KAPITEL DREI

2169 Words
KAPITEL DREI Sie ließen Sophia über Nacht an Ort und Stelle baumeln, nur gehalten von den Seilen, die sie um den Bestrafungspfosten gebunden hatten. Die Unbeweglichkeit dabei war fast genauso schlimm wie ihr wunder Rücken, ihre Gliedmaßen brannten vom Mangel der Bewegung. Sie konnte nichts tun, um den Schmerz, den die Schläge hinterlassen hatten zu erleichtern oder gegen die Scham darüber, hier im Regen stehen gelassen worden zu sein, als eine Art Warnung für die anderen. Sophia hasste sie, mit der Art des Hasses, für den sie Kate immer ausgeschimpft hatte, weil sie ihm zu nah war. Sie wollte zusehen, wie sie starben und der Wunsch danach, war ebenfalls eine Art Schmerz, denn es gab keine Gelegenheit, dass Sophia jemals in der Lage wäre, dies Wirklichkeit zu machen. Sie konnte sich nicht einmal selbst befreien. Sie konnte auch nicht schlafen. Der Schmerz und die unbequeme Position waren der Grund dafür. Das nächste an das Sophia kam, war ein halb träumendes Delirium, die Vergangenheit vermischte sich mit der Gegenwart, während der Regen weiterhin von ihrem Haar auf ihr Gesicht platschte. Sie träumte von der Grausamkeit, die sie in Ashton gesehen hatte und nicht nur in der lebenden Hölle des Waisenhauses. Die Straßen waren schon fast so schlimm mit ihren Jägern und ihrem gefühllosen Mangel an Fürsorge denjenigen gegenüber, die auf ihr landeten. Sogar in dem Palast hatte es für jede freundliche Seele, eine weitere wie Milady d’Angelica gegeben, die es genoss in der Position, die sie hatte, gemein zu anderen zu sein. Sie dachte an eine Welt, die voll mit Kriegen und menschlicher Grausamkeit war, sie fragte sich, wie sich die Welt in so einen herzlosen Ort verwandeln konnte. Sophia versuchte an angenehmere Dinge zu denken, aber das war nicht so einfach. Sie begann an Sebastian zu denken, aber es tat zu sehr weh. Die Dinge schienen so perfekt zwischen ihnen gewesen zu sein und dann, als er herausgefunden hatte, wer sie war … war alles so schnell zusammengefallen, dass Sophias Herz sich wie Asche anfühlte. Er hatte nicht einmal versucht, sich seiner Mutter zu widersetzen oder mit Sophia zusammenzubleiben. Er hatte sie einfach weggeschickt. Sophia dachte stattdessen wieder an Kate und die Gedanken an sie, brachten das Bedürfnis noch einmal nach Hilfe zu schreien. Sie schickte einen weiteren Ruf in das erste Glimmern des Morgendlichtes, aber dennoch, es kam nichts. Noch schlimmer, die Erinnerungen an ihre Schwester brachten hauptsächlich Erinnerungen an die schweren Zeiten im Waisenhaus zurück oder an andere frühere Dinge. Sophia dachte an das Feuer. Der Angriff. Sie war so jung gewesen, als das passierte, sodass sie sich kaum daran erinnerte. Sie konnte sich an die Gesichter ihrer Eltern erinnern, aber nicht wie sie geklungen hatten, außer den paar Anweisungen zu rennen. Sie konnte sich daran erinnern, wie sie fliehen musste, aber sie konnte nur die schwächsten Ausschnitte der Zeit davor zusammensuchen. Es gab ein hölzernes Schaukelpferd, ein großes Haus, wo es einfach gewesen war, sich darin zu verlieren, eine Nanny…. Sophia konnte nicht mehr als das aus ihrer Erinnerung hervorkramen. Das Haus der Herrenlosen hatte es fast vollständig mit einer Miasma aus Schmerz bedeckt, sodass es schwer war über die Schläge und Schleifscheiben, die erzwungene Unterwürfigkeit und die Angst, die daraus kam, hinauszudenken, und dabei zu wissen, was alles dazu führte. Dasselbe würde jetzt Sophia erwarten: sie würde wie ein Tier verkauft werden. Wie lange hing sie hier schon, festgehalten, egal wie sehr sie versuchte loszukommen? Lang genug, das die Sonne wieder aufgegangen war zumindest. Lange genug, dass, als die maskierten Nonnen kamen und sie losmachten, Sophias Glieder nachgaben und sie auf den Steinen des Hofes zusammenbrach. Die Nonnen machten keine Bewegung, um ihr zu helfen. “Steh auf”, befahl eine von ihnen. “Du willst doch deine Schulden nicht in dem Aussehen abbezahlen.” Sophia blieb trotzdem da liegen, biss ihre Zähne zusammen gegen den Schmerz, als das Gefühl wieder in ihre Beine lief. Sie bewegte sich erst, als die Nonne ausholte und sie trat. “Steh auf, habe ich gesagt”, keifte sie. Sophia zwang sich aufzustehen und die maskierte Nonne nahm sie am Arm, sowie Sophia sich einen Gefangenen vorstellte, der zu seiner Enthauptung geführt wird. Sie fühlte sich nicht viel besser bei dem Gedanken daran, was jetzt auf sie zukommen würde. Sie brachten sie in eine kleine Steinzelle, wo Eimer warteten. Sie schrubbten sie ab und irgendwie schafften es die Nonnen, selbst das noch zu einer Art Qual zu machen. Ein Teil des Wassers war so heiß, dass es Sophias Haut verbrannte, während es das Blut abwusch und sie vor Schmerzen schreien ließ, wie bei denen, die sie erlebt hatte, als Schwester O’Venn sie geschlagen hatte. Der andere Teil des Wassers war eiskalt, auf eine Art die Sophia zittern ließ. Sogar die Seife die die Nonnen nutzen, brannte in ihren Augen, als sie ihr Haar wuschen und es in einem Knoten zusammenbanden, der nichts mit den eleganten Entwürfen des Palastes zu tun hatte. Sie nahmen ihr ihre weiße Unterwäsche weg und gaben ihr das graue Unterhemd der Waisenhauskleidung. Nachdem Sophia die feine Kleidung in den letzten Tagen getragen hatte, kratzte es ihre Haut wie beißende Insekten. Sie gaben ihr nichts zu essen. Wahrscheinlich lohnte es sich nicht, jetzt wo die Investition in sie zu Ende war. So war der Ort hier eben. Es war wie eine Farm für Kinder, die sie gerade genug mit Fähigkeiten und Angst fütterten, um nützliche Lehrlinge oder Bedienstete aus ihnen zu machen und sie dann weiterzuverkaufen. “Sie wissen, das das falsch ist”, sagte Sophia, als sie sie zur Tür geleiteten. “Sehen Sie nicht, was Sie tun?” Eine weitere Nonne gab ihr einen Klaps auf den Hinterkopf und Sophia stolperte. “Wir bieten der maskierten Göttin Gnade, für diejenigen, die sie brauchen. Jetzt sei ruhig. Du wirst einen schlechten Preis erzielen, wenn dein Gesicht von den ganzen Schlägen geschwollen ist.” Sophia schluckte bei dem Gedanken. Es war ihr nicht aufgefallen, wie sorgfältig sie die Anzeichen ihrer Schläge unter ihrer grauen Kleidung versteckt hatten. Wieder dachte sie an die Bauern, auch wenn es jetzt eher eine Art von Pferdehändler war, der vielleicht einen Pferdemantel färben würden, um einen besseren Handel zu erzielen. Sie führten sie auf den Korridoren des Waisenhauses entlang und jetzt gab es keine zusehenden Gesichter. Sie wollte nicht, dass die Kinder diesen Teil sahen, wahrscheinlich, weil sie damit zu viele an das Schicksal erinnern würden, dass auf sie wartete. Es würde sie ermutigen wegzulaufen, wenn das Schlagen gestern Nacht sie nicht wahrscheinlich davon abhalten würde, es zu probieren. Auf jeden Fall gingen sie in die Bereiche des Haus der Herrenlosen, wo die Kinder nicht hingingen, in Räume, die nur für die Nonnen und ihre Besucher reserviert waren. Das meiste davon war einfach, aber hier und da gab es Anzeichen von Wohlstand, in vergoldeten Kerzenhaltern oder im Silberglanz um die Ränder einer zeremoniellen Maske. Der Raum, in den sie Sophia führten, war im Vergleich zu den Standards des Waisenhauses praktisch plüschig. Es sah ein wenig aus, wie das Empfangszimmer eines reichen Hauses, mit Stühlen an den Ecken, jede mit einem kleinen Tisch auf dem ein Krug Wein und eine Platte mit Süßigkeiten stand. Es gab einen Tisch am Ende des Raumes hinter dem Schwester O’Venn stand, neben ihr ein Stück gefaltetes Pergament. Sophia nahm an, dass dies die Rechnung für ihren Vertrag war. Würden sie ihr wenigstens die Summe nennen, ehe sie sie verkauften? “Formell”, sagte Schwester O’Venn, “müssen wir dich fragen, ehe wir dich als Leibeigene verkaufen, ob du die Mittel hast deine Schulden an die Göttin zu zahlen. Dein Betrag steht hier. Komm her du wertloses Ding und schaue dir an, was du im Moment wert bist.” Sophia hatte keine Wahl; sie brachten sie zum Tisch und sie schaute es sich an. Sie war nicht überrascht jede Mahlzeit, jede Übernachtung notiert zu finden. Es war so viel, dass Sophia instinktiv davon zurückzuckte. “Hast du die Mittel, um die Schulden zu bezahlen?”, wiederholte die Nonne. Sophia starrte sie an. “Sie wissen, dass ich sie nicht habe.” Ein Stuhl stand in der Mitte, geschnitzt aus hartem Holz und völlig im Gegensatz zum Rest des Raumes. Schwester O’Venn zeigte darauf. “Dann wirst du hier sitzen und tue das sittsam. Du wirst nicht sprechen, solange du nicht dazu aufgefordert wirst. Du wirst jeder Anweisung sofort Folge leisten. Tust du das nicht, wirst du bestraft.” Sophia hatte zu viele Schmerzen, um nicht zu gehorchen. Sie ging zu dem niedrigen Stuhl und setzte sich hin, hielt ihre Augen nach unten gerichtet, sodass sie nicht die Aufmerksamkeit der Nonnen auf sich ziehen würde. Dennoch schaute sie zu, als die Personen in das Zimmer kamen, Frauen und Männer, alle mit einem Sinn an Wohlstand um sich. Sophia konnte dennoch nicht mehr von ihnen sehen, weil sie Schleier trugen, nicht so welche wie die Nonnen, aber wahrscheinlich, weil so niemand sehen konnte, wer daran interessiert war, sie wie Vieh zu kaufen. “Danke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten”, sagte Schwester O’Venn und jetzt hatte ihre Stimme die Sanftheit eines Händlers, der die Vorzüge einer feinen Seide oder eines Parfüms anpries. „Ich hoffe, dass Sie es nützlich finden werden. Bitte nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um sich das Mädchen anzuschauen, und dann geben Sie Ihre Angebote bei mir ab.“ Sie umringten Sophia, starrten sie an, wie ein Koch vielleicht ein Stück Fleisch auf dem Markt untersuchte, und fragten sich, wozu sie gut sein könnte, sie versuchten, irgendeine Spur von Fäulnis oder übermäßiger Sehnenbildung zu sehen. Eine Frau befahl Sophia sie anzusehen und Sophia gab sich Mühe zu gehorchen. “Ihre Farbe ist gut”, sagte die Frau, “und ich nehme an, sie ist auch recht hübsch.” “Eine Schande, dass sie uns sie nicht mit einem Jungen sehen lassen”, sagte ein fetter Mann mit einer Spur von einem Akzent, der sagte, dass er von drüben aus Knifewater kam. Seine teure Seiden standen vor altem Schweiß, der Gestank davon wurde von einem Parfüm verborgen, das wohl besser zu einer Frau passen würde. Er schaute herüber zu den Nonnen, als wenn Sophia nicht da wäre. “Außer Ihre Meinung hat sich geändert, Schwestern?” “Dies ist immer noch der Ort der Göttin”, sagte Schwester O’Venn und Sophia konnte echte Missbilligung in ihrer Stimme hören. Merkwürdig, dass sie davor zurückschreckte, wenn sie es bei so vielen Dingen nicht tat, dachte Sophia. Sie nutzte ihr Talent und versuchte, was sie konnte von den Gedanken der Menschen dort herauszufischen. Sie wusste nicht, was sie zu finden hoffte, dennoch gab es nichts, was ihr einfiel, um ihre Meinungen über sie auf die eine oder andere Art zu beeinflussen. Stattdessen gaben sie ihr die Möglichkeit dieselben Grausamkeiten zu sehen, dieselben harschen Enden, immer wieder und wieder. Das Beste worauf sie hoffen konnte, war Leibeigenschaft. Das Schlimmste ließ sie vor Angst zittern. “Hmm, sie zittert wundervoll, wenn sie Angst hat”, sagte einer der Männer. “Zu fein für die Minen denke ich, aber ich werde mein Angebot abgeben.” Er ging zu Schwester O’Venn und flüsterte ihr eine Zahl zu. Einer nach dem anderen tat dasselbe. Als sie fertig waren, schaute sie sich im Raum um. “Im Moment hat Meister Karg das höchste Angebot”, sagte Schwester O’Venn. “Will irgendjemand sein Angebot erhöhen?” Ein paar schienen das zu überdenken. Die Frau, die in Sophias Augen schauen wollte, ging hinüber zur maskierten Nonne und flüsterte ihr eine Zahl ins Ohr. “Danke Ihnen allen”, sagte Schwester O’Venn endlich. “Unser Geschäft ist abgeschlossen. Meister Karg, der Vertrag der Leibeigenschaft gehört jetzt Ihnen. Ich muss Sie daran erinnern, wenn die Summe bezahlt wird, ist das Mädchen frei zu gehen.” Der fette Mann schnaubte unter seinem Schleier, er nahm ihn ab und gab ein rötliches Gesicht mit zu vielen Kinns frei und das wurde auch nicht besser durch seinen buschigen Schnauzbart. “Und wann ist das schon Mal mit meinen Mädchen passiert?”, gab er zurück. Er hielt ihr seine dickliche Hand hin. Schwester O’Venn nahm den Vertrag und überreichte ihn ihm. Die anderen machten kleine Geräusche der Irritation, obwohl Sophia spüren konnte, dass mehrere bereits an andere Möglichkeiten dachten. Die Frau, die ihr Angebot erhöht hatte, dachte, dass es schade war, dass sie verloren hatte, aber nur so wie es sie irritierte, wenn eines ihrer Pferde ein Rennen gegen das ihrer Nachbarn verloren hatte. Die ganze Zeit saß Sophia da, unfähig sich zu bewegen bei dem Gedanken, dass ihr ganzes Leben so einfach jemandem übergeben wurde. Vor ein paar Tagen, war sie kurz davor gewesen einen Prinzen zu heiraten und jetzt … jetzt sollte sie das Eigentum dieses Mannes werden? “Da ist noch die Angelegenheit mit dem Geld”, sagte Schwester O’Venn. Der fette Mann Meister Karg nickte. “Ich werde das jetzt gleich erledigen. Es ist besser in Münzen zu zahlen, als auf der Bank, wenn das Schiff auf einen wartet.” Ein Schiff? Welches Schiff? Wo wollte dieser Mann sie hinbringen? Was würde er mit ihr machen? Die Antworten konnte sie leicht aus seinen Gedanken herausfinden und nur der Gedanke daran, war genug, dass Sophia halb aufstand, um wegzulaufen. Starke Hände hielten sie fest, die Nonnen verstärkten den Griff über ihren Arm noch fester. Meister Karg schaute mit beiläufiger Verachtung zu ihr herüber. “Bringt sie zu meinem Wagen, ja? Ich werde die Dinge hier regeln, und dann ...” Und dann konnte Sophia sehen, dass ihr Leben noch viel schlimmer als Horror werden würde. Sie wollte kämpfen, aber sie konnte nichts tun, als die anderen sie wegführten. Nichts. In ihren Gedanken, schrie sie nach der Hilfe ihrer Schwester. Trotzdem schien es, als wenn Kate es entweder nicht gehört hatte – oder es ihr egal war.
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