Kapitel 4 Antheas Sichtweise

1860 Words
Ich hatte Glück, dass niemand da war, als ich komplett nackt zurückgeschlichen bin. Alle waren immer noch beim Rudellauf. Ich rannte ins Haus und ins Badezimmer, drehte die Dusche auf höchste Stufe heiß. Ich stieg hinein und ließ mich sinken bis zum Boden. Zusammengerollt zu einem Ball zog ich meine Knie so nah wie möglich an meine Brust und ich weinte. Ich ließ das Wasser die Ströme von Tränen wegspülen, die aus meinen Augen flossen. Das Ding war, Enzo war nicht derjenige, den ich mir als meinen Gefährten vorgestellt hatte. Ich wollte nicht, dass der nächste Alpha mein Gefährte ist. Ich wollte einfach nur einen niedrigeren Wolf, der über alles hinwegsehen konnte, worüber sich andere Leute lustig über mich machten. Und der mich sieht, ein kleines Haus und uns einfach alleine lässt, um unsere Paarung und Akzeptanz des anderen zu genießen. Ich wollte nicht im Rampenlicht stehen, wie es manche Wölfinnen wollten. Ich würde sagen, 98 Prozent der jungen verfügbaren Weibchen hoffen und beten, dass sie Enzos Gefährtin werden. Da offensichtlich nicht allgemein bekannt war, hatte er es herausgefunden. Er hatte mich gefunden. Der Hass in seinen Augen, als er mich ansah, würde für immer in meiner Gedächtnis eingebrannt sein. Ich glaube, es tat mehr weh als jeder enttäuschte und böse Blick zuvor, sogar meiner eigenen Mutter. Ich blieb so lange unter der Dusche, bis meine Haut durch die Hitze schrumplig und rot wurde. Und lange genug, um alles in Frage zu stellen, was ich über das Schicksal und die Tatsache wusste, dass es dich mit jemandem zusammenbringen soll, der dich auf jede erdenkliche Weise vervollständigt. Jedes Buch und jede Geschichte, die ich gehört oder gelesen hatte, schien mir nun falsch. Denn es gab keine Möglichkeit, niemals, dass Enzo und ich zusammenpassen würden. Ich sah schrecklich aus. Ich sah absolut elend aus. Ich biss mir auf die Lippe und blickte auf das Handtuch, das um meinen Körper gewickelt war. Alle Weibchen in unserem Rudel hatten definierte feminine Muskeln. Ich hatte noch nie ein übergewichtiges Rudelmitglied gesehen. Na ja, vielleicht die süßen pummeligen Babys und die älteren Mitglieder des Rudels, die zu alt waren, um hart zu trainieren und zu verwandeln. Aber selbst dann geschah das erst, wenn sie wirklich alt waren und ihre Körper nachließen. Die Lebensspanne eines Wandlers war etwas anders als die gewöhnlicher Menschen. Wir lebten nicht für immer, wir waren nicht unsterblich. Aber wir würden die meisten Menschen um zwanzig bis dreißig Jahre überleben. Das älteste Mitglied unseres Rudels ist derzeit einhundertzehn Jahre alt. Doch ihr wilder Geist schwand nun, bereit, in einem neuen Gestaltwandler wiedergeboren zu werden. Ich hatte meine Mutter und meinen Vater davon reden gehört. Aber wir neigten dazu, Anzeichen des Alterns erst spät zu zeigen. Weiche Bäuche und ergrauendes Haar fingen normalerweise erst in den frühen Siebzigern an, und dann ging es langsam bergab. Die Geschichte unserer Wölfe besagt, dass sie die Tiergeister vieler Gestaltwandler vor uns waren, die von der Mondgöttin zurückgerufen werden, wenn es Zeit ist, weiterzugeben und ihr neuer Gefährte volljährig geworden ist. Als ich mein Handtuch öffnete, betrachtete ich meinen eigenen Körper im Spiegel. Um mindestens einen Fuß kleiner als die Weibchen. Ich war schlank, aber nicht definiert. Ich trainierte nicht annähernd genug, um wie sie zu sein. Peter war derjenige, der sich tatsächlich die Zeit nahm, mich zu trainieren, aber ich konnte nicht mithalten. Ich würde vor ihm erschöpft sein. Meine Brüste waren von guter Größe, meine Hüften und mein Hintern hatten etwas Form. In der Menschenwelt wäre ich nur als zierlich und normal eingestuft worden. Mein Körper, meine Größe, alles wäre normal für mein Alter. Manche würden sogar den Wunsch haben, dass sie wie ich so schlank waren. Hier war ich unzulänglich. Ich fand es dumm. Ich hatte oft Gedanken davon wegzulaufen. Zu Menschen zu gehen und einfach als einer von ihnen zu leben. Ich müsste verbergen, dass ich ein Shifter war. Sie durften niemals das Geheimnis erfahren. Für sie waren wir seltsam, weil wir inmitten von Nirgendwo lebten. Unsere Schönheit und körperlichen Vorzüge haben sie verschreckt, also haben sie sich ferngehalten. Und wir haben unser Bestes gegeben, um uns vom Radar fernzuhalten. Ich dachte, sie leben nach dem Motto „Unwissenheit ist Glückseligkeit“. Sie wussten, dass etwas nicht stimmte, aber ließen es dabei. Während ich meinen Körper studierte, bemerkte ich eine Bewegung am Fenster, im Spiegel. Ohne mich umzudrehen, sah ich etwas im Spiegel. Dort hinter mir stand Enzo und starrte mich wütend an mit seinem strengen Gesichtsausdruck. Ich schnappte erschrocken nach Luft, mein Herz begann wieder zu rasen. Wie lange hatte er dort gestanden? Seine Augen flickten nach unten, und ich sah, dass ich immer noch mein Handtuch offenhielt. Also wickelte ich es schnell um mich herum. Er verzog das Gesicht, als sich unsere Blicke erneut trafen, und ich schien in seinem Blick eingefroren zu sein. Unfähig, wegzuschauen oder richtig zu atmen. Was tat er hier? Er trat näher ans Fenster, und ich sah, wie er es unten berührte. Mein Fenster war eins, das man hochziehen musste, um es zu öffnen, und da wir Wölfe sind und von Wölfen umgeben waren, sperrte niemand jemals seine Fenster oder Türen zu. Mein Mund öffnete sich vor Schock, als ich sah, wie er es öffnete, nur ein paar Zentimeter. Aber dann ertönten laute Stimmen im ganzen Haus. Stimmen voller Aufregung und Lachen, ich blickte zur Zimmertür. Dann zum Fenster und seine Gestalt war verschwunden. Ich würde mich fragen, ob ich Dinge sehe, wenn mein Fenster nicht immer noch einen kleinen Spalt offen wäre. Mein Herz hämmerte immer noch wild, aber ich beeilte mich, mich anzuziehen und dann das Licht auszumachen und unter die Decken zu springen. Ich würde keine Probleme bekommen, weil ich wach war, aber ich wusste, dass Peter hier reinkommen würde. Fragen stellen würde, wie mein Lauf war. Und ich wollte keine Fragen beantworten, wollte nicht, dass er mein gerötetes, fleckiges Gesicht und meine geschwollenen Augen sah. Wie erwartet hörte ich in fünf Minuten später, wie sich die Tür öffnete. „Anthea“, flüsterte Peter. Ich blieb still und konzentrierte mich darauf, ruhig zu atmen. Ich atmete aus, als er nicht hereinkam. Und die Tür klickte leise wieder zu. Den Rest der Nacht fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Ich wachte in Panik und schweißgebadet auf, mein Herz raste und ich war außer Atem. Meine Träume handelten davon, dass ich und mein Wolf vor einem viel größeren Wolf davonliefen. Einer mit blutverschmierten Zähnen und Wahnsinn in den Augen. Das Fell war d**k und schwarz. Mein Wolf verlangte, dass wir Hilfe von unserem Partner holen. Rufe ihn an, lass ihn uns hören. Aber ich unterdrückte sie immer wieder. Er will uns nicht, er lässt lieber dieses Biest uns töten, damit er uns los ist. Wir rannten und rannten, unser weißes Fell bot uns keinerlei Tarnung im Nachthimmel, der Mond spiegelte sich darin wider und beleuchtete uns praktisch. Dann stand da vor uns ein Wolf, den ich kannte. Einer mit schwarzem und braunem Fell, der riesig war. Er stand regungslos da, als ob keine Gefahr direkt hinter mir lauerte. Wir stoppten rutschend und schauten zurück. Es war nichts dort. Kein tollwütiger Wolf, niemand verfolgte uns. Und als wir uns umdrehten, war auch der, den wir kannten, verschwunden. Wir waren allein in einer riesigen Lichtung, kein Geräusch war aus den Bäumen oder von den Tieren der Nacht zu hören. Das war der Moment, in dem ich aufwachte. Also, am Morgen war ich erschöpft, nachdem ich zum dritten Mal versucht hatte, wieder einzuschlafen und denselben Traum hatte. Ich gab auf und lag einfach wach und starrte die dunkle Zimmerdecke an. Ich zog mich aus dem Bett und zog mich an. Als ich mich im Spiegel betrachtete, war die Röte verschwunden, aber meine Augen waren immer noch dunkel. Ich sah auch blass aus, als ob ich krank wäre. Taumelnd ging ich in die Küche und begann meine Pflicht, das Frühstück für die Familie zuzubereiten. Wir hatten alle Aufgaben, die zu erledigen waren. Meine schienen alle solche zu sein, die mich drinnen hielten und hauptsächlich aus Hausarbeiten bestanden, wie meine Eltern es nannten. Wir alle halfen dabei, uns um die Familie und das Rudel zu kümmern. Meine Aufgabe war es, meine Familie zu ernähren und stark zu halten und die Kleidung sauber zu halten. Damit sie dann rausgehen und sich um das Rudel kümmern konnten. Ich war nicht blind, ich wusste, was es war. Eine weitere Möglichkeit, mich aus dem Blickfeld zu halten. Als sie alle den Geruch des Essens rochen und in die Küche kamen, waren sie alle guter Laune. Mama strahlte über das ganze Gesicht, Papa pfiff fröhlich. Mehr als gewöhnlich. Samuel und Timothy lachten, nur Peter schien nicht so glücklich zu sein. Er war es gewesen, bis er einen Blick auf mein Gesicht geworfen hatte. Jetzt schaute er besorgt. "War es ein guter Lauf letzte Nacht?“, fragte ich sie. Ich senkte den Kopf und starrte auf meinen Teller, weg von Peters Blick. Und ich stellte die Frage als Ablenkung, bevor er vor allen anderen fragen konnte, ob es mir gut ging. Ich wollte nicht, dass sie alle Fragen stellen wie er, nicht dass sie es wahrscheinlich tun würden. Nur zur Sicherheit. „Samuel hat gestern Nacht seine Freundin getroffen, Lorna. Sie hat sich erst letzten Monat das erste Mal verwandelt und hat ihrer Mutter zu Hause mit den Welpen geholfen. Deshalb war sie nicht viel unterwegs gewesen. Das ist der Grund, warum sich die beiden Liebenden gestern Nacht bei der Jagd zum ersten Mal begegnet sind. Wir hätten uns keine bessere Freundin für unseren Sohn wünschen können. Lorna stammt aus einer guten, hoch angesehenen Familie, sie ist stark und familiär eingestellt. Also ja, es war eine sehr gute Jagd“, prahlte Mama. Ich schaute zu Samuel auf, der sich wie eine Katze putzte, nicht wie ein Wolf. Er sah aus, als wäre er der stolzeste Mensch überhaupt. „Heute treffen wir uns mit ihrer Familie, dann geben wir ihre Paarung beim Alpha bekannt und dann können sie sich verbinden“, fuhr Mum fort. Sie lehnte sich vor und griff nach Samuels Hand. „Der erste meiner Jungs, der sich paart, und du hast diese Familie stolz gemacht, Samuel. Die Schicksalsgott lächelt erneut auf uns und das ist auch die gute Nachricht, die wir gebraucht haben“, sie schaute mich an. Nachdem ihre Hoffnungen zerstört waren, dass mein Wolf mich auf wundersame Weise wie alle anderen machen und mich heilen würde. Mich stärker und größer machen und all den Schaden und die Frühgeburt reparieren, das war es, was sie unausgesprochen ließ. Sie räuspert sich und wechselt das Thema und bereitet sich darauf vor, heute mit dem Alpha zu sprechen. Das war einfach das, was wir als Rudel taten. Bevor eine Bindung geschlossen wird, informiert man den Alpha, dass eine neue Paarung gefunden wurde. Er konnte den Willen der Schicksals nicht aufhalten oder sagen, dass er nicht einverstanden war, es war einfach eine Art zur Schau stellen, vschätze ich. Einer, bei dem ich wie immer nicht dabei wäre. Nicht, dass ich heute Lust darauf hätte, besonders nachdem Peter mir nach dem Frühstück bis zur Toilette gefolgt war, um mich zur Rede zu stellen.
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