KAPITEL DREI
Vesuvius erwachte vom Gefühl scharfer Klauen, die über seinen Handrücken krabbelten. Er öffnete langsam ein Auge, das andere war noch verschlossen. Er sah desorientiert nach oben und fand sich selbst mit dem Gesicht nach unten liegend im Sand wieder. Die Wellen des Ozeans brachen sich hinter ihm und eisiges Wasser floss die Rückseite seiner Beine hoch. Er erinnerte sich. Nach dem langen, epischen Kampf war er an die Küste der Todesbucht getrieben worden und fragte sich wie lange er hier ohnmächtig gelegen hatte. Die Flut stieg nun langsam an und hätte ihn bald fortgespült wäre er nicht erwacht. Dennoch war es nicht die Kälte des Wassers, die ihn aufgeweckt hatte – sondern die Kreatur auf seiner Hand.
Vesuvius schaute hinüber zu seiner Hand, die ausgestreckt im Sand lag und erkannte wie eine große lila Krabbe ihre Klaue in seine Hand grub und ein Stück seines Fleisches herausschnitt. Sie ließ sich Zeit, so als ob Vesuvius ein Kadaver wäre. Mit jedem Schnitt fühlte Vesuvius wie ihn eine Welle des Schmerzes überkam.
Vesuvius konnte es der Kreatur nicht verdenken, er sah sich um und entdeckte tausende von Körpern überall über den Strand verteilt. Die Überbleibsel seiner Armee von Trollen. Sie alle waren übersät von lila Krabben und das Klicken und Klacken ihrer Klauen erfüllte die Luft. Der Gestank der verwesenden Trolle übermannte ihn und ließ ihn beinahe würgen. Diese Krabbe auf seiner Hand war offensichtlich die Erste gewesen, die es gewagt hatte sich Vesuvius den ganzen Weg anzunähern. Die anderen spürten wahrscheinlich, dass er noch am Leben war und warteten auf den richtigen Zeitpunkt. Dennoch hatte die mutige Krabbe ihre Chance ergriffen. Dutzende weitere drehten sich nun in seine Richtung und folgten dem Anführer. In wenigen Augenblicken, realisierte Vesuvius, würde er von Krabben übermannt und bei lebendigem Leibe von dieser kleinen Armee gefressen werden – wenn er nicht zuerst vom Meer in die eisigen Fluten der Todesbucht gezerrt werden würde.
Von einem heißen Gefühl der Wut übermannt holte Vesuvius mit seiner anderen Hand aus, schnappte sich die lila Krabbe und drückte sie langsam zusammen. Die Krabbe versuchte zu entkommen – aber Vesuvius würde das nicht zulassen. Sie zappelte wild und versuchte Vesuvius mit ihren Scheren zu erreichen, aber er hielt fest und hielt sie davon ab sich zu drehen. Er drückte fester und fester zu, langsam, ließ sich Zeit und genoss es in allen Zügen der Krabbe Schmerz zuzufügen. Die Kreatur kreischte, gab ein schrecklich hohes zischendes Geräusch von sich, als Vesuvius schließlich seine Hand zu einer Faust schloss.
Schließlich explodierte sie. Klumpen von lila Blut liefen über seine Hand, als Vesuvius das befriedigende Geräusch des Krachens der Schale hörte. Dann ließ er sie fallen, sie war nur noch Masse.
Vesuvius zwang sich selbst auf ein Knie, er taumelte noch immer und im selben Moment entfernten sich ein Dutzend Krabben, die offensichtlich geschockt waren den Tod auferstehen zu sehen. Eine Kettenreaktion begann und als er sich völlig aufgerichtet hatte, hatten sich die tausenden von Krabben verzogen und ließen den Strand so leer zurück, wie Vesuvius ihn vorgefunden hatte, als er seine ersten Schritte an die Küste gesetzt hatte. Er lief über den, mit Leichen übersäten, Strand und langsam kamen die Erinnerungen zurück.
Der Kampf von Knossos. Er hatte fast gesiegt, er war gerade dabei gewesen Merk und Lorna zu zerstören, als diese Drachen gekommen waren. Er erinnerte sich, wie er von der Insel gefallen war, wie er seine Armee verloren hatte; erinnerte sich wie seine Flotte in Flammen stand und schließlich wie er beinahe ertrunken wäre. Es war eine Pleite gewesen und er brannte vor Scham, wenn er daran dachte. Er drehte sich um und sah zurück auf die Bucht, den Platz seiner Niederlage, und erkannte entfernt, dass die Insel von Knossos immer noch in Flammen stand. Er sah die Überbleibsel seiner Flotte, in Stücke gerissen auf der Oberfläche treibend. Einige Schiffe standen noch in Flammen. Und dann hörte er einen Schrei hoch oben. Er sah hinauf und blinzelte.
Vesuvius konnte nicht verstehen, was er da vor sich sah. Es konnte nicht sein. Drachen fielen vom Himmel hinunter in die Bucht und bewegten sich nicht mehr.
Tot.
Hoch oben sah er einen einsamen Mann einen von ihnen reiten. Er kämpfte gegen alle Drachen auf einmal, indem er auf dem Rücken einer der Drachen flog und ein Schwert in die Luft reckte. Schließlich drehte der Rest der Horde ab und floh.
Er sah zurück zum Wasser und erkannte am Horizont dutzende von Schiffen, die vom Banner der verlorenen Inseln geschmückt wurden und er schaute zu wie der Mann vom letzten Drachen sprang und wieder zurück auf eines der Schiffe gezogen wurde. Er sah die Frau, Lorna, und den Mörder Merk und es zehrte ihn auf zu wissen, dass sie überlebt hatten.
Vesuvius sah zurück zur Küste und als er erkannte, dass seine Trollnation tot war - entweder wurde sie von Krabben gefressen oder von der Flut mitgerissen und von Haien aufgefressen - fühlte er sich so allein wie niemals zuvor. Er war, realisierte er geschockt, der einzige Überlebende der Armee, die er mitgebracht hatte.
Vesuvius drehte sich um und schaute nach Norden zum Festland Escalons und er wusste, dass irgendwo dort weit im Norden die Flammen abgesenkt worden waren. Genau jetzt in diesem Moment verließen seine Männer Marda und überfielen Escalon. Millionen von Trollen wanderten nach Süden. Denn nach allem, hatte Vesuvius es geschafft den Turm von Kos zu erreichen und das Flammenschwert zu zerstören und sicherlich hatte es sein Volk bereits geschafft die Grenze zu überqueren und Escalon in Stücke zu reißen. Sie brauchten Führung. Sie brauchten ihn.
Vesuvius hatte vielleicht diesen Kampf verloren – aber er musste sich vor Augen halten, dass er den Krieg gewonnen hatte. Sein größter Moment des Ruhmes, der Moment auf den er sein ganzes Leben gewartet hatte, lag noch vor ihm. Die Zeit war gekommen, den Anspruch auf den Titel zu erheben und sein Volk zum totalen und vollständigem Sieg zu führen.
Ja, dachte er, als er sich aufrechter hinstellte und den Schmerz, die Wunden und die Eiseskälte abschüttelte. Er hatte bekommen, wofür er gekommen war. Lass doch das Mädchen und diese Menschen über den Ozean fahren. Denn nach allem, lag die Zerstörung Escalons immer noch vor ihm. Er konnte jederzeit zurückkommen und sie später töten. Er lächelte bei dem Gedanken. Er würde sie tatsächlich töten. Er würde sie in Stücke zerreißen.
Vesuvius trottete langsam los, dann bald fiel er in einen fliegenden Trab. Er würde nach Norden gehen. Er würde sein Volk suchen und er würde sie in den größten Kampf aller Zeiten führen.
Es war Zeit Escalon für ein und allemal zu zerstören.
Schon bald würden Escalon und Marda eins sein.