Ich trank einen Schluck von der heißen Schokolade und stöhnte leise. Sie schmeckte wirklich gut. Ford hatte recht, mir war noch kalt – ich war nicht lang genug in der heißen Dusche geblieben, um mich aufzuwärmen, und meine Haare waren noch nass.
Er kehrte mit einem Navy – der Organisation, nicht der Farbe – T-Shirt und einer Boxershorts zurück.
„Danke.“
Ich stellte die Tasse ab und er streckte seine Hand aus.
Ich schlug seine Hand überrascht weg.
Er griff allerdings nicht nach meinem Busen, sondern nach dem Anhänger, der um meinen Hals hing.
Er hielt ihn in den Fingern und musterte ihn eine Weile lang.
„Ich war bei Buck, als er den für dich gekauft hat“, sagte er mit leiser Stimme. Er studierte ihn, als würde er sich an den Tag erinnern. Der Anhänger war aus Gold mit einer filigranen Verzierung und einem blauen Stein in der Mitte und hing von einer schlichten Kette. Ich blickte von dem Anhänger zu Ford. Er war mir so nah, dass ich den Kopf nach hinten neigen musste. Seine Augen waren so blau, aber kalt. In seinem Bart waren rote Strähnen und eine dünne Narbe durchschnitt die Bräune auf seiner Stirn.
Er roch nach Mann und Sonnenschein und irgendeiner Seife. Nach Kiefern und Leder.
„Ich… ich lege die Kette nie ab“, gestand ich und schluckte schwer. „Sie war das Letzte, was er mir gab. Die letzte Post, die wir von ihm bekamen.“
Er nickte knapp. „Wir sind auf den Basar in der Stadt gegangen drei Wochen, bevor…“
Bevor er zugesehen hatte, wie Buck gestorben war. Bevor Buck als Mörder identifiziert worden war und man beschlossen hatte, dass er vors Kriegsgericht gekommen wäre, hätte er überlebt. Ich zog das Laken um mich herum fest, als könnte es mich vor dem Schmerz beschützen, dass wir Buck verloren hatte, und vor dem, was er getan hatte. Doch Ford war dort gewesen. Er war neben ihm gewesen, als er aus einer Entfernung von tausenden Kilometern an mich gedacht hatte. Er hatte an seiner Seite gekämpft. Buck war in seinen Armen gestorben.
Ford ließ den Anhänger los und ich ging ins Badezimmer unter der Treppe, um mich umzuziehen. Ich brauchte eine Minute und er ebenfalls. Ich wischte mir die Tränen weg, während ich sein Shirt anzog. Es war riesig, genauso wie die Boxershorts, weshalb ich den Hosenbund nach unten rollte, bis er über meinen Hüften hielt. Als ich zurückkehrte, saß Ford am Küchentisch neben der Stelle, wo ich meine Tasse abgestellt hatte. Sein Blick glitt von meinem Kopf bis zu meinen nackten Füßen über mich.
Die Szene wirkte halbwegs einladend, weshalb ich den Stuhl neben ihm herauszog und Platz nahm. Falls ich wegen Bucks Tod litt, tat es Ford ebenso. Er hatte Buck in den Armen gehalten, als er gestorben war, und ich durfte nicht vergessen, dass er zwar groß und stark war, aber trotzdem noch ein Mann.
„Was treibst du heutzutage, Ford?“, erkundigte ich mich, wobei ich mich von meiner Mutter und ihren Small Talk Künsten inspirieren ließ.
Er spielte mit dem Serviettenständer in der Tischmitte. Die Möbel schienen größtenteils noch die gleichen zu sein wie in meiner Erinnerung. Die sonnengelbe Tapete hier in der Küche. Ich konnte auch die Spitzendeckchen auf den Sofaarmlehnen im Wohnzimmer sehen. Er war zwar in den Dreißigern, lebte aber bei seiner Großmutter. Obwohl sie momentan nicht im Haus war, war ihre Präsenz überall zu spüren. Hier auf ihrem Land und auch in der Stadt. Sie war eine beliebte, aktive Frau. Ich wollte wie sie sein, wenn ich achtzig war.
„Ich arbeite im Security-Bereich.“
Ich wusste nicht, welche Antwort ich erwartet hatte, das war sie allerdings nicht. „Was heißt das? So was wie ein Türsteher vor einem Club?“
Seine stets vorhandenen Stirnfalten vertieften sich. Er rieb mit einer Hand über seinen Bart und ich fragte mich sofort, wie er sich an meinen Innenschenkeln anfühlen würde. „Nein.“
Ich wartete, als er die Antwort nicht weiter ausführte.
„So was wie Sondereinsatzkräfte, die man anheuern kann“, fügte er schließlich hinzu.
Oh. Whoa. Ich hätte wissen sollen, dass Ford noch ein knallharter Typ war, selbst nachdem er die Navy verlassen hatte. Es ergab Sinn.
„Daher auch der gesicherte Zaun und das Gewächshaus. Und deswegen ist Kennedy hier bei dir.“ Ich hatte diesen Teil zu lösen versucht, der jetzt plötzlich Sinn machte.
Er nickte. „Die Jungs und ich leben in der alten Werkstatt meines Opas. Wir haben sie umgebaut und vergrößert, sodass sie eine Schlafbaracke ist. Unsere Hauptbasis ist hier, aber wir reisen für Aufträge durch die ganze Welt.“
„Die anderen Männer? Du hast gesagt, dass vier von euch hier wohnen. Sind sie auch aus deinem Team?“ Ich wusste nicht, warum sich mein Herz verkrampfte und beschleunigte, weil ich von Bucks alten Teammitgliedern hörte. Weil ich nun wusste, dass sie ohne ihn weiterarbeiteten. Dass sich manche von ihnen hier in Sparks niedergelassen hatten. Ich fühlte mich mit ihnen verbunden und zugleich vollkommen ausgeschlossen. Ich verbarg mein Gesicht in der heißen Schokolade, da ich von den unerwarteten Emotionen überrascht wurde.
„Ja. Hayes und Taft sind auch hier. Ich baue ein neues Team auf. Einige der anderen werden sich uns anschließen, wenn ihre Verträge auslaufen“, erklärte er, anstatt meine Frage zu beantworten. „Das Geschäft ist… lebhaft.“
Die Küche wirkte plötzlich still. Ich brauchte eine Weile, um zu realisieren warum. Ich blickte aus dem Fenster an der karierten Scheibengardine vorbei, um es zu bestätigen. Ich sprang auf die Füße. „Nun, das Gewitter ist weitergezogen. Dann gehe ich besser mal.“
Ford öffnete den Mund, schloss ihn wieder und rieb erneut mit einer Hand über seinen Bart. „Ja. Okay. Ich bezweifle allerdings, dass deine Kleider schon trocken sind.“
„Das ist okay“, versicherte ich ihm schnell. Ich musste aus diesem Haus raus. Weg von Ford Ledger. Weg von den Erinnerungen. Er rief viel zu viele Emotionen in mir hervor, die ich lieber nicht näher untersuchen wollte. „Ich hole sie später ab?“
„Du gehst nicht so angezogen aus dem Haus“, sagte er und musterte mich. „Du hast nicht einmal Unterwäsche an.“
„Ich kann tun, was ich will, Ford.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und bemerkte plötzlich die Luft an meiner splitterfasernackten Mitte. „Vergiss das nicht.“
Er seufzte und murmelte etwas zusammen mit den Worten Fick mich. „Ich bringe sie dir vorbei. Auf der Arbeit“, erklärte er rasch, womit er den Wunsch in mir weckte, ihm in die Eier zu treten, weil er so überdeutlich klarmachte, dass er kein Interesse an mir hatte. Als hätte ich den vorübergehenden Anflug von Begehren nicht gesehen, als er meinen Busen erblickt hatte. „Ich werde sie morgen auf deiner Arbeit vorbeibringen.“
Egal. Es spielte keine Rolle – ich wollte auch nichts mit ihm zu tun haben.
Ich hatte mir bereits meinen Rucksack von der Theke geholt und steckte nun meine nackten Füße neben der Hintertür in meine matschigen Stiefel. Ich hasste es, dass er mir folgte und dort stand, als wollte er etwas sagen.
„Danke für die heiße Schokolade“, sagte ich schnell, während ich den zweiten Schnürsenkel zuband. „Lass uns das nicht so bald wiederholen.“
„Bye, Blue.“
Ich stolperte, als er den Spitznamen benutzte, den er mir als Kind gegeben hatte. Sein tiefes Grollen hallte hinter mir her, als ich davonjoggte, wobei mir egal war, dass ich in einer Boxershorts und Fords zu großem T-Shirt wanderte, oder dass mein Auto noch ein einige Kilometer entfernt war. Oder dass mein Höschen und BH in seinem Trockner lagen.
Ich hatte sein Haus zuvor schon halb angezogen verlassen. Ich war einmal geflohen. Anscheinend tat ich es schon wieder.