KAPITEL ZWEI

1117 Words
KAPITEL ZWEI Riley ließ sich in den nächsten Sessel niederfallen als die Worte der Frau in ihrem Kopf wiederhallten. „Ich hab‘ den Mistkerl umgebracht.“ Hatte Morgan das gerade wirklich gesagt? Morgan fragte: „Agent Paige, sind sie noch dran?“ „Ich bin noch dran“, sagte Riley. „Erzählen Sie mir, was passiert ist.“ Morgan klang immer noch so ruhig, dass es gruselig war. „Die Sache ist, dass ich nicht ganz sicher bin. Ich war in letzter Zeit ziemlich berauscht und kann mich nicht so gut an die Dinge erinnern, die ich so tue. Aber ich habe ihn auf jeden Fall umgebracht. Ich schaue just in diesem Moment auf seinen Körper, hier in seinem Bett. Er hat lauter Messerstiche und hat viel geblutet. Es sieht so aus, als hätte ich es mit einem scharfen Küchenmesser getan. Das Messer liegt hier direkt neben ihm.“ Riley kämpfte damit zu begreifen, was sie da gerade zu hören bekam. Sie erinnerte sich daran, wie dürr Morgan damals ausgesehen hatte. Riley war sich sicher gewesen, dass sie magersüchtig war. Riley wusste besser als jeder andere, wie schwer es war jemanden zu Tode zu stechen. War Morgan rein körperlich überhaupt in der Lage so etwas zu tun? Sie hörte, wie Morgan seufzte. „Es tut mir unsagbar leid, Sie zu stören, aber ich weiß ehrlichgesagt nicht, was ich als nächstes tun soll. Ich hatte mich gefragt, ob Sie mir helfen könnten.“ „Haben Sie es sonst noch jemandem erzählt? Haben Sie die Polizei gerufen?“ „Nein.“ Riley stammelte: „Ich…Ich werde mich sofort darum kümmern.“ „Ok, haben Sie vielen Dank.“ Riley wollte Morgan gerade sagen, dass sie dranbleiben soll, während Riley einen separaten Anruf von ihrem Handy aus machen würde. Doch Morgan hatte bereits aufgelegt. Riley saß einen Moment lang da und starrte ins Leere. Sie hörte, wie Jilly sie fragte: „Mom, ist was passiert?“ Riley schaute zu ihr herüber und sah, dass Jilly zutiefst besorgt aussah. Sie sagte: „Nichts, was dich beunruhigen muss, mein Schatz.“ Dann ergriff sie ihr Handy und rief die Polizei in Atlanta an. * Officer Jared Ruhl langweilte sich und fühlte sich rastlos als er im Beifahrersitz neben Sergent Dylan Petrie saß. Es war Nacht und sie patrouillierten gerade eines der reichsten Viertel in Atlanta –– eine Gegend, wo äußerst selten etwas vorfiel. Ruhl war neu bei der Polizei und er sehnte sich nach dem Gefühl mitten in Geschehen zu sein. Er hatte all den Respekt der Welt für seinen afro-amerikanischen Partner und Mentor. Sergeant Petrie war schon seit über zwanzig Jahren dabei, und er war einer der erfahrensten und abgehärteten Cops auf ihrer Wache. Wieso schicken sie uns also auf diese sinnlose Route? fragte Ruhl sich. Als ob sie auf seine stumme Frage antwortete, kam eine weibliche Stimme durch das Funkgerät… „Vier-Frank-Dreizehn, hören Sie?“ Ruhls Sinne verschärften sich, als er ihre eigene Fahrzeugidentifikationsnummer hörte. Petrie antwortete: „Wir hören, was gibt’s?“ Die Mitarbeiterin der Einsatzzentrale hielt inne, als könne sie selbst kaum glauben, was sie sagte. Dann sprach sie: „Wir haben einen möglichen Eins-Siebenundachtzig im Farrell Haushalt. Begeben Sie sich vor Ort.“ Ruhls Kiefer fiel auf und er sah, wie Petries Augen sich überrascht weiteten. Ruhl wusste, dass 187 der Code für Totschlag war. In Andrew Farrells Haus? wunderte Ruhl sich. Er konnte seinen Ohren nicht glauben und Petrie sah so aus, als konnte auch er es nicht. „Wiederholen Sie“, sagte Petrie. „Ein möglicher Eins-Siebenundachtzig bei den Farrells. Können Sie dort hinfahren?“ Ruhl sah, wie Petrie stutzend die Stirn runzelte. „Ja“, sagte Petrie. „Gibt es Verdächtige?“ Die Mitarbeiterin hielt erneut inne und sagte schließlich: “Mrs. Farrell.” Petrie holte Luft und schüttelte den Kopf. „Uh…ist das ein Witz?“, sagte er. „Kein Witz.“ „Wer ist der RP?“ fragte Ruhl. Was bedeutet das? fragte Ruhl sich. Ach ja… Es bedeutete: ‚Wer hat die Tat gemeldet?‘ Die Mitarbeiterin antwortete: “Eine BAU Agentin rief aus Phoenix, Arizona durch. Ich weiß, wie merkwürdig das klingt, aber…“ Die Mitarbeiterin schwieg. Petrie sagte: „Code Drei?“ Ruhl wusste, dass Petrie fragte, ob er Sirene und Blinkleuchte einsetzen sollte. Die Mitarbeiterin fragte: „Wie nah sind Sie?“ „Unter einer Minute Fahrt“, antwortete Petrie. „Lassen Sie’s dann lieber sein. Die ganze Sache ist…“ Ihre Stimme verstummte erneut. Ruhl fragte sich, ob sie besorgt war, dass sie zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. Was auch immer wirklich passiert war in diesem luxuriösen und privilegierten Viertel, es war sicherlich eine gute Idee die Medien so lange wie möglich im Dunkeln darüber zu belassen. Endlich sagte die Einsatzzentralmitarbeiterin: „Fahren Sie einfach mal dort vorbei, ok?“ „Verstanden“, antwortete Petire. „Wir sind auf dem Weg.“ Petrie trat aufs Gas und sie eilten die ruhige Straße entlang. Ruhl staunte, als sie sich der Farrell Villa näherten. Es war näher, als er jemals an das Haus herangetreten war. Das Gebäude breitete sich in alle Richtungen hin aus und sah eher aus wie ein vornehmer Gesellschaftsclub, als wie eine Privatadresse. Die Fassade war sorgfältig beleuchtet –– sicherlich auch aus Sicherheitsgründen, aber in erster Linie wahrscheinlich um die beeindruckenden Bögen, Säulen und riesigen Fenster in Szene zu setzen. Petrie parkte das Auto in der enormen Einfahrt und stellte den Motor ab. Er und Ruhl stiegen aus und liefen zu der massiven Eingangstür hinüber. Petrie klingelte. Wenige Augenblicke später öffnete ein großer, schlanker Mann die Tür. Ruhl schätze aufgrund seines feierlichen Frackanzugs und seiner streng-offiziösen Miene, dass es sich um den Familienbutler handelte. Es schien überrascht und keineswegs erfreut zu sein, die zwei Polizisten vor der Haustür anzutreffen. „Darf ich fragen, worum es geht?“, wollte er wissen. Der Butler schien nicht zu ahnen, dass es im Inneren der Villa irgendeinen Aufruhr geben könnte. Petrie schaute rüber zu Ruhl, der spürte, dass sein Mentor dachte… Ein falscher Alarm. Wahrscheinlich nur ein Scherzanruf. Petrie sagte zum Butler: “Können wir bitte mit Mr. Farrell sprechen?“ Der Butler lächelte hochmütig. „Ich fürchte, das ist unmöglich“, entgegnete er. „Der Herr schläft und ich habe strenge Anweisungen –– “ Petrie unterbrach ihn: „Wir haben Grund zur Besorgnis um seine Sicherheit.“ Die Augenbrauen des Butlers fuhren hoch. „Wirklich?“, fragte er. „Ich werde nach ihm sehen, wenn sie darauf bestehen. Ich versuche ihn nicht zum Erwachen zu bringen. Ich versichere Ihnen, er wäre zutiefst unzufrieden.“ Petrie bat nicht um Erlaubnis dem Butler ins Innere des Hauses zu folgen. Das Haus war innen gigantisch, mit Säulenreihen die schließlich zu einer enormen Treppe mit verschnörkeltem Geländer und rotem Teppich führten. Ruhl fand es immer schwerer sich vorzustellen, dass irgendjemand hier tatsächlich lebte. Das Haus erschien ihm immer mehr wie ein Filmset. Ruhl und Petrie folgten dem Butler die Treppe hoch und durch einen breiten Flur hindurch bis zu einer großen Doppeltür. „Die Suite des Herrn“, sagte der Butler. „Warten Sie einen Moment lang hier.“ Der Butler ging durch die Türen. Dann hörten sie seinen entsetzten Aufschrei. Ruhl und Petrie eilten durch die Türe und fanden sich in einem Empfangszimmer wieder, welches in ein großes Schlafzimmer führte. Der Butler hatte bereits das Licht aufgedreht. Ruhls Augen schmerzen einen Moment lang von der Helligkeit des enormen Raums. Dann fiel sein Blick auf ein Himmelbett. Wie auch alles andere im Haus, war es riesig, wie etwas aus eine Kinofilm. Aber so groß es auch war, verblasste es vor der schieren Größe des Zimmers selbst. Alles in diesem Schlafzimmer war in Gold und Weiß gehalten –– außer dem Blut, das das Bett tränkte.
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