Kapitel 7 - LILAH

1025 Words
Ich wachte mit einem Schaudern auf, die Mittagssonne war inzwischen hinter einer dunstigen Wolkenschicht verschwunden, und es war merklich kühler geworden. Mal ehrlich, ich war wirklich nicht passend angezogen für einen Spaziergang Mitte März in einer Jeans und einem Crop-Top. Ich hatte erwartet, den Tag drinnen mit Logan zu verbringen. Mein Kopf pochte, und ich wollte gar nicht mehr an ihn denken. Ich starrte in den Himmel und beobachtete, wie Vögel in der Ferne in einer Art Tanz durch die Lüfte flogen. Neben mir vibrierte mein Handy. Ich lenkte meinen Blick von den tanzenden Vögeln ab und sah, dass es meine Freundin Indie war. Aber so sehr ich sie auch liebe, ich konnte gerade nicht mit jemandem sprechen. Also ließ ich den Anruf auf die Mailbox gehen. Erst dann bemerkte ich die etwa 20 verpassten Anrufe von einer Kombination aus Mama, Papa, Indie und Luna Talia sowie mehrere Textnachrichten von denselben Leuten. Ich überflog die erste Nachricht von Luna Talia: ------------------ Meine süße Lilah, Es tut mir so leid, Liebes. Wir wollten nicht, dass du es auf diese Weise erfährst. Wir dachten, du würdest diejenige sein, wirklich, süßes Mädchen. Vielleicht sind wir alle schuld daran, diesen Gedanken so tief in euren Köpfen zu verankern. Können wir uns unterhalten? Tante xx ------------------- Während ich las, spürte ich, wie die Tränen wieder aufstiegen. Ich öffnete die anderen Nachrichten nicht, weil ich einfach nicht die Kraft hatte, sie zu lesen. Ich wusste, dass sie alle in dieselbe Richtung gehen würden, und ich konnte gerade keine Sympathie ertragen. Meine Welt, wie ich sie kannte, meine Sicherheit, war mir unter den Füßen weggerissen worden. Alles hatte sich verändert, und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich saß schniefend da, die salzigen Tränen tropften von meinen Augen über mein Gesicht auf meine Hände. Mein Handy vibrierte erneut, und eine Nachricht erschien auf dem Bildschirm. Trotz allem schaute ich hinüber... --------------------- Hallo Lilah, Schau, es tut mir leid, dass diese ganze Situation passiert ist. Ich weiß, das ist schwierig, und dafür entschuldige ich mich, aber ich muss das sagen, weil es mir wehtut. Als Logan aus dem Büro stürmte, sah ich deinen Lippenstift an ihm. Ich habe darüber nachgedacht, ich weiß, er war dein Freund, aber jetzt ist er mein Gefährte. Schicksal ist Schicksal, Lilah. Ich möchte nicht, dass du dich ihm an den Hals wirfst, und ich möchte nicht, dass du jetzt alleine mit ihm bist. Anya ---------------------- Ich fühlte mich wie aus der Bahn geworfen, als ich ihre Nachricht las. Ich habe mich nicht an ihn geworfen! Sollte das etwa ihre Sichtweise sein? Sie kann doch nicht erwarten, dass die Verbindung, die Logan und ich über so viele Jahre aufgebaut haben, einfach verschwindet, nur weil sie seine Gefährtin geworden ist?! Ich kann das nicht ertragen! Ich bin fertig! Ich wusste, dass sie jetzt zusammen sind, so funktionieren Gefährten eben, aber erwartet sie wirklich, dass Logan und ich plötzlich keine Freunde mehr sind? Wir waren immer füreinander da! In einem plötzlichen Anfall von Verzweiflung traf ich eine schockierende Entscheidung: Ich würde mich von der Wasserfallkante stürzen und das Schicksal seinen Lauf nehmen lassen. Ich weiß nicht, woher dieser Gedanke kam, aber er schien plötzlich klar und unvermeidlich. Er würde diesen schrecklichen Schmerz stoppen... mich von diesem endlosen Leid befreien. Und sie würden frei sein, um ihr Leben als Gefährten zu leben, ohne dass ich sie zurückhalte. Vielleicht wäre das für alle besser. Ich stand auf, meine Beine und Hände zitterten unkontrollierbar. Ich bebte, als ich zum Rand des Wasserfalls ging. Meine Sicht war verschwommen von Tränen. Ich hasste Höhen, also war dies mein schlimmster Alptraum, als ich hinunter auf das rauschende Wasser blickte, das tief unten in den See stürzte. Ich bereitete mich darauf vor, zu springen, mein Herz schlug wild in meiner Brust, und eine Taubheit breitete sich in meinem Körper aus. Plötzlich spürte ich einen sanften Stoß an meiner linken Hand. Ich schaute hinunter und sah einen großen, dunkelgrauen Wolf, dessen dichtes Fell von schwarzen Schatten durchzogen war. Seine durchdringenden schwarzen Augen blickten zu mir auf. Für viele Menschen wäre es beängstigend, einen Wolf dieser Größe zu sehen, aber ich spürte keine Angst. Obwohl ich wusste, dass ich ihn loswerden musste, damit ich tun konnte, was ich vorhatte – diesem Höllenloch zu entkommen. Er stupste mich erneut an. Ich schaute noch einmal hinunter. Ich kannte die meisten Wölfe unseres Rudels, aber diesen erkannte ich nicht. War er ein Schurke? Ein Schurke ist ein Einzelgänger ohne Rudel. Sie sind oft gefährlich und gefürchtet, erkennbar an ihrem Aussehen und ihrem Geruch. Aber dieser Wolf sah nicht wie ein Schurke aus, und er roch auch nicht so. Da war eine seltsame Vertrautheit in seinem Blick. Ich war mir sicher, aber ich kannte diesen Wolf nicht, das wusste ich sicher. Ich stieß ihn leicht weg in der Hoffnung, dass er verstand, dass ich allein sein wollte. Obwohl der Wolfsteil eines Werwolfs in Wolfsgestalt dominierte, war der menschliche Teil immer noch irgendwie da. Sie würden doch sicher meine Gefühle bemerken und erkennen, dass ich allein sein wollte, oder? Der Wolf stupste mich erneut an, trat dieses Mal jedoch vor mich und drängte mich mit seiner Schnauze von der Kante weg. Wusste er, was ich vorhatte? Sicher nicht. Ich musste ihn überzeugen, dass es mir gut ging, dann würde er sicher weiterlaufen, so wie ich sicher war, dass er hier draußen war, um genau das zu tun, wozu das Rudel unsere Wälder regelmäßig nutzte. Ich hockte mich hin und streichelte den Wolf vor mir, meine Augen trafen seine durchdringend schwarzen Augen. „Mir geht es gut, ich brauche nur etwas Zeit für mich“, sagte ich leise, bevor ich meine Hände durch sein dickes graues Fell streiche. Dann stand ich auf. Der Wolf sah mich ein letztes Mal an, bevor er in den Wald davontrabte. Mein Plan schien funktioniert zu haben, dachte ich innerlich erleichtert, während ich mich wieder dem Rand des Wasserfalls näherte. „LILAH, NEIN!“ hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir schreien. Ich drehte mich abrupt um und suchte nach der Quelle der Stimme, obwohl ich die Person nicht sehen musste, um zu wissen, wer es war... Logan.
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