„Sie ist nicht klein. Sie ist eine Frau. Jeder Zentimeter von ihr. Glaub mir, ich habe es gesehen.“
Ich meinte, ich hörte Ford abermals knurren. Der Laut drang jedoch nicht deutlich genug die Treppe herauf.
„Du fasst sie nicht an.“
„Warum? Wirst du deinen Schwanz da reinstecken?“
Da reinstecken. Jetzt war ich nur noch ein Da.
„Niemand wird seinen Schwanz da reinstecken.“
Niemand? Wie bitte? Mein Sexleben ging Ford nichts an. Er hatte definitiv kein Mitspracherecht, wenn es darum ging, ob ich mit Kennedy oder den zwei anderen mysteriösen Männern, die hier wohnten, oder mit jemand anderem schlief. Er hatte seine Chance in dieser Hinsicht verpasst und würde auf keinen Fall die Rolle des kontrollierenden großen Bruders übernehmen jetzt, da Buck tot war.
„Warum zum Geier nicht?“
„Sie ist Bucks Schwester.“
„Das hast du schon fünf Mal gesagt. Sie ist was? Mitte zwanzig? Eine erwachsene Frau, die für sich selbst sprechen kann. Außerdem bin ich mir sicher, dass ein anderer Kerl diesen süßen Preis für sich beansprucht hat, da du es nicht getan hast.“
Sie waren wirklich ein Haufen vulgärer Matrosen. Ich war nicht begeistert, dass meine Jungfräulichkeit das Thema ihres Männergesprächs war. Ich hatte vorgehabt, sie Ford in jener Nacht zu schenken. Stattdessen hatte ich sie einige Monate später während meines ersten Semesters auf dem College einem Kerl in meinem Wohnheim geschenkt. Da Ford sie nicht gewollt hatte, war mir egal gewesen, wer sie nahm. Ich hatte sie nur loswerden wollen.
„Fuck, Kennedy. Was zur Hölle stimmt mit dir nicht?“
„Mir? Du hast ihre verdammte Hose geklaut.“
Ich blieb nicht, um mir noch mehr anzuhören. Auf Zehenspitzen suchte ich den Wäscheschrank und die weichen Laken, die Kennedy erwähnt hatte. Obwohl Ford Ordentlichkeit beim Militär gelernt hatte, vermutete ich, dass es seine Oma, Mrs. L, war, die die Bettwäsche so ordentlich organisierte.
Ich musste aus diesem Haus raus. Ford weckte Erinnerungen, die ich nicht noch einmal durchleben wollte. Das Gleiche galt für das Zimmer am Ende des Ganges. Nicht nur, weil er so eng mit Buck befreundet und dabei gewesen war, als er gestorben war, sondern auch weil ich ihn geliebt hatte – oder es mir zumindest eingebildet hatte. Ich wusste jetzt, dass es nur eine Schulmädchenschwärmerei war. Ich war naiv und dumm gewesen.
Nun war ich weder das eine noch das andere.
Ich betrat das Badezimmer anfänglich nur, um das nasse T-Shirt auszuziehen. Nachdem ich es ausgezogen hatte, schien mich die Dusche jedoch zu rufen. Ich zog meinen Sport-BH und Slip aus, hängte die nassen Kleider an einen Handtuchhalter und drehte das Wasser auf heiß. Ich betrat die Dusche und spülte zügig den Matsch von meiner Haut.
Da ich dieses Mal nicht – schon wieder – nackt in Fords Haus erwischt werden wollte, beendete ich rasch meine Dusche und trocknete mich mit einem der Handtücher ab, die ich auf einem Regal gefunden hatte. Zu Hause würde ich vermutlich noch einmal mit haufenweise Conditioner duschen müssen, um meine zerzausten Haare zu entwirren, aber wenigstens war ich sauber. Ich wickelte das Laken um meinen Körper und marschierte mit meinen feuchten Kleidern die Treppe hinab. Ford wartete dort auf mich, Kennedy war verschwunden. Genauso wie Roscoe.
Ford nahm meine Sachen – wobei sich seine Augen auf alles im Zimmer abgesehen von mir richteten – und marschierte in den Waschraum. Als er zurückkehrte, nahm er eine Tasse aus dem Schrank. „Willst du etwas Warmes zum Trinken? Wir haben Kaffee. Keinen Tee. Heiße Schokolade, weil Kennedy ein Schleckermaul ist.“ Er zog eine wilde dunkle Augenbraue hoch. „Genauso wie du, wenn ich mich richtig erinnere.“
Ich ignorierte die flüssige Wärme, die sich in meinem Magen ausbreitete, weil er sich an irgendetwas über mich erinnerte abgesehen von dem Schlafzimmer-Vorfall, den ich dauerhaft aus unseren Gedächtnissen löschen wollte.
„Es ist ein Sommergewitter, kein Schneesturm.“
Ich verspürte dieses wahnsinnige Bedürfnis, ihm zu beweisen, dass ich nicht mehr die kleine Schwester war. Er war zwar ein ehemaliger Navy SEAL, aber ich war selbst auch verdammt kompetent. Im Sommer leitete ich alle möglichen Ausflüge in die Wildnis und im Winter ging ich mit Abenteurern auf Langlaufausflüge. Tatsächlich verbrachte ich während der Hochsaison mehr Zeit im Freien als in meinem Zuhause. Dieses Gewitter hatte mich alleine auf einer Wanderung erwischt, die ich zum Spaß an einem meiner freien Tage gemacht hatte.
Er trat näher, so nahe, dass ich meinen Kopf nach hinten neigen musste, um ihn finster anzusehen. „Nun, du siehst trotzdem aus, als wäre dir kalt.“ Er strich mit einem Finger über die Gänsehaut auf meinem Arm. Seine Berührung brachte jeden Zentimeter meiner Haut zum Kribbeln. Jedes Nervenende wurde aktiviert.
Meine Lippen teilten sich und plötzlich fiel mir das Atmen schwer.
„Komm schon, Indi. Wir müssen uns nicht darüber streiten, ob du eine heiße Schokolade in meiner Küche trinkst oder nicht.“ Er klang noch immer barsch, sein Tonfall war jedoch sanfter als zuvor. Vermutlich lag das für ihn bereits im Bereich des Versöhnlichen. „Waffenstillstand?“
Waffenstillstand? Konnte ich das, was vor all diesen Jahren passiert war, einfach… gehen lassen? Ich war nicht mehr dieselbe Person wie damals. Genauso wenig wie Ford. Mit diesem Bart sah er überhaupt nicht mehr wie der adrette SEAL aus. Er war zwar gestutzt und ordentlich, aber ich war mir sicher, dass er nicht den Navy-Regeln entsprach und auch nicht zu dem Mann selbst passte.
„Na schön. Heiße Schokolade…“ Ich schluckte die ungeklärten Emotionen, die Ford in mir hervorrief. „… klingt gut.“
Trotzdem trat ich zurück. Ein Waffenstillstand bedeutete nicht, dass ich wollte, dass er mich berührte, denn ich hatte in dieser schlichten Berührung viel zu viel gespürt. Dämlicher, verräterischer Körper.
Er verengte die Augen zu Schlitzen, als wäre das etwas Wichtiges. „Mit Milch oder Wasser?“
Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen, das über meine Lippen kam. „Milch. Nach der Wanderung heute brauche ich alle Kalorien, die ich kriegen kann.“
Er drehte sich um, holte eine Packung Vollmilch aus dem Kühlschrank und goss Milch in die Tasse. „Was hast du allein dort draußen gemacht?“ Er blickte über seine Schulter zu mir, als er die Mikrowelle öffnete, die Tasse hineinstellte und das Gerät anschaltete.
Ich zuckte mit den Achseln. „Ich wandere lieber allein.“
Daraufhin schnellten seine Brauen in die Höhe. „Ach ja?“ Er lehnte sich nach hinten an die Theke und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte ein T-Shirt angezogen, während ich geduscht hatte. Der dünne Stoff konnte nicht verbergen, wie kräftig er war. Wie fit. Er war zwar nicht mehr in der Navy, es stand jedoch außer Frage, dass er weiterhin trainierte. Er sah mehr wie ein Holzfäller als ein Matrose aus. Vielleicht war Holzhacken Teil seines Trainings. Hier gab es jedenfalls keinen Ozean, in dem man schwimmen konnte.
„Es ist besser, als stundenlang eine Gruppe Wanderer bei Laune zu halten“, erklärte ich, dann verrückte ich das Laken.
„Für die Abenteuerfirma in der Stadt.“
Ich hätte mich nicht darüber freuen sollen, dass er wusste, welchem Beruf ich nachging. Sparks war eine Kleinstadt. Jeder wusste alles über jeden. Er und ich hatten seit seiner Rückkehr allerdings kein einziges Mal miteinander gesprochen. Soweit ich wusste, hatte er sich hier auf seinem Grundstück versteckt wie ein wilder Mountain Man. Sein Großvater war vor ein paar Jahren gestorben, weshalb er hier mit seiner Großmutter lebte. Und, wie ich nun erfahren hatte, mit drei anderen Männern.
Was… merkwürdig wirkte. Ich hatte bisher nicht innegehalten und mich gefragt, was Ford hier oben trieb. Anscheinend mehr, als nur von seiner Rente oder dem Land zu leben. Insbesondere, wenn er eine Art Sensor oder so etwas hatte, der bemerkt hatte, dass ich seinen Zaun überquert hatte. Und das Schloss am Gewächshaus. Wer musste acht Kilometer außerhalb einer winzigen Stadt in Montana Trainingsgeräte einschließen?
„Ja. Versteh mich nicht falsch – ich bin dankbar, dass ich meinen Lebensunterhalt mit dem verdienen kann, was ich liebe. Aber an meinen freien Tagen brauche ich keine Begleitung.“
Die Mikrowelle piepte, woraufhin Ford die Tasse heiße Milch herausholte und ein Päckchen mit Schokoladenpulver hineinschüttete, ehe er schnell mit einem Löffel umrührte.
„Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass du ganz allein dort draußen warst.“
Ich empörte mich. „Ich kann auf mich selbst aufpassen. Ich übernehme dort draußen die alleinige Verantwortung für ganze Wandergruppen.“
„Hast du keinen Partner bei Sparks Outdoor Adventures?“
Bei der Erwähnung von Brandon verzog ich das Gesicht. Es erstaunte mich allerdings, dass Ford so viel über mein Geschäft wusste. Ich leitete den Laden mehr als Brandon – das wussten vermutlich alle in der Stadt. Mein Name war viel enger mit Sparks Outdoor Adventures verknüpft als mit Brandons.
„Er ist mein Boss, kein Partner“, sagte ich rasch. Ich schlief nicht mehr mit Brandon. Das war ein kurzfristiger Fehler gewesen.
Ein riesiger Fehler.
Dadurch hatte ich eine sehr wichtige Regel gelernt: Schlaf niemals mit deinem Boss, ganz egal, wie freundlich, gelassen und unbekümmert er alles wirken lässt. Als die Dinge den Bach runtergingen, wurde die Arbeit wirklich unangenehm. Obwohl ich ihn kaum auf der Arbeit sah. Brandon hatte einen fortwährenden Wutanfall, seit ich ihm gesagt hatte, dass ich mit einer Beziehung nicht klarkäme. Im Moment oder jemals. Ich hatte ihm den alten Es liegt nicht an dir, sondern an mir Spruch aufgetischt. Dass ich noch um Buck trauerte und nicht an eine Beziehung denken konnte.
Ich konnte einfach nicht an eine Beziehung mit ihm denken. Aus so vielen Gründen. Zum einen war er ein Faulpelz. Und da er meine Klit nicht einmal mit einer topografischen Karte und einem Kompass gefunden hätte, befriedigte er mich nicht.
Jetzt sprach er davon, aus Sparks wegzuziehen. Was bedeutete, dass ich genug Geld zusammenkratzen musste, damit ich ihm das Geschäft abkaufen konnte, ansonsten würde ich meinen Job verlieren. Von denen gab es in Sparks nicht gerade viele und ich war nicht der Typ, der den ganzen Tag an einem Schreibtisch arbeiten wollte.
„Oh, du wirkst eher wie ein Geschäftspartner. Ich habe gehört, dass du den Laden schmeißt.“ Ford verengte den Blick und musterte mich. „Warte… wart ihr zwei…“
„Das geht dich nichts an“, giftete ich und weigerte mich, ihm in die Augen zu blicken.
„Ich verstehe.“ Er reichte mir die Tasse mit der heißen Schokolade. Als ich danach griff, verrutschte das verdammte Laken und verschaffte Ford einen Blick auf meinen Nippel.
„Meine Fresse“, keuchte er und seine Augen wurden dunkel. Er wandte sich abrupt ab. „Ich werde dir eines meiner Shirts holen.“
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als er aus der Küche marschierte. Hatte mein nackter Busen gerade den unerschütterlichen, taffen Kerl Ford Ledger aus der Ruhe gebracht? Den Kerl, auf den ich als Teenagerin scharf war? Den Kerl, nach dem ich mich sehnte und den ich zugleich verachtete?
Könnte es sein… dass mich Ford attraktiv fand? All diese Jahre hatte ich gedacht, dass er angewidert war, als ich mich ihm in jener Nacht angeboten hatte. Er hatte geflucht, sich die Augen zugehalten und geknurrt, dass ich aus seinem Bett verschwinden sollte. Natürlich hatte es nicht geholfen, dass Buck hinter ihm gewesen war und alles gesehen hatte. Buchstäblich alles von mir, was ekelhaft war.
Buck – das Arschloch – hatte mich zu meinem Auto geschleift und mir gesagt, dass ich mich wie eine Schlampe benommen hätte. Am nächsten Tag hatte er mir eine dumme sexistische Standpauke gehalten, dass Männer Mädchen, die sich ihnen an den Hals werfen, nicht respektieren. Obwohl ich versucht hatte, es abzuschütteln, gärten die Wunden, die mir beide zugefügt hatten, bis zu diesem Tag.
Doch was, wenn Ford gar nicht angewidert gewesen war? Was, wenn er… versucht gewesen war?
Womöglich war es die Anwesenheit meines Bruders gewesen, die es schrecklich und komisch gemacht hatte. Vielleicht hatte es gar nicht an mir gelegen. Warum benahm er sich dann noch immer wie ein Arschloch? Ein Waffenstillstand war eine Sache, er hatte mir jedoch meine Kleider weggenommen. Klar, ich war stur, aber trotzdem. Er war mürrisch und intensiv und launisch. Und heiß.