KAPITEL ZWEI

1755 Words
KAPITEL ZWEI Luanda stand vor Schreck stocksteif da, während sie auf Koovias toten Körper hinabblickte und noch immer den blutverschmierten Dolch in Händen hielt. Sie konnte kaum fassen, was sie gerade getan hatte. Der ganze Festsaal verstummte und starrte sie verblüfft an – niemand wagte es, sich zu bewegen. Sie alle starrten auf Koovias Leichnam zu ihren Füssen, der unantastbare Koovia, der große Krieger des McCloud’schen Königreichs, der Mann, der nur vom alten König McCloud übertroffen wurde. Die Spannung war mehr als greifbar. Luanda war von allen am meisten geschockt. Ihre Hand, mit der sich noch immer den Dolch hielt, brannte; sie spürte, wie Hitze ihren Körper durchströmte. Sie war freudig erregt und geschockt zugleich, dass sie gerade eben einen Mann getötet hatte. Doch vor allem war sie stolz, dass sie es getan hatte, stolz, dass sie dieses Monster aufgehalten hatte, bevor er Hand an die Braut oder den Bräutigam legen konnte. Er hatte bekommen, was er verdient hatte. Alle McClouds waren Wilde. Ein Schrei hallte durch den Saal, und als Luanda aufblickte, sah sie Koovias engsten Vertrauten, der mit rachelüsternen Augen auf sie zustürzte. Er hob sein Schwert und zielte auf ihre Brust. Luanda war noch immer viel zu benommen, um reagieren zu können, und der Mann war schnell. Sie wappnete sich, dann sie wusste, dass sie im nächsten Moment spüren würde, wie harter, kalter Stahl ihr Herz durchbohrte. Doch Luanda war es egal. Was auch immer ihr jetzt zustoßen würde, war nicht mehr von Bedeutung, nicht nachdem sie diesen Mann getötet hatte. Bereit zu sterben, schloss Luanda die Augen, als der Stahl auf sie herabfuhr – und war überrascht, als sie plötzlich das Klirren von Metall über sich hörte. Sie riss die Augen auf und sah Bronson, der den Schlag des Kriegers mit seinem Schwert abwehrte. Es überraschte sie; Luanda hatte nicht geglaubt, dass ihr Gemahl dazu fähig war, und schon gar nicht, dass er in der Lage war, einen so mächtigen Schlag mit nur einer Hand abzuwehren. Doch am allermeisten berührte es sie, als sie erkannte, dass er sie immer noch genug liebte, um sein Leben für sie zu riskieren. Bronson schwang sein Schwert herum, und selbst mit nur einer Hand war er so geschickt und hatte so viel Kraft, dass er dem Krieger sein Schwert durchs Herz rammte und ihn auf der Stelle tötete. Luanda konnte es kaum glauben. Bronson hatte zum wiederholten Male ihr Leben gerettet. Sie fühlte sich tief in seiner Schuld, und eine überwältigende Welle der Zuneigung für ihn überrollte sie. Vielleicht war er tatsächlich stärker, als sie gedacht hatte. Schreie erhoben sich auf beiden Seiten des Festsaals als sich McClouds und MacGils aufeinander stürzten um einander zu töten. Alle Masken der vorgespiegelten Höflichkeit fielen, die sie während der Hochzeitsfeierlichkeiten am Tag und des Banketts mühsam aufrechterhalten hatten. Es herrschte offener Krieg: Ein Krieger gegen den anderen, aufgeheizt durch Alkohol, angefacht durch Wut, von der Schande, dass die McClouds versucht hatten die Ehre der Braut zu verletzen. Die Männer sprangen über den massiven Holztisch, im Bestreben, sich gegenseitig zu töten. Sie stachen wütend aufeinander ein, schlugen einander ins Gesicht, rangen miteinander, warfen Speisen und Wein vom Tisch. Der Saal war so beengt und voller Menschen, dass sie beinahe Schulter an Schulter kämpften. Sie stöhnten und schrien während der Saal in ein heilloses, blutiges Chaos verfiel. Luanda versuchte, die Fassung wiederzugewinnen. Die Kämpfe waren so plötzlich und intensiv ausgebrochen, die Männer so voller Blutdurst, so konzentriert darauf, einander zu töten, dass sie die einzige war, die sich umsah und beobachtete, was um sie herum geschah. Sie betrachtete alles wie aus einer entrückten Perspektive aus. Sie war die einzige, die bemerkte, wie die einige McClouds langsam eine Türe nach der anderen verbarrikadierten sich dabei hinaus schlichen. Luandas Nackenhaare stellten sich auf, als sie plötzlich erkannte, was geschah. Die McClouds schlossen alle im Saal ein – und flohen aus ganz bestimmtem Grund. Sie sah zu, wie sie die Fackeln von den Wänden nahmen, und riss in Panik ihre Augen auf. Mit Schrecken erkannte sie, dass die McClouds den Saal, und mit ihm alle, die darin gefangen waren, abbrennen wollten – selbst ihre eigenen Clansmitglieder. Luanda hätte es wissen müssen. Die McClouds waren skrupellos, und bereit, alles zu tun, um zu siegen. Luanda sah sich um, und bemerkte, dass eine Türe noch nicht verschlossen war. Sie bahnte sich mit den Ellenbogen den Weg und rannte zur einzigen verbliebenen Türe. Sie sah, dass ein McCloud ebenfalls auf die Türe auf der anderen Seite des Raumes zu stürmte, und sie rannte schneller bis ihre Lungen fast barsten, fest entschlossen, ihm zuvorzukommen. Der McCloud hatte Luanda nicht kommen sehen, als er an der Tür ankam, und griff den dicken, hölzernen Riegel, um sie zu verbarrikadieren. Doch Luanda stürzte sich von der Seite auf ihn, riss ihren Dolch hoch und rammte ihn ihm in den Rücken. Der McCloud schrie auf, bäumte sich auf, und fiel zu Boden. Luanda nahm den Riegel, riss ihn von der Tür, warf sie weit auf und rannte nach draußen. Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit draußen gewöhnt hatten, sah sich Luanda um und sah, wie sich McClouds mit Fackeln draußen vor dem Saal aufgestellt hatten und ihn in Brand setzten wollten. Luanda wurde von wilder Panik übermannt. Das durfte sie nicht zulassen. Sie fuhr herum, rannte zurück in den Saal, griff Bronson und zog ihn zur Seite. „Die McClouds!“, schrie sie eindringlich. „Sie wollen den Saal niederbrennen! Hilf mir alle rauszuholen! Mach schnell!“ Bronson verstand und riss seine Augen vor Angst weit auf, und ohne zu zögern rannte er zu den Anführern der MacGils hinüber, riss sie aus dem Kampfgeschehen, schrie ihnen zu, was draußen vor sich ging und gestikulierte in Richtung der Tür. Mit Schrecken in den Augen erkannten auch sie, was vor sich ging und brüllten ihren Männern Befehle zu. Sehr zu Luandas Zufriedenheit beobachtete sie, wie sich die MacGils plötzlich vom Kampfgeschehen lösten und auf die rettende Tür zu rannten. Während sie die Flucht organisierten, verloren Luanda und Bronson keine Zeit. Mit Schrecken sah sie, dass ein weiterer McCloud darauf zustürmte, den Riegel aufhob, und versuchte abermals, die Tür zu verriegeln. Sie war sich sicher, dass sie ihn diesmal nicht rechtzeitig erreichen konnte. Diesmal reagierte Bronson; er riss sein Schwert hoch über seinen Kopf, holte aus und warf es. Es flog in hohem Bogen durch die Luft bis es schließlich im Rücken des McCloud steckenblieb. Der Krieger schrie auf und ging zu Boden, während Bronson zur Tür stürzte und sie gerade noch rechtzeitig weit aufriss. Dutzende von MacGils stürmten durch die geöffnete Tür, dicht gefolgt von Luanda on Bronson, die gewartet hatten, bis auch der letzte MacGil den Saal verlassen hatte. Die McClouds im Saal sahen sich irritiert um, weshalb ihre Feinde so plötzlich den Rückzug angetreten hatten. Als schließlich alle MacGils den Saal verlassen hatten, schlug Luanda die Tür zu, hob gemeinsam mit einigen anderen den Riegel auf und verbarrikadierte die Tür von außen, sodass kein McCloud ihnen folgen konnte. Die McClouds draußen begannen zu bemerken, was vor sich ging, ließen ihre Fackeln fallen, zogen stattdessen ihre Schwerter und wollten sich auf die McClouds stürzen. Doch Bronson und die anderen ließen ihnen keine Zeit. Sie griffen die McClouds, die um das Gebäude herum standen an, und töten die meisten von ihnen, während sie noch versuchten, ihre Waffen zu ziehen. Die meisten der McClouds waren noch immer im Inneren des Saals und die wenigen Dutzend draußen konnten sich nicht der Welle der wütenden MacGils erwehren, die sie schnell und brutal töteten. Luanda stand mit Bronson an ihrer Seite neben den MacGils. Alle atmeten schwer, doch waren überglücklich, am Leben zu sein. Während sie dastanden, begannen die McClouds drinnen, die Türen zu rammen, im Versuch ihrerseits nach draußen zu entkommen. Die MacGils wandten sich um, unsicher was zu tun war, und sahen Bronson an. „Du musst diese Rebellion ein für alle Mal beenden“, stellte Luanda nachdrücklich fest. „Du musst ihnen mit der gleichen Brutalität begegnen, die sie dir angedeihen lassen wollten.“ Bronson sah sie zögernd an, und sie konnte die Unsicherheit in seinen Augen sehen. „Ihr Plan ist nicht aufgegangen“, sagte er. „Sie sind im Saal gefangen. Wir werden sie unter Arrest stellen.“ Luanda schüttelte entschlossen den Kopf. „Nein!“ schrie sie. „Diese Männer hier sehen zu dir auf. Sie brauchen einen Anführer. Das ist der grausame Teil der Welt. Wir sind nicht in King’s Court. Hier regiert die Brutalität. Nur mit Gewalt gewinnst du Respekt. Diese Männer da drin dürfen nicht am Leben bleiben. Wir müssen ein Exempel statuieren!“ Bronson sträubte sich entsetzt. „Was sagst du da?“, fragte er. „Dass wir sie bei lebendigem Leib verbrennen sollen? Dass wir sie mit derselben Gewalt behandeln sollen, die sie sonst gegen uns gerichtet hätten?“ Luanda knirschte mit den Zähnen. „Wenn du es nicht tust, merk dir meine Worte: Diese Männer werden eines Tages dich töten.“ Die MacGils sammelten sich um sie herum und hörten die Diskussion mit an. Luanda kochte vor Frustration. Sie liebte Bronson – schließlich war er es gewesen, der ihr Leben gerettet hatte. Und doch hasste sie, wie schwach, wie naiv er doch sein konnte. Luanda hatte genug von Männern, die beim Regieren falsche Entscheidungen fällten. Sie sehnte sich danach, selbst zu regieren. Sie wusste, dass sie besser als jeder einzelne von ihnen war. Sie wusste, dass manchmal eine Frau die Welt der Männer beherrschen musste. Luanda, die ihr ganzes Leben lang an den Rand gedrängt worden war, hatte das Gefühl, dass sie nicht mehr einfach nur zusehen konnte. Schließlich waren diese Männer hier nur dank ihr überhaupt am Leben. Sie war die Tochter eines Königs – und noch dazu die Erstgeborene. Bronson stand zögernd da und starrte sie an, und Luanda konnte sehen, dass er nicht die Initiative ergreifen würde. Sie konnte es nicht länger ertragen. Luanda schrie frustriert auf, stürmte los, riss einem der Männer die Fackel aus der Hand, und während alle anderen Männer ihr in fassungsloser Stille zusahen, stürmte sie an ihnen vorbei und warf die Fackel. Die Fackel erhellte die Nacht während sie durch die Luft flog und auf dem strohgedeckten Dach des Festsaals landete. Zufrieden sah Luanda zu, wie sich die Flammen auszubreiten begannen. Die MacGils um sie herum jubelten auf und folgten ihrem Beispiel. Jeder von ihnen nahm eine Fackel und warf sie, und bald loderten die Flammen aus dem Dach und erhellten die Nacht. Bald stand der ganze Saal in Brand und die Hitze versengte ihre Gesichter. Die Schreie der McClouds, die im Inneren gefangen waren, hallten durch die Nacht, und während Bronson zurückwich stand Luanda mit in die Hüften gestemmten Händen da: kalt, hart, erbarmungslos, und genoss jeden einzelnen Schrei. Sie wandte sich Bronson zu, der mit im Schock weit geöffnetem Mund dastand. „Das“, sagte sie trotzig, „nennt man regieren!“
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