KAPITEL EINS
Thorgrin stand am Bug des schnittigen Schiffes und hielt sich an der Reling fest. Der Wind strich sein Haar zurück, während er mit einem zunehmend unguten Gefühl gen Horizont. Ihr Schiff, das sie von den Piraten erbeutet hatten, segelte so schnell wie der Wind es trug. Elden, O’Connor, Matus, Reece, Indra und Selese trimmten die Segel während Angel an Thors Seite stand. Er wusste genau, dass sie bereits am Limit segelten, doch er wünschte sich immer noch, schneller voranzukommen. Nach all dieser Zeit war er sich endlich sicher, dass Guwayne in beinahe greifbarer Nähe war, direkt hinter dem Horizont auf der Insel des Lichts. Und mit derselben Sicherheit spürte er, dass Guwayne in Gefahr war.
Thor konnte nicht verstehen, was der Grund dafür sein sollte. Schließlich war Guwayne als sie die Insel das letzte Mal verlassen hatten, sicher auf der Insel des Lichts unter dem Schutz von Ragon gestanden, Argons Bruder.
Argon war der mächtigste Zauberer, den Thorgrin je kennengelernt hatte – er hatte sogar den ganzen Ring geschützt – und er wusste nicht, welche Gefahr Guwayne unter dem Schutz seines Bruders drohen sollte.
Es sei denn es gab eine Macht da draußen, von der Thorgrin noch nie gehört hatte, eine dunkle Magie, die es selbst mit Ragon aufnehmen konnte. Konnte es sein, dass ein Reich existierte, irgendeine dunkle Macht, ein finsterer Magier, von dem er nichts wusste?
Doch warum sollte er seinen Sohn angreifen?
Thor dachte zurück an den Tag, an dem er die Insel des Lichts unter dem Einfluss seines Traums in größter Eile verlassen hatte. Er hatte sich gezwungen gefühlt. Rückblickend erkannte er nun, dass er von einer dunklen Macht getäuscht worden war, die ihn von seinem Sohn fortlocken wollte. Thor begriff, dass die Zeichen die ganze Zeit über schon gut sichtbar gewesen waren. Wie hatte er sie ignorieren können? Welcher dunklen Macht war es gelungen, ihn vom Weg abzubringen?
Thor erinnerte sich an den Preis, den er zahlen musste – die Dämonen, die aus der Hölle entlassen worden waren, der Fluch des dunklen Lords, dass für jeden Mann der das Land der Toten verließ, ein Dämon freigelassen wurde.
Er war sich sicher, dass das eine seiner Prüfungen gewesen war – doch er war sich auch dessen bewusst, dass sie noch lange nicht vorbei waren. Welche anderen Prüfungen lagen noch vor ihm? Würde er jemals seinen Sohn zurückbekommen?
„Mach dir keine Sorgen“, hörte er eine süße Stimme.
Thor drehte sich um und sah Angel, die an seinem Hemd zupfte.
„Alles wird gut werden“, sagte sie lächelnd.
Thor lächelte sie an und legte ihr seine Hand auf den Kopf, wie immer getröstet von ihrer Gegenwart.
Er liebte Angel wie seine Tochter. Ihre Anwesenheit gab ihm ein gutes Gefühl.
„Und wenn nicht“, fügte sie hinzu, „dann kümmere ich mich darum!“
Stolz hob sie den kleinen Bogen, den O’Connor für sie gemacht hatte, und zeigte Thor, dass sie ihn spannen konnte. Thor lächelte amüsiert, als sie den Bogen an die Brust hob, einen kleinen hölzernen Pfeil anlegte und zitternd vor Anstrengung begann, die Sehne zurückzuziehen. Sie ließ die Sehne los und ihr Pfeil trudelte aufs Meer hinaus.
„Habe ich einen Fisch getötet?!“, rief sie aufgeregt, stürzte an die Reling und blickte voller Freude aufs Wasser.
Thor stand neben ihr und blickte ins schäumende Wasser hinab. Er war sich nicht sicher, doch er lächelte und sagte,
„Dessen bin ich mir sicher – vielleicht war es sogar ein Hai!“
Thor hörte ein fernes Kreischen und war plötzlich hellwach. Er erstarrte, griff nach seinem Schwert und studierte aufmerksam den Horizont.
Langsam löste sich der dichte Nebel auf und gab den Blick frei. Thors Herz sank. In der Ferne sah er dunkle Rauchschwaden, die zum Himmel aufstiegen und bald konnte Thor sehen, dass sie von einer Insel aufstiegen. Doch es war nicht irgendeine Insel. Er erkannte die steilen Klippen, die sich hoch über das Wasser erhoben und das große Plateau. Sie war unverkennbar:
Die Insel des Lichts.
Thor spürte einen Stich in seiner Brust als er sah, dass der Himmel über ihr von bösen Kreaturen schwarz gefärbt wurde, Gargoyles, die wie Aasfresser die Überreste der Insel umkreisten und dabei schrille Schreie ausstießen. Es war eine ganze Armee und unter ihnen stand die ganze Insel in Flammen. Nicht ein Fleck schien unbeschadet zu sein.
„SCHNELLER!“, schrie Thor gegen den Wind und wusste, dass es umsonst war. Er fühlte sich hilflos wie noch nie in seinem Leben.
Doch er konnte nichts tun. Er betrachtete die Flammen, den Rauch und die Monster, die sich davonmachten während Lycoples herzzerreißend schrie. Er wusste, es war zu spät. Nichts auf der Insel konnte überlebt haben. Was auch immer sich auf der Insel befand – Ragon, Guwayne, einfach alles – war ohne jeden Zweifel tot.
„NEIN!“, schrie Thor und verfluchte den Himmel als die Gischt ihm ins Gesicht schlug, während ein heftiger Rückenwind sie, zu spät, auf eine Insel des Todes zu trug.
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