KAPITEL DREI
Vivian schreckte auf und fand sich auf einer Sonnenliege in ihrem Hintergarten. Sie Sonne war schon lange untergegangen und das Mondlicht glitzerte auf der Oberfläche des Pools. Die Fenster der Villa ihrer Familie warfen einen warmen orangen Schein über den perfekt manikürten Rasen.
Vivian setzte sich auf und wurde von einem heftigen Schmerz durchfahren. Er schien aus jeder ihrer Poren zu sickern, als stände jedes ihrer Nervenenden in Flammen. Ihr Hals war trocken, ihr Kopf pochte und hinter ihren Augen pulsierte ein stechender Schmerz.
Vivian hielt sich an der Seite der Liege fest als sie Übelkeit überkam.
Was passiert mit mir?
Erinnerungen kamen zurück, an Zähne, die sich unter unsäglichen Schmerzen in ihren Hals bohrten, an das Geräusch von etwas Groteskem, das in ihr Ohr atmete, an den Geruch von Blut, der ihre Nase füllte.
Vivian klammerte sich noch stärker an die Liege, als sie von den erschreckenden Erinnerungen überrannt wurde. Ihr Herz schlug schneller und ihr Magen verkrampfte sich, als plötzlich mit beißender Klarheit die Erinnerung an den Moment zurückkam, in dem Kyle sie in einen Vampir verwandelt hatte. Unter ihrem Griff zerbrach der Liegestuhl.
Vivian sprang alarmiert von ihrer Kraft auf. Sobald sie stand verflüchtigte sich der Schmerz sofort. Sie fühlte sich verändert, fast, als würde sie sich in einem neuen Körper befinden. Eine Kraft, die sie nie zuvor gespürt hatte, floss durch ihre Adern. Als Cheerleader war sie stark und athletisch - aber was sie jetzt fühlte ging über die normale physische Fitness hinaus. Sie war mehr als stark. Sie fühlte sich unbesiegbar.
Es war nicht nur Kraft. Etwas anderes schwoll in ihrem Inneren an. Ärger. Wut. Das Verlangen Schmerz zuzufügen. Das Verlangen nach Rache.
Sie wollte Kyle für das, was er ihr angetan hatte, leiden lassen. Sie wollte, dass er in gleicher Weise wie sie litt.
Sie hatte gerade angefangen in Richtung Villa zu gehen, entschlossen ihn zu finden, als die Terassentüren aufflogen. Sie hielt im Schritt inne, als ihre Mutter, mit ihren pinken, flauschigen Pompon-Schühchen, seidenem Bademantel und Prada Sonnenbrille hinausblickte. Es war so typisch für ihre Mutter selbst im Dunkeln eine Sonnenbrille zu tragen. Ihr Haar war aufgerollt, ein Zeichen dafür, dass sie sich fertig machte um auszugehen, wahrscheinlich zu einer ihrer dummen Gesellschaftsveranstaltungen.
Beim Anblick ihrer Mutter schwappte Vivians neugefundene Wut über den Rand. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten.
“Was machst du hier draußen?” rief ihre Mutter in der hohen, kritisierenden Stimme, die Vivians Nerven immer zum Zerreißen spannte. “Du sollst dich doch für die Sanderson Party fertigmachen!” Sie hielt inne als Vivian ins Licht trat. “Mein Gott, du siehst ja aus wie der Tod! Komm schnell rein, damit ich dir die Haare machen kann.”
Vivians langes, blondes Haar war einmal ihr ganzer Stolz gewesen - die Quelle der Eifersucht unter den anderen Mitschülern und machtvoller Anzugspunkt für die heißen Jungs - aber jetzt könnte es Vivian nicht gleichgültiger sein wie sie aussah. Alles woran sie denken konnte waren die neuen Sinnesempfindungen die durch ihren Körper jagten, den nagenden Hunger in ihrem Bauch und das Verlangen zu Töten, das durch ihre Venen floss.
“Komm schon!” schnappte ihre Mutter und brachte dadurch die Lockenwickler auf ihrem Kopf zum zittern. “Was stehst du da so 'rum?”
Vivian fühlte, wie ein Lächeln ihre Mundwinkel hochzog. Sie machte einen weiteren, langsamen Schritt auf ihre Mutter zu. Als sie sprach, war ihre Stimme kalt und emotionslos.
“Ich gehe nicht zu der Sanderson Party.”
Ihre Mutter starrte zurück, ihr Blick voller Hass.
“Du gehst nicht?” kreischte sie. “Das ist keine Option, junge Dame. Das ist eine der wichtigsten Veranstaltungen in diesem Jahr. Wenn du nicht gehst werden die Gerüchte anfangen zu fliegen. Jetzt beeil' dich, wir haben nur noch eine Stunde bis der Wagen kommt. Und schau dir deine Nägel an! Du siehst aus als wärst du durch den Dreck gekrochen!”
Ihr Gesicht zeigte Ungläubigkeit und Scham.
Vivians Wut nahm nur noch zu. Sie dachte daran, wie ihre Mutter sie ihr ganzes Leben lang behandelt hatte, wie sie ihre Veranstaltungen immer vorgezogen hatte und sich nur insoweit um Vivian kümmerte, wie sie in das perfekte Bild passte, das sie der Welt zeigen wollte. Sie hasste die Frau mehr als sie sagen konnte.
“Ich gehe nicht zu der Sanderson Party,” knurrte Vivian als sie noch näher kam.
Sie begriff, dass es ein Wort gab, für das was sie gerade tat: anpirschen. Wie es eine Tierherde in der Wildnis tun würde, wenn sie ihre Beute umkreist. Ein Schauer der Vorfreude durchfuhr sie als sie sah, wie sich der Gesichtsausdruck ihrer Mutter von frustriert zu furchtsam wandelte.
“Ich gehe nicht zu der Sanderson Party,” sagte Vivian wieder, “oder zu den Johnsons oder den Gilbertons oder den Smythes. Ich gehe nie wieder zu einer Party.”
Der Blick in den Augen ihrer Mutter war etwas, dass Vivian nie wieder vergessen wollte.
“Was ist in dich gefahren?” fragte sie, diesmal mit einem nervösen Zittern in der Stimme.
Vivian trat weiter auf sie zu. Sie leckte sich die Lippen und knackte mit ihrem Nacken.
Ihre Mutter machte entsetzt einen Schritt zurück.
“Vivian ...” fing sie an.
Aber sie bekam nicht die Möglichkeit zu Ende zu sprechen.
Vivian sprang sie mit gefletschten Zähnen und ausgestreckten Armen an. Sie griff ihre Mutter, zog ihren Kopf zurück und grub die Zähne in ihren Hals. Die Prada Sonnenbrille flog zu Boden und sie zermalmte sie unter ihren Füßen.
Vivians Herz schlug schneller als der metallische Geschmack von Blut ihren Mund füllte. Und als ihre Mutter in ihren Armen erschlaffte, fühlte Vivian ein überwältigendes Gefühl von Triumph.
Sie ließ los und der leblose Körper ihrer Mutter fiel zu Boden, nicht mehr als ein Haufen verdrehter Körperteile und Designerklamotten. Ihre toten Augen starrten direkt auf Vivian. Vivian starrte zurück und leckte sich das Blut von den Lippen.
“Leb wohl, Mutter,” sagte sie.
Sie drehte sich um und rannte durch den schattigen Garten, rannte schneller und schneller und dann flog sie plötzlich durch die Nachtluft, über das gepflegte Anwesen und in die kalte, kalte Nacht hinein. Sie würde den Mann finden, der ihr das angetan hatte - und sie würde ihm ein Körperteil nach dem anderen ausreißen.