“Hey Kyle!” Ich schnellte meinen Kopf in Richtung der Stimme, die mich gerufen hatte. Es war Sebastian mein Bester Freund, der sich das In-Ear aus dem Ohr nahm, um mich besser verstehen zu können. Ich tat es ihm gleich und ging mir mit der freien Hand durch die schon verschwitzten, langen Haare.
“Und nervös?”, wollte er wissen und wackelte mit den Augenbrauen. Ich lachte.
“Es geht”, antwortete ich knapp und stoss ihn mit der Faust an den Schultern an.
“Was ist mit dir? Hast du den Song auswendig gelernt?”
“Was denkst denn du?” Ich sah ihn mit einem vielsagenden Blick an und er verdrehte die Augen.
“Ja, habe ich Mami.” Ich schüttelte den Kopf. Seb konnte manchmal echt faul sein, aber ich vertraute darauf, dass ihm die Band genauso wichtig war wie mir. Schliesslich verbrachten wir jede freie Stunde damit zu proben und Lieder zu schreiben.
“Was tut ihr eigentlich? Habt ihr die Dinger endlich gestimmt?” Mirvan unser Schlagzeuger und auch Teil des Beste-Freunde-Trios schlug mit den Schlagzeugschlägern in der Luft irgendeinen Rhythmus, den er wohl auf der Bühne gleich neu ausprobieren würde. Das tat er immer, meist ohne es abzusprechen. Ich würde lügen, wenn es nicht seine Spontanität und sein Gefühl für Timing waren, die unsere Bühnenpräsenz nochmals hervorheben liessen. Mit erneutem Blick auf meine E-Gitarre und Sebs blödes Grinsen gingen wir auf die Bühne.
Es war Sommer und unsere Universität hatte es endlich geschafft Konzerte für Studierendenbands zu organisieren und wir waren wohl die Ersten, die sich angemeldet hatten, um aufzutreten denn wir waren die ersten auf der Liste. Das war die Chance endlich Zugang zu Bars und Clubs zu bekommen, die wir uns nicht entgehen konnten und die Universität zahlte uns sogar einen Sold, was der Hammer war. Wir hatten einiges an selbstgeschriebenen Liedern zu spielen, doch wir wollten die Menge mit einem etwas bekannterem Song abholen. Also entschieden wir uns für ein Cover für den Einstieg. Wir würden dem natürlich unseren eigenen Twist geben, damit die Menge wusste, wer wir waren und warum wir Musik machten. Die Jungs und ich nahmen unsere Positionen ein, Seb am Bass, ich an der Gitarre und Mirvan am Schlagzeug. Das Adrenalin schlich sich langsam in meine Adern und schoss mir Hitze durch den Körper. Das grelle Bühnenlicht, das in einer roten Farbe getränkt war, erhellte unsere Gesichter und verdunkelte für diesen einen Moment den restlichen Saal. Ich konnte keine Gesichter in der Menge erkennen, was wohl auch am Kontrast lag.
Ich näherte meine Lippen ans Mikrofon und spürte dabei meinen Puls in meinem Hals.
“Hallo Zusammen, lasst euch mal hören!”, heizte ich die Menge ein.
“Wir sind Moon&Stars und wir werden für euch einige Songs spielen.” Die Menge jubelte und klatschte, ich nahm kurz Luft.
“Diesen ersten Song, den wir für euch spielen werden, kennt ihr alle, also singt ruhig mit.” Ohne den Namen des Songs zu verraten, ging ich leicht vom Mikrofon zurück, stimmte ein letztes mal meine Gitarre, kontrollierte das In-Ear und strich mir mit der freien Hand die langen Haare nochmals nach hinten.
Mirvan gab den Takt mit seinen Schlägern an und dann ertönten schon die ersten Klänge meiner Gitarre, gefolgt vom tiefen Bass von Sebastian.
Es vergingen einige Sekunden, bis die Menge den Song erkannte und darauf wartete, dass ich sang, um mitzusingen. Doch als ich die ersten Töne sang und Mirvan mit dem Schlagzeug dem ganzen einen schnelleren Rhythmus verpasste, hatten wir die Menge in der Hand. Ich konnte währendem Singen ihre tanzenden Körper in der Dunkelheit erkennen, wie sie sich mit erhobenen Armen im Rhythmus der Musik bewegten und so lief es auch beim nächsten Cover ab. Währenddessen fuhr das Bühnenlicht einige Male quer durch die Menge hindurch und ich konnte endlich einen Blick auf die Menschen vor mir erhaschen. Links von mir erblickte ich sie plötzlich. Sie tanzte mit ihrer Freundin auf und ab, die Arme erhoben, den Kopf in den Nacken gelegt, als würde sie nach den Sternen greifen wollen. Ihre Hüften bewegten sich im Klang meiner Gitarre und beinahe vergass ich die Akkorde, die ich spielen wollte, die Melodie, die ich singen sollte und Seb warf mir einen fragenden Blick zu, während ich mich hilfesuchend nach meinen Bandmitgliedern umsah.
Das Bühnenlicht verschwand schnell aus der Menge und drehte sich wieder zu uns, doch ich wusste ganz genau wo sie stand. Es war, als hätten meine Augen sich nicht an die Dunkelheit, aber an sie gewöhnt. Als könnten sie sie überall im Raum ausmachen ganz egal, wie dunkel es sein mochte. Als wir das Lied zu ende spielten, trafen sich unsere Augen und sie hatte die Euphorie der Musik quer im Gesicht geschrieben. Mein Herz klopfte und ich erkannte, dass sich ihre Brust genauso vom vielen Tanzen pochte, wie mein Puls vom Adrenalin. Mirvan hob die Augenbraue, als Seb sich näherte.
“Alles klar bei dir?” Ich nickte stumm ohne den Blick von ihr zu lösen. Sie hatte auch noch nicht den Blick von mir genommen. Ich drehte mich zu den Jungs um, wank Seb zu mir, während ich zu Mirvan ging, der am Schlagzeug sass.
“Planänderung”, kündigte ich an und grinste. Mirvan seufzte und lachte dann als er seine Schläger aufwarf und wieder fing. Seb nickte und ich flüsterte ihnen den nächsten Song zu. Es war einer unserer eigener Songs. Wenn ich unseren Musikstil beschreiben sollte dann nur folgendermassen: Als hätten Oldschool Rock’N’Roll ein Baby mit Alternativ Indie und Latinpop gehabt. Ich wollte sie tanzen sehen und das konnte ich nur mit einem der unseren Songs. Die Jungs nickten mir ein letztes Mal zu, bevor wir wieder in Position gingen und dieses Mal Seb den Anfang machte. Während ich auf meinen Einsatz wartete, beobachtete ich sie, wie sie verwundert mit dem Kopf im Rhythmus der Musik wippte. Sie wusste noch nicht, was sie erwarten sollte. Seb wurde von Mirvan unterstützt, der nun mit den Hängetoms, dem Basedrum und dem Snaredrum einen Latinrhythmus anstrebte und plötzlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als sie ihren Körper losliess und ihre Hüften sich im Rhythmus von Mirvans Schlägen bewegte. Doch ich wollte, dass sie nur mir folgte. Mit der E-Gitarre spielte ich nun die rockige Melodie und sie drehte sich zu ihrer Freundin um, die genauso gehypt über das Lied jubelte. Den Kick, den es mir gab, sie mit meiner Musik, also mit unserer Musik, zum tanzen zu bringen, war unbeschreiblich. Es fühlte sich wie Strom unter der Haut na, der ein leichtes Kribbeln hinterliess und mir alle Härchen am Nacken aufstehen liess. Wer war sie und wie machte sie das, dass ich kaum mehr meine Augen von ihr reissen kann?
Die Spannung zwischen uns schien sich von Song zu Song nur noch mehr aufzubauschen und als wir am Ende unseres Sets für den Abend waren, warf ich ihr mein Plektrum zu. Sie machte grosse Augen und suchte dann den Boden nach dem Plektrum ab, bis sie es wohl gefunden hatte und ich sie mit ihrer Freundin sprechen sah. Wir verbeugten uns und geniessten den Applaus und die damit einhergehende Anerkennung für unsere Musik und gingen von der Bühne. Mirvan schlug mir mit seinen Schlägern auf die Schultern, sodass ich mich zu ihm umdrehte, als wir hinter die Bühne verschwanden.
“Dein Plektrum? Wirklich?” Er verdrehte lachend die Augen, während Seb sich am Hinterkopf kratzte.
“Was machst du jetzt?”, wollte Seb wissen, als er den Bass in seine Hülle versorgte.
“Na was wohl? Ich geh mir mein Plektrum holen”, grinste ich und verschwand in der Menge.
Sie war durchaus schneller als ich und hatte mich sanft an der Schulter berührt, sodass ich mich in ihre Richtung drehte. Als ich erkannte, dass sie es war, stockte mir der Atem. Sie von Nahem zu sehen, war etwas komplett anderes. Die Art und Weise, wie die Scheinwerfer ihr Gesicht von hier unten erhellten, liessen mich sehen, wie schön sie tatsächlich war. Lange, dunkle Haare und grüne Augen. Sie hatte die Augen mit einem schwarzen Eyeliner geschminkt, die Lippen, voll und mit Lippenstift bemalt. Die Haare trug sie offen und wild, ihr Duft war betörend.
“Du hast dein Plektrum verloren…vorhin auf der Bühne”, sagte sie und hielt es mir entgegen.
“Hat es dir gefallen?”, fragte ich und ignorierte das Plektrum, das ich ganz sicherlich nicht verloren hatte. Ich hatte es ihr ganz bewusst zugeworfen, weil ich wollte, dass sie einen Grund hatte mit mir zu sprechen.
“Ihr seid der Wahnsinn!”, sagte sie und lächelte breit. Ihre Haut glitzerte noch vom Schweiss und ich konnte sie beinahe schmecken. Immer noch das Plektrum in der Hand haltend, lächelte ich.
“Du kannst es für mich bis zum nächsten Auftritt aufbewahren”, sagte ich und fuhr mir durch die Haare. Mein Hemd verschob sich bei der Bewegung und die Knöpfe kämpften um es zusammenzuhalten, damit ich nicht völlig entblösst dastand. Es schien ihr jedoch nicht aufgefallen zu sein. Stattdessen starrte sie mir in die Augen und fuhr sich, unwissend welche Wirkung das auf mich hatte, mit der Zunge über die Unterlippe.
“Brauchst du das denn nicht bei den Proben?”, wollte sie wissen und legte nun den Kopf schief und entblösste dabei ihre rechte Halsseite.
“Solange du es mir das nächste Mal mitbringst, musst du dir keine Sorgen um die Proben machen”, grinste ich und sie sah mich mit einem neckischen Blick an.
“Okay gut, dafür bräuchte ich aber Name und Nummer.” Sie streckte mir selbstbewusst das Kinn entgegen und ich suchte hastig mein Handy in der Hosentasche. Als ich es endlich ergriffen hatte, hielt ich es ihr entgegen und während sie ihre Nummer eintippte, schaute sie mich hin und wieder prüfend an. Ich hoffte innerlich, dass sie nicht bemerkte , wie sehr ich unter ihrem Blick dahinschmolz. Ich wollte nicht, dass sie durch meine möchtegern-coole Fassade hindurchblickte, auch wenn ich wusste, dass sie es schon lägst getan hatte. Ein Blick dieser grünen Augen reichte, um dahinter zu kommen.
“Kyle”, sagte ich ihr dann noch meinen Namen, als ich bemerkte, dass sie mich abwartend ansah.
“Freut mich Kyle”, sagte sie und streckte mir mein Handy entgegen.
“Ich heisse Serena.”