KAPITEL FÜNF

1467 Words
KAPITEL FÜNF Thorgrin stand Andronicus alleine auf dem Schlachtfeld gegenüber. Um sie herum lagen überall gefallene Krieger. Er hob sein Schwert hoch und ließ es in Richtung von Andronicus‘ Brust heruntersausen. Als er es tat, ließ Andronicus seine Waffen fallen, lächelte breit und streckte Thor seine Arme entgegen, um ihn zu umarmen. Mein Sohn. Thor wollte den Schwerthieb aufhalten, doch es war zu spät. Das Schwert rauschte durch seinen Vater hindurch, und Thor wurde von Trauer zerfressen. Er blinzelte und fand sich in einem endlos langen g**g wieder und hielt Gwendolyns Hand. Er erkannte, dass das ihr Hochzeitszug war. Sie gingen auf eine blutrote Sonne zu, und als Thor sich umsah, sah er, dass die Sitze auf beiden Seiten leer waren. Er wandte sich zu Gwendolyn um. Schockiert musste er mitansehen, wie ihre Haut verdorrte und sie zu einem Skelett wurde, bis sie schließlich als Sandhäufchen zu Boden fiel. Im nächsten Augenblick stand Thor vor dem Schloss seiner Mutter. Irgendwie hatte er die Brücke überquert, und stand vor gigantischen Doppeltüren aus Gold. Sie glänzten gleißend in der Sonne und waren dreimal so hoch wie er. Es gab keinen Knauf, darum hämmerte er mit seinen Händen gegen die Türen, bis sie zu bluten anfingen. Der Klang hallte durch die Welt, doch niemand öffnete. Thor legte den Kopf in den Nacken. „Mutter!“, schrie er. Er sank auf die Knie, und plötzlich wurde der Boden zu Schlamm. Thor rutschte von einer Klippe und fiel um sich schlagend durch die Luft, hunderte von Metern, in die tosenden Wellen des Ozeans. Er streckte seine Hände gen Himmel während er das Schloss seiner Mutter aus dem Blick verlor. Er schrie. Thor riss die atemlos die Augen auf, der Wind wehte ihm über das Gesicht während er sich verwirrt umsah, und versuchte sich zu erinnern, wo er war. Er blickte nach unten und sah, wie der Ozean unter ihm mit schwindelerregender Geschwindigkeit vorbeirauschte. Er hielt sich an etwas rauem fest, hörte das schlagen von riesigen Flügeln und sah, dass er sich an Mycoples Schuppen festhielt. Seine Hände waren kalt von der Luft der Nacht, sein Gesicht taub vom Wind. Thor realisierte, dass er eingeschlafen sein musste. Sie waren schon seit Tagen unterwegs. Mycoples glitt schnell durch den nächtlichen Himmel, der nur von den rot glitzernden Sternen erleuchtet wurde. Thor seufzte und wischte sich mit der Hand über die Stirn, auf der kalter Schweiß stand. Er hatte sich geschworen, wach zu bleiben, doch sie waren schon so lange ununterbrochen auf der Suche nach dem Land der Druiden, dass Thor müde war. Glücklicherweise hatte Mycoples offensichtlich bemerkt, dass er schlief und war umsichtig genug geflogen, um ihn nicht versehentlich abzuwerfen. Sie waren nun schon so lange gemeinsam unterwegs, dass sie eine Einheit geworden waren. So sehr Thor auch den Ring vermisste, er freute sich, alleine mit seiner alten Freundin die Welt zu bereisen; er wusste, dass auch sie glücklich war, denn sie schnurrte zufrieden. Er wusste, dass Mycoples niemals zulassen würde, dass ihm etwas zustieß – und er fühlte genauso für sie. Thor blickte nach unten und betrachtete die schäumenden, leuchtenden Wasser des Meeres; es war ein seltsamer und exotischer Ozean, den er noch nie zuvor gesehen hatte, jedoch nur einer von vielen, den sie auf ihrer Suche überflogen hatten. Sie flogen immer weiter nach Norden, wobei sie dem Pfeil auf dem Relikt folgten, das er in seinem Dorf gefunden hatte. Thor wusste, dass sie sich seiner Mutter näherten. Ihr und dem Land der Druiden. Er konnte es spüren. Thor hoffte, dass der Pfeil in die richtige Richtung wies. Doch tief im Inneren wusste er, dass dem so war. Er konnte mit jeder Faser seines Seins spüren, dass das Relikt ihn zu seiner Mutter, zu seinem Schicksal führte. Thor rieb sich die Augen, fest entschlossen, wach zu bleiben. Er hatte gehofft, dass sie das Land der Druiden bereits erreicht hatten, zumal es sich anfühlte, als wären sie bereits um die halbe Welt gereist. Einen Augenblick lang machte er sich Sorgen: War alles nur eine Fantasie? Was, wenn seine Mutter gar nicht existierte? Was, wenn das Land der Druiden nicht existierte. Was, wenn er dazu verdammt war, sie nie zu finden? Er versucht, die Gedanken abzuschütteln während Mycoples unermüdlich weiterflog. Schneller, dachte Thor. Mycoples schnurrte und schlug fester mit ihren Flügeln; dann senkte sie den Kopf und sie tauchten durch den Nebel, auf einen Ort hinter dem Horizont zu, von dem sich Thor nicht einmal sicher war, ob er überhaupt existierte. Ein Tag brach an, wie Thor ihn noch nicht gesehen hatte. Nicht zwei, sondern drei Sonnen kletterten am Himmel empor, eine rot, eine grün und eine purpurn. Sie flogen über die Wolken hinweg, so dicht, dass Thor die dichte Decke, die in bunte Farben getaucht war, fast berühren konnte. Thor genoss den schönsten Sonnenaufgang, den er je gesehen hatte. Die Sonnenstrahlen brachen durch die Wolken und streichelten seine Haut und tanzten in bunten Farben über Mycoples schillernde Schuppen. Er hatte das Gefühl, der Geburt der Welt entgegen zu fliegen. Er lenkte Mycoples in einen Sinkflug, und es fühlte sich feucht an, als sie durch die Wolkendecke flogen. Sofort nach dem Eintauchen schwirrte ihre Welt vor bunten Farben und er war wie geblendet vom Licht. Als sie die Wolken verließen, rechnete Thor damit, einen weiteren Ozean unter sich zu finden, eine weitere endlose Leere. Doch diesmal begrüßte ihn etwas anderes: Sein Herz machte einen Sprung als er unter sich das sah, was lange Zeit seine Träume beherrscht hatte. Dort, weit unter ihm, kam Land in Sicht. Es war eine Insel, eingehüllt in Nebel, mitten in diesem unglaublichen Ozean. Das Relikt vibrierte in seiner Hand, und als er es ansah, sah er dass der Pfeil blinkte und steil nach unten zeigte. Doch er hätte es nicht einmal sehen müssen – er wusste es auch so. Er spürte es mit jeder Faser seines Seins. Sie war hier. Seine Mutter. Das magische Land der Druiden existierte, und er hatte es gefunden. Nach unten, liebe Freundin, dachte er. Mycoples begab sich in den Sinkflug, und als sie näher kamen, konnte Thor immer weitere Details der Insel ausmachen. Er sah endlose blühende Felder, den Feldern in King’s Court ausgesprochen ähnlich. Er konnte es nicht fassen. Die Insel kam ihm so bekannt vor, beinahe so, als ob er nach langer Zeit nach Hause zurückgekehrt war. Er hatte eine exotischere Landschaft erwartet. Es war ihm schon fast unheimlich, wie bekannt ihm alles vorkam. Wie konnte das sein? Die Insel wurde zu allen Seiten von einem breiten rot glitzernden Sandstrand begrenzt an dem sich die Wellen rauschend brachen. Als sie näher kamen, sah Thor etwas, das ihn überraschte. Zwei riesige Säulen erhoben sich wie ein Tor gen Himmel und verschwanden in den Wolken. Es waren die größten Säulen, die er je gesehen hatte. Eine Mauer, vielleicht sieben Meter hoch, umgab die gesamte Insel, und der einzige Fußweg hinein schien durch diese Säulen zu führen. Da er jedoch auf Mycoples ritt, entschied Thor, dass er nicht durch die Säulen gehen musste. Er würde einfach über die Mauer hinwegfliegen und landen, wo es ihm gerade gefiel. Thor lenkte Mycoples in Richtung der Mauer. Doch als sie sich ihr näherten, überraschte ihre Reaktion ihn. Sie schrie auf und wandte sich scharf ab, riss ihre Krallen in die Luft, bis sie fast senkrecht flogen. Es war, als wäre sie gegen einen unsichtbaren Schild geflogen, und Thor musste sich mit aller Kraft festhalten, um nicht abzustürzen. Er wollte, dass sie weiterflog, doch sie weigerte sich. In diesem Augenblick erkannte Thor: Die Insel war umgeben von einer Art von Energieschild. Einem Schild, der so mächtig war, dass selbst Mycoples ihn nicht durchdringen konnte. Man konnte nicht über die Mauer hinwegfliegen. Er lenkte Mycoples zu den Säulen und wollte sie dazu bewegen, hindurchzufliegen, doch wieder wehrte sie sich und riss ihre Krallen hoch. Ich kann nicht hinein. Thor spürte Mycoples Gedanken. Er sah sie an¸ sah, wie sie mit ihre großen glitzernden Augen blinzelte, und verstand. Sie wollte ihm begreiflich machen, dass er ohne sie ins Land der Druiden gehen musste. Thor sprang in den roten Sand und betrachtete die Säulen. „Ich kann dich nicht einfach so hier lassen, liebe Freundin“, sagte Thor. „Es ist zu gefährlich für dich. Wenn ich alleine gehen muss, dann muss ich es tun. Doch du kehre nach Hause zurück, wo du sicher bist und warte dort auf mich.“ Mycoples schüttelte den Kopf und ließ sich nieder. Ich werde auf dich bis ans Ende dieser Welt warten. Thor lehnte sich vor, strich über Mycoples Kopf und küsste sie. Sie schnurrte und lehnte ihren Kopf an seine Brust. „Ich komme wieder, liebe Freundin“, sagte Thor. Er drehte sich um und betrachtete die Säulen. Sie waren aus Gold und glänzten in der Sonne. Er fühlte sich auf eine Weise lebendig, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte als er durch das Tor ging und endlich das Land der Druiden betrat.
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD