtete, wie sie kopflos um Joshua herumschwirrten. Er wirkte nicht gerade beeindruckt. Keira warf einen Blick auf die Uhr. Die Besprechung begann in weniger als einer Minute.
Keira erkannte, dass dies ihre Chance war. Elliot hatte es sehr deutlich gemacht, dass Joshua keinesfalls den Irland-Auftrag behalten würde. Das wiederum bedeutete, alle anderen würden sich gleich darum balgen, wer ihn bekam. Es war vielleicht nicht gerade der aufregendste Auftrag aber mehr als Keira je bekommen hatte. Sie musste sich Elliot gegenüber beweisen. Sie brauchte diesen Auftrag.
Keira ließ ihre Kollegen stehen und ging zum Konferenzraum. Sie ging an Elliot vorbei und setzte sich auf den Platz neben dem, den er üblicherweise einnahm.
Duncan bemerkte sie als erster. Sie dort sitzen zu sehen, schien ihm schließlich auch vor Augen zu führen, was sie bereits erkannt hatte, nämlich dass der Irland-Auftrag zu haben war und einer von ihnen ihn kriegen würde. Er eilte ebenfalls in den Raum, während er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Aber die anderen bemerkten es und plötzlich versuchte jeder, möglichst schnell, aber unauffällig in den Raum zu kommen, um Elliot zu beeindrucken und den Auftrag zu ergattern.
So blieb Joshua allein mitten im Großraumbüro zurück. Krankenpfleger hoben ihn auf die Trage und brachten ihn weg, während im Konferenzraum seine Angestellten um seinen Auftrag kämpften.
*
„Ich bin sicher, ihr habt es inzwischen alle gemerkt“, sagte Elliot. „Joshuas Unfall hat mich ein eine Zwickmühle gebracht.“
Er faltete seine großen Hände auf dem Konferenztisch und schaute sie alle der Reihe nach an.
Keira wartete still ab. Sie hatte eine Plan: sollten die anderen sich doch gegenseitig aufreiben, sie würde bis zur letzten Sekunde warten und dann ihre Karten richtig ausspielen.
„Der Irland-Auftrag“, fuhr Elliot fort, „sollte unsere Titelgeschichte werden. Viatorum soll in eine neue Richtung gehen. Persönlichere Texte, Erfahrungen aus erster Hand. Der Autor bringt die Geschichte voran, die Örtlichkeiten stehen im Mittelpunkt. Ich hatte das mit Joshua besprochen. Ich weiß nicht, ob einer von euch versteht, was mir vorschwebt.“ Er blickte auf den Tisch und runzelte so sehr die Stirn, dass die Ader hervorstand. „Der Flieger geht morgen“, klagte er, als hätte er keine Zuhörer.
„Also“, sagte Lisa, „mein Florida-Artikel ist fast erledigt. Ich kann ihn im Flugzeug abschließen.“
„Auf keinen Fall“, antwortete Elliot. „Man kann nicht zwei Aufträge auf einmal erledigen. Wer ist frei?“
Aus einigen Kollegen entwich der angehaltene Atem. Sie waren damit aus dem Rennen.
„Ich bin frei“, sagte Duncan. „Ich wollte eigentlich heute nach Madrid fliegen, aber die Arbeit geht vor. Stacy wird es nichts ausmachen, wenn ich den Urlaub verschiebe.“
Keira konnte nur mit Mühe ein Augenrollen unterdrücken angesichts dieser auswendig gelernten Ansage. Sie fragte sich, wie gelassen Stacy tatsächlich reagieren würde, wenn ihr Urlaub ins Wasser fiele.
Elliot musterte Duncan über den Tisch hinweg. „Du bist dieser Buxton-Typ, oder? Der den Artikel über Frankfurt geschrieben hat?“
„Ja“, antwortete Duncan und grinste stolz.
„Der Artikel war Mist“, sagte Elliot.
Keira spürte, wie ihre Aufregung wuchs. Das war ihr Moment. Ihre Chance zu glänzen.
Sie ignorierte die aufkommende Nervosität und hob lässig ihre Hand. „Ich stehe für den Auftrag zur Verfügung.“
Alle schauten sie an. Sie bemühte sich, nicht den Kopf zwischen die Schultern zu ziehen, sondern aufrecht zu sitzen.
„Wer bist du?“, fragte Elliot.
Keira schluckte. „Keira Swanson. Ich bin Joshuas jüngste Autorin. Er hatte mich damit beauftragt, die Recherche für den Irland-Auftrag zu machen.“
„So, hat er das?“, fragte Elliot. Es schien ihm egal zu sein, dass Joshua seine Arbeit an Untergebene delegierte. Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Du warst noch nie in Übersee für einen Auftrag?“
Keira schüttelte den Kopf. „Bisher nicht“, antwortete sie. „Aber ich freue mich drauf.“ Sie hoffte, man würde das Zittern in ihrer Stimme nicht hören.
Sie spürte die Irritation ihrer Kollegen am Tisch. Wahrscheinlich fanden sie es unfair und dachten, Keira hätte einen solchen Auftrag nicht verdient. Sie ärgerten sich bestimmt, dass sie in den vergangenen Wochen weniger interessante Aufträge angenommen hatten und nun damit beschäftigt waren. Die einzige Person, die auf ihrer Seite zu sein schien, war Nina, die sie wissend anlächelte. Innerlich lächelte Keira zurück. Dies war ihre Chance. Sie hatte abgewartet, hinter Joshua aufgeräumt, seine Texte überarbeitet, viele Überstunden ohne Vergütung gemacht. Jetzt würde sie aus den Schatten heraus ins Licht treten.
Elliot trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Ich bin nicht sicher“, sagte er. „Du hast dich noch nicht bewiesen. Und das ist eine große Aufgabe.“
Nina meldete sich am anderen Ende des Tisches zu Wort. Sie hatte sich bereits Vertrauen und Respekt erarbeitet. Als erfahrene Herausgeberin hochwertiger Magazine hatte sie die nötige Härte. „Ich glaube nicht, dass du eine andere Wahl hast.“
Elliot hielt inne, als müsse er die Worte erst einmal verdauen. Dann glättete sich die gerunzelte Stirn und er antwortete mit zögerlicher Akzeptanz. „Also gut. Swanson, du hast den Auftrag. Aber nur, weil wir in einer echten Notlage sind.“
Das war vielleicht nicht die beste Art, um solche guten Nachrichten zu bekommen, aber Keira war das egal. Sie hatte den Auftrag. Das war alles, was zählte. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht die Faust gen Himmel zu recken.
„Es handelt sich um eine vierwöchige Reise“, erklärte Elliot. „Zum Lisdoonvarna Festival in Irland.“
Keira nickte. Das wusste sie bereits alles. „Das Festival der Liebe“, sagte sie etwas säuerlich.
Elliot schmunzelte. „Bist du immer so zynisch?“
Das ließ Keira nervös werden. Hatte sie das Falsche gesagt? Ihre Verachtung war ihr einfach so heraus gerutscht. Aber dann sah sie, dass Elliots Gesicht eher Zustimmung ausdrückte.
„Das ist genau der Blickwinkel, den ich haben will“, sagte er.
Alle am Tisch sahen so aus, als hätten sie in eine Zitrone gebissen. Lisa starrte Keira eifersüchtig an.
„Die Wahrheit“, fügte Elliot hinzu. Seine Augen funkelten plötzlich vor Aufregung. „Ich will, dass du diese Albernheit über das romantische Irland entlarvst. Widerlege den Mythos, dass man bei so einem sentimentalen Festival mit einem Partner fürs Leben verbunden wird. Ich erwarte, dass du mutig den Unsinn aufzeigst, dass Liebe so nicht in der realen Welt funktioniert. Ich will die ganze ungeschminkte Wahrheit.“
Keira nickte. Sie war eine zynische New Yorkerin, und der Blickwinkel des Auftrags kam ihr sehr entgegen. Es war, als wäre ihr der perfekte Auftrag zum richtigen Zeitpunkt praktisch in den Schoß gefallen. Dies war ihre Chance, sich zu beweisen, ihre Stimme und ihr Talent zu zeigen, allen klar zu machen, dass sie sich ihren Platz bei Viatorum wahrlich verdient hatte.
„Damit ist die Besprechung beendet“, sagte Elliot. Als Keira aufstand, fügte er hinzu, „du nicht, Miss Swanson. Wir müssen noch ein paar Details des Auftrags mit meiner Assistentin besprechen. Gehen wir doch in mein Büro.“
Als die Anderen nach und nach den Raum verließen, machte Nina ein Daumen-hoch-Zeichen. Dann ging Keira an Elliots Seite quer durch das Büro. Ihre Absätze klackerten auf den Kacheln und eifersüchtige Blicke folgten ihr.
*
In dem Moment, als sich die Tür zu Elliots Büro hinter ihnen schloss, wusste Keira, dass die wirkliche Arbeit jetzt erst begann. Elliots Assistentin Heather war bereits da. She runzelte verwirrt die Stirn, als sie sah, dass Keira den Auftrag bekommen hatte, aber sie sagte nichts.
Eine weitere Person, der ich zeigen werde, dass sie falsch liegt, dachte Keira.
Sie und Elliot setzten sich hin. Heather reichte ihr eine Mappe.
„Deine Flugtickets“, erklärte sie. „Und Details zur Unterkunft.“
„Ich hoffe, du bist ein Frühaufsteher, denn du wirst morgen früh aufbrechen“, fügte Elliot hinzu.
Keira lächelte, aber im Geiste ging sie all die Termine in ihrem Kalender durch, die sie absagen musste oder verpassen würde. Ihr brach der kalte Schweiß aus, als ihr bewusst wurde, dass sie die Hochzeit von Ruth, Zacharys Schwester, verpassen würde. Die war morgen. Er würde ziemlich sauer sein.
„Das ist kein Problem“, sagte sie und warf einen Blick auf die Flugtickets in der Mappe. 6 Uhr. „Überhaupt kein Problem.“
„Wir haben dir ein Zimmer in einem idyllischen kleinen Bed & Breakfast in Lisdoonvarna gebucht“, erklärte Elliot. „Kein Schnickschnack. Wir wollen, dass du alles ganz hautnah erlebst.“
„Großartig“, antwortete sie.
„Versau es nicht, okay?“, sagte Elliot. „Ich gehe mit dir ein echt großes Risiko ein. Wenn du den Auftrag versaust, dann war es das hier für dich. Klar? Es gibt Hunderte von Autoren, die nur darauf warten, deinen Platz einzunehmen.“
Keira nickte, bemüht, ihre Anspannung nicht zu zeigen. Sie wollte einen zuversichtlichen Eindruck machen, während sie in Wirklichkeit Schmetterlinge im Bauch hatte.