KAPITEL EINS

873 Words
KAPITEL EINS Thor ritt auf Mycoples Rücken über die weite Landschaft des Rings in Richtung Süden. Irgendwo dort musste Gwendolyn sein. Thor hielt das Schwert des Schicksals fest umklammert, als er nach unter sich Andronicus gigantische Armee sah, die sich wie eine Heuschreckenplage über das Land ausgebreitet hatte. Er fühlte, wie das Schwert in seiner Hand pulsierte und wusste, was es von ihm wollte. Schütze den Ring. Vertreibe die Invasoren. Es war beinahe so, als ob das Schwert ihm befahl – und Thor folgte dem Befehl nur zu gerne. Sehr bald würde Thor jeden einzelnen der Invasoren zur Rechenschaft ziehen. Nun, da der Schild wiederhergestellt war, waren Andronicus und seine Männer in der Falle; Sie konnten keine Verstärkung mehr rufen und Thor würde nicht eher ruhen, bevor er nicht jeden einzelnen von ihnen getötet hatte. Doch jetzt war nicht die Zeit dazu. Thors eine und wahre Liebe war wichtiger, die Frau, nach der er sich die ganze Zeit über geschmachtet hatte, seit er den Canyon hinter sich gelassen hatte: Gwendolyn. Thor sehnte sich danach, sie wieder zu sehen, sie zu halten, sicher zu sein, dass sie am Leben war. Unter seinem Hemd hing der Ring seiner Mutter und brannte auf seiner Brust. Er konnte es nicht erwarten ihn Gwen zu geben, ihr seine Liebe einzugestehen und um ihre Hand anzuhalten. Er wollte, dass sie wusste, dass sich zwischen ihnen nichts geändert hatte, egal, was ihr zugestoßen war. Er liebte sie noch genauso viel – sogar noch mehr – und er wollte es sie wissen lassen. Mycoples brummte sanft, und Thor konnte die Vibration durch ihre Schuppen spüren. Auch Mycoples wollte Gwendolyn erreichen, bevor ihr etwas zustoßen konnte. Sie flog durch die Wolken und schlug mit ihren Flügeln und sie schien zufrieden zu sein, hier im Ring zu sein und Thor zu tragen. Das Band zwischen ihnen wurde stärker, und Thor spürte, dass Mycoples jeden seiner Gedanken und Wünsche teilte. Es war, als würde er auf einem Teil von sich selbst durch die Lüfte gleiten. Thors Gedanken wandten sich den Worten der Königin-Mutter zu während er durch die Wolken flog. So sehr er sie auch verdrängen wollte, sie kamen immer wieder zurück zu ihm. Andronicus ? Sein Vater? Das konnte nicht sein. Ein Teil von ihm hoffte, dass es nur eines der grausamen Spielchen der Königin-Mutter war. Sie hatte ihn ja noch nie leiden können. Vielleicht wollte sie diese falschen Gedanken in ihm wecken, um ihn aus welchem Grund auch immer von ihrer Tochter fern zu halten. Thor klammerte sich verzweifelt an diesen Gedanken fest. Doch tief in seinem Inneren hallten ihre Worte seit dem sie sie ausgesprochen hatte wider. Er wusste, dass sie wahr waren. So sehr er sich auch wünschte, dass es eine Lüge war, so sehr wusste er, dass Andronicus in der Tat sein Vater war. Der Gedanke hing über Thor wie ein Alptraum. Er hatte immer gehofft und gebetet, dass König MacGil sein Vater und Gwen irgendwie nicht dessen leibliche Tochter war, sodass sie zusammen sein konnten. Thor hatte immer gehofft, dass an dem Tag, an dem er herausfand, wer sein Vater war, alles einen Sinn machen und sein Schicksal klar werden würde. Zu erfahren, dass sein Vater kein Held war, war eine Sache. Das konnte er akzeptieren. Doch zu erfahren, dass sein Vater ein Monster war – das schlimmste Monster von allen – der Mann, den Thor am liebsten tot sehen würde – das war zu viel für ihn. Thor trug Andronicus Blut in sich. Was bedeutete das für ihn? Bedeutete es, dass er, Thor, auch ein Monster werden würde? Bedeutete es, dass das Böse auch durch seine Adern floss? War es sein Schicksal, so zu werden wie er? Oder war es möglich, dass er anders war als er, auch wenn sie vom gleichen Blut waren? Wurde das Schicksal durch das Blut weitergegeben? Oder war jede Generation für ihr eigenes Schicksal verantwortlich? Thor hatte auch Schwierigkeiten zu verstehen, was das alles für das Schwert des Schicksals bedeutete. Wenn die Legende wahr war, dass nur ein MacGil es führen konnte – bedeutete das dann, dass Thor trotzdem ein MacGil war? Wenn dem so wahr, wie konnte Andronicus dann sein Vater sein? Es sei denn Andronicus war irgendwie ein MacGil? Doch das schlimmste war, dass Thor nicht wusste, wie er diese Neuigkeiten mit Gwendolyn teilen sollte. Wie konnte er ihr sagen, dass er der Sohn ihres schlimmsten Feindes war? Des Mannes, der mitangesehen hatte, wie sie angegriffen worden war? Dafür würde sie Thor sicherlich hassen. Sie würde jedes Mal, wenn sie Thor ansah, Andronicus Gesicht sehen. Und doch musste er es ihr erzählen – er durfte das nicht vor ihr geheim halten. Würde es ihre Beziehung ruinieren? Thors Blut kochte. Er wollte Andronicus schlagen, dafür, dass er sein Vater war, dafür, dass er ihm das antat. Thor betrachtete die Landschaft, die unter ihm vorbeizog. Er wusste, dass Andronicus irgendwo dort unten war. Bald würde er ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen. Er würde ihn finden. Ihn stellen. Und er würde ihn töten. Doch zuerst musste er Gwendolyn finden. Als sie den Südlichen Wald überflogen, spürte Thor, dass sie ganz in der Nähe war. Er hatte das ungute Gefühl, dass ihr bald etwas Schlimmes zustoßen würde. Er ließ Mycoples immer schneller fliegen – aus Angst, dass der nächste Augenblick ihr letzter sein könnte.
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