KAPITEL ZWEI

822 Words
KAPITEL ZWEI Malcolm Malice hob die Armbrust und zielte. Er stemmte die Beine fest in den Boden. Dann drückte er ab. Der Pfeil zischte los und durchschnitt die Luft, bevor er mitten ins Schwarze traf. Ein perfekter Schuss. Malcolm grinste zufrieden. „Großartig, Malcolm“, sagte Coach Royce. „Von meinem besten Schüler habe ich nichts anderes erwartet.“ Stolz gab Malcolm ihm die Armbrust zurück und stellte sich wieder zu seinen Klassenkameraden. Ein paar Kinder warfen ihm neidische Blicke zu. „Bester Schüler“, murmelte einer genervt. Leises Gelächter machte sich breit. Malcolm ignorierte es. Er hatte wichtigere Dinge im Kopf. Er war zwar erst seit ein paar Monaten an der Obsidian-Schule, aber er hatte jetzt schon ein paar Kinder überholt, die seit Jahren hier lernten. Er war ein mächtiger Seher. Seine atomische Begabung war die Stärkste von allen und dazu war er eine seltene Mischung aus Kobalt und Brom. Wenn die anderen Kinder nicht mit ihm befreundet sein wollten, war das ihr Problem. Bevor er an die Obsidian-Schule gekommen war, hatte er schließlich auch keine Freunde gehabt. Warum sollte er jetzt also Wert darauf legen? Malcolm war schließlich nicht hierhergekommen, um Freundschaften zu schließen. Er war hier, um der Beste zu werden, um alle anderen Seher zu übertreffen, besonders diese Loser von der Amethyst-Schule. Plötzlich spürte er, wie etwas in seinen Hinterkopf stach. Instinktiv ließ er seine Hand an die brennende Stelle wandern und als er sie wegnahm, lag eine tote Biene in seiner Handfläche. Das war kein Zufall. Jemand hatte seine Kräfte gegen ihn eingesetzt. Er drehte sich wütend um und suchte nach dem Täter. Sein Blick fiel auf Candice, die ihr dämliches Grinsen kaum verbergen konnte. Aus schmalen Augen sah Malcolm sie an. „Das warst du.“ „Das war eine Biene“, entgegnete sie unschuldig. „Wer soll es sonst gewesen sein? Du glaubst wohl, deine biologische Begabung wäre etwas ganz Besonderes!“ Candice hob die Schultern. Coach Royce klatschte laut in die Hände. „Malcolm Malice, hier spielt die Musik! Nur weil du es schon kannst, heißt das nicht, dass der Unterricht für dich beendet ist. Etwas mehr Respekt für deine Mitschüler, die sollen es wenigstens probieren.“ Malcolm biss sich auf die Zunge. Jetzt bekam er auch noch Ärger wegen dieser kleinen Zicke! Die Ungerechtigkeit brannte ebenso wie der Bienenstich. Malcolm versuchte, sich auf seine Klassenkameraden zu konzentrieren, die abwechselnd mit der Armbrust übten. Es war ein gewöhnlicher Tag bei Obsidian, der Himmel war trüb, ein leichter Nebel lag in der Luft. Das große Spielfeld erstreckte sich bis zum imposanten Herrenhaus, in dem die Schule für Seher von Madame Obsidian untergebracht war. Jetzt war Candice an der Reihe. Ihr Pfeil flog weit am Ziel vorbei und Malcolm konnte nicht anders, als über ihre Unfähigkeit zu schmunzeln. „Dies ist eine Disziplin, die ihr absolut perfekt beherrschen müsst“, rief Coach Royce. „Wenn es zu einem Kampf gegen Amethyst-Seher kommt, sind es genau solche Fertigkeiten, auf die sie nicht vorbereitet sind. Sie sind so starr auf ihre Begabung fixiert, dass sie die guten alten Kampfkünste vollkommen vernachlässigen.“ Malcolms Mundwinkel wanderten noch weiter nach oben. Alleine der Gedanke, diesen albernen Sehern von Professor Amethysts Schule in den Hintern zu treten, ließ ihn innerlich feiern. Er konnte es kaum erwarten, endlich einem dieser Verlierer gegenüberzustehen. Dann würde er ihnen zeigen, wer der Boss ist und warum Obsidian die bessere Schule war. Obsidian hatte es verdient, die einzig wahre Schule für Seher zu sein! In diesem Moment bemerkte Malcolm, dass einige Kinder aus dem zweiten Jahr mit Hockeyschlägern in der Hand auf den Sportplatz kamen. Natasha Armstrong war auch unter ihnen. So wie er besuchte auch sie die Privatstunden in der Bibliothek für begabte Schüler. Obwohl er mit zwölf Jahren der jüngste war, waren die anderen immer nett zu ihm. Besonders Natasha. Sie würde sich nie über ihn lustig machen, weil er klug war. Und sie teilte seinen Hass auf die Amethyst-Schule. Natasha winkte ihm zu. Hübsche Grübchen erschienen in ihren Wangen. Malcolm winkte zurück und spürte, wie seine eigenen Wangen warm wurden. Doch da hörte Malcolm Candice zuckersüß in sein Ohr flüstern. „Ach ist das putzig, Malcolm ist verknallt!“ Malcolm blickte weiter geradeaus und versuchte ihre Sticheleien zu ignorieren. Candice war nur eifersüchtig. Schließlich hatte er sie zurückgewiesen und jetzt interessierte sich ein älteres, hübscheres Mädchen für ihn. Als die andere Klasse ihr Hockey-Match begann, blickte Malcolm zu dem riesigen, imposanten viktorianischen Herrenhaus der Obsidian-Schule mitsamt ihrem Turm auf. Ganz oben im höchsten Zimmer konnte er die dunkle Gestalt von Madame Obsidian am Fenster stehen sehen. Sie blickte auf ihre Schüler herab. Es kam ihm vor, als würde sie ihn direkt ansehen. Er lächelte still. Malcolm wusste, dass sie ihn im Auge behielt. Sie hatte ihn für eine besondere Mission auserwählt. Morgen würde er Madame Obsidian treffen und dann würde sie ihm alles genau erklären. Bis dahin musste er die Neckereien der anderen Kinder noch ertragen. Aber bald würden sie zu ihm aufblicken und ihn anhimmeln! Der Name Malcolm Malice würde jedem Seher in jeder Zeitlinie bekannt sein. Er würde in allen Geschichtsbüchern stehen. Als der Junge, der Professor Amethyst und seine Schule für Seher ein für alle Mal zerstörte.
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