Kapitel 1-1

444 Words
Kapitel 1 Gio Erst dieses Brennen. Dann das Blut, das zwischen meinen Fingern durchsickert. Und immerzu Paolos röhrendes Geschrei, während noch mehr Schüsse fallen. Gio, nein! Gio hats erwischt! Es ist die Angst in seiner Stimme, die mein Herz wie wild hämmern lässt. Nicht der Schmerz. Nicht meine eigene Angst vor dem Tod. Keine Sekunde lang denke ich über mein eigenes Ableben nach. Nicht damals, als es passierte, und auch nicht in den Albträumen, die mich Nacht für Nacht heimsuchen. Und immer ist da dieses Mädchen. Sie ist in jeder nächtlichen Wiederholung. Manchmal wird sie auch angeschossen. Das sind die schlimmsten Nächte. Ich kann sie nicht retten, kann sie nicht vorm Unheil bewahren, und das bewirkt, dass ich an Ort und Stelle sterben möchte. Andere Male kommt sie auf mich zu, nachdem ich angeschossen wurde. Sie schlingt mich in ihre Arme und wir beide stürzen zu Boden. Und jedes Mal blicken ihre blaugrünen Augen in meine, sobald der erste Schuss fällt. Ich sehe den Horror in ihnen, als die Kugel meinen Bauch durchschlägt. Es ist der Moment, der sie in meine Träume zurückholt. Denn ihr Gesicht ist es, das ich in jener Bruchsekunde vor mir sehe, in der ich mit dem sicheren Tod rechne. Ich will sie beschützen und bin völlig verzweifelt, weil ich es nicht kann. Weil es mich erwischt hat. Ihr Blick spiegelt all das wider. Sie glaubt mich verloren und sie ist völlig verzweifelt, weil sie mich nicht rechtzeitig gewarnt hat. Denn sie hat es versucht. Ich erinnere mich an jede Sekunde davon. Die letzten fünf Atemzüge, bevor ich getroffen wurde. Ich erinnere mich daran, wie sie uns mit den Augen ein Zeichen geben wollte. Wie sie nicht reingehen und sich in Sicherheit bringen wollte, obwohl sie wusste, dass in ihrem Café gleich ein blutiges Gemetzel voller Glassplitter und Kugeln ausbrechen würde. In meinem Träumen gleicht sie einem Engel – ihr blasses Gesicht ist das Leitlicht, mit dem ich mir meines eigenen Todes bewusstwerde. Aber ich sterbe nicht. Und damit sollte eigentlich alles glasklar sein. Wie bei einer dieser Nahtoderfahrungen, die einem vor Augen führen sollen, was man alles bedauert. Was man besser machen möchte. Und dann bekommt man eine zweite Chance, um dem Leben etwas zurückzugeben. Stattdessen halten die Albträume mich in einem geistigen Nebel gefangen. Ich will ihrer Bedeutung auf den Grund gehen und versuche gleichzeitig, mein Leben zu meistern. Das Mädchen vom Caffè Milano hat auch keine Antworten – ich weiß nicht, warum mein Unterbewusstsein ihr so viel Bedeutung zuspricht. Sie ist einfach nur zwischen die Fronten der russischen Bratva und unserer Truppe geraten. Und dennoch will sie mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Mein Todesengel. Also, beinahe. Marissa. Ein unschuldiges Mädchen, das ich auf keinen Fall noch mehr belasten sollte. Ein Mädchen, das schon zu viel gesehen hat. Eine Bürde.
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