KAPITEL ZWEI

1882 Words
KAPITEL ZWEI Riley war aus ihrem Bett und auf den Beinen, bevor sie ganz wach war. Dieses Geräusch war schrecklich. Wo kam das her? Als sie das Licht neben ihrem Bett einschaltete, murmelte eine vertraute Stimme von der anderen Seite des Zimmers: »Riley, was ist los?« Trudy lag voll bekleidet in ihrem eigenen Bett und schirmte ihre Augen gegen das Licht ab. Sie war dort offensichtlich in einem ziemlich betrunkenen Zustand zusammengebrochen. Riley hatte bei der Ankunft ihrer Mitbewohnerin bereits fest geschlafen. Aber jetzt war sie wach. So wie die anderen im Wohnheim. Sie konnte alarmierte Stimmen aus den Zimmern in der Nähe hören. Riley kam in Bewegung, schob ihre Füße in ihre Hausschuhe, zog ihren Morgenmantel an und öffnete die Zimmertür. Sie trat in den Flur hinaus. Andere Zimmertüren schwangen auf. Die Mädchen steckten ihre Köpfe raus und fragten, was los sei. Und Riley fiel zumindest eine Sache auf, die nicht stimmte. Ungefähr in der Mitte des Flurs brach ein Mädchen schluchzend auf den Knien zusammen. Riley rannte auf sie zu. Sie sah, dass es Heather Glover war. Heather war mit ihnen im Centaur's Den gewesen. Sie war noch mit Trudy und den anderen dort geblieben, als Riley ging. Jetzt wusste Riley, dass es Heathers Schreie gewesen waren, die sie gehört hatte. Dann fiel ihr auch ein ... Heather war Rheas Mitbewohnerin! Riley erreichte das schluchzende Mädchen und kauerte sich neben sie. »Was ist los?«, fragte sie. »Heather, was ist passiert?« Schluchzend und verstört zeigte Heather auf die offene Tür vor sich. Sie schaffte es, nach Luft zu schnappen ... »Es ist Rhea. Sie ist …« Heather übergab sich plötzlich. Um dem Spray von Erbrochenem auszuweichen, stand Riley auf und schaute durch die Zimmertür. In dem Lichtschein, der aus dem Flur in das Zimmer drang, konnte sie sehen, wie sich etwas auf dem Boden ausbreitete - eine dunkle Flüssigkeit. Zuerst dachte sie, es wäre ein verschüttetes Erfrischungsgetränk. Dann schauderte sie ... Blut. Sie hatte schon mal so ein Blutbad gesehen. Man konnte es nicht mit etwas anderem verwechseln. Sie trat in die Tür und sah schnell, dass Rhea sich über ihr Einzelbett ausstreckte, voll bekleidet und mit offenen Augen. »Rhea?«, fragte Riley. Sie schaute näher hin. Dann würgte sie. Rheas Kehle war beinahe von Ohr zu Ohr aufgeschlitzt. Rhea war tot - das wusste Riley mit Sicherheit. Sie war nicht die erste ermordete Frau, die sie in ihrem Leben gesehen hatte. Dann hörte Riley einen weiteren Schrei. Einen Moment lang fragte sie sich, ob der Schrei nicht ihr eigener sein könnte. Aber nein - er kam von direkt hinter ihr. Riley drehte sich um und sah Gina Formaro in der Tür stehen. Sie hatte in dieser Nacht auch im Centaur's Den gefeiert. Nun wölbten sich ihre Augen und sie zitterte überall, bleich vor Entsetzen. Riley erkannte, dass sie sich selbst bemerkenswert ruhig und überhaupt nicht verängstigt fühlte. Sie wusste auch, dass sie wahrscheinlich die einzige Studentin auf der ganzen Etage war, die nicht schon in Panik ausgebrochen war. Es lag an ihr, dafür zu sorgen, dass die Lage nicht noch schlimmer wurde. Riley nahm Gina sanft am Arm und führte sie aus der Tür. Heather hockte immer noch auf dem Boden, wo sie sich übergeben hatte, immer noch schluchzend. Und andere umherwandernde Studentinnen machten sich auf den Weg in den Raum. Riley zog die Zimmertür zu und stellte sich davor. »Bleibt zurück!«, schrie sie die sich nähernden Mädchen an. »Bleibt weg!« Riley war überrascht von der Kraft und Autorität ihrer eigenen Stimme. Die Mädchen gehorchten und bildeten einen gedrängten Halbkreis auf dem Gang vor dem Zimmer. Riley schrie wieder: »Jemand soll neun-eins-eins anrufen!« »Warum?«, fragte eines der Mädchen. Immer noch zusammengekauert auf dem Boden mit einem Pool von Erbrochenem vor sich, schaffte es Heather Glover, sich aufzurappeln ... »Es ist wegen Rhea. Sie wurde ermordet.« Plötzlich explodierte eine wilde Mischung aus Mädchenstimmen im Flur - einige schreiend, andere keuchend, andere schluchzend. Ein paar der Mädchen drängten wieder in den Raum. »Bleibt zurück!«, sagte Riley noch einmal und versperrte weiterhin die Tür. »Ruft neun-eins-eins!« Eines der Mädchen hatte ein kleines Handy in der Hand. Sie machte den Anruf. Riley stand da und fragte sich ... Was soll ich jetzt tun? Sie wusste nur eines sicher - sie konnte keines der Mädchen in den Raum mit dem Leichnam lassen. Es herrschte schon genug Panik auf ihrem Flur. Es würde nur noch schlimmer werden, wenn mehr Leute sehen würden, was in diesem Raum war. Sie war sich auch sicher, dass niemand darin herumlaufen sollte .... In was? Einen Tatort, erkannte sie. Dieser Raum war ein Tatort. Sie erinnerte sich und war sich sicher, dass ihr Wissen aus Filmen oder Fernsehsendungen stammte, dass die Polizei den Tatort so unberührt wie möglich haben wollte. Alles, was sie tun konnte, war warten und alle von dem Zimmer fernzuhalten. Und bisher war sie damit erfolgreich. Der Halbkreis der Studentinnen begann sich aufzulösen, und die Mädchen entfernten sich in kleineren Gruppen, verschwanden in ihren Zimmern oder bildeten kleine Gruppen im Flur, um ihr Entsetzen zu teilen. Es wurde viel geweint, und es gab tiefe, animalische Klagelaute. Einige weitere Handys tauchten auf, diejenigen, die sie besaßen, riefen Eltern oder Freunde an, um über ihre Versionen der Tragödie zu berichten. Riley dachte, das war vermutlich keine gute Idee, aber sie hatte keine Möglichkeit, sie aufzuhalten. Wenigstens hielten sie sich von der Tür fern, die sie bewachte. Und jetzt fing sie an, ihren eigenen Anteil des Grauens zu spüren. Bilder aus ihrer frühen Kindheit überfluteten Rileys Gehirn ... Riley und Mami waren in einem Süßigkeiten-Laden und Mami hatte Riley verwöhnt! Sie hat ihr jede Menge Süßigkeiten gekauft. Sie lachten beide und waren glücklich, bis sie ... Ein Mann trat auf sie zu. Er hatte ein seltsames Gesicht, flach und ohne Merkmale, wie etwas aus einem von Rileys Albträumen. Es dauerte eine Sekunde, bis Riley bemerkte, dass er einen Nylonstrumpf über seinem Kopf trug - die Art, die Mami an ihren Beinen trug. Und er hatte eine Waffe in der Hand. Er fing an, Mami anzuschreien ... »Deine Handtasche! Gib mir deine Handtasche!« Seine Stimme klang so unheimlich, wie sich Riley fühlte. Riley sah zu Mami auf und erwartete, dass sie tat, was der Mann sagte. Aber Mami war blass geworden und zitterte überall. Sie schien nicht zu verstehen, was los war. »Gib mir deine Tasche!«, schrie der Mann wieder. Mami stand einfach da und umklammerte ihre Handtasche. Riley wollte es Mami sagen ... »Tu, was der Mann sagt, Mami. Gib ihm deine Handtasche.« Aber aus irgendeinem Grund kamen keine Worte aus ihrem Mund. Mami taumelte ein wenig, als ob sie weglaufen wollte, aber ihre Beine nicht bewegen konnte. Dann gab es einen Blitz und ein lautes, schreckliches Geräusch ... ... und Mami fiel auf den Boden und landete auf ihrer Seite. Aus ihrer Brust spritzte ein Dunkelrot, und die Farbe durchtränkte ihre Bluse und breitete sich in einer Pfütze auf dem Boden aus ... Riley wurde durch den Klang der herannahenden Sirenen in die Gegenwart zurückgerissen. Die örtliche Polizei kam an. Sie war erleichtert, dass die Behörden hier waren und übernehmen konnten ... was auch immer getan werden musste. Sie sah, dass Jungs, die im zweiten Stock wohnten, herunterkamen und die Mädchen fragten, was los sei. Auch sie hatten sich nur eilig etwas angezogen: einige trugen Hemden und Jeans, andere Pyjamas und Bademäntel. Harry Rampling, der Football-Spieler, der sich Riley an der Bar genähert hatte, machte sich auf den Weg zu ihr und der geschlossenen Tür. Er schob sich an den Mädchen vorbei, die noch immer dort herum standen und starrte sie einen Moment lang an. »Was glaubst du, was du da tust?«, schnappte er. Riley erwiderte nichts. Sie sah keinen Sinn darin, zu versuchen, es zu erklären - nicht, wenn die Polizei jeden Moment auftauchen würde. Harry grinste ein wenig und machte einen bedrohlichen Schritt in Richtung Riley. Ihm war offensichtlich von dem toten Mädchen da drin erzählt worden. »Aus dem Weg«, sagte er. »Ich will das sehen.« Riley stand noch entschlossener als zuvor. »Du kannst da nicht reingehen«, sagte sie. Harry fragte: »Warum nicht, kleines Mädchen?« Riley starrte ihn nur an, fragte sich aber ... Was zum Teufel glaube ich, was ich hier mache? Dachte sie wirklich, sie könnte einen männlichen Athleten davon abhalten, da reinzugehen, wenn er sich dazu entschließen würde? Seltsamerweise hatte sie das Gefühl, dass sie es wahrscheinlich könnte. Sie würde sich sicher wehren, wenn es dazu kommen würde. Doch zum Glück hörte sie das Klappern von Schritten, die den Flur betraten, dann ertönte die Stimme eines Mannes ... »Hört auf damit. Lasst uns durch.« Die Gruppe von Studenten löste sich auf. Jemand sagte: »Dort drüben« und drei uniformierte Polizisten machten sich auf den Weg zu Riley. Sie kannte sie alle. Es waren bekannte Gesichter in der Gegend von Lanton. Zwei von ihnen waren Männer, die Officers Steele und White. Die andere war eine Frau, Officer Frisbie. Ein paar Campuspolizisten waren auch dabei. Steele war übergewichtig und sein rötliches Gesicht ließ Riley vermuten, dass er zu viel trank. White war ein großer Kerl, der stets mit einer krummen Haltung herumlief und dessen Mund immer offen zu sein schien. Riley fand ihn nicht besonders gescheit. Officer Frisbie war eine große, kräftige Frau, die Riley immer als freundlich und gutmütig empfunden hatte. »Wir haben einen Anruf bekommen«, sagte Officer Steele. Er knurrte Riley an. »Was zum Teufel ist hier los?« Riley trat von der Tür weg und zeigte auf sie. »Es ist Rhea Thorson«, sagte Riley. »Sie ist …« Riley konnte den Satz nicht beenden. Sie versuchte immer noch, sich klarzumachen, dass Rhea tot war. Sie trat einfach zur Seite. Officer Steele öffnete die Tür und schob sich an ihr vorbei in den Raum. Dann folgte ein lautes Keuchen, bevor er rief ... »Oh mein Gott!« Frisbie und White eilten beide ins Zimmer. Dann tauchte Steele wieder auf und rief den Schaulustigen zu: »Ich will wissen, was passiert ist. Jetzt sofort.« Es breitete sich ein verwirrtes Gemurmel aus. Dann feuerte Steele eine Reihe von Fragen ab. »Was wisst ihr darüber? War das Mädchen den ganzen Abend in ihrem Zimmer? Wer war noch hier?« Die Verwirrung nahm zu, einige Mädchen sagten, dass Rhea das Wohnheim nicht verlassen habe, andere sagten, dass sie in die Bibliothek gegangen sei, andere, dass sie zu einem Date ausgegangen sei, und natürlich gab es ein paar, die sagten, dass sie getrunken habe. Niemand jedoch hatte sie in ihrem Zimmer gesehen. Nicht bis sie Heather schreien hörten. Riley atmete durch, machte sich bereit, die anderen niederzuschreien und zu erzählen, was sie wusste. Aber bevor sie sprechen konnte, zeigte Harry Rampling auf Riley und sagte ... »Dieses Mädchen benimmt sich komisch. Sie stand genau da, als ich hier ankam. Als ob sie einfach aus der Tür kommen würde.« Steele trat auf Riley zu und knurrte ... »Stimmt das? Du hast einiges zu erklären. Fang an zu reden.« Er schien nach seinen Handschellen greifen zu wollen. Zum ersten Mal spürte Riley eine Spur von Panik. Wollte dieser Typ mich verhaften?, fragte sie sich. Sie hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn er es täte. Aber die Polizistin sagte scharf zu Officer Steele: »Lass sie in Ruhe, Nat. Siehst du nicht, was sie getan hat? Sie hat das Zimmer bewacht und dafür gesorgt, dass niemand sonst reingeht. Wir haben es ihr zu verdanken, dass der Tatort nicht hoffnungslos verseucht ist.« Officer Steele zog sich mit einem verärgerten Blick zurück. Die Frau rief den Schaulustigen zu: »Ich will, dass alle genau da bleiben, wo sie sind. Keiner bewegt sich, verstanden? Und redet so wenig wie möglich.« Dem wurde mit Nicken und Murmeln zugestimmt. Dann packte die Frau Riley am Arm und begann, sie von den anderen wegzuführen. »Komm mit mir«, flüsterte sie Riley scharf zu. »Du und ich werden ein kleines Gespräch führen.« Riley schluckte ängstlich, als Officer Frisbie sie wegführte. Bin ich ernsthaft in Schwierigkeiten?, fragte sie sich.
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