“Miss Nichols.”
Nein! Nein. Verschwinde. Eine nervige Frauenstimme störte meinen Traum. Ich wollte die Hand heben und sie wegscheuchen, konnte es aber nicht. Ich war festgenagelt. Wie konnte sie es wagen, mich und meine drei Männer zu unterbrechen?
“Miss Nichols,” wiederholte sie.
Ich riss die Augen auf und erblickte den klinischen, sterilen Examensraum im Bräutezentrum. Graue Wände. Weiße Fliesen. Meine Handgelenke waren an den merkwürdigen Untersuchungsstuhl geschnallt und die Fesseln waren so solide, dass selbst ein außerirdischer Krieger sie nicht hätte knacken können. Scheiße.
Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte dort sein. Mit meinen drei Männern. Ich wollte mich zum ersten Mal in meinem Leben sexy und ungehemmt und vollkommen frei fühlen. Ich kniff die Augen zu und wollte die Realität ausblenden.
Aber wie immer würde ich wohl enttäuscht werden. Es war nur ein Traum. Ein wertloser, unbedeutender Traum, der mir all das vorgeführt hatte, von dem ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte und von dem ich wusste, dass ich es nie bekommen würde.
Trion. Das war mein Ziel. Ich musste meine Schwester, die sich jetzt auf diesem Planeten befand, wieder zur Vernunft bringen. Und da ich wusste, dass diese Trionischen Männer hardcore dominant waren und ihre Frauen nicht teilten, hatte ich mich bereits mit der Vorstellung angefreundet auf diesen abtrünnigen Planeten transportiert und umgehend von meinem neuen Partner gefesselt zu werden, damit er mir den Arsch versohlen konnte. Aber mit drei Männern? Das passte so gar nicht zu Trion. Egal, wie verfickt großartig es gewesen war. Es war ein Traum, mehr nicht.
Großer Gott. Meine Haut war schweißgebadet, meine Muschi nach dem ersten Orgasmus, den sie mir beschert hatten immer noch geschwollen und flattrig. Und genau wie im Traum war ich immer noch aufgeheizt. Bedürftig. Ich brauchte nur die Augen zu schließen und schon konnte ich an meinem Rücken die eindringliche Berührung meiner Liebhaber spüren. Mein fester kleiner Kitzler war gereizt und geschwollen. Meine Nippel schmerzten, nach dem an ihnen herumgespielt worden war. Meine Kiefermuskulatur war nach einem tiefen Blowjob ganz lahm und müde.
Und doch war alles eine Illusion. Totaler Psychomist. Diese Männer waren nicht hier. Aufseherin Egara aber war da. Nicht, dass sie nicht attraktiv war, aber die Frau war einfach nicht mein Typ. Nein. Mit einem großen N.
Ich seufzte resigniert, öffnete die Augen und erblickte die Aufseherin, die mit der Geduld einer verdammten Heiligen auf mich runter starrte. Sie hatte diesen Ausdruck von einer Krankenschwester auf dem Gesicht, nämlich wenn sie darauf warteten, dass man sich mit den eben überbrachten schlechten Neuigkeiten arrangierte. Sehen sie diese gigantische Nadel? Ja? Die muss in ihre Wirbelsäule. Ihr Rückenmark wird sich dabei so anfühlen, als ob es mit einer Faust zerdrückt wird. Tut mir leid, Schätzchen.
Aufseherin Egara hob eine Augenbraue. “Miss Nichols, können sie mir folgen?”
“Ich wette, dass alle Frauen, die sie aus dem Testtraum reißen sie genauso hassen wie ich jetzt gerade,” motzte ich, weil ich sie in diesem Moment einfach verachtete.
Sie beugte sich über mich, ihre Uniform war wie aus dem Ei gepellt, ihr gepflegtes, dunkelbraunes Haar war zu einem ordentlichen Knoten gesteckt und ihre Miene war beinahe streng, ihre grauen Augen aber waren eigenartig traurig, als ob sie das Leid der gesamten Welt auf den Schultern trug. Vielleicht war das ja der Fall, schließlich leitete sie das Match-Making zwischen Erdenbräuten und dem Rest des Universums. Obwohl, meine Äußerung bewirkte, dass sich ihr Mundwinkel leicht nach oben bog. “Wahrscheinlich.”
“Und ich habe nicht drei heiße, gut bestückte Typen um ihre Schwänze angebettelt, sondern sie. Oder? Bitte sagen Sie mir, dass ich das nicht laut gesagt habe.”
Jetzt musste sie lächeln. “Keine Sorge, ich habe schon Schlimmeres gehört.”
Hah! Nicht von mir, das durfte nicht wahr sein. Es war mir so peinlich, ich wollte mich in eine Pfütze auflösen und vom Stuhl fließen. Ich begann hin und her zu rutschen, so gut wie möglich jedenfalls, denn der Stuhl war hart und unnachgiebig und meine Handgelenke waren gefesselt. “Also war mein Test völlig normal? Das war völlig normal?”
Sie nickte, dann trat sie einen Schritt zurück.
“Wenn es normal war, warum haben sie uns dann unterbrochen? Das ist einfach nur gemein. Mädels sollten einen Traum wie diesen auskosten dürfen.”
Die Aufseherin nickte, scheinbar verständnisvoll—aber sie hatte mich immer noch mitten im besten Teil aus dem Testtraum geholt—und setzte sich hinter ihren trostlosen Schreibtisch. “Weil es schon bald kein Traum mehr sein wird. Es kann ihre Realität werden,” verkündete sie. “Wir haben ein Match für sie, Miss Nichols, mit einer Übereinstimmung von siebenundneunzig Prozent, was beachtlich ist.”
Ich nickte. “Deswegen bin ich hier. Ich akzeptiere das Match. Schicken sie mich los. Ich bin bereit.” Es war Zeit von diesem Planeten zu verschwinden und meine andere Hälfte zu finden. Wie konnte Mindy mich einfach hier sitzenlassen? Ich wollte weinen und sie gleichzeitig anschreien. Stattdessen aber blinzelte ich, bis ich meine Emotionen wieder unter Kontrolle hatte und konzentrierte mich auf die Aufseherin. Ich starrte sie an, ohne sie aber wirklich sehen zu können. Meine Gedanken wanderten zu Mindy und zu der Nachricht, die sie auf meiner Mailbox hinterlassen hatte.
Josh hat mich sitzengelassen, dieser Arsch. Ich SCHWÖRE, auf der Erde gibt es keine vernünftigen Männer mehr. Bitte sei mir nicht böse, aber ich habe mich freiwillig als interstellare Braut gemeldet. Ich gehe nach Trion! Wollte dir nur schnell Bescheid geben, damit du dir keine Sorgen machst. Ich muss los … zum Transport. ‘Beam mich hoch, Scottie!’ Ich heirate einen Alien. Ha! Ich hab’ dich lieb, Schwester. Ich melde mich sobald ich kann. Bin so aufgeregt. Ciao.
Schlussmachen per SMS war mir zwar ein Begriff, aber das hier war schlimmer. So viel schlimmer. Meine kleine Schwester—meine drei Minuten jüngere, eineiige Zwillingsschwester—hatte mir eine sinnlose Nachricht aufs Telefon gesprochen, um mir mitzuteilen, dass sie den verfickten Planeten verließ, um mit einem Alien verpartnert zu werden. Einem Trionen. Sie hatte mir von ihrem Vorhaben nichts erzählt. Nein, sie hatte mir erst Bescheid gegeben, als sie kurz davor stand den verdammten Planeten zu verlassen. Als die Sache besiegelt war. Ich wusste überhaupt nichts über Trion, außer, dass die Männer dort groß, dominant und ohne Zweifel abartig waren.
Womit ich mich arrangieren konnte. Denn nachdem ich zwei Monate lang am Boden zerstört gewesen war, würde ich mich auch davonmachen. Ich folgte Mindy, egal, wohin es sie verschlug. Wir waren identisch und auf der ganzen Welt, ja im ganzen Universum gab es niemanden, der mir näher stand als sie. Aber sie war nicht länger auf der Erde. Und ich war immer noch so verdammt wütend auf sie, weil sie mich sitzengelassen hatte.
Wenn sie mir einfach ihren Plan erzählt hätte, dann hätte ich sofort mitgemacht. Wir hätten zusammen hingehen, uns testen lassen und gemeinsam zum neuen Planeten aufbrechen können. Eine Doppelhochzeit. Unsere heißen Alien-Männer hätten sich die Hände schütteln und sich mit der Tatsache abfinden können, dass wir nur im Doppelpack zu haben waren. Zwei für eine. Unzertrennlich.
Nur war es nicht so gelaufen. Sie hatte sich ohne mich davongemacht.
Vom Freund sitzengelassen zu werden war kein Vergleich zum Verrat durch meine rücksichtslose, impulsive, verantwortungslose Schwester. Meine Aufgabe war es auf sie aufzupassen und sicher zu stellen, dass sie sich keinen Ärger einhandelte. Ich war nur ein paar Minuten älter, aber meistens kam es mir vor wie ein paar Jahre.
Heute fühlte es sich an wie zwanzig.
Mindys Coup war vernichtend und selbst jetzt musste ich angesichts dieser bitteren Zurückweisung die Tränen unterdrücken. Es war schlimmer als jede gefloppte Beziehung. Schlimmer, als unsere Eltern uns vor dem Haus unseres Cousins abgeliefert hatten und nie mehr zurückgekommen waren. Schlimmer als die Absage vom College meiner Träume. Schlimmer sogar als Mindy sich geweigert hatte sich bei einem College zu bewerben und stattdessen entschlossen hatte Zahnarzthelferin zu werden.
Ich hasste Zähne. Hasste den Zahnarzt. Ich wollte Architektin werden, aber wegen meinem dürftigen Notendurchschnitt und meiner sehr durchschnittlichen Punktezahl bei der Aufnahmeprüfung hatten sich die großen Universitäten nicht gerade darum gerissen mich mit Stipendien zu überhäufen. Als Mindy sich geweigert hatte, überhaupt irgendeine Bewerbung zu verschicken, hatte ich mich mit dem Unvermeidbaren abgefunden und war zur Berufsschule gegangen. Jetzt machte ich technische Zeichnungen für eine Gruppe fünfzigjähriger, bierbäuchiger Männer, deren übellaunige Ehefrauen und pubertierende Kinder mich bei ihren Bürobesuchen wie eine Bedienstete oder ihr Liefermädchen behandelten.
Mindys Fortgang war für mich wie der Tod. Ein Teil von mir lag im Sterben und es tat so verdammt weh, dass ich kaum noch klar denken konnte. Der andere Teil von mir war so unglaublich wütend, dass ich auf sie einprügeln wollte, sobald ich sie auf Trion wiedersehen würde. Ich wollte sie anschreien. Ihr eine Ohrfeige verpassen und eine Erklärung verlangen. Hasste sie mich wirklich so sehr?
Mein unbekannter Alien-Mann würde sich damit abfinden müssen, dass die Suche nach meiner Schwester für mich oberste Priorität hatte. Sobald ich mich vergewissert hätte, dass es ihr gut ging und nachdem ich sie erschlagen hätte, könnten wir zur Sache kommen. Dann würde ich den heißen Traum Realität werden lassen und mit einem sexy Alien-Feger ein paar—hoffentlich—atemberaubende Orgasmen bekommen.
Ich war nicht gewalttätig. Noch nie. Ich hatte nie jemanden geschlagen, war nie in eine Prügelei verwickelt. Das war Mindys Spezialgebiet. Ich war die Ruhige. Die Verantwortungsbewusste. Die Selbstbeherrschte. Diejenige, die immer zwei oder drei oder zehn Schritte im Voraus dachte. Sie brachte uns in Schwierigkeiten und ich holte uns wieder heraus.
Diesmal aber fürchtete ich, dass ich sie nicht wieder rausreißen konnte. Ich fürchtete, dass ich sie für immer verloren hatte. Ich hatte einfach nur Angst.
Ich wollte nicht allein bleiben. Vollkommen allein. Ich war noch nie allein gewesen. Meine Schwester hatte mich immer gebraucht. Immer. Und jetzt? Jetzt fühlte ich mich nutzlos. Ich war verloren.
Und natürlich hatte sie mir die Nachricht während meines wöchentlichen Meetings gesendet, sodass ich sie unmöglich aufhalten konnte. Jetzt ließ ich mich selber testen, genau acht Wochen und zwei Tage nach Mindy. Und ich hatte Riesenschiss. Nachdem ich mich endlich entschlossen hatte, war ich ins Auto gesprungen und losgefahren. Es war eines der wenigen wirklich verantwortungslosen Dinge, die ich je getan hatte. Ich hatte weder meine Wohnung gekündigt und meine Sachen verkauft noch meinen Handyvertrag stillgelegt.
Sollten sie sich doch nach meiner Abreise selber damit herumschlagen. Ich wollte weg hier, meine Schwester wiedersehen.
Ich durfte jetzt nicht zu viel darüber nachdenken—oder auch nur etwas mehr, als ich sowieso schon tat—, denn dann würde sich mein Entschluss zu endgültig und beängstigend anfühlen und ich würde wohl die Nerven verlieren.
Bald würde ich auf Trion sein, jetzt, da ich das Match akzeptiert hatte. Ich würde sie aufspüren und ihr einen wohl verdienten Arschtritt verpassen. Oder sie eigenhändig umbringen—und sie dann umarmen, um sicher zu gehen, dass wir wirklich wieder vereint waren. Nicht, dass unsere Eltern uns je in die Arme genommen oder sich irgendwie für uns verantwortlich gefühlt hätten. Wir mussten gegenseitig auf uns aufpassen, und zwar schon immer.
“Sehr gut.” Die Aufseherin klang zufrieden, wischte mit dem Finger über ihr kleines Tablet und redete weiter, “Nicht immer sind die Bräute so entschlossen wie sie. Besonders die Frauen im Knast melden sich nicht besonders gern als Freiwillige.”
“Also ich bin keine Verbrecherin, aber definitiv bereit. Meine Schwester ist bereits verpartnert worden.”
Sie blickte kurz auf. “Wie schön.” Ihrem Tonfall nach war diese Tatsache vollkommen irrelevant. Als ob. “Wir müssen noch ein paar Standardfragen durchgehen, bevor ich Sie für den Transport vorbereiten kann.”
“Legen Sie los,” entgegnete ich. Je schneller, desto besser.
“Sagen Sie mir ihren Namen.”
“Violet Nichols.”
“Sind Sie rechtskräftig verheiratet?”
Aber klar doch. “Nein.”
“Haben Sie biologische oder adoptierte Kinder?”
“Soll das heißen es gibt Frauen, die ihre Kinder zurücklassen?” fragte ich, ohne die Frage zu beantworten.
“Das wird durch diese Frage ausgeschlossen,” erklärte sie, obwohl so etwas bestimmt schon mal vorgekommen sein musste.